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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

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Zapfenstreich

Vermutlich eine Schmierenkomödie

Von Gregor Keuschnig

 

Raddatz: Scharlatan!

Schmidt den Zigarettenrauch ausblasend und nach der Tasse Kaffee tastend

Raddatz: Seht meine violetten Socken. Passend um Einstecktuch.

Grass: Was?

Raddatz tänzelt leicht an Grass vorbei

Grass: Soll ich uns eigentlich was kochen?

Enzensberger: Nein, bitte nicht.

Raddatz: Ich suche den Champagner aus.

Grass: Dachte an Nierchen mit Kohlgemüse.

Enzensberger geht mit einem Korb reihum So, hier bitte Eure Handys abgeben. Ich nehme die Akkus selber raus und vernichte beides dann. Alle werfen nacheinander ihre Mobiltelefone in den Korb.

Grass: Wo ist die Küche?

Weizsäcker: Hier gibt es keine Küche. Das ist ein Altenheim. Wir werden zum Essen gerufen, wenn es soweit ist.

Schmidt an Weizsäcker: Wann haben wir den Termin bei Maischberger?

Weizsäcker: Morgen erst.

Schmidt: Dann kann ich ja noch weiter an meinem Buch schreiben.

Walser: Darf ich mitkommen?

Weizsäcker: Nein, es sind nur Elderstatesmen eingeladen.

Walser an Weizsäcker: Wer ist die blonde Frau?

Weizsäcker irritiert sich umschauend und dann schulterzuckend

Grass: Ich könnte auch Berliner Leber machen.

Raddatz: Ich bin morgen im stern.

Enzensberger: Im stern?

Raddatz: Ja. Meine Tagebücher. Sie verstehen.

Blonde Frau: Hast Du meine Sachen eigentlich da rausgenommen? Wie in Deinem letzten Buch den 4. November 1988?

Raddatz säuselnd: Meine liebe Milliardärin…

Blonde Frau: Millionärin solltest Du schreiben, Du Spießer!

Walser: Millionärin?

Raddatz: Hab ich doch.

Schmidt: Der stern hat wieder neue Tagebücher?

Raddatz: Nein, Sie Scharlatan! Es geht um meine Tagebücher. Und die gibt es!

Grass: Leider.

Raddatz: Günter…

Walser: Meine Tagebücher gibt es auch.

Enzensberger: Ja? Bei Suhrkamp?

Walser: Nein.

Enzensberger: Ach so, daher kenne ich sie nicht.

Grass an Enzensberger: Ich habe kein Handy.

Enzensberger: Dann leg etwas anderes hinein, was ich vernichten kann.

Grass wühlt in den Taschen und wirft ein Tintenfass hinein: Meine letzte Tinte.

Schmidt wieder Zigarettenrauch ausblasend und leicht aufstoßend

Raddatz: …ich hab doch fast nur noch Dich. Schau Dir mein Telefonbuch an. zieht ein schwarzes, abgegriffenes Heft heraus Alle schon tot. Oder verstritten. Also so gut wie tot.

Blonde Frau: Ich lebe noch.

Raddatz: Ja, meine Mondäne… tänzelt

Weizsäcker: Was machen wir hier eigentlich?

Enzensberger: Ich hatte Euch doch alle eingeladen. Wie früher, mit einer Postkarte. Wir wollen ein bisschen philosophieren. Über die neuen, schlimmen Zeiten.

Schmidt: Wo kann man hier Kaffee bestellen?

Raddatz: Sie Scharlatan!

Grass: Kann man da irgendwo unterschreiben?

Enzensberger: Statt Gruppe 47 vielleicht Gruppe 80plus?

Schmidt: 90plus.

Raddatz: Dann muss ich gehen.

Die Türe geht auf. Drei Diener tragen Kannapés auf Tabletts hinein.

Blonde Frau: Stellen Sie da drüben ab?

Raddatz: Kaviar! Toll!

Schmidt: Haben Sie auch Kaffee?

Enzensberger: Ich habe da ein Manifest gegen die Überwachungsmafia vorbereitet…

Grass: Gib her! Unterschreibt

Raddatz: Aber Du hast es doch gar nicht gelesen.

Grass: Ich hab nicht mehr so viel Zeit.

Raddatz: Ah, der Champagner. Die Diener bringen mehrere Flaschen Champagner und Gläser. Kissinger tritt ein.

Kissinger: Entschuldigt, musste erst Barack trösten, dadurch verspäteter Abflug…

Schmidt: Henry?

Raddatz: Was machen Sie denn hier?

Kissinger: Helmut! Die beiden umarmen sich unbeholfen.

Blonde Frau:Henry! Bussi, Bussi

Grass an Enzensberger: Hattest Du den auch eingeladen?

Enzensberger: Weiss nicht…

Kissinger: Nein, ich hatte die Postkarte an Helmut gelesen.

Enzensberger errötet

Kissinger: What’s going on here?

Raddatz: Äh…meine Tagebücher…

Kissinger an blonde Frau: Wer ist der Zausel noch mal?

Blonde Frau: Raddatz.

Kissinger: Ah, Fritzchen! Schüttelt Raddatz fast Wusste gar nicht, dass Du noch lebst…

Raddatz: Naja. an blonde Frau: Der Champagner ist delikat.

Blonde Frau: Aber nicht wieder im Tagebuch die Marke verwechseln.

Raddatz: Wie könnte ich…

Grass: Darf ich auch mal was sagen?

Enzensberger und Weizsäcker gleichzeitig: Nein!

Schmidt: Die NATO kann es sich gar nicht leisten, die Situation in der Ukraine weiter eskalieren zu lassen.

Kissinger: Warst Du nicht auch mal in der Ukraine, Helmut?

Schmidt: Das weiss ich nicht mehr und wenn, dann ganz kurz und dann wüsste ich das auch nicht mehr.

Raddatz: Scharlatan!

Grass: Kommt der Joseph auch noch?

Enzensberger: Nein, der konnte nicht.

Weizsäcker an Schmidt: Können Sie mit Frau Maischberger mal sprechen, dass sie zuerst mir eine Frage stellt? Sonst sitze ich wieder zwanzig Minuten herum bis ich mal was sagen darf.

Schmidt: Ja, ich könnte in zwanzig Minuten die geostrategische Lager der Ukraine in Bezug auf Russland erklären…

Raddatz: Scharlatan!

Enzensberger: Ich dachte, ich lese mal ein paar neue Gedichte von mir vor.

Grass: Ich hab auch ein neues.

Weizsäcker: Nein, bitte nicht Herr Grass.

Schmidt: Russland kann gar nicht demokratisch regiert werden. Das Land ist viel zu gross. Ich habe da mal einen Vortrag gehalten und das erklärt…

Walser: Ich habe gerade meinen neuen Roman fertig geschrieben. Jetzt, gerade in diesem Moment. Einen Briefroman. Über die Liebe.

Grass: Das ist ja mal was ganz Neues.

Enzensberger: Aha.

Schmidt: Ökonomisch hängt die Ukraine ja vollkommen von Sowjetrussland ab.

Weizsäcker: Sowjetrussland?

Kissinger an Enzensberger: Nein, mein Cellphone bekommen Sie nicht, Sie Kuba-Aktivist.

Enzensberger: Das ist 50 Jahre her.

Kissinger:Das hört nie auf.

Enzensberger: Castro ist doch längst eine CIA-Figur geworden.

Kissinger: Woher wissen Sie das?

Enzensberger: Ich lese meine Bücher.

Grass: Ich nicht.

Raddatz: Wer möchte noch etwas Champagner?

Walser an Raddatz: Ich. Haben Sie das neulich Ernst gemeint, als sie sagten, es hätte unter Suhrkamp nur zwei deutsche Schriftsteller mit Weltrang gegeben, nämlich Bernhard und Handke?

Raddatz: Weiss ich nicht mehr. Habe ich das gesagt? Vielleicht habe ich einen vergessen. Überlegt. Ja, mir fällt noch einer ein.

Walser fragender Gesichtsausdruck

Raddatz: Johnson natürlich.

Grass lacht Johnson? Handke? Ha.

Walser: Johnson?

Weizsäcker: Ist der nicht Amerikaner?

Schmidt: Die Amerikaner haben natürlich ganz andere Interessen in der Ukraine.

Enzensberger: Martin, möchtest Du aus Deinem neuen Roman etwas vorlesen?

Walser: Kann ich einen Rotwein haben? Eine Flasche.

Blonde Frau bringt eine Flasche und ein Rotweinglas

Grass: Ich schreibe keinen Roman mehr. Nur noch Gedichte. Greift sich in die rechte Tasche seines Sakkos und zieht einen Zettel hervor

Walser schaut verzückt die Blonde Frau an. Langsam weicht die Verzückung und das Gesicht grimassiert: Danke. flüstert: Sind Sie wirklich die…?

Blonde Frau: Jupp.

Walser: Jupp?

Raddatz: Nein, nicht Walser. Nicht dieser virile Walser. Das ist ja degoutant, dieser Altherrenschmock.

Grass hält den Zettel in der Hand und beginnt zu deklamieren: »Was auch noch gesagt werden muss…«

Enzensberger lauter als Grass.: Fritz, bitte.

Walser räuspert sich

Grass: Gut! Eine Lautprosa!

Walser: »Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen ist.«

Grass: Gut!

Walser: »Wenn etwas vorbei ist, ist man nicht mehr der, dem es passierte.«

Grass: Kenn’ ich.

Raddatz: Schrecklich.

Grass: Nein, das kenn’ ich wirklich. Das ist aus dem Springbrunnen, stimmt’s?

Walser: Ein springender Brunnen!

Grass dreht seinen Kopf: Wo?

Walser: Ich habe die ersten Sätze in den neuen Briefroman genommen.

Weizsäcker: Wann kommt denn die Maischberger?

Schmidt bläst Zigarettenrauch in das Zimmer: Ich brauch jetzt ‘n Kaffee.

Raddatz: Herr Walser, Sie wollen doch nicht allen Ernstes etwas lesen, was wir alle schon kennen?

Walser: Aber Sie schreiben doch auch immer das Gleiche in ihren Tagebüchern.

Blonde Frau: Der Fritz ist ja auch ein armer Kerl. Er erlebt nichts.

Raddatz schluckt: Ja, es ist so traurig. Ich pendele nur noch zwischen meinem Zweit- und Drittwohnsitz hin und her.

Enzensberger: Bitte, Martin, weiter.

Walser: Nein, ich mag nicht mehr. Banausenpack. Wiegt die halbleere Flasche in der Hand und schenkt sich nach.

Schmidt an Kissinger: Wie geht es Präsident Obama?

Kissinger: Ganz gut.

Schmidt: Wie bitte? Zieht eine Schnupftabakdose hervor, kann sie aber nicht öffnen.

Kissinger: Ganz gut!

Raddatz: Der Kaviar ist wirklich exquisit.

Ein Mobiltelefon im Korb bei Enzensberger klingelt. Alle blicken auf ihn. Kissinger zieht sein Telefon aus dem Sakko.

Kissinger: Meines ist es nicht.

Raddatz: Na, geh’n Sie schon ran.

Enzensberger: Ich?

Raddatz: Irgendwer halt.

Grass: Soll ich drangehen? Ich hab ja kein Handy. Man erwartet mich nicht.

Enzensberger: Ja, gut. Hier, es ist dieses Handy hebt es ein wenig aus dem Körbchen

Grass: Ja, hallo?

Raddatz: Es ist meins. Es ist meins.

Grass: Hä?

Schmidt: Frau Maischberger?

Grass: One second please. An Schmidt: Für Sie.

Raddatz: Aber es ist meins.

Schmidt: Hm? ungeduldig werdend Kinder, ich versteh’ nix.

Grass: Ein Amerikaner.

Kissinger: Give it to me, Helmut. Ins Telefon rufend Yes?

Raddatz: Ein Amerikaner? Wer?

Kissinger: Hi Jimmy! nuschelt unverständliches und legt nach wenigen Sekunden auf

Grass: Jimmy?

Kissinger: Jimmy Carter. Nirgendwo hat man seine Ruhe. Wie hat eigentlich Fürth gespielt?

Walser: Fürth?

Weizsäcker: Fußball?

Grass: Weiss nicht.

Raddatz: Sie interessieren sich für Fußball? Das ist ja schrecklich.

Schmidt: Carter. Was wollte die Lusche?

Walser: Darf ich jetzt weiterlesen?

Grass und Raddatz: Nein.

Enzensberger: Wo ist eigentlich der Scholl-Latour?

Raddatz: Der ist doch gestorben.

Enzensberger: Ach.

Walser trinkt aus der Rotweinflasche

Blonde Frau: Eh…ich will auch mal…

Raddatz: Keine Manieren, der Mann…

Enzensberger: Rowohlt…

Raddatz: Was?

Enzensberger: Walser ist bei Rowohlt.

Raddatz: Und?

Enzensberger: Ich bin bei Suhrkamp.

Schmidt: Kenn ich nicht.

Raddatz: Ich war jahrzehntelang bei Rowohlt, habe die rororo aktuell-Reihe verantwortet…

Enzensberger gähnt

Grass: Ich habe fast einen eigenen Verlag.

Lärm von außerhalb des Raumes. Schritte, die näherkommen.

Eine Frau, die wie Sandra Maischberger aussieht öffnet mit Schwung die großen Türen und klatscht in die Hände So, liebe Bewohner, jetzt ist Zeit zur Bettruhe; 22 Uhr. Vier weißgekleidete Männer betreten den Raum Husch, husch Gemurmel; einer ruft Eh, mein Handy Im Nu sind alle Personen verschwunden.

Ein junger Pfleger öffnet die großen Fenster des Raumes War das nicht der Grass? Und der eine, der von Weizsäcker…? Die sind hier?

Eine Frau, die wie Sandra Maischberger aussieht: Ja, das sind sie. Die Originale. Draußen laufen nur noch die Kopien herum, die Doppelgänger, die von den Medien konstruiert worden sind. Die hier sind alle harmlos und tun nix.

Ein junger Pfleger: Das heisst…der Grass im Fernsehen ist gar nicht mehr…

Eine Frau, die wie Sandra Maischberger aussieht: …der richtige Grass. Ja. Irgendwann wurden diese Alten zu unberechenbar. Sie wollten sich zurückziehen. Da haben sich die Medien zusammengetan und Doppelgänger konstruiert, die nun die Maschinerie weiter bedienen. Sogar die SS-Teilnahme hat man dem Grass aufgedrückt. Genial was? Die Originale haben hier ihren Lebensabend und kassieren weiterhin die Tantiemen. Sie müssen nur immer auf dem Laufenden gebracht werden…falls sie mal entdeckt werden…Sie sieht auf einem Sekretär ein Mobiltelefon liegen, dreht es um und liest ein Plastikschildchen auf der Rückseite: Enzensberger.


Wer es bis hierher nicht mitbekommen hat: Das ist Kunst! Die hier genannten Personen entsprechen natürlich in keinster Weise den realen Personen. – G. K. –

Artikel online seit 23.11.14
 

 


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