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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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»... den Hass bekämpfen, nicht die Völker«

Der Briefwechsel zwischen Romain Rolland und Stefan Zweig: »Von Welt zu Welt«

Von Lothar Struck





 

Bei meinem Besuch in Chaville, Ende September hatte mir Peter Handke plötzlich das Buch »Von Welt zu Welt« in die Hand gedrückt. Es ist der Briefwechsel 1910-1918 zwischen Romain Rolland und Stefan Zweig, mit einem Vorwort von ihm. »Briefe einer Freundschaft« lautet der Untertitel des Buches. »Das müssen Sie lesen; es ist so rührend«. Kern des Buches bilden die Briefe zwischen 1914 und 1918 zwischen dem französischen Schriftsteller und Dramatiker Romain Rolland  (1866 geboren, bei Kriegsausbruch 48 Jahre alt) und dem 15 Jahre jüngeren Österreicher Stefan Zweig.

Schon im ersten abgedruckten Brief von Rolland (1. Mai 1910 datiert) wird der Leser verblüfft: »Und Sie sind ein Europäer« steht dort gerichtet an Zweig, und weiter: »Ich bin es auch, aus vollem Herzen«. Man hält inne und beginnt über den Terminus des »Europäers« nachzudenken und seiner Verunstaltung über all die Jahrzehnte hinweg. Inzwischen assoziiert man damit nur noch saturiert-arrogante Betriebsapparatschiks aus Brüssel oder sich in Laudationes selbstbeweihräuchernde Politiker. Europäer - welch' ein edles Attribut dies einst einmal gewesen sein muss! Mit fortschreitender Lektüre entdeckt man auch die Unschuld für andere Wörter und Begriffe, die inzwischen durch inflationären medialen Gebrauch längst zu stumpfen Floskeln wenn nicht gar Phrasen verkommen sind.

Zweigs anfängliche Ver(w)irrungen

Rolland ist, besonders am Anfang, dem zuweilen noch ungestümen und leicht manipulierten Stefan Zweig überlegen und durchschaut die von allen Seiten sich wie Lavaströme über die beiden ergießende Kriegspropaganda praktisch sofort, während der Jüngere zunächst auf eine merkwürdig servile Art die deutsche Seite vertritt, deren Agitation fast übernimmt, so dass man sich fragt, ob Zweig eigentlich Österreicher ist oder Deutscher. Er verteidigt den Einfall in Belgien, wendet sich gegen die Einseitigkeit, mit der Belgien als Opfer dargestellt werde, verharmlost die Zerstörungen in Löwen und findet eine Rechtfertigung für den Artilleriebeschuss der Kathedrale von Reims. Bestimmt und deutlich rückt Rolland diese Ver(w)irrungen zurecht und schnell bekommt Zweig nicht zuletzt in und an Rollands Aufsätzen aufgezeigt, wie man sich der »Gehässigkeit« entzieht und stattdessen – wieder so ein längst abgenutzt erscheinender Begriff – dem Humanismus alle Ehre macht.

Ab Mitte 1915 findet Zweig seinen Weg. Es ist eine Balance zwischen »höchste[r] Unparteilichkeit« und »tätigem Empfinden«, einem »Verbundensein« mit dem leidenden Individuum, unabhängig von dessen Nationalität. Beide bekennen ihre »heilige Abscheu«, was Krieg und Mordlust angeht, stemmen sich gegen die Suggestionen der »Massenpsychose«, wollen den Hass bekämpfen, nicht die Völker. Dabei erfahren sie früh, wie einsam sie sein werden. Durch einen Zufall ist Rolland bei Ausbruch des Krieges in der Schweiz; er bleibt bewusst dort, lässt Eltern und die Schwester in Paris zurück und arbeitet ehrenamtlich beim Roten Kreuz. Für seine Sicht dürfte dieser physische Abstand zu Frankreich wichtig und prägend gewesen sein. Stefan Zweig ist in Wien, wird später sogar eingezogen (allerdings nicht zu den Kampftruppen). Er ist noch mehr als Rolland hin- und hergerissen zwischen Land, Dienst, also Loyalität, aber auch seiner Antikriegshaltung und seinem Mitgefühl den Leidenden gegenüber. Oft genug nimmt Zweig jedoch aus Furcht vor Repressalien die politische Schärfe aus seinen Publikationen. Auch als er Ende 1917 in die Schweiz gehen und dort bis Ende des Krieges bleiben kann, wird er nicht froh; er bleibt Außenseiter. Die Exilantenszene insbesondere in Bern und Zürich stößt ihn ab.

Wacker widersetzen sich diese beiden »Menschenkinder« (Peter Handke) der Kriegs- und Hassrhetorik und –logik ihrer Zeit. Dabei ist jeder Brief immer wieder neu eine Prüfung, eine gegenseitige Vergewisserung, sich nicht vielleicht unmerklich auf eine Seite geschlagen zu haben. Es hat tatsächlich etwas rührendes, aber auch ergreifendes, wie beide inmitten der taumelnden Kriegsbesoffenheit Aufrechte bleiben wollen. Dabei kommt es durchaus zu Irrtümern, Idealisierungen und Verzettelungen. So richtet sich einmal der Zorn auf die Intellektuellen und alle Zuversicht gilt den einfachen Leuten. So Stefan Zweig: »[N]ur Verständnis kann den Hass töten, nur Bildung die Missverständnisse der Nationen mindern. Der geistige Pöbel, die Halbbildung, die heute Zeitungen schreibt, ist gefährlicher wie derjenige der Arbeiterviertel und Vorstädte, denn dieser hat wenigstens in seiner Moral oder Unmoral, Mut und Kraft, aber jene Feiglinge der Feder verdecken ihr Gesicht. Nur ihre Unbildung kann solchen Hass ermöglichen!« Aber auch Bildung ist kein Garant für das Gute. So mancher Freund vermag nicht zu widerstehen und Hoffnungen, große Persönlichkeiten für die Sache des Friedens gewinnen zu können, werden bitter enttäuscht. Es gibt zahlreiche leuchtend-abschreckende Beispiele. Stefan Zweig hadert mit dem von ihm verehrten Belgier Emile Verhaeren, der nach dem deutschen Einmarsch seinem Hass drastische Worte verleiht; Rolland wirbt um Verständnis. Aber auch er verzagt. Neben Gerhart Hauptmann bringt er Thomas Mann ins Spiel und dessen bösartige Polemik »Im Kriege«.

»In ein anderes Land gegangen«

Erstaunlich: Der Glaube an das Gute und das Universalistische, wie es selbst heute (oder gerade heute?) noch fremd klingt: »Unser Heil liegt jenseits der Vaterländer«, so Rolland im Frühjahr 1915 und schwärmt wenig später vom »größeren, ewigen, universellen Vaterland, das wir verteidigen müssen«, während Stefan Zweig ungefähr zur gleichen Zeit vom »Traum Europa« schreibt, »die Einheit im Getümmel« fühlt, eine »Einheit über aller Einsamkeit«. In keinem anderen Buch über die Erinnerung an den »Großen Krieg« habe ich solche Worte gelesen (da galt es oft die sogenannten oder tatsächlichen Intellektuellen ob ihrer Kriegsbegeisterung zu entzaubern; eine zuweilen leicht obszön daherkommende Geste des billigen Besserwissens).

Angesichts dieser Weltabgewandtheit fragt Peter Handke in seinem Geleitwort: »Sind sie geflüchtet aus der Gemeinschaft, der Polis, dem Gemeinwesen?« Ist es ein Sich-Vergraben in eine »Innerlichkeit«, eine neobiedermeierische Parallelwelt, wie man das heute so fesch nennt? Die Antwort von Handke ist deutlich: »Nein. Die zwei, jeder für sich und doch zusammen, sind in ein anderes Land gegangen, haben einen fremden, unentdeckten Kontinent zur Heim- und Arbeitsstätte gewählt.« Sie waren – schon wieder so ein inzwischen verunstalteter Begriff – Visionäre und brauchten, im Gegensatz zu den vielen anderen gerade keinen Arzt: Sie waren die Gesunden, waren intellektuell gesund gebliebenen und am Ende, als die Spanische Grippe noch über Europa kommt, wird ihrer beider Furcht vor diesem Virus, das sich nicht mit Worten und Gedanken bändigen lässt, sie noch ein bisschen demütiger werden lassen.

Besonders die Anfeindungen gegenüber Rolland aus Frankreich nehmen stetig zu, auch an Heftigkeit. Er sei »reich an Feinden«, schreibt er im April 1916 an Zweig. Und selbst der Ende 1916 (für 1915) an Rolland verliehene Literaturnobelpreis bringt keine Entspannung. Sogar seine Tätigkeit für das Rote Kreuz wird zum Gegenstand von Diffamierungen. Rolland ist 1916 kaum noch publizistisch tätig und pflegt einen umfangreichen Korrespondenzapparat. Zweig will den Franzosen im deutschsprachigen Raum populärer machen, fertigt Übersetzungen älterer Werke an, bereitet am Ende sogar eine Autobiographie vor (die dann 1921 erscheint). Aber selbst Aufführungen seiner Stücke in Deutschland muss Rolland ablehnen (einmal gelingt dies nicht), damit er nicht offensiv der Kollaboration bezichtigt wird. In dieser Zeit wird Stefan Zweig dem älteren ebenbürtig und erlaubt sich sogar einmal eine Kritik gegen einen Text Rollands zu erheben.

In ihrer Verzweiflung und Verzagtheit treffen die beiden so manche, wilde Prognose. Seltener bahnt sich in ihren Vorhersagen das Positive einen Weg, werden die Menschen – so der Traum – zur Vernunft kommen. Andere Prophezeiungen erschrecken den Leser zutiefst, weil sie schrecklicher Präzision eintrafen. Früher als Zweig, der den Frieden abwarten möchte, um in einer neu zu gründenden Zeitschrift publizistisch tätig zu werden, die eine Art »moralische[s] Parlament« implementieren soll (wie groß doch damals das Gott- bzw. Menschenvertrauen auf das Medium Zeitschrift war), erkennt Rolland die (auch geistigen) Verheerungen des Krieges und mahnt schon im Dezember 1914: »der Friede wird ungerecht sein«, und dies sei unabhängig  davon, wer diesen Krieg gewinnt. Stefan Zweig mutmaßt, dass nach dem Ende »die heroische Lüge« kommen werde und der Krieg in einem »Sturm der Verlogenheit« umgedichtet und »frisiert« würde. Hellsichtiger geht es kaum. Und von Schauder ist man erfüllt, wenn Zweig die »jüdische Tragödie« erst »mit dem Frieden« sich entwickeln sieht (wobei er dabei an die galizischen Juden denkt, die von russischen Truppen tyrannisiert werden, aber der heutige Leser weiß natürlich mehr).

Immun gegen die Hysterien der Zeit

Und als der Krieg dann endlich aufgehört hat, stehen beide vor den Trümmern dessen, was sie nicht wollten. Romain Rolland hadert: »Ich habe keinerlei Vertrauen auf morgen« und überdeutlich ist sein Missfallen, dass Amerika nun Europa »im Griff« habe. Auf Rollands Sympathien für die russische Revolution geht Stefan Zweig nicht ein. Er erlebt den Zusammenbruch der doch geliebten k.u.k.-Monarchie und fürchtet sich vor dem ungewissen, sich neu und ungeordnet, wild konstituierenden (»ich begreife nicht mehr, was jetzt geschieht«). Sofort flüchtet er in eine restaurative Vorkriegs-Sehnsuchtsphantasie.

Peter Handke weist darauf hin: Man muss die Autoren nicht unbedingt (literarisch) mögen, um von diesen Briefen berührt oder sogar ergriffen zu sein. Trotzdem (oder gerade deswegen?) entsteht eine Wirkung, die man nicht vermutet: Die Lektüre erzeugt Augenblicke einer fast naiven Zuversicht, ja Euphorie. Schließlich wird hier das Menschentum gerettet: Inmitten der Barbarei entsteht ein (virtueller) Ort des Nicht-Hassens, eine Immunisierung gegen die Hysterien der Zeit, dieses »seltsame Gift der kollektiven Leidenschaften«.

Erstaunlich, dass es in diesen Briefen kaum Erwähnungen jeweils aktueller politischen Entwicklungen gibt. Nur der Kriegseintritt Italiens wird mit Entsetzen kommentiert (beide erkennen, dass der Krieg dadurch verlängert wird). Anderes wie der Wechsel in den militärischen wie politischen Kommandozentralen, die vermaledeiten Schlachten- und Kriegsführungen bis hin zu Giftgaseinsätzen, die vom preußischen Kriegsministerium im Oktober 1916 verordnete, antisemitisch konnotierte »Judenzählung« (insbesondere von Zweig hierzu befremdliches Schweigen) oder der Tod des österreichischen Monarchen - über all dies (und mehr) kein Wort, als sei es sozusagen nicht der Rede wert, als werde die perverse Logik des Massensterbens an den Fronten Europas durch solche Ereignisse nicht aufgehalten. Dabei erspürt man – ein letztes Mal sei ein inzwischen verkommenes, jedoch dringend zu rettendes Wort bemüht – diese Betroffenheit, die aus den jeweils bekannten Einzelschicksalen auf das große Ganze zu potenzieren weiß. »Wer jetzt nicht leidet, wer sich nicht quält, der lebt nicht, er ist nur ein Zuschauer, er steht außerhalb der Menschheit«, so expressiv wie verzweifelt Stefan Zweig im Dezember 1917.     

Vielleicht ist es ja gewollt, um die Wirkung des Buches beim Leser nicht in Kleingedrucktes abzulenken: Außer einem Personenverzeichnis und scheinbar eher hastig verfassten Lebensläufen der beiden Protagonisten gibt es nur ganz wenige Fußnoten und damit keinen Anmerkungsapparat. Wer mehr wissen möchte, muss anderswo nachschlagen. Lesefluss und Atmosphäre bleiben damit erhalten. Leider fehlt ein kursorischer Hinweis ob und wie diese Korrespondenz fortgeführt wurde. So hört es einfach Ende 1918 auf. Die editorische Notiz, an das Ende verbannt, sollte man zuerst lesen, unter anderem um zu erfahren, was dieses »/ * /« bedeutet. Hingegen hebe man sich das wunderbare Geleitwort von Peter Handke, im Buch an den Anfang gesetzt, besser für den Schluss auf.

Gegen die griffigen, schneidigen Thesenbücher zum und über den Großen Krieg hat dieses großartige Buch bezeichnenderweise einen schweren Stand. Vermutlich wird zu wenig Erregungspotential geliefert, mit dem man sich im medialen Konzert glaubt profilieren zu können. Umso dankbarer muss man dem Aufbau-Verlag, Waltraud Schwarze (für die Manuskriptzusammenstellung und Bearbeitung) und Christel Gersch, Eva und Gerhard Schewe für ihre Übersetzungen sein.    

Artikel online seit 29.10.14
 

Romain Rolland, Stefan Zweig
Von Welt zu Welt
Übersetzt von Eva Schewe, Gerhard Schewe, Christel Gersch
Mit Einem Vorwort von Peter Handke
Gebunden mit Schutzumschlag, 480 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-351-03413-9
24,95 €

 


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