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Glanz&Elend
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Artikel online seit 07.03.13

»Einen Menschen zu töten ist wie einen Apfel pflücken«

Szczepan Twardochs exzessiver Roman »Morphin« spielt mit

den Möglichkeiten von Identität in der Katastrophe des Krieges

Von Gregor Keuschnig




 

Konstanty Willeman, zerwühltes Haar, blasses Gesicht, Zweitagebart, ist 29 Jahre alt, war Unterleutnant im 9. polnischen Ulanenregiment und lebt in Warschau. Es ist der 53. Tag nüchtern vom Morphin und der 14. Tag der Deutschen in Warschau. Er ist schrecklich verkatert, muss sich übergeben, trinkt aus der Kloschüssel. Oktober 1939. Draußen: Besatzung, Krieg, das vergewaltigte Warschau.

Konstanty ist verheiratet mit Hela, hat einen kleinen Sohn. Die Nächte verbringt er jedoch meist in einer schäbigen Wohnung mit der Prostituierten Salomé, die auch schon mal eine heilige Nutte ist. Wenn diese Freier hat, schmeißt Konstanty sie raus und schreckt dabei auch vor Gewalt nicht zurück. Zum einzigen Lebensziel macht er sich an die Beschaffung des geliebten Morphium. Dann taumelt er durch die zerstörte, entwürdigte Stadt. Von seinem Freund Jacek, einem Arzt, der nur im Krankenhaus "funktioniert" und ansonsten ein depressives, gleichgültiges Nervenbündel ist, könnte Morphium-Nachschub kommen. Jacek wünscht im Gegenzug, dass Konstanty seine vermisste Frau Iga sucht. Dafür gibt es ein Fläschchen, dass er sich mit Salomé teilt. Man erfährt, dass Iga Konstantys erste Geliebte war.

Mindestens drei Ichs

Szczepan Twardoch hat ein wuchtiges Setting für seinen Roman "Morphin" entworfen. Der Überfall Deutschlands und die Aufteilung des souveränen Polen durch Hitler und Stalin sind traumatische Ereignisse in der polnischen Geschichte. Twardoch, 1979 geboren, entwickelt im Laufe des Romans eine bedrückende Topographie einer geschundenen Stadt, die schaudern lässt. In zwei Wochen haben sie uns um zweihundert Jahre zurückgeworfen. Die Warschauer werden als schockiert, apathisch und deprimiert geschildert. Der Leser weiß, was mit dieser Stadt noch alles passiert, welche Grausamkeiten geschehen werden. Konstanty weiß das alles noch nicht, er erinnert sich an die schöne, sorglose Vorkriegszeit, die Zeit als er Bonvivant und Weltmann war, an seinen Paris-Aufenthalt 1937 mit Hela zum Beispiel und dann der Kontrast zum aktuellen "Ich" als Morphinist, Hurenbock und Verräter nach einer kurzen Phase, seinem dritten "Ich", als Offizier der besiegten Reserve. Die Ausflüge in die Idyllen der Vergangenheit werden sehnsuchtsvoll erzählt. Eindringlich auch das Erzählen des Knacks im Verhältnis zu seiner Frau Hela während der Paris-Reise, der zu einer schleichenden Veränderung Konstantys führte, das dann in das zweite Ich mündete.

Diese ruhigen Töne sind selten, die Erzähllokomotive rattert in diesem Buch oft auf höchster Geschwindigkeit. Suggestiv vermischt Twardoch mehrere Erzählstimmen. Da gibt es einen personalen Erzähler, der Konstantys Handlungen berichtet. Dominant ist jedoch ein aufdringlicher, auktorialer Erzähler, eine Art Gewissen Konstantys, der die Figur direkt anredet mit ihr spricht aber auch über sie hinweg dem Leser Einzelheiten souffliert, die die Figur nicht kennt oder bemerkt. Dies führt zu einem polyphonen, gelegentlich auch anstrengenden kakophonen Erzählamalgam. Hinzu kommt noch, dass der "Gewissenserzähler" auch zielsicher in die Zukunft sehen kann, was dazu führt, dass das Schicksal einiger Protagonisten vorweggenommen wird. Meist handelt es sich um Randfiguren, die auf diese Art und Weise behandelt werden. Aber auch die Zukunft von Konstanty wird an einer Stelle fast unmerklich relativ früh vorweggenommen (Seite 147). Und ebenfalls der qualvolle Tod von Dzidzia Rochacewicz (Seite 250), die sich im Laufe des Buches zu einer Hauptfigur entwickelt und deren Verhängnis dem Leser bei der Lektüre von nun an immer präsent ist. Auch wenn es sich nur um fiktive Figuren handelt, erzeugte dieses gottgleiche Wissen weit in die Zukunft hinein beim Leser ein ambivalentes Gefühl zwischen Allmacht und Unbehagen, zumal die Schicksale bis auf eine Ausnahme immer grausig sind.

Aber gemach. Die Brisanz in der Figur Konstanty Willeman liegt darin, dass er auch Konstantin heißt; der volle Name seines deutschen Vaters lautet Baldur Bolko Strachwitz von Gross-Zauche und Camminetz. Die nymphomanisch apostrophierte Mutter hat den jungen Baldur verführt; sie war 40, er 16 oder 17. Konstanty spricht neben polnisch auch fliessend deutsch, bei Bedarf mit Wiener Akzent. Die Bekanntmachungen der Nazis kann er lesen, ihre Gespräche auf der Strasse verstehen. Für kurze Zeit stellt er Überlegungen über seine Situation an und tendiert zögernd zum polnischen Widerstand; weniger aus Leidenschaft und nationalem Überschwang, sondern eher aus einem diffusen, nie artikulierten Pflichtgefühl. Zunächst soll er ein Paket innerhalb Warschaus abgeben. Im Morphium-, Alkohol- und Sexrausch mit Salomé geht das Paket verloren; einer ihrer Freier hatte es gestohlen. Der Dieb wird gesucht und gefunden. Es folgt ein brutaler Mord Konstantys, der im Blutrausch den Dieb ein Auge herausschneidet, damit er das Versteck verrät. Das Paket war dann unter dem Bett. Er erschrickt selber über diese Tat; entschuldigt sie für sich mit dem Ausnahmezustand des Krieges. Schließlich kommt er mit dem Ingenieur in Kontakt, dem Chef einer polnischen Untergrundorganisation. Vor allem setzt man auf Konstantys hervorragende Sprachkenntnisse.

Die Mutter mitten im Gesindel

Zunächst schleust er sich problemlos in den "Deutschen Klub" in Warschau ein, eine Art Treffpunkt für die Nazi-Nomenklatura Warschaus und deren Helfer, Verräter, Konformisten, erbärmliche Kreaturen […] Kanaillen. Gesindel. Echtes Lumpenpack und kleinbürgerliches Lumpenpack, gebildet, im Anzug und dennoch Gelump.. Völlig überraschend arbeitet dort auch seine Mutter, die ihrem Polentum den Rücken zugekehrt und sich der NS-Frauenschaft angedient hat und eine nicht unwichtige Position innehat. Ihr Sohn ist wie erschlagen von diesem Wandel, wobei der Gewissenserzähler den vermeintlichen Sinneswandel der Mutter als ihre freiwillige Entscheidung darstellt. Sie mache es, weil sie es so beschlossen hat. Schließlich begegnet er noch seinem totgeglaubten Vater, der als Deutscher ebenfalls für die Nazis arbeitet, in einem Nachtklub. Dieser ist durch eine Kriegsverletzung im Gesicht entsetzlich entstellt. Detailliert wird berichtet, dass auch der Penis des Vaters durch Schwefelteilchen einer Granate praktisch weggeätzt wurde, was seinerzeit zur Trennung von der Mutter geführt hat, die mit einem derart "unkompletten" Mann nichts anfangen konnte und wollte.

Sukzessive wird der Leser in Konstantys Erlebniswelt eingeführt. Dieser hat sich nun endgültig dem polnischen Widerstand angeschlossen – in dem er sich als Deutscher ausgibt. Es kommt zu einem Abschied mit Hela (inklusive einer sehr sinnlichen erotischen Szene) und dem Jungen. Zwar ist Hela eingeweiht, darf aber nichts verlauten lassen, was den Hass von Helas polnisch-nationalem Vater auf seinen Schwiegersohn ins Unermessliche steigert.  Durch einen ersten Coup gelingt es Konstanty Iga aus deutscher Haft herauszukaufen. Sein Freund Jacek steigert sich jedoch in eine paranoide Eifersucht und noch mehr in die Depression hinein. Schließlich wird Konstanty auf Kontaktmission nach Budapest geschickt. Ihm zur Seite jene Dzidzia von der der Leser schon 150 Seiten vorher das grausame Ende, welches sie vier Jahre später ereilen sollte, erfahren hat.

Vor der Reise besucht Konstanty noch seinen Vater, der ihm seine Uniform aus dem Ersten Weltkrieg nebst seinen gültigen Papieren überlässt. Die Uniform passt dem Sohn wie angegossen; die Papiere werden noch entsprechend präpariert. Die Übergabe durch den Vater wird wie eine sakrale Handlung, eine Initiation, erzählt. Der Leser fragt sich, ob Twardoch den Vater tatsächlich zum Leben erwecken musste. Von nun an wird das Erzählparlando noch verwirrender, da sich Konstanty immer wieder als sein Vater sieht und gleichzeitig von seinem Vater distanzieren muss (nicht nur optisch). Auch die Legende als Deutscher aufzutreten, aber in Wirklichkeit gegen diese zu sein, fällt ihm sichtlich schwer. Seitenlang folgen Selbstvergewisserungen; Stakkato-Sätze, die alle mit Ich bin beginnen und sich ständig widersprechen. Ein sehr einfaches, zunächst zweckmässiges, aber irgendwann eintöniges Vorgehen. Mal ist er Konstanty, dann Konstantin, mal polnischer Patriot, dann deutscher Offizier, schließlich auch noch sein Vater (dessen Uniform er trägt und auf dessen Papiere seine gefälschte Identität aufgebaut ist). Dzidzia scheint da abgebrühter, agiert professionell, begegnet den Avancen Konstantys selbstbewusst abweisend und hält dennoch eine erotische Spannung aufrecht.      

Nach zwei Dritteln des Romans verlassen die beiden Warschau mit dem Auto. Das tut dem Roman gut, der in der Depression des besiegten und geschundenen Warschau im Oktober 1939 zu versinken drohte. Mutter, Vater, der nationalistische Schwiegervater, Jacek, Iga, Salomé, die indifferente Hela – sie alle wurden hinreichend seziert, was Twardoch durch exzessive Redundanzen erreicht hat. Das wirkt zuweilen effekthascherisch, arg manieriert und ermüdend. Mit der Reise nach Budapest und der forschen Begleiterin kommt Leben in den Roman. Die Landschaftsschilderungen auf der Reise sind zuweilen von erstaunlicher Intensität; die Tristesse ist mit Händen zu greifen und der Leser weiß, dass es noch furchtbar werden wird bzw., wenn sie Richtung Ciepielów fahren, schon war.

Es gibt eine andere Szene in dem Buch, die sehr berührt. Die beiden kommen in einem kleinen, zerbombten Städtchen zwischen Masowien und Kleinpolen an. Konstanty ist in einer Mischung aus Faszination und Ekel befangen: Ich weide mich an der kürzlichen Feuersbrunst, wittere noch den kürzlich verstummten, heulenden Gesang der Verbrannten, den Fleischgestank der zerrissenen… Er sieht flache, jüdische Häuser am langgezogenen Marktplatz, ausgebrannte verrußte Wände und erinnert sich plötzlich an den Marktplatz, als er im Frieden einige Male dort war. Dzidzia möchte plötzlich, dass der katholische Pfarrer für sie eine Messe liest. Der Priester weist darauf hin, dass es heute schon eine Messe gegeben habe, aber mit Nachdruck, kraft ihrer Erscheinung als Deutsche, zwingen sie ihn zum Nachgeben und zur Entschuldigung für sein Zögern. So antworten die Sklaven der Welt den Herren, dieser Welt. Und den Herrinnen frohlockt der Gewissenserzähler, aber dir gab das einen Stich, Konstanty erklärt dieser dem Leser (dann fast ein bisschen pflichtschuldig). Dzidzia feiert die Messe mit großer Intensität, während sich Konstanty, der sich bei dieser Gelegenheit erinnert, nicht getauft und stattdessen immer angegeben hat "evangelisch" zu sein, zurückzieht. Den Abend quartieren sie sich sanft aber bestimmt im Pfarrhaus ein.

Es ist deshalb eine eindringliche Schilderung, weil die beiden ihre Rolle als Besatzer weit über das Agenten-Notwendige hinaus spielen und mit Wonne und Abscheu gleichzeitig ihre Machtposition, die sie einzig durch ihre Kleidung und ein Stück Papier besitzen, ausspielen. Die Szene bekommt noch eine andere Konnotation, die in Polen sofort verstanden wird. Gegen Ende wird klar, dass es sich bei dem Ort um Czarnolas/Zwoleń handeln muss, weil die beiden das Grab des Dichters Jan Kochanowski erwähnen, welches in der Kirche liegt. Kochanowski, der im 16. Jahrhundert lebte, gilt als einer der ersten polnischer Dichter, der seine Dichtkunst in polnischer Sprache verfasste, statt wie vorher üblich, in Latein. Insofern kann diese Messe im weitesten Sinn als polnische patriotische Aktion verstanden werden.

Budapest, die andere Welt

Als die beiden schließlich Budapest erreichen, blühen sie auf. Offiziell ist Ungarn ja neutral, aber, am wichtigsten: es ist Frieden. Sofort wechselt die Stimmung. Alles hellt sich auf. Mit Leichtigkeit erfüllen sie ihre nachrichtendienstliche Tätigkeit. Sie genießen das Leben, die Herbstsonne, entdecken den Spaziergang wieder, der zu einer anderen Welt gehört, trinken den Frieden und kommen sich näher. Der Hurenbock wird sanft; er schläft nicht mit Dzidzia; sie wollen sich füreinander aufsparen und ein bisschen streift Twardoch den Kitsch, wie er den Liebeskummer von Dzidzia diesem Roman noch aufpfropft (die mit Budapest zu tun hat) und die aufkeimende Liebelei dieser beiden schildert. Inzwischen ist man auf Seite 530, und während die beiden irgendwie eine Zukunft miteinander nach dem Krieg im Kopf haben (Polen und alles, was dazugehört, ist ganz weit weg), erinnert man sich abermals der Schilderung des Schicksals von Dzidzia, das schon auf Seite 250 mit unerbittlicher Grausamkeit berichtet wurde, aber das muss der Leser mit sich ausmachen. Nach anderthalb Tagen ist alles erledigt – Dzidzia bleibt in Ungarn,  Konstanty fährt mit dem Zug zurück nach Warschau. In seiner Wohnung ankommend ereilt ihn dann das Schicksal, welches der rasende Jacek an ihm vollstreckt. Die letzten 14 Tage im Leben des Konstanty Willeman sind erzählt.

Twardochs Buch wurde in Polen zum Beststeller. Man verglich ihn mit Gombrowicz und, natürlich, auch mit Littell. Ersteres mag zu hoch gegriffen sein, letzteres wird dem Buch nicht gerecht. Die Parallelen zu den Wohlgesinnten und der Figur des Maximillian Aue sind zwar durchaus vorhanden, aber Twardoch suhlt sich nicht diesem Billig-Trash, den Littell da konstruiert und noch mit Nazi-Promis zur Mockumentary aufbläht. "Morphin" ist ein Buch um Identität in der Katastrophe des Kriegs, über ein Ringen um einen Standpunkt, um das Weitermachen im Leben, das eigentlich vorbei zu sein scheint. Konstanty ist Pole und Deutscher, Angsthase und Held, sexbesessen und keusch, hin- und hergerissen zwischen der berechnenden, starken Mutter und dem schwachen Vater. Er ist auch Kind seiner Zeit; die Kommentare sind drastisch. Die Tschechoslowakei war für ihn das moderne Zentrum Europas, die Slowakei, die sie durchfahren, ist nur noch ein balkanisches Loch. Er mag Autos…viel mehr als Menschen. Abfälliges lässt er los, wenn er Juden (die er gerne Jüdlein nennt) oder Zigeuner sieht oder schlitzäugige Wilde bei der Durchfahrt. Rücksichten nimmt Twardoch hier nicht; sein Held ist durchaus eine ambivalente Persönlichkeit. Immerhin wird einmal sanft der polnische Antisemitismus angesprochen.

Knirschen

In dieser Ausnahmesituation des Krieges sieht sich Konstanty gezwungen, laufend Entscheidungen für sein weiteres Leben zu treffen. Die inneren Konflikte dieser Suche versucht der Autor durch die bereits beschriebenen Erzählebenen fast lautmalerisch zu evozieren. Twardoch will einen Sound, einen Erzählsog erzeugen, was zwar gelingt, aber ohne Nachhaltigkeit. Die gelegentlichen Zuschreibungen, dass es sich um ein expressionistisches Buch handelt, laufen in die Irre. "Morphin" simuliert nur einen Expressionismus, weil Bilder alleine keinen Expressionismus erzeugen. Dem Buch fehlt weitgehend hierfür die Sprache, die sich in den schier endlosen Redundanzen verheddert statt Intensität zu erzeugen.

Manchmal knirscht es auch im Plotgebälk. So erscheint der polnische Widerstand ein bisschen als unorganisierter Haufen von Möchtegernagenten, die noch nicht einmal Einigkeit über den Decknamen Konstantys herstellen können – mal lautet er 56, mal 57. Ab und an wird ein bisschen stark der Zufall bemüht. Beispielsweise als die beiden auf dem Weg nach Budapest von einer anderen polnischen Widerstandsgruppe gefangen genommen werden und einer der Anführer derjenige ist, den Konstanty wenige Tage vorher mit dem Auto in Warschau angefahren hatte. Zu allem Überfluss handelt es sich auch noch um einen Rittmeister, den er aus seinem Militärdienst kennt. Der ist nun wahnsinnig geworden, was Konstanty zwingt, ihn bei passender Gelegenheit zu erschießen. Einen Menschen zu töten ist wie einen Apfel pflücken dekretiert Konstanty. Seltsam, wenn man an den brutalen Mord an Salomés Freier denkt, der ihn in endlosen Suaden erschüttert hatte und plötzlich dann vergessen sein soll? 

Fast ein bisschen merkwürdig kommt mir der Titel "Morphin" vor. Zwar durchzieht die Lust und auch die Last mit dieser Droge, die damals durchaus gängig war, dieses Leben nach dem Krieg und von Bedeutung ist das Morphium im Buch als Kennzeichen für eine besondere Verzweiflung – aber eben nicht unbedingt mehr als der in großen Mengen konsumierte Alkohol, die anderen Drogen wie Opium und die diversen sexuellen Spielarten mit seinen Frauen. Das Buch beginnt ja mit dem Eingeständnis einer 53tägigen Abstinenz, aber Morphium ist fast der erste Gedanke, der dann Besitz von der Figur ergreift. Ein merkwürdiger Widerspruch. Die Morphiumräusche sind dann auch eher bebildert statt erzählt.

"Morphin" ist nicht Szczepan Twardochs Erstling. Mit diesem Buch gelang ihm aber der Durchbruch und da Zweiter Weltkrieg immer zieht, wurde es auch flugs in Deutsche übersetzt. Der Verlag sagt nichts dazu, welche Bücher Twardoch vorher geschrieben hatte. Stattdessen die einfältige Floskel von der "neuen Stimme" Polens. Es bleibt zu hoffen, dass er damit nicht voreilig auf das Genre des Zweite-Weltkrieg-Historienromanschreibers festgenagelt wird. Wie so häufig, dürfte das nächste Buch zeigen, was in ihm steckt. Wenn es denn in Deutschland einen Übersetzer und einen Verlag findet.

Die kursiv gesetzten Zitate sind aus dem besprochenen Buch.

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Szczepan Twardoch
Morphin
Roman
Übersetzt von Olaf Kühl.
Rowohlt
592 Seiten
ISBN 978-3-87134-779-5

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