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Herumliegen und stumm
bleiben Von Georg Patzer |
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Einmal auf den Colle della Nasca. Einmal nur, zusammen, Vater und Sohn. Das ist der größte Wunsch des Vaters. So wie sein Vater einmal mit ihm auf diesen Berg gestiegen ist. Es ist wie die Weitergabe einer Fackel, eine Art Generationenvertrag. So wie er seinem Vater geholfen hat, die Blumen auf der Terrasse zu gießen und sein Vater schon seiner Großmutter. Aber der Kreis ist jetzt unterbrochen. Denn der Sohn denkt gar nicht daran, beim Gießen zu helfen, auf den Berg zu steigen oder bei der Weinernte mitzumachen. Zwar kommt er mit zu den Freunden, die am nächsten Tag alle frühmorgens aufstehen und sich an die harte Arbeit machen. Aber er schläft bis mittags, kommt brummelig nach unten, fragt nach dem Frühstück. Und wird von den Älteren angeraunzt, dass die Zeit des Frühstücks vorbei ist, jetzt gibt es Mittagessen, und Kaffee, den der Junge will, den gibt es erst nach dem Mittagessen. Zu Hause liegt er nur herum. Zwischen den Krümeln auf einem Sofa, das Fernsehen auf volle Lautstärke, Musik vom iPod am Ohr, einen Laptop und ein Smartphone vor sich. Liest und simst und lernt dabei Chemie. Seine Freundin Pia, die der Vater einmal am Bahnhof abholt und zum Essen ausführt, weil sich sein Sohn verspätet hat, sagt nur einen vollständigen Satz: »Ich war auf dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium.« Sonst bleibt sie weitgehend stumm, lässt sich einladen, ohne sich zu bedanken und verweigert sich allen Versuchen der Konversation. Michele Serra hat einen sehr polemischen Text geschrieben, eine Mischung aus Erzählung, Essay, Klage über die neue Generation der »Liegenden« und Selbstmitleidsorgie, der in Italien ein sensationeller Erfolg war. Dort ist das Sichbedienenlassen der Jugend, das »Hotel Mama«, wo die Eltern oder Großeltern die Jungen verhätscheln und selbst die Dreißigjährigen noch mit reichlich Taschengeld versorgen, ganz offensichtlich üblicher als in Deutschland. Und so stieß Serras Anklage und Selbstanklage auf bereitwillig offene Ohren. Für uns klingen die Beschreibungen in manchen Passagen dann doch etwas übertrieben. Stilistisch schwankt das Buch, eine Art langer Brief an den Sohn, zwischen philosophischen Exkursen und kühlen Selbstbeobachtungen, zwischen emotionalem Aufbrausen und sarkastischen Ausfällen. Hilft es dem Vater? Dem Sohn? Der Beziehung zwischen ihnen? Am Schluss jedenfalls steigt der Sohn endlich mit ihm auf den Berg. Und siehe da: Er überholt ihn, ohne dass der Vater das merkt, ruft von oben herab und verschwindet dann hinter dem Kamm des Berges. So schön das Bild ist, dass der Sohn doch noch den Generationenkreis wieder aufnimmt und dabei den Alten weit hinter sich lässt – es ist doch auch so überdeutlich wie viele andere Passagen des Buchs.Artikel online seit 28.11.14 |
Michele Serra |
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