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Keine Rolltreppen im Himalaya

Adorno für Gymnasiasten (für wen sonst?)

Philosophie-Einsteiger kommen sich nicht selten vor, als seien sie in die erste Klasse zurückversetzt worden, aber umzingelt von Abiturienten, die sich aufführen, als seien sie immer schon in der Abschlussklasse gewesen. Ein dickes Fell sei jedem Interessierten angeraten; es lohnt sich – nicht zuletzt, weil die Denker meist ja nichts für ihre Anhänger können.


Von Timotheus Schneidegger

 

Das größte Problem an großen Denkerinnen und Denkern (weniger: Autorinnen und Autoren) sind ihre Leser (weniger: Leserinnen).
So, wie man auch alleine einen Achttausender besteigen könnte, ist es natürlich auch möglich, sich in einsamer Lektüre mit
Hegel oder Heidegger vertraut zu machen. An ihre eigenwilligen Stile gewöhnt man sich. Es ist nur eine Frage der Geduld, bis sich eine Ahnung dessen einstellt, was das Gedachte ist, das da in diese oder jene Wort- und Satzungetüme gefasst worden ist. Irgendwann versteht man, warum die Nepalesen keine Rolltreppen im Himalaya eingebaut haben und philosophische Klassiker sich nicht locker weglesen lassen. Dann wäre es nämlich witzlos und weil das so ist, geht man den Weg besser nicht alleine. Allerdings erweist sich die Seilschaft als Herausforderung, die der des Berg selbst in nichts nachsteht. Philosophische Gespräche mit fertigen Heideggerianern oder Hegelianern sind wenig fruchtbar. Sie pflegen ihren Jargon, verachten den Interessierten ob seiner mangelnden Sprachkenntnisse und Textsicherheit und halten es nicht einmal für nötig, ihn zu belehren; wenn doch, dann in einer Art, die jedes Interesse an dem Denken, über dessen verschriftliche Form man sich zu verständigen und auszutauschen bemüht, verleidet. Wer des überheblichen Habitus der Eingeweihten überdrüssig wird oder sich Blödheit einreden lässt, bestätigt sie nur in dem gepflegten Selbstbild, zu den wenigen zum wahren Verständnis Auserkorenen zu gehören.
Philosophie-Einsteiger kommen sich drum nicht selten vor, als seien sie in die erste Klasse zurückversetzt worden, aber umzingelt von Abiturienten, die sich aufführen, als seien sie immer schon in der Abschlussklasse gewesen. Ein dickes Fell sei jedem Interessierten angeraten; es lohnt sich – nicht zuletzt, weil die Denker meist ja nichts für ihre Anhänger können.

Ich schicke diesen umständlichen Exkurs voran, weil ich auch nach sorgfältiger Lektüre und ausgiebigem Grübeln nicht weiß, wem dieses Buch zu empfehlen ist und wem ich davon abraten muss: Ansgar Lorenz und Reiner Ruffing stellen in der Reihe »Philosophie für Einsteiger« des Wilhelm Fink Verlags Theodor W. Adorno in Arial 12pt auf 94 Seiten DIN A4 vor. Eine auch für Minderjährige zugelassene Rolltreppe gen Nietzsche und Foucault haben sie ebenfalls errichtet, wie auch der Verlag mit Richard Osbornes Bildergeschichte für Philosophie-Einsteiger Erfahrungen im Wegweisen hat.

Lorenz und Ruffing beginnen mit Adornos Tod in der dünnen Luft der Schweizer Alpen am 6. August 1969. Dieser Einstieg ist aus zwei Gründen naheliegend: Erstens haben große Philosophen nicht im Liegen an Altersschwäche zu sterben, sondern mit ihrem Tod von ihrer Profession zu künden, schließlich bedeutet Philosophie nach Montaigne Sterbenlernen. Zweitens und diesmal ganz und gar unironisch (oder halt doch, ein bisschen) bündelt sich in Busenattentat und polizeilich verfügter Hörsaalräumung die zeitgemäße Tragik von Adornos Denken.
Lorenz und Ruffing »zeichnen Leben und Werk Adornos nach«, wie man so schlimm und hier durchaus zutreffend sagt, meist chronologisch, mal logisch, mal erratisch. Aber es ist alles da – Schulzeit, Jugend, Studium, Frauengeschichten, Zwölftonmusik, Kulturindustrie, Exil, Auschwitz, Dialektik, Revolution, Kunst. Exkurse informieren über die »Begegnungen« (um es im »Jargon der Eigentlichkeit« zu sagen) und Einflüsse – Hegel, Marx, Nietzsche, Husserl, Heidegger, auch Bachmann, Schönberg, Donald Duck, alle wichtigen sind dabei. Nur Karl Kraus fehlt, dafür kommen am Schluss Habermas und Sloterdijk vor.

Anders als Proust ersparen Lorenz und Ruffing dem Leser nicht die Beschämung, »sich für gescheiter zu halten als den Autor«. Wer diesen Herrn Adorno bereits näher kennt (und sei es auch nur aus der Wikipedia), hat auf jeder Seite drum den Glücksmoment des Besserwissers, da jeder Gedanke, jede Begegnung und jedes Stichwort auf einer halben Seite abgehandelt wird. Dabei wird meist ausführlich Adorno zitiert, für mehr als grob einordnende Sätze ist dann schon kein Platz mehr (Arial 12pt!!). Überhaupt wird der Adorno-Leser die Nase rümpfen über den Versuch, »Teddys« Denken »witzig und verständlich« zu erklären und dabei »manches liebenswert Schrullige« entdecken zu dürfen. Fun ist und bleibt nunmal ein Stahlbad.

Aber der Band aus der Reihe »Philosophie für Einsteiger« will nun einmal erklärtermaßen Neulinge an TWA hin-, heran- und einführen. Damit beginnen die Schwierigkeiten mit diesem Buch aber erst, denn wer ein Buch bloß kauft, um sich überlegen zu fühlen, hat seinen Adorno nicht recht verstanden.

Es ist eingedenk der eingangs skizzierten Belagerung von Denkerinnen und Denkern durch ihre Anhänger recht und billig, jedem, der willig und verständig ist, einen Weg vorbei, drunterdurch oder hintenrum zu bahnen. Dies weniger, weil die nach Lehrstuhlerklimmung überfällige mehrhundertseitige Einführung in das Denken des jeweiligen philosophischen Hausgotts der beamtisch sichere Weg des Professors zu Wikipedia-Unsterblichkeit ist. Nein, wenn ein Denken auch jenseits der Deutungskartelle und ihrer Fortsätze im Feuilleton wirksam werden soll, braucht es auch solche unakademischen Klappleitern für den Einstieg.
Ob Lorenz’ und Ruffings poppige Überzeichung Adornos seinem Denken allerdings gerecht wird, ist fraglich. Kann man einen an Karl Kraus et.al. geschulten Stilisten wie Adorno überhaupt vorstellen, indem die Absätze über alles und jeden rund um TWA hauptsächlich mit zitierten Bonmots bestritten werden? Und dann auch noch diese wenngleich reichhaltige und ungewöhnliche Illustration mit Zeichnungen zwischen Comic Noir und Pop-Art...
Vielmehr ist es diese Gestaltung (zum dritten Mal: DIN A4, Arial 12pt!!!), die weder zum Denken zwischen Autoritärem Charakter und Negativer Dialektik passen will – es sei denn, die Verdrängung von Apostroph und halben Anführungszeichen durch den Akut wäre angewandte Typographiekritik und nicht bloß schlampig zeitgemäßer Satz – noch zu irgend was anderem. Form und (notwendigerweise verkürzte) Darstellung erinnern an Materialienhefte für die gymnasiale Oberstufe. Allerdings fehlen die Aufgabenstellungen am Ende jeder Doppelseite und 94 Seiten lassen sich nicht mal eben schnell in der Freistunde für die ganze Klasse durch den Kopierer jagen.

Gleichwohl scheint diese Einführung in Adornos Denken sich noch am ehesten an die Klientel der Philosophie-Leistungskurse – neben Leserinnen und Lesern mit eingeschränktem Sehvermögen – zu richten. Allerdings sei zweierlei dringend empfohlen:
Erstens die begleitende Lektüre der Minima Moralia, die einen zuverlässigeren, wenn auch bzw. weil komplett unbebilderten Zugang zu Stil und Klima von Adornos Denken bietet.
Zweitens die rasche Vertiefung dessen, was Lorenz und Ruffing auf halben Seiten und in den Sprech- und Denkblasen der gut gemeinten Illustrationen nur anreißen können.
Anderenfalls wird der Newbie von den als wenig nachsichtig bekannten Adorno-Veteranen schneller fertiggemacht, als uns allen lieb sein kann. Denn alles Unglück der Menschen rührt daher, dass sie zu wenig Adorno lesen.
 

Ansgar Lorenz, Reiner Ruffing
Theodor W. Adorno
1. Aufl. 2012, 96 Seiten, kart.
ISBN: 978-3-7705-5330-3
EUR 19.90

Michel Foucault
1. Aufl. 2012, 82 Seiten, kart.
ISBN: 978-3-7705-5233-7
EUR 19.90

Friedrich Nietzsche
1. Aufl. 2012, 92 Seiten, kart.
ISBN: 978-3-7705-5329-7
EUR 19.90

Alle Titel sind im Wilhelm Fink Verlag erschienen

 


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