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Zack Snyders »300« und Friedrich Nietzsche Antike Ästhetik zwischen Krieg und Frieden Ein Essay von Peter V. Brinkemper
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Zack Snyders antiker Fantasy-Kriegs-Film »300« und der von ihm mitproduzierte Nachfolger »300: Rise of an Empire« (Regie: Noam Murro), 2007 und 2014, basieren beide auf Frank Millers gleichnamigen neo-archaischen Brachial-Comics. Man könnte an dem zivilen und kulturellen Verstand der Macher verzweifeln. Schlachtengewimmel zu Land und zur See, wohin das posthumane Auge schaut. Spartiaten, also Vollbürger und Elitekrieger Spartas, Athener und Kämpfer anderer Regionen und Stadtstaaten wetteifern darum, sich gegen die persischen Invasoren als griechische Phalanx zu profilieren und die Farbe Rot zu verteilen. Die ideologischen Grenzlinien sind die zwischen Gottkönigtum, Aristokratie, Demokratie, Freiheit, Freiwilligkeit, Solidarität, Korruption, Infiltration und Versklavung. Aber ums Sterben geht es allemal. Nicht die Eumeniden, sondern die Erinnyen sind hier am Werk und weben ein Gewebe von Blut und Boden. Bilder und Szenen mit lauter Falltüren in die Hölle vorzivilisatorischer Zustände. Es geht nicht allein um historische, politische und militärgeschichtliche Exaktheit. Es geht um Barbarei als Untergrund für erwachendes moralisch-ethisches Gespür am Abgrund der Macht und für die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden, Leben und Tod. Sind »Instinktlosigkeit«, »Härte« und »Brutalismus« als cool grinsende Schauwerte einer Archäologie der vorpolitischen Grausamkeit hinzunehmen, wenn Differenzierung, Behutsamkeit, Flexibilität, Weitblick und Vernunft gefragt wären, um die wahren Konflikte aufzudecken oder mit einem Akt des solidarischen Selbstbewusstseins gegen stumpfe Akkumulation von Herrschaft und Reichtum durch Gewalt und Ausbeutung, Tyrannei und Selbstvergottung zu demonstrieren, statt im Kino mit hirnlosem Gegröhle zu triumphieren? Manche humane Errungenschaft möchte man in ihrer düsteren Herkunft nicht so genau verfolgen. Oder doch, in Form einer neuen kritischen Genealogie im Geiste Friedrich Nietzsches? Basierend auf dem martialischen Frank-Miller-Original-Comic »300« (1998) und seinem Sequel »Xerxes«, der allerdings 2014, aus nachvollziehbaren Gründen, noch unveröffentlicht bleibt, werden in den beiden Filmen zwei miteinander verwobene historische Ereignisse der zweiten Perser-Invasion, um 480 v. Chr., aus unterschiedlichen Blickwinkeln inszeniert, aus der spartanisch-doktrinären, der persisch-imperialen und der athenisch-opportunistischen Perspektive. Film 1 dreht sich um den isolierten, aber wirksamen Abwehrkampf von 300 nach ihrem Gesetzesverständnis todesbereiten Spartanern gegen die Übermacht der Perser bei der Schlacht an den Thermopylen, Film 2 um die athenische Kriegsführung und ihre expansive griechische Bündnispolitik bis hin zur siegreichen Seeschlacht gegen die persische Flotte bei Salamis. Vielleicht könnte man sogar sagen, dass sich jeweils aischyleische (die Grundstimmung von Held und Chor), sophokleische (die tragische Pluralität vieler Antagonisten) und euripideische (die neue antiaristokratische Alltäglichkeit der Figuren) Stil-Fragmente und Splitter in Drehbuch, Dramaturgie und Dialog niederschlagen. Die Filme haben die Form zweier wortkarger Comic-Opern (mit deftigen, aber elliptischen Grundsatzkommuniqués und vagen mythischen Gründungserzählungen) und schamlos schockierender Gewalt-Ballette: »300« handelt von der verzweifelt-sturen Abwehrschlacht der treuen Spartaner-»Leibgarde« unter ihrem biederen König Leonidas und den Arkadiern am Engpass bei den Thermopylen gegen das zahlenmäßig übermächtige persische Heer, wobei die Spartiaten sich nicht nur eingekesselt sehen von den Gegnern, sondern auch von der eigenen Verstocktheit, von Verrat, Korruption, Politikversagen der sakralen Gremien und Mangel an weiteren Koalitionären. In »300: Rise of an Empire« geht es um die Verlagerung des Krieges von Land auf die See und am Ende um die letzte Seeschlacht bei Salamis, um ein zerbröckelndes, aber kreatives Athen gegen Persien, und um ein Projekt listiger Flexibilität, wenn Athen eine Zeit lang der Zerstörung und Plünderung durch persische Truppen ausgeliefert ist, eine Finte unter dem Archonten und Strategos Themistokles, um den Sieg auf dem Meer zu erringen, mit seiner von ihm geschaffenen, doch bereits dezimierten Flotte und der zunächst fraglichen Unterstützung durch Bündnispartner, die endlich in der stürmischen Meeresenge vor Attika hinzustoßen, wohin die persische Transportflotte und Armada gelockt worden ist, um in die Falle der improvisierten Einkesselung und Vernichtung zu geraten. Frank Miller, der Comic-Punk Frank Miller und viele seiner Comic-Zeichner-Kollegen pflegten seit den 1980ern einen individuellen Independent-Artist-Style. Sie lieferten plastisch-blutrünstige Versionen und Neufassungen bekannter älterer Comicfiguren. In einer Mixtur von Auftragsarbeit und immer freierer künstlerischer Ausführung, neuer Narration und raumzeitlicher Gestaltung. Die Figuren und Konzepte der Comicverlage wurden einschneidend verändert und unterwandert. Die visuelle Präsenz gipfelte in der lakonischen Einsilbigkeit der Helden. Ganz im Gegensatz zur liberalen politischen »Redseligkeit« der Protagonisten bei dem Briten Alan Moore (vgl. Snyders »Watchmen« 2007). So präsentierte Miller in »The Return of the Dark Knight« (1986) seine Version eines alternden Bruce Wayne und des gewalttätig gewordenen Batman, der gegen die eigenen Regeln des gewaltlosen Vigilantentums verstößt (»No Kill«) und die Absurdität des neoliberalen Politikmusters zwischen autoritärer Staatlichkeit und gesellschaftlicher Entsolidarisierung sowie die letzten Zuckungen des kalten Krieges vor dem Fall der Mauer auf den Punkt bringt. Seine erste völlig eigene Comic-Solo-Vision war der verruchte Krimi-Reigen »Sin City« (ab 1991), ein bis zur schwarzweißen Abstraktion getriebenes Werk mit romanhaften Verzweigungen verkommener und verdorbener männlicher und weiblicher Charaktere, die dem Sex, der Gewalt und dem Verbrechen förmlich huldigen. Millers zwischen Abstraktion und Körperlichkeit vorpreschende visuelle Erzählweise, im Geiste eines existentiellen Nihilismus zwischen nonverbalem Punk, Ekel, Überdruss und schwarzer Ironie, inspirierte zum Teil auch Christopher Nolans düsteres, dabei humaneres und etwas humorloseres Batman-Kino-Reboot (2005, 2008, 2012). Nolan bediente sich bei Millers martialischem Comic vor allem im Neo-Noir-Stil und im Pessimismus des Helden, verlagerte aber brutalere Gewaltausübung auf die Nemesis-Figuren Ra’s al Ghul, Joker, Harvey Dent/Two-Face und Bane, um Wayne/Batman an den entsprechenden Handlungskreuzungen als Verzicht ausübenden Asketen einer neu zu gründenden Gesetzeskonformität zu prüfen. Zugleich war Frank Miller durch »Sin City« an einer der düstersten Film-Adaptionen, bei seiner eigener Neo-Noir-Comic-Serie beteiligt. Während der »Sin City«-Film, Teil 1, 2005, ein Erfolg wurde, geriet Teil 2 Ende 2014 zum Flop, im selben Jahr, in dem der zweite Teil der »300«-Serie schon reüssiert hatte. »Fantasy War« statt historischer Fakten? Mit der »300«-Kino-Serie liegt eine tricktechnisch und militär-game-mäßig aufwändige und bluttriefende »Fantasy«-Darstellung der antiken griechischen Stadtstaaten-Welt zur Zeit der Perserkriege vor. Im ersten Film sind die militärischen Aktionen der Spartaner, die (zusammen mit den Arkadiern) diszipliniert, verbohrt, aufopferungsvoll und wagemutig gegen die persische Vielvölker-Übermacht kämpfen, wie in einem Propagandafilm graphisch überdeutlich gestanzt und dabei unter der metallisch-goldenen Blut-und-Boden-Abgrund-Abendsonnen-Patina verkrustet, so dass nach dem alten Zenonschen Paradox die Schildkröte über Achill, die Zeitlupe über die Aktion, und der ikonische Comic über den Film siegt (durchaus in Parallele zur streng nachkadrierten »Sin City«-Ästhetik). Im zweiten Film schlagen Optik und Dynamik, aber auch die Chronologie und die Erzählweise wild entfesselt und gezielt widersprüchlich aus: die Blut-Konserven aus Teil 1 werden aufgeschlitzt; in der hochbeweglichen, verwischten Kamera-Ego-Shooter-Slayer-Perspektive der athenischen Protagonisten und ihrer Verbündeten werden die Angriffs- und Verteidigungshiebe hautnah als körperliche Abschlachtgesten inszeniert (im Studio auf trockenen Schiffsattrappen mit halbierten Holzschwertern vor dem Green Screen, Klingenspitzen und Schlitzeffekte werden später computergeneriert, rot eingefärbt und metallisch vertont). Dabei bieten sich vor allem die Helden, aber auch ihre oft nivellierten Gegner in zirzensischen und akrobatischen Stunts dar und werden mit viel künstlichem Blut wie in einer Big-Mac-Ketchup-Einlage auf dem Screen erlegt oder gar filetiert. Das Kino zeigt hier den Krieg als ein mal angehaltenes, mal gerafftes Bewegungsballett eines tiefengestaffelten Endlos-Gewimmels, als ein konsumierbares Stakkato tödlicher Sensationen. Kontraste und Verschiebungen Dabei verleiht das kontrastive Spiel der Erzählzeiten und die verschobene Reihenfolge der geschichtlichen Ereignisse sowie der schwindende Klassenabstand von Götter- und Adelsgeschlecht und das Heranwachsen der Volksdemokratie beiden Filmen eine weitere Dimension. Der mythisch-linearen, spartanisch-orthodoxen und tragisch-ausweglos erzählten Legende der 300 in Teil 1 folgt die breitere athenische politische Geschichte in Teil 2, die mehr Akteure, Perspektiven, Pfade und Fluchtwege enthält. Bemerkenswert ist zunächst der chronologisch sprunghafte Übergang von Film 1 zu Film 2: Noch im ersten Teil drängen sich in der linear erzählten Handlung gegen Ende die letzten treuen Spartiaten unter ihren Schilden vor der übermächtigen Zahl der persischen Angreifer zusammen, denen sie so lange standhalten konnten. König Leonidas (Gerard Butler) lehnt im finalen Dialog gegenüber Großkönig Xerxes das verführerische Angebot ab, die Seiten zu wechseln, um zum Heerführer aller Griechen und zukünftigen Eroberer Europas aufzusteigen; er schleudert seinen Speer auf den Perseranführer mit fast tödlicher Wirkung. Der Wurf soll Körper und Charisma verletzen, als Zeichen des unwiderruflichen spartanischen Widerstands gegen die verlangte Unterwerfung, aber ebenso, um die Anmaßung des Gottesstatus und des Götzentums zu zerbrechen. Der Speer soll aber auch nur streifen, da Leonidas immer noch gegen alle Vernunft auf die Gnade und die Berechnung des Gegners setzt, ihm und seiner restlichen Truppe freien Rückzug zu gewähren. Dagegen spricht freilich Leonidias’ unbedingter spartiatischer Wille zum schönen Tod im Kampf. Die Wunde im makellosen Antlitz des Gottkönigs gilt nach soviel Abwehr und Widerstand als Zeichen unentschuldbarer Majestätsbeleidigung. Dieses finale Duell wird bis zum vollständigen Tod, des unbehelmten Leonidas und seiner unbeugsamen spartiatischen Mitstreiter, fortgesetzt. Aber Leonidas’ Tod ist nicht das endgültige Ende. Film 1 erhält nach so viel tragisch-pessimistischer Wollust einen optimistischeren Ausklang und nimmt in einem Zeitsprung das gesamte Finale beider Kinogeschichten in der Mobilisierung aller Griechen vorweg: Der aus dem Gemetzel frühzeitig von Leonidas entsandte, nur noch mit einem Auge sehende Poeten-Krieger und Botschafter Dilios (David Wenham) überbringt die ergreifende Message von der Kampf- und Opferbereitschaft und dem heroischen Tod der 300 Spartaner. Diese wahre Legende wirkt selbst wie eine Waffe, sie führt (auf den Umwegen der politischen Mythologie, Propaganda und Realpolitik) zur patriotischen Vereinigung von 30.000 wehrhaften freien Griechen (unter Pausanias, Sparta, und Aristeides, Athen, dem zeitweilig verbannten Konkurrenten von Themistokles) in der Schlacht von Plataiai, 479 v. Chr., wodurch das in Hellas verbliebene persische Landheer besiegt und der zweite Vormarsch der Perser endgültig gestoppt werden kann. Dieses große historische, in seiner Eintracht volksnah panhellenisch anmutende Schlussfinale beider Teile wird ans Ende von Teil 1 vorgezogen, obwohl es nach der zuvor von den Griechen gewonnenen Seeschlacht bei Salamis, dargestellt in Teil 2, stattfand und nur stattfinden konnte, weil sich die Beteiligten zur großen Koalition und zu klugen Schlägen gegen die Kriegsmacht und Logistik des Feindes, unter vielen Vorbehalten und angesichts vieler innerer und äußerer Gegner, durchgerungen hatten. Heldentum, Propaganda und Peinlichkeiten Am
Beginn von Teil 2 fährt die Kamera auf einen imaginären, aber nie gebauten
Tempel zu, in dem ein steinerner Fries mit genau jenen im Kampf gefallenen
Spartiaten (in der Manier von Leni Riefenstahls »Olympia«-Vorspann) wieder
»lebendig« wird; man erkennt die soeben gefallenen, mit Pfeilen gespickten
Toten, die an den Thermopylen ihr Leben opferten. In Anknüpfung an das blutige
Finale von Teil 1 schlägt der seiner Unbesiegbarkeit und Unberührbarkeit
beraubte und entgöttlichte Großkönig Xerxes vom Ross aus hasserfüllt auf die am
Boden liegende Leiche des Spartaner-Königs Leonidas mit einer kunstvoll
verzierten Doppelaxt Axt (der Schlag wird angedeutet, aber nicht bis zu seinem
Ergebnis als Aktionsbild gezeigt, er fährt durch perspektivische Montage und
unterbrechenden Schnitt dem Zuschauer als Gedankenbild durch den Kopf; eine
mentale Geste, die im Kontrast zu dem Affektbild des wütenden Xerxes steht). Ein
hilflos wahnsinniges Enthauptungs-Ritual, das den Herrscher aus der
majestätischen Arroganz und Untätigkeit reißt und zu einem unwürdigen Teilnehmer
einer bereits geschlagenen Schlacht macht. Das Trauma wird zum Phantasma der
Wiederholung. Dazu im Off die Worte der spartanischen Königin und Witwe des
Leonidas, die einen vieldeutigen Orakelspruch zitiert: »Sparta wird fallen. Ganz
Griechenland wird fallen. Und persisches Feuer wird Athen in Asche legen.« »Nur
die Athener selbst bleiben übrig.« Diese könnten die Welt retten, aber sie
selbst könnten nur noch durch Kriegsschiffe und »eine Flutwelle aus Heldenblut«
gerettet werden. Artemisia und Xerxes In diesem zweiten Film ist es das Werk der historisch verbürgten Heerführerin Artemisia (Eva Green), den Rat des Dareios auf dem Sterbebett, die Griechen in Zukunft in Ruhe zu lassen (Dareios: nur die Götter könnten sie besiegen) zu übergehen und ihm den peinigenden Pfeil aus der Brust zu ziehen, um seinen endgültigen Tod herbeizuführen. Der junge Prinz Xerxes (Rodrigo Santoro) wird von Artemisia zu einem Monster-Nachfolger seines Vaters herangezogen und in der magischen Wiedergeburt seines imperial-tyrannischen Götterstatus so perfide wie irgendmöglich konditioniert. Xerxes wird nicht nur Großkönig, sondern auch spätzeitlicher Pharao von Ägypten, das von Aufständen heimgesucht wird. Er ist ihr Werk, ein grausiges inzestuöses Götzenbild zwischen Revolte und Restauration. Artemisia ist gleichsam das Innenleben des durch Gier, Mord und Intrige an die Spitze des instabilen Weltreiches gepuschten Erben und seiner Handlanger, bevor er wiederum von anderen Rivalen verdrängt und liquidiert wird. Artemisias eigener Charakter und ihre Geschichte sind eine diabolisch-ressentimenthafte Mischung einer bösen Kassandra (keine Trojanerin, dafür eine junge Griechin, die von griechischen Hopliten vergewaltigt und versklavt wurde), einer Diana/Artemis, der namensgebenden Jagd-Göttin, und einer nach allen Seiten entfesselten Rachegöttin oder Erinnye, die auch als verführerische Circe gegenüber Themistokles kein Maß und Ziel mehr kennt, sondern nur den schmerzlichen Triumph der totalen Unterwerfung, des radikalen Umsturzes und der rückhaltlosen Vernichtung. Themistokles’ Wissen und seine Geheimunterredung über Artemisias dunkle Herkunft und ihr strategisch-revolutionäres Können zeigen an, dass der Film den blinden Fleck in der Macht- und Gewaltpolitik aller Beteiligten, nicht nur Athens berührt. Eva Green spielt diese Figur eindringlich und touchiert die bedrohliche Grenzüberschreitung ihrer Rolle, sie streift die Dimension einer wahnsinnigen Mänade und ambitionierten Proletarierin des Dionysischen, die Friedrich Nietzsche im Sinn hatte, wenn er von der tragischen Seele der Griechen hinter ihrer scheinbar apollinisch pseudo-aristokratisch geschlossenen Oberfläche sprach. Artemisias wilder Charakter und ihre durchweg skrupellos terroristischen Methoden (in der politischen Intrige, im Krieg und in der Liebe) sind der antagonistische Gegenpol und die geheime Kraft des völlig in ihrer Hand liegenden Xerxes. Artemisia widersetzt sich vaterlos aller symbolisch übergeordneten Gesetzlichkeit und will das Gesetz doch mit aller Gewalt und Strenge aus ihrem inneren Chaos heraus simulieren oder auch aushöhlen, sie züchtet in Xerxes den grausamen und lieblosen Apoll, der unerfahren, zügellos und obszön über dem von jederzeit austauschbaren Feldherren und Soldaten geführten Krieg als Gottidol mit seinem transportablen Pfauenthron und der Showtreppe zu schweben scheint, bis die realen Fehlschläge und Niederlagen ihn aus der Fassung bringen. Themistokles als proteischer Charakter
Themistokles (Sullivan Stapleton) ist als Charakter flacher und realistischer
angelegt, als Prototyp eines nicht mehr mythischen, sondern rationalen und
bürgerlichen Individuums, dem sein eigenes Leben lieb und der Verteidigung wert
ist. Er ist die moderne, durchaus euripideische Antwort auf die athenische
Aristokratie und die an ihrem eigenen Ideal verstockten spartiatischen Kämpfer,
ein liberaler Emporkömmling, demokratischer Populist, ein wendiger militärischer
Anführer, ausgestattet mit einer kräftigen Portion Neugier, List und Tücke, die
ihn in unsicheren Zeiten zu erstaunlich klugen Urteilen und Maßnahmen und zu
ambivalenten Erfolgen führt. Er schlägt Dareios und Xerxes mit ihren eigenen
Waffen, lockt die Gegner in die doch ursprünglich ihm gestellte Falle und
bedient sich dabei souverän der gemeinsamen Verräter und Spione, um das System
zu hacken, statt irgend jemand zu schnell zu töten. Themistokles durchschreitet
eine Fülle von niedrigen Dramen und hohen Tragödien, ohne auch nur im Mindesten
deren Dramatik und Tragik zu entfesseln. Themistokles ist kein Held im Mythos
sondern Autor und Produzent hinter den Kulissen. Dies erklärt auch sein Wissen
um seine Freunde, Partner und Gegner und sein Verhalten gegenüber Artemisia und
Gorgo. Verschiebung der Chronologie und der Erzählperspektive Die epische Spannung des zweiten Films resultiert über weite Strecken aus der Ungewissheit, wie bestimmte Episoden und Schlüsselereignisse, die Vorgeschichte des athenischen Kampfes gegen die Perser und der Tod der 300 Spartiaten an den Thermopylen in das aktuell dargestellte Geschehen von Krieg und Politik einzuordnen sind. Wann und wie erreicht die Botschaft vom Tod der 300 Königin Gorgo, Themistokles und die anderen Protagonisten? Wie reagieren sie darauf und wie beeinflusst dies ihr weiteres Handeln? Pendeln sich Selbst- und Fremdeinschätzung der rivalisierenden Städte und Stämme in handlungsfähige Solidarität ein? Werden Pathos, Gier, Angst und Schrecken in Krieg, Schlacht und Kampf durch einen kühlen realpolitischen Überblick ersetzt? Das zentrale Erzählmedium zu Beginn von Film 2 ist die einsetzende geschichtliche Reflektion der spartanischen Königin, einer von Jugend auf klugen Frau, die sich die Wahrung der Interessen Spartas (auch im Rat) versteht und die Distanz hält zu dem sich anbahnenden System destabilisierender Konkurrenz und Infiltration, welche die griechischen und ionischen Stadtstaaten untereinander in Hegemonialkonflikte verwickeln oder ins Vasallentum der persischen Großmacht treiben. Gorgo
ist geübt im Entdecken und Entschlüsseln kryptologischer Botschaften (so die mit
Wachs verklebten Holztafeln, mit welcher der exilierte Damaratos die
Invasionspläne der Perser verrät). Aber sie gibt nicht preis, wie sie mit dem
Erbe ihres (schon oder später?) gefallenen Mannes angesichts der gegenüber
Sparta zunächst befremdlichen Politik Athens umgehen wird: Soll sie sich
weiterhin auf die eigene Polis und das spartiatische Zucht- und Auslese-Programm
fixieren, oder ihre Polis für eine andere Zukunft öffnen, mit Blick auf eine
neue Form des im Streit und Kompromiss verhandelbaren föderalen Griechentums?
Nietzsches Kritik am Streben nach Hegemonie Nietzsches philosophische Haltung zu den Griechen ist von Anbeginn eine kreativ-kritische Auseinandersetzung mit ihrem überlieferten Bild zwischen Sein, Möglichkeit und Schein, und mit dem, was zu seiner Zeit hinter den trockenen philologischen Einzelwahrheiten und degenerierten Schulweisheiten als kulturarchäologisches Gesamtpanorama lebendig konstruierbar war.
Keineswegs verklärt er in seiner neuartigen musikalisch-tragisch-pessimistischen
Spurensicherung die Griechen vorbehaltlos. Besonders steht er Athen in seiner
klassischen Phase nach dem vorläufigen Sieg über die Perser reserviert
gegenüber. In diesem historischen Moment erblickt er die beginnende Hybris und
den Keim zum kulturellen Niedergang, der sich aus der immer aggressiveren
Verfolgung der politischen Hegemonie auch bei den Griechen ergibt. In allen
Griechen sieht er jederzeit auch Impulse des Tyrannentums, wie er sie auch bei
den anderen rivalisierenden Völkern wahrnimmt. Solange der politische und
kulturelle Agon, der Wettbewerb zwischen den Stadtstaaten relativ symmetrisch
und fair funktioniert, sind für Nietzsche zivilisatorische und künstlerische
Spitzenleistungen in jeder Einzelpolis möglich, während sie bei hegemonialen
Strukturen und Intrigen langfristig ausdünnen, ausfallen oder verdrängt werden.
»Ich glaube nicht mehr an die »naturgemässe Entwicklung« der Griechen: sie waren viel zu begabt, um in jener schrittweisen Manier, allmählich zu sein, wie es der Stein und die Dummheit sind. Die Perserkriege sind das nationale Unglück: der Erfolg war zu gross, alle schlimmen Triebe brachen heraus, das tyrannische Gelüst ganz Hellas zu beherrschen wandelte einzelne Männer und einzelne Städte an. Mit der Herrschaft von Athen (auf geistigem Gebiete) sind eine Menge Kräfte erdrückt worden; man denke nur, wie unproductiv Athen für Philosophie lange Zeit war. Pindar wäre als Athener nicht möglich gewesen. Simonides zeigt es. Und Empedocles wäre es auch nicht, Heraclit nicht. Alle grossen Musiker kommen fast von Aussen. Die athenische Tragödie ist nicht die höchste Form, die man denken könnte. Den Helden derselben fehlt doch das Pindarische gar zu sehr. Überhaupt: wie grässlich war es, dass der Kampf gerade zwischen Sparta und Athen ausbrechen musste—das kann gar nicht tief genug betrachtet werden. Die geistige Herrschaft Athens war die Verhinderung jener Reformation. Man muss sich einmal dahinein denken, wo diese Herrschaft noch gar nicht da war: nothwendig war sie nicht, sie wurde es erst in Folge der Perserkriege, d. h. erst, nachdem es die physische politische Macht zeigte. Milet war z. B. viel begabter, Agrigent auch.« (Nietzsche: »Wissenschaft und Weisheit im Kampfe«, 1875; Ders.: Nachlass, Sommer 1875) Mit Nietzsche kann das Pathos der filmischen Darstellung der Verteidigung der Griechen gegen die Perser in »300« Teil 1 und 2 in die Form einer desillusionierenden Kritik überführt werden. Das schöne heroische Bild vom Triumph des spartanischen Häufleins der Unbeugsamen und der allgemeinen griechischen, also panhellenischen Solidarität im Kampf gegen die Perser ist eine Wunschkonstruktion, die weder von der spartiatischen Todesschlacht an den Thermopylen noch von dem im letzten Augenblick geretteten Seesieg bei Salamis, geschweige denn von der früheren athenischen Einzelaktion in Marathon gedeckt ist. Das tragische Schicksal der terroristischen Heerführerin Artemisia, aber auch die athenischen oder spartanischen Intrigen (zumal gegeneinander) sprechen eher für einen langwierigen Streit um divergente Interessen und gemeinsame Pläne und um einen harten Kampf um die sich abzeichnende Vorherrschaft im ägäischen Raum, sobald die Möglichkeit sich abzeichnete, dass die Perser zurückwichen. Die Phase des schönen heroischen Todes für die eigene Polis ist so oder so vorbei. Die Schlacht von Plataiai wird zum einen von Aristeides, dem unmittelbaren athenischen Konkurrenten des Themistokles angeführt, der spartanische Heerführer Pausanias lasst sich in der Folge vom Luxus der Perser anstecken und stirbt aufgrund ungerechter Anwürfe unter unwürdigen Umständen.Der Wille Athens (und der Wille Spartas), selbst zur Großmacht zu werden und andere Stadtstaaten in Zwang zu nehmen, impliziert für Nietzsche bereits 1875 Schwächung und kulturellen Niedergang, auch in den Zentren zukünftiger Metropolen. Schon in der klassischen Zeit wittert Nietzsche Kulturimport und kritisiert, dass in Athen Sokrates als argumentativer Gründungsvater der abendländischen Philosophie und Euripides als jüngerer Dramatiker das elementare Chaos und den Agon, die Phantasie und Logik nur mit oberflächlicher Rationalität traktieren. Nur der echte, von fremden Interessen unbeeinflusste und friedliche Widerstreit erhebe die Kunst über Propaganda, Belehrung und Unterhaltung. Auch das »300«er-Kino wäre mehr als nur eine wortkarg minimalistische Comic-Oper oder ein blutiges Schock-Ballett endlos aufeinander getürmter Gräueltaten, wenn statt reduzierter epischer Einsprengsel eine tiefere Dramaturgie mit expliziten Positionen die blutige »Realität« im vielfältigen Kampf um die politische Macht nachvollziehbar machte, statt sie archäologisch zu nivellieren und den Zugang zu Akteuren, Tätern und Opfern in Massentötungskorridoren vor digitalen Panoramen zu sperren. Artikel online seit 02.01.2015 |
Friedrich Nietzsche um 1875 |
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