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Literatur und Zeitkritik


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Alles Willkür, oder was?

Die Literaturkritik hat schon vor langer Zeit alle herrschenden Kriterien
verschrottet, mit deren Hilfe wir zu einem Konsens über ein ästhetisches
Urteil gelangen könnten.


Von Thomas Brasch

 

Die reflexartige Zustimmung auf Jörg Sundermeiers Lamento im Buchmarkt und im Freitag über den miserablen Status der heutigen Literaturkritik in den Feuilletons erinnerte mich doch sehr an die Debatte über die deutsche Bildungspolitik, ausgelöst durch einen naiven Tweet einer 17jährigen Gymnasiastin (Ein gute Zusammenfassung der Reaktionen auf Sundermeier gibt es bei Lesen-mit-Links) Beide Male kommen die Mahner aus der Ecke der Kulturpessimisten, die sich hartnäckig verweigern, das stetig anwachsende Angebot an Bildung, Informationen und Verbreitungsmöglichkeiten zu honorieren. Die altväterliche Sehnsucht nach Orientierung durch honorige Instanzen eint sie. Sie erachten die mediale Vielfalt als Tor zur Einfalt und sehen die Kultur ohne Vermittlung von anerkannten Kuratoren und Kritikern der Beliebigkeit ausgesetzt.

Diese pessimistische Grundhaltung ist wohl so alt wie die Kulturgeschichte. Und sie korreliert immer auffällig mit dem zunehmenden (geistigen) Alter ihrer Repräsentanten – aktuell beispielsweise Peter Sloterdijk mit seinem Buch »Die schrecklichen Kinder der Neuzeit«. All diesen Kulturpessimisten entgegne ich gerne, dass wir sicher nicht die auserwählte Generation sind, die den Zenit der Kulturgeschichte erleben darf. Auch nach uns wird weiterhin noch viel Lesens-, Hörens- und Sehenswertes erschaffen werden. Nur über welche Wege wir davon erfahren und wie wir sie entdecken werden, das wird sich immer wieder wandeln. Dabei hat das Feuilleton schon sehr lange seine Deutungshoheit verloren. Schon Gustave Le Bon schrieb vor über 100 Jahren über den Einfluss des Feuilletons:

»Die Kritik hat nicht einmal mehr die Macht, ein Buch oder ein Theaterstück durchzusetzen. Sie kann schaden, aber nicht nützen.«

Die Klage über die Willkür der Literaturkritik begleitet die Feuilletons wohl schon seit Einrichtung des Ressorts. Der Verweis, dass etwas zu »feuilletonistisch« sei, ist seit jeher die gern genutzte akademische Keule, mit der man dem so Beklagten fehlenden Tiefsinn attestiert und intellektuelle Weihen versagt. Im Proseminar der Literaturwissenschaft empfängt man diese Klatsche des Dozenten noch demütig. Doch wer dann weitere zehn Semester hinter sich hat und noch immer den Entdeckergeist für lesenswerte Literatur verspürt, (ich schätze, mindestens 50% bleiben dabei auf der Strecke) der ist entschlossen, fortan Literatur nur noch feuilletonistisch zu behandeln. Und zwar so, dass man andere mit seiner Begeisterung über das Entdeckte ansteckt.

Jeder, der Literatur in den Feuilletons besprechen darf, sollte sich selbstkritisch als Günstling der Stunde erachten. Denn man gibt ihm ein breites Forum für seine völlig subjektive Wertschätzung von Literatur. Literaturkritiken in Publikumsmedien sind per se eigentlich unangemessen. Sie verleihen der subjektiven Meinung eines Lesers – egal, wie gebildet und belesen er auch sein mag – ein Gewicht, das auf dem Hohlraum fehlender, allgemein gültiger Normen liegt. Denn die Literaturkritik hat schon vor langer Zeit alle ehemals herrschenden Kriterien verschrottet, mit deren Hilfe wir zu einem Konsens über ein ästhetisches Urteil gelangen könnten.

Entsprechend verfügen die Kläger gegen eine unzureichende Literaturkritik über keine stichhaltigen Beweise, ja nicht mal Indizien. Denn selbst wenn die Anzahl der Literaturbesprechungen in den Feuilletons signifikant zurückgehen, so ist die Gesamtzahl der Buchbesprechungen sprunghaft durch die Netzwelt gestiegen. Und selbst wenn in dieses Lamento Hunderte kräftig nickend einstimmen, so bleibt ihnen allen dennoch einzig nur die gefühlte Unzufriedenheit mit der Literaturkritik der kleinste gemeinsame Nenner. Würde man alle Kläger gemeinsam mit der Aufgabe entsenden, uns einen konsensfähigen Beurteilungskatalog zu verfassen, hätten wir gleich wieder ewig Ruhe vor ihnen. Ja, schon mit der Klärung, der Frage, welche Literatur denn »würdig« sei im Feuilleton behandelt zu werden, hätte die Gruppe die erste Zerreissprobe, die sie wohl kaum übersteht.

Dessen ungeachtet hat selbstverständlich jeder das Recht, seine Wünsche an die Literaturkritik in den Feuilletons zu stellen.

Mein Wunsch ist ganz schlicht und einfach: nehmt euch ein Beispiel am Ressort »Reise«. Würde dort regelmäßig vierspaltig berichtet, wie Furz langweilig die Wanderung durch die Tiroler Alpen sei oder wie enttäuschend die Gourmettour durchs Elsass verlief oder wie tröge der Abstecher ins Mekong-Delta war, dann könnten das Ressorts wohl nach wenigen Wochen schließen. Entsprechend wünsche ich mir auch Buchbesprechungen, die mir die Reise ins Buch nahelegen und nicht minutiös ein »Tu´s nicht« beschreiben. Bei besonders exotischen Reisen – oder eben Büchern – wäre ein Hinweis darauf, was ich idealerweise mitbringen sollte, um die Strapazen zu überstehen (Erfahrungen, Ausdauer, Anspruch, Abenteuerlust etc.), sicher ein nennenswerter Aspekt.

Der Reisejournalist, der glaubt, sich mal so richtig über die miesen Verhältnisse, die öden Landschaften und miserablen Unterkünfte auslassen zu müssen, der findet ja heute dazu ausreichend online Gelegenheit. Und das gilt für mich auch für eine enttäuschende oder gleichgültig lassende Leseerfahrung. Das Feuilleton benötige ich nicht, um über drei Spalten zu erfahren, warum der neue Roman des Bestsellerautors X oder der zweite Roman des hoffnungsvollen Debütanten Y völlig misslungen, überambitioniert oder einzig langatmig ist. Die Nicht-Beachtung dieser Werke wäre mir schon Kritik genug. Wenn ich dennoch ein Urteil suche, finde ich genügend Online.

Was ich mir vom Feuilleton nicht wünsche sind Obduktionen am lebenden Objekt. Romane zu sezieren, um auch noch die allerletzten, eingeflochtenen Nervenfasern des Autors raus zu popeln, erweckt bei mir selten Lust zum Lesen. Weit mehr interessiert mich, warum das Buch den »Kritiker« bewegt hat, ihn nicht gleichgültig ließ oder zu was das Buch seiner Ansicht nach inspiriert. Ich wünsche mir kurz gesagt keine Rezension im engeren Sinne. Vielmehr wünschte ich mir Resümees oder gar begeisterte Essays, die zum Lesen der Bücher anregen.

Aktuell illustrieren mir die zahlreichen Besprechungen zweier Romane, wie vielseitig und differenziert Literaturkritik heute stattfindet. Zum einen Michel Houellebecq mit seinem Roman »Unterwerfung«, zudem ich nicht nur selbst ein Resümee verfasst habe, sondern auch zuvor und danach unzählige Besprechungen – von der »Kritik« in der Bild bis zur tiefgründig literaturkritischen Analyse im Merkur – recherchiert und gelesen habe.

Zum anderen der Roman »Kruso« von Lutz Seiler, der im Schwarm der schöngeistigen Literaturkritik schwärmerisch gefeiert wurde, jedoch im weltlicheren Biotop der Amazon-Rezensenten sehr mäßig beurteilt wird. Sich diese Vielfalt an Meinungen mit nur wenigen Klicks am heimischen Ort zusammenzutragen wäre vor gut einem Jahrzehnt noch fast unmöglich gewesen. Besonders schätze ich heute auch die »Nachhaltigkeit« von einmal veröffentlichen Buchbesprechungen. Sobald die Taschenbuchausgabe erscheint, können sich viele Leser auch dann noch alle Besprechungen auf den Schirm rufen. Das war vor ca. zwanzig Jahren fast unmöglich.

Wenn sich die Verlagswelt, besonders die unabhängigen und kleinen Verlage, heute mehr Sichtbarkeit und Wahrnehmung wünschen, finden sie die besten Bedingungen dazu, die es je gab. Nur setzen diese ein anderes Engagement voraus als 20 Rezensionsexemplare an die immer gleichen Ressorts auszusenden und die Cafehäuser zu besuchen, in denen Feuilletonisten Stammgäste sind. Hingegen wenn die Verlage mal beginnen, auf Tuchfühlung mit den hunderten leidenschaftlichen und engagierten Lesern im Netz zu gehen, die auch regelmäßig sehr fundierte Rezensionen verfassen, bloggen und ihre Empfehlungen tauschen, dann bekämen auch ihre verlegerischen Perlen sicher mehr Aufmerksamkeit. Erste Versuche, wie Sobooks lassen hoffen, sowie das Engagement von Verlagsrepräsentanten wie Karla Paul oder eines Verlegers wie Jo Lendle sowie einige Autorinnen und Autoren wie z. B. Zoe Beck (auch Verlegerin), Sybille Berg, Jagoda Marinic oder Tom Hillebrand.

Doch noch überwiegt bislang das halbherzige Engagement. Weder sammeln Verlage Buchbesprechungen im Netz auf ihren Seiten, noch teilen und retweeten sie diese aktiv im Neuland. Geschweige, dass sie selbst die Zügel in die Hand nehmen und Plattformen zum Social-Reading nutzen oder zum Meinungsaustausch anbieten. Gerade aktuell mit Michel Houellebecq wurde da eine große Chance vertan, diese Möglichkeiten zu popularisieren.

Bei vielen Verlagen und Autoren herrscht noch das Bild vor, das Netz sei nur eine Alternative zur Litfaßsäule. Das Netz ist euer direkter Zugang zu tausenden begeisterten Lesern, hunderten engagierten Meinungsbildnern und enthusiastischen Kämpfern für Literatur. Und die sind größtenteils unprätentiös, bescheiden und für kleinste Aufmerksamkeiten sehr dankbar. Aktuelle Beispiele sind die begeistert im Netz angekündigte Bloggerlounge auf der Buchmesse in Leipzig und die Berichte über die Einladung einiger Blogger zum Hanser Verlag.

Dabei geht es nicht darum, großzügiger Rezensionsexemplare zu verteilen und auf Gefälligkeitsrezensionen zu hoffen. Vielmehr geht es darum, sich nicht alljährlich über einen saturierten Literaturbetrieb zu mokieren, sondern stattdessen ganzjährig mit Lesern zu interagieren, die für Literatur brennen und ihre Umgebung ebenfalls entflammen wollen. Sicher mag das heute noch etwas mühsam sein, doch sehe ich hier eine Zukunft – und sicher nicht in der Kritik der etablierten feuilletonistischen Literaturkritik.

Artikel online seit 01.02.15

 


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