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Literatur und Zeitkritik


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Die Kunst, die Regression als Therapie zu denken

Slavoj Žižeks über politische Möglichkeiten im Postkapitalismus

Von Peter V. Brinkemper




 

Slavoj Žižek ist einer jener umtriebigen europäischen Intellektuellen mit Ost-West-Flair, politischer Reibung und Pop-Kultur-Status. Selten war ein Diagnostiker mit Aussagen zur Gegenwart und Zukunft unterhaltsamer und zugleich packender, mitten im Zeitalter der Aussageverweigerung. Dabei scheut er auch vor riskanten Zumutungen und Anmutungen nicht zurück. Das wird ihm, bisweilen voller Neid, vorgeworfen. Inwieweit sind mit dem globalen und  imperialen Sieg des Westens noch Befreiung, Widerstand, Aufatmen, Gegenbewegung, Neuorientierung, so etwas wie wirklich riskante Träume möglich?

Žižek ist, in allen Medien bis hin zum Guardian, ein gern gelesener, genussvoll belehrender Kolumnist, Kommentator und Analytiker. Er greift ältere Theorie-Ansätze, so den Marxistisch-Hegelianischen Systemansatz einer totalisierenden Dialektik und, als Gegenbewegung, das Lacaniansche psychoanalytische Delirieren im Zeichen der Signifikanten des Unbewussten, der Verschiebung und des Nicht-Identischen auf. Und er verabreicht sie im Plauderton dem Publikum mit dem Ziel der verfremdenden Analyse von Gegenwartserfahrungen, Kinoerlebnissen und epochalen Anekdoten in medienwirksamer Dosierung. Žižek kommentiert den derzeitigen coolen postkapitalistischen Zeitgeist der permanenten Utopie-Sabotage (oder ist das schon Verschwörung?) und die Folgen der digitalen Revolutions-Vermarktung 2.0. In vielschichtigen Statements, die mitunter eine ungewohnte Frische und Freiheit des Urteils besitzen, um den postideologischen Schein heutiger Ideologiehaftigkeit zu demaskieren.

Das Jahr der gefährlichen Träume

In »Das Jahr der gefährlichen Träume« (2012/13) hat sich Žižek mit dem Träumen und Alpträumen einer neuen Politisierung der jüngeren Öffentlichkeit weltweit beschäftigt. Er bezieht sich bewusst auf ein Spektrum einerseits friedlicher und emanzipatorisch orientierter Proteste, aber gelegentlich auch gewalttätig instrumentierter Aufstände, in New York oder Ägypten, London und Athen, in denen es um folgende Themen geht: elementare politische Freiheiten wie im Arabischen Frühling (vom Iran über Ägypten bis Syrien; hoffnungsvoll begonnen, mittlerweile überlagert von reaktionären Entwicklungen sowohl auf der staatlichen Seite wie bei den Bürgerbewegungen, Demokratieunterdrückung, Extremismus, Protestniederschlagung, Streit um die Macht und Staatsstreich, brutal geführter Bürgerkrieg, Flüchtlingsströme), um den friedlichen, aber schon fast wirkungslos verpuffenden Widerstand gegen den Finanzkapitalismus wie in der Occupy-Wall-Street-Bewegung, um erwartbare Kämpfe an den Universitäten um mehr Bildungschancen für die jüngere Generation, aber auch plötzliche tumultuöse Auseinandersetzungen auf der Straße, so in London, getragen von politisch indifferenten Jugendlichen, die sich Wohlstand durch selbstverständliches Plündern aneignen, und schließlich um vehemente Proteste aller Generationen in einem verschuldeten und EU-ausschlussgefährdeten Griechenland, das einmal als Wiege der europäischen Kultur und Demokratie galt. Man wendet sich gegen die Macht des Establishments, gegen die Herrschenden, die Besitzenden, die Wohlhabenden und die rücksichtslosen Spekulanten, die der Mehrheit Risiken, Arbeit, Mittelmaß und Schulden oder Arbeitslosigkeit, Elend und Mühsal aufbürden, gegen die sozialstaatlich riskante Diktatur der EU-Sparzwänge und die Gefahr des Abstiegs und Prestigeverlusts. Ans andere Ende dieses Spektrums setzt der Autor Anders Breiviks ideologischen Wahn, gegen eine prosperierende und multikulturell offene norwegische Gesellschaft einen gnadenlosen Killerkreuzzug zu führen und damit eine vorgebliche »Klarheit« zu simulieren, wie sie anderen Aktionen und Bewegungen fehle.

Interdisziplinärer Okkasionalismus

Allein diese provokante Zusammenstellung lässt fragen: Worin bestehen die Maßstäbe für die Beurteilung von legitimer Progressivität und faktischer Wirksamkeit, oder auch Anfälligkeit und Schwäche, von Fortschrittsfeindlichkeit, Illegalität und fehlgeleitetem Verbrechertum, wenn die man die angeführten Proteste und Aktionsformen bis hin zur Wahnsinnstat unter die Lupe nimmt? Wie sollen der heute allgegenwärtige Markt und die angeblich individualisierten Interessen, das Marketing und die ichbezogenen Begierden, die Ordnung und das Individuum, die entleerte Universalität und die abgestumpfte Partikularität noch effektiv zusammentreffen, sich produktiv anfachen oder sich auch nur verschwendend verfehlen, wenn es keine verbindlichen Normen und Werte und damit keine konkrete und massive Solidarität mehr zu geben scheint?

 

Žižek erweist sich in seinem interdisziplinären Denken zwischen Politik, Philosophie, Psychoanalyse und Kino als Kritiker vermeintlich klarer Kausalitäten und als politpsychologischer Okkasionalist: Manchmal klappt es noch, und öfters nicht. Die Verbindungen zwischen den Feldern und Dimensionen sind durch eine verhärtete kapitalistische Ordnung gekappt, sie werden durch die Logik der starren Signifikanten umzäunt und ihr reales Funktionieren wird nur noch willkürlich vom System behauptet. Mit Immanuel Kant solle es, so Žižek, um den wahrhaft öffentlichen Gebrauch der Vernunft im Sinne eines Neudenkens einer politischen Ordnung von allen für alle gehen, um das anarchistische »Paradox der universellen Singularität, eines einzelnen Subjets, das in einer Art Kurzschluss die Vermittlung des Partikularen umgeht und direkt am Universalen teilhat« (10). Aber dieser protestantische Kurzschluss, angereichert mit einer Prise des späten katholischen Universalismus Chestertons, krankt im vermeintlich direkten Sprung in die imaginäre Idealität gerade daran, die geduldige Reflexion auf den historischen Stand des Kampfes der Realinteressen, der Widerstände und der herrschenden gesellschaftlichen Mächte zu umgehen und vorschnell ins Wunschreich der Utopie oder in die Nostalgie früher erreichter Sozialstaatskompromisse auszuweichen. So steuere das zu Recht überschießende Denken auf die leidige postmaterialistisch-idealistische Spaltung zwischen Theorie und Praxis zu, bei Kant in der bekannten preußischen Lösung: zwar die Freiheit des aufklärenden und Reformen vorschlagenden Denkens zu fördern, sich aber zugleich als bloß »privates« Rädchen (als Teil des Ganzen) zu verstehen und im Gehorchen und Sich-Unterordnen mit der defizitären und faktisch vermachteten Praxis zu verbünden. Dadurch trage man selbst zur Verhinderung einer wirklich praktischen Aufklärung mit öffentlich wirksamem Druck einer auf Abweichung zusteuernden Willensbildung bei.

 

Hegel, Marx und Lacan

 

Es kommt Žižek auf die theoretisch und praktisch wirksame Infragestellung gesellschaftlicher und ökonomischer Herrschaftsformen an, durch effektiv organisierte Kritik und Selbstkritik, Fremd- und Selbst-Demaskierung, mobilisierende und desillusionierende Formen der Argumentation. Auch misstraut Žižek der orthodoxen marxistischen Instrumentalisierung des gutgemeinten emanzipatorischen Denkens unter der Räson der Einheitspartei, die jede Vernunft in Uniformität und verdeckter Verantwortung(slosigkeit) verliert. Ein nicht-stalinistischer Marxismus sei nicht bestimmt von der Unterordnungs-und-Unterwerfungs-Geste des Denkens und Handelns von bereits vor-integrierten Teilen, sondern von konkreter subversiver Renitenz, von Unberechenbarkeit, gerade und zuvörderst von individuellen »Nicht-Teilen« des sozialen Körpers und einem unkalkulierbaren »Überschuss, der direkt für die Universalität steht.« (12) In dieser Formulierung wird einmal mehr deutlich, wie Žižek das lacanianische Erbe des ungreifbaren Realen, des berechtigt Imaginären und immer schon sozial vermachteten Symbolischen austariert, um das Dilemma der anti-utopischen Wunschlosigkeit heutiger Arbeits-Entwertungs-und-Produkt-Verbilligungs-Konsumgesellschaften im Dienste einer expertokratisch maskierten Führungselite mit Millionen- und Milliardenvermögen einzukreisen und mit der bedrohlichen und unsichtbaren Gegenmacht der anonymen Mehrheit auszupendeln. Gerade die engagierte subjektive Position sei die conditio sine qua non für die Universalität des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft jenseits von Konformität und Gehorsam im Alltag oder unter der Parteidoktrin.

 

Es ist klar, dass Žižek mit dieser zwischen Kant, Hegel, Marx, Adorno, Sartre, Lacan sowie Hardt und Negri (Empire) herumschlängelnden Zickzacklinie eine schlaue Leerformel eines Undergrounds gegenüber einer Theorie der globalen Kolonisation zurechtgebastelt hat: im Falle der nachholenden, aber noch nicht angemessen begriffenen post-islamistischen Demokratiebewegung, aber auch in den Konfliktfällen: Griechenland-versus-EU (zwischen starrer Fiskalpolitik und solidarischer Belastbarkeit der gesamten EU, entpolitisierter EU-Administration und konkreter Sorbas-Lebensweise an der Ägäis), angesichts der globalen Finanzkrise (Mismanagement und wildgewordene Bankgeschäfte versus Staaten und Bürger), der Wohlfahrtsstaats-und-Beschäftigungs-Krise und der neuen mickrigen »Utopie« der Festanstellung um jeden Preis, in der zaghaften Auseinandersetzung Occupy-versus-Wall-Street. Žižek gibt den jeweils gegeneinander antretenden Seiten zugleich Unrecht und Recht, stellt die Faktizität der Machtverhältnisse und den Illusionsspielraum der vorgebrachten Positionen und Argumente als dynamisches Kräfte-Parallelogramm auf den Prüfstand des gegenwärtig entfesselten Neo-Neo-....-Liberalismus bis zum tatsächlichen oder imaginierten Erreichen neuer Siede- und Umschlagpunkte von Solidarität und Wünschbarkeit. Manche der vorhandenen Protestformen erscheinen als relativ privilegierte Defensiv-Strategien: »Das sind keine proletarischen Proteste, sondern Proteste gegen die Bedrohung, auf den Status eines Proletariers reduziert zu werden.« (21) Studenten treten nicht mehr primär ein für eine aufklärerische und politisch engagierte Wissenschaft (die Wirtschaftsgelder akquiriert) und eine gerechte Gesellschaft, sondern dafür, den Bildungs- und Qualifikationskorridor möglichst weit offenzuhalten, als ob ihnen so der Status eines elitären bürgerlichen Erwerbsleben noch garantiert wäre. Würden bei Verbreiterung der Protestbasis, über die Mittelschicht mit klar defensiv-bourgeoisen Besitzstandserhaltungszielen hin zu den vergleichsweise Armen, den überall kündigungsbedrohten Arbeitern, selbstversorgenden, von Weltkonzernen bedrohten Bauern und den Unterdrückten die Ziele und Voraussetzungen des Widerstandes nicht komplett neu definiert und damit zeitgemäß proletarisiert? Geraten so nicht auch diejenigen, die es bisher bei verhaltenen Kundgebungen und Adressen bewenden ließen, in neue evolutionäre und revolutionäre Turbulenzen? 

 

Ökonomie, Politik und formaler Klassenkampf

 

Im Postkapitalismus gehe es beim politischen Kampf nicht mehr um die Ökonomie direkt, sondern um die Politik als »Name für die Distanz der Ökonomie von sich selbst« (46). Politik ist also ideologisch verökonomisiertes hartes Finanz-Geschäft und zugleich Kompensations-Management und Kosmetik der ökonomisch verklausulierten Politik als Ausgleich für ihre Entstellung. Žižek lastet diese doppelte Überlegung nicht nur links-sentimental dem Neoliberalismus, sondern genau so gut dem mal deterministisch ökonomisierenden, mal revolutionär politisierenden Marxismus (und Sozialismus) an. Ökonomie und Politik werden auch hier zu gefährlich austauschbaren Grammatiken (in China mit besonders chaotischen Effekten), die sich mehr oder weniger unverbindlich wechselseitig substituieren, ohne die angeblich gewünschten Wege aus der neusten Krise zu weisen.

 

Für Žižek ist der Begriff des Klassenkampfs immer noch ein wirksames Paradigma für die Verzahnung von Politik und Wirtschaft (47). Andererseits sei durch den Abstraktionsgrad dieses Begriffs auch gewährleistet, dass er je nach Konfliktlage von den Beteiligten oder Beobachtern (und Nutznießern) mit unterschiedlichen Differenzen angereichert würde, ohne Rücksicht darauf, ob Konflikte um Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung mit diesen Zuschreibungen wirklich lösbar wären oder nur ideologisch verschleiert würden. Žižek unterscheidet zwischen drei Strategien des Umgangs mit den zweifellos im vorhandenen System vorhandenen Legitimationsdefiziten, Spannungen und Krisen: 1. das militante Klassenkampf- oder Konfliktmodell, das ein Subjekt des Protestes mobilisiert und den Gegner, die obere, unterdrückende und ausbeutende Klasse und ihre Nutznießer qua Ungerechtigkeits- und Konfrontationsvorstellung als Antagonisten einer überwindenswerten Situation ausfindig macht. 2. Das extremistische Modell der Verschiebung des Klassenkampfes in den Bereich des Kulturkampfes und Stellvertreterkampfes, in dem den Gegnern rassische, sexuelle, religiöse, kulturelle und andere Merkmale zugeordnet werden und der Konflikt im Extremfall zu einer unversöhnlichen Auseinandersetzung hochstilisiert wird (mit Liquidation, Ausgrenzung oder Vertreibung), 3. das linksliberale Modell, die Konflikte mit geduldiger Analyse und langsamen zivilen Schritten zu verfolgen, weil partnerschaftliche Rechtsansprüche und Differenzen wie Rasse, Geschlecht, Glaube, Klasse und politische Gegnerschaft und ökonomische Divergenz als Parameter der Toleranz des Anderen hinzunehmen und zu akzeptieren sind. Im linksliberalen Modell werden zwei Konfliktlinien geführt: Die politische Lösbarkeit der Primärkonflikte und die ideologische Entlarvung des Kulturkampfes als konservatives Ablenkungsmanöver. Horizontale Anerkennung der Anderen versus vertikaler Kampf zwischen Unterdrücker und Unterdrückten bzw. Vertrautem und Anderem.

 

Žižek verfolgt diese Modelle als alternative Modi, die vorhandenen Spannungen und Konflikte eskalieren oder deeskalieren zu lassen, ohne dabei eindeutige und übertragbare Lösungen zu propagieren. Insbesondere im Fall Breivik wird die fatale faschistische Vereinfachung, die Verwechselung von Sozialkritik und sozioökonomischer Konkurrenz mit antiislamischer und antikulturmarxistischer Propaganda als fatal-monokausale Haltung eines irrsinnigen Kulturkampfes ausbuchstabiert. Was bedeutet dies im Kontext der mehr oder minder anerkannten Protestbewegungen? Žižek zielt auf die therapeutische Subinformation, dass wir uns bei unseren revolutionären oder demokratieförmigen Systemänderungswünschen immer darüber im Klaren sein müssten, dass diese vielleicht auch mit Ungeduld, Intoleranz, Illusion, Propaganda und Effekten von Eingriff und Gewalt verbunden sein könnten, die anfänglich nicht gesehen werden. Entsprechend konnte das demokratische Projekt Arabischer Frühling allzu leicht in den Kampf gegen religiösen Extremismus und Terrorismus oder staatliche Bevormundung zurückversetzt werden, obwohl die Haitianische Revolution, den Sklavenaufstand 1791 in der Gestalt von Dutty Boukman, einem Buch- und Koran-Kundigen, den positiven Gegenbeweis liefere. Ebenso konnten und können die pro-westliche Interpretation der Orangenen Revolution in der Ukraine ebenso wie die anti-westliche Autonomie des Irans missverständlich legitimiert und missbraucht werden.

 

Das große Bündnis zwischen Mitte und Links

 

Insgesamt befürwortet Žižek die Verbreiterung von mittleren, gemäßigt liberalen, bürgerlichen Kräften mit radikalen linken Kräften (und sozial stabilen Massenbewegungen), um fällige Veränderungen wirklich anschieben zu können (wie in Tunesien und Ägypten). Nur so sei die Entpolitisierung der bürgerlichen Mitte, aber auch die Abspaltung der Linken zu vermeiden, um beide Lager in einer produktiven solidarischen Spannung und Diskussion zu halten. Nur so können in einstigen Kolonien ein platter Demokratieimport nach alt-westlichem Muster und das neuere postkapitalistische Oberflächentheater in den Zentren wirtschaftlich führender Nationen überwunden werden. Der Occupy-Wall-Street-Bewegung wirft Žižek vor, dass sie allzu selbstverliebt und flauschig im linksliberalen Pluralismus der Toleranz und Differenzierung stehen geblieben sei (Zelten vor der Bank – oder später auch auf dem Taksim-Platz in Istanbul). Ohne eine gewisse Härte des sozioökonomischen Klassenkampfes könne sie nicht mehr in effektive Konfrontationsstellung zu den dreisten Neo-Economy-Ausbeutungs-Strategien der Banken und Informationsriesen heute und morgen finden. Rein moralisierende Empörung als Medium des Politischen, das pure »Empört Euch!« lehnt Žižek, der dabei an die Spanier denkt, ab. Der klassische liberal-demokratische Optimismus, den Kapitalismus zurückhaltend durch ein gesetzliches Regelwerk wie von außen zu domestizieren, ist für ihn längst fragwürdig geworden. »Der Schlüssel für echte Freiheit liegt eher im Netzwerk der gesellschaftlichen Verhältnisse vom Markt bis zur Familie«, also in den konkreten wirtschaftlichen Lebensverhältnissen, in denen »die Art Wechsel, die wir für eine echte Verbesserung brauchen, nicht in politischen Reformen besteht, sondern in einer Veränderung der ‚unpolitischen’ gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse.« (132) Mit Badiou heiße daher der Feind von heute »nicht Empire oder Kapital« »sondern »Demokratie«, in ihrer derzeitigen Hülsenfunktion, die Umstände affirmativ zu ummanteln und zu belassen. (132) Irgendwo geht es dem Basismarxisten und lacanianischen Polit-Therapeuten Žižek dann doch um eine fast kommunitaristische Revolution, um die konkrete Umverteilung von Kapital, Finanzen und Produktionsmitteln in bestimmten greifbaren Bereichen. Die faktische Verteilungsstruktur bietet für Žižek die tiefere Ungerechtigkeits- und Unzufriedenheitsmatrix des bestehenden Systems und seiner Exzesse von hanebüchener Finanzspekulation und digitaler Datenbespitzelung.

 

Kino-Mythologie

 

Am Ende verliert sich Žižek in der Theater-, TV-Serien- und Kinomythologie und wünscht sich einen mit den Mitteln von Brecht verfremdeten Shakespeareschen Coriolan (inspiriert von Ralph Fiennes Regie-Debüt 2011, S. 177ff.), der aus dem Dunstkreis des grüblerischen Hamlet heraus zum neu interpretierbaren Anführer, zur Kampfmaschine einer radikalen Linken jenseits der eingeschliffenen Politik würde. Ist nicht auch das der paradoxe faschistische Wunsch nach einem starken Mann, einem Muttersöhnchen, einem schizophrenen Überläufer zwischen Militär und Zivilgesellschaft, eigener und fremder Bürgerschaft? Žižek schwärmt: Ein Körper, der gegen den falsch konditionierten körperlichen Körper und den bestehenden politischen Körper rebelliere, ihre engen Kreise überwinde und der deshalb in ein Exil gehe, in dem die angeblich längst begrabene Utopie der zukünftigen Gesellschaft, jenseits von Kapitalismus, Faschismus und Stalinismus vielleicht doch noch schlummere. Shakespeare wäre entsetzt, Putin wäre sicherlich entzückt, wenn er gelangweilt staatsmännisch auf olympischen und fußballweltmeisterschaftlich entpolitisierten Milliarden-Tribünen klammheimlich an die terroristischen »Erfolge« seiner separatistischen Touristen-Söldner in der Ostukraine mit ihrem Maskenoutfit denkt.

 

Batman und die Politik

Ähnlich verschlungen verfährt Žižek in seinem E-Book »Batman und die Politik«, einer Interpretation von Christopher Nolans »Batman«-Trilogie: Der Joker in Teil 2, »The Dark Knight«, stehe für die perverse Erfahrung, dass das soziale System langfristig funktioniere, rein formal, und eben auch auf der Basis von Lüge und Gewalt, nur dann mit ungleich zerstörerischen Folgen. Im Finale »The Dark Knight Rises« werde mit dem Terroristen und Wrestler Bane und seinem bei aller Gewalt kumpelhaftem Angriff und der Anzettelung eines populistischen Aufstandes der unteren Schichten in New York nicht zufällig das Muster der friedlichen Occupy-Wall-Street-Bewegung aufgegriffen. Was für viele Kritiker eine unangemessene Darstellung und Verzerrung der realen Protestbewegung zur Gewaltwelle und zum Umsturz der Ordnung sei, ist in Žižeks bewusster Übertreibung eine Hollywood-Variante einer sozialistischen Diktatur des Proletariats, die vor Schauprozessen und der gewaltsamen Liquidation der Reichen sowie der Entlassung der Kriminellen aus den Gefängnissen nicht zurückschrecke. Das Unrealistische und Irreale an diesem Szenario, die merkwürdig verstümmelte Sicht auf politische Handlungsweisen, in einem begrenzt philosophisch reflektierten Hollywood-Blockbuster, habe seine Gründe: Bane sei in der Tiefenstruktur (seines Riesen-Gefängnis-Brunnens, der den Fledermaus-Brunnen, in den Bruce Wayne in seiner Kindheit fiel, reflektiert und überbietet) kein Lügner und Ideologe, sondern ein Che Guevara, ein aufopferungsvoller Liebender und Diener von Miranda Tate, alias Talia, der allerdings kalten und rachsüchtigen Undercover-und-Upperclass-Tochter von Ra’s al-Ghul, dem einstmaligen Chefterrorist und Gothams Feind Nummer 1 aus dem ersten Film. Mirandas Tates tragische Genealogie, ein Spross aus der unglücklichen Liebe Ra’s al-Ghuls zu sein, ist ein eigenes Kapitel, das den Verlust der philanthropischen Eltern Bruce Waynes in der Umkehrung spiegelt. Banes Form der gewalttätigen Machtübernahme und der Errichtung einer »People’s Republik of Gotham City«, einem zwischen Diktatur und Anarchie schwankenden Zwischenstaat, in einem fast brückenlos gewordenen Manhattan und im Zeichen des »Abschaums«, sei ebenso populistisch wie hilflos dilettantisch. Bane sei ein verwundbarer Charakter des politischen Übergangs, gerade weil er wahrhaftig und authentisch sei, im Gegensatz zu den anderen Figuren, die sich im zynisch opernhaften Endstadium des radikalen Kampfes um den Erhalt der führenden politischen Klasse und der symbolischen Ordnung befänden, auch um den Preis der kompletten Zerstörung Gothams. Ob Gut oder Böse, die Upper-Class-Protagonisten seien zum Einsatz aller Mittel im Spektrum zwischen Lüge und Gewalt bereit. Jetzt, wo es nicht mehr um die legitime oder illegitime Bekämpfung von Kriminellen, sondern um die Abwehr eines angezettelten Aufstands verarmter und verelendeter Bürger und Ausgestoßener gegen die Ordnung von Gesetz und Recht und gegen eine auf Nuklearindustrie, High Tech und Hedge-Fonds fokussierte Ökonomie gehe, sei auch für die im Hintergrund Herrschenden und Mächtigen alles erlaubt, was Batman/Bruce Wayne und Harvey Dent einmal verboten zu sein schien. Wer könnte Žižek bei dieser Einkreisung eines gefährlichen Traums schon widersprechen? Denn Batmans Rettungsaktion und Bruce Waynes Sektfrühstück in Florenz am Ende des Films sind keine revolutionären, sondern bourgeoise Rückzugsgesten.

Artikel online seit 21.07.14
 

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