Home   Termine   Autoren   Literatur   Blutige Ernte   Quellen   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik   Sachbuch   Bilderbuch   Filme   Töne   Preisrätsel   

Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
Anzeige

Glanz&Elend
Die Zeitschrift kommt als
großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage
von 1.000 Exemplaren
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 

Bücher & Themen

Glanz & Elend empfiehlt:
50 Longseller mit Qualitätsgarantie

Jazz aus der Tube u.a. Sounds
Bücher, CDs, DVDs & Links



Seitwert


Aufruf zur letzten Lektüre!

Vor 25 Jahren starb der Schriftsteller und Publizist Jörg Fauser.

Jürgen Nielsen-Sikora über das Phänomen Fauser und dessen gesammelte journalistischen Arbeiten 1959-1987, »Strand der Städte«, die im Alexander Verlag erschienen sind.


Carl Weissner hat in einem legendären Vorwort zu Fausers 1973 erschienenem Gedichtband »Die Harry Gelb Story« bekannt, die »Schreibe« seines Freundes käme ihm »sehr echt vor, und vermutlich ist Schreiben für Fauser ziemlich genau dasselbe wie wenn er morgens um 4 aus dem Mansardenfenster wichst.« Fauser lesen – das bedeutet freilich mehr als das übliche »Gewichse« der Literatur sich noch einmal durch die Finger gleiten zu lassen. Denn ganz schnell hängst Du als Leser an Fausers Schreibe wie der Junkie an der Nadel. Wenn der Buchdeckel zuklappt, beginnt der Entzug.

So sind seine zwischen 1959 und 1987 entstandenen, journalistischen Arbeiten von einer so konzentrierten Wucht, ja von einer solchen Potenz, dass auch die Blockwarte des Büchermarktes und die Sittenwächter der Literaturhäuser nicht einfach ihre übliche Krittelei werden einbringen können, schließlich zeigt sich Fauser in diesem Werk nicht nur als Genie literarischen Ergusses, sondern auch als Seismograph deutscher Erschütterungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – eines Jahrhunderts übrigens, das er als einen Moloch charakterisiert, »der immer nur frißt und nichts verdaut, nur zerstört, nichts vergibt, alles planiert, zertrampelt, zerbricht, ermordet, und den Leichenbergen des Fortschritts noch ein höhnisches: Servus! Die Erde wird rot! hinterherruft.«

In der von Alexander Wewerka herausgegebenen Edition erscheinen viele der hier versammelten Texte erstmals in Buchform. Ihren Helden begegnet Fauser an den Rändern der Städte, der Gesellschaft, »auf dem Pflaster, das den Strand bedeckt.« Die mehr als 1500 Seiten beschreiben das Leben zwischen Schaschlik-Buden und Bordellen, erzählen von den Huren und Strichern, den Feuchtgebieten der Gesellschaft mit ihren Hinterhöfen und Ghettos, und Fauser observiert »als Dunkelmann beim Verfassungsschutz für Sprache und Zweifel« sowohl die Bier-Budiker als auch die »bedrückende Fürsorge des Staates«, während der »Geist von Oggersheim« die BRD oder das, was von ihr übrig geblieben ist, die 80er Jahre durchregiert.
Die Essays handeln von dem, was uns Menschen buchstäblich unter die Haut geht: Drogen und Tod, die immer eingepackt sind in seine literarischen Portraits, Krimis, in die Texte übers Kino und die Bonner Republik als das größte Kino überhaupt. Fauser beschreibt Afghanistan, Israel und den Libanon, die »Blutergüsse der Medien«, den autoritären Otto Schily, sein eigenes Jugendidol Herbert Wehner und das politische Panorama einer Welt im Umbruch. Immer sind es sehr poetische Analysen, die wir im Feuilleton von heute nicht mehr, und in der Literatur nur selten finden.
Je betrunkener der Autor, desto nüchterner und klarer seine Texte – eine wundervolle Nüchternheit jedoch, die süchtig macht, also keine Seichtschwätzerei und auch ganz gewiss keine »Lektüre, die einem die Himbeeren verhagelt.« Da sind die Krüppel und der Krankenhausgeruch, das Stardust Motel, das wir bereits aus »Trotzki, Goethe und das Glück« kennen und schließlich die Touristen, die »Toten in Gelee«, denen er auf seinen zahlreichen Reisen in die Seele blickt.

Sein Thema hat Fauser schon früh gefunden. Es ist das »Pflaster und der Strand, der Strand der Städte, auch ihr Strandgut, die Besessenen und die Berauschten, die Gäste im Café Nirwana und die Pensionisten im Desasterhotel, die ewigen Stromer und die verstrolchten Träumer, die Dämonen der Nacht und die Dichter in der Dämmerung mit und ohne Damen, sie sind Landschaft und Bewohner meiner Phantasien und meiner Erfahrungen … Zwischen Bild und Realität fällt machtvoll der Schatten, und der Schatten ist für manchen gewiss manches, er ist für mich Literatur.«

Neben Kerouac, Ginsberg und Bukowski, neben Gryphius und Eich ist es deshalb immer wieder Joseph Roth, dessen Bücher er allen anderen vorzieht, weil in ihnen die Irrenden und Leidenden, die Flüchtenden und Strauchelnden zu Wort kommen, und weil Roth weiß, dass Rebellion und Demut siamesische Zwillinge sind.
Die meisten, und in meinen Augen die besten, Texte stammen aus den Jahren zwischen 1973 und dem Todesjahr 1987. Angefangen von seinen Heroin- und Koksberichten über das Bukowski-Interview für den Playboy (ein echtes Highlight!) bis hin zum Pils- und Grappa-Artikel über den Weggefährten Joschka Fischer, den ewig Wütenden, der seine Wut in immer wieder neue Bahnen lenken musste, um politisch überleben zu können.
Diese letzte Phase seines Schreibens ist die Zeit, in der der Himmel zwischen den TV-Antennen allmählich dunkler wird und die Häuser der Republik den »Anstrich verdünnter Hühnersuppe« annehmen. Fauser schreibt unter dem Pseudonym Caliban und versucht, in kongenialer Verbundenheit zum Antihelden aus Shakespeares »Sturm«, den »Zipfel fremder Welten zu erhaschen.«

Es ist die Epoche der Schnauzbartträger und der Apokalypse in spe, die sich, angefangen vom Deutschen Herbst über das Waldsterben bis hin zur geistig-moralischen Kehre, nicht bloß in den Köpfen der Bürger ihren Platz sucht, sondern auch zwischen die Buchdeckel der großen Verlage gepresst wird. Und es ist – zugegeben – auch die Zeit, die ich selber so gut nachempfinden kann, weil ich in ihr groß geworden bin und sagen darf: Ja, diese merkwürdigen 70er und 80er Jahre, in der fast alle ihr Mene Tekel Upharsin an die Wand pinselten, glichen letzten Endes doch nur einer »Plastik-Apokalypse für eine Plastik-Welt mit Plastik-Menschen.« Während die einen ihren Feierabend mit »Filzpantoffeln, Flaschenbier und Furcht« verbrachten, versuchten andere, die Schallmauer, die allgegenwärtige Angst, zu durchbrechen.

Zu diesen Brechern zählt auch der Schriftsteller Jörg Fauser, der aus Tanger, Nevada, L.A. und New York berichtet und für Achim Reichel Songs wie »Hart am Ball« schreibt, während in Deutschland RAF-Steckbriefe in jeder Bäckerei aushängen und Schlagersängerin Nicole für ein bisschen Frieden wirbt.
Wieder in Deutschland, zockelt Fauser früh morgens »durch die Potsdamer Straße, vorbei an den Sex-Schuppen und Animieranstalten, vorbei an den Würstchenbuden und Tätowiersalons, vorbei am 'Nevada', wo der schwarze Mann hinterm Tresen nach dem fünften Bourbon auf seinem Taschenkamm den St. Louis Blues spielt.«

Fauser lebt in diesen Tagen permanent am Limit, doch intensives Erleben ist ihm nicht nur in den letzten Jahren seines Lebens die zentrale Voraussetzung seines Schreibens. Er will stets neue Erfahrungen sammeln, und die hat nur, wer auf Fahrt geht, in Fahrt kommt. Anfang 40 will er die Wunder der Zivilisation genießen und spürt doch immer wieder, dass ihn an den Zehen bereits das Gift packt, das ihn langsam zerfrisst. Süchtig nach dem Leben, dieser »größten Nachrichtenagentur der Erde«, kreist sein Leben stets um die eigene Sucht. Der Mensch, sagt er einmal, sei das wichtigste Material der Geschichte. Er sagt »der Mensch« und spricht letzten Endes doch von sich, denn er weiß: Am Ende stirbt jeder für sich allein, auch wenn man Angst haben muss, so Fauser, noch beim Sterben »verschaukelt und verscheißert zu werden.«

Ich habe mich beim Lesen des Buches oft gefragt, worüber Fauser heute schreiben würde. Wohin ginge er? Würde das, was er schriebe, überhaupt gelesen? Und gibt es noch ein paar von uns, die da warten unterm Mansardenfenster, dass es bald 4 Uhr wird?
Die Antwort kann man natürlich nur bei Fauser selber suchen – und finden: »Manche Menschen auf der Erde sterben nicht. Sie dürfen nicht sterben, weil sonst alle Hoffnung auf ein Überleben des Menschen nicht möglich sein wird.«

Ohne Zweifel gehört Fauser zu diesen Menschen. Überleben ohne ihn gelesen zu haben ist nicht möglich. Fauser ist der bombastischste unter den deutschen Nachkriegsschriftstellern, ein krakeelender Irrwisch, dessen Texte … ach, lest doch einfach selbst:
»Da hockten sie also alle zusammen und lurchten und häuteten sich. Alkis und Junkies, Drücker und Gedrückte, Wetzer und Gewetzte, Portokassenjünglinge auf dem Gewalttrip und Stenogirls als Belles de Nuit, verkannte Folk-Sänger, verlauste Stink-Finger, verstörte Auf-Rührer, all die Sumpfdottern mit dem 68er Blues, die Linken, Linker, Gelinkten, und dazwischen auch einfach der Teppichhändler Özekan und die Apfelwein-Opas aus der Flattergaß mit ihrem endlosen Gewäsch, diesem Frankfurter Singsang, der etwas Chinesisches an sich hat…«

Zugestanden: Ich zitiere in dieser Rezension viel zu viel und versäume es, den Autor und das Buch in die Landschaft der Literaturdiskurse einzuordnen. Aber aus diesem Buch kann man im Grunde nur zitieren – und immer wieder einen Blick hinaufwerfen zum Mansardenfenster und warten, dass es 4 Uhr wird.
Es ist Mitte Juli 2012. Vor 25 Jahren ist Jörg Fauser gestorben. Erheben wir unser Glas und lesen dieses wundersame Buch stets als letzte Lektüre!
Dazu William Burroughs: »Wer schlau ist, lässt sich das gesagt sein.«
Jürgen Nielsen-Sikora
 














Trotzki, Goethe und das Glück





Jörg Fauser, Jan Bürger, Rainer Weiss,
Die Tournee
Roman aus dem Nachlaß
Jörg-Fauser-Edition IX.
Mit Beiträgen von Jan Bürger und Rainer Weiss
272 Seiten, Abb. 17
Hardcover
ISBN 978-3-89581-121-0
19,90 € / eBook 8,49 €


Jörg Fauser
Der Strand der Städte
Gesammelte journalistische
Arbeiten 1959-1987.
Herausgegeben
von Alexander Wewerka
1600 Seiten
Alexander Verlag Berlin
Gebunden, mit Leseband.
Jörg-Fauser-Edition Band VIII.
Mit einem Vorwort von Matthias Penzel
49.90 €
ISBN: 978-3-89581-120-3

Leseprobe:
Jörg Fauser, »Der dunkle Ort«

O-Ton:

Jörg Fauser liest

Die offizielle Jörg Fauser Homepage


Bei Diogenes erscheinen im August als Taschenbuchausgaben der Werkausgabe des Alexander Verlages:


Jörg Fauser
Fauser Werkausgabe
in neun Bänden

detebe 23920, 3216 Seiten
ISBN 978-3-257-23920-1
€ (D) 79.00

Die Einzelbände:
Alles wird gut

Gesammelte Erzählungen und Prosa I
ISBN 978-3-257-23924-9
detebe 23924 Broschur, 448 Seiten,
€ (D) 10.90 / sFr 19.90* / € (A 11.30)
 

Mann und Maus
Gesammelte Erzählungen und Prosa II
ISBN 978-3-257-23925-6
Erzählung, detebe 23925 Broschur, 528 Seiten, € (D) 10.90 / sFr 19.90* / 
€ (A) 11.30

Marlon Brando

Der versilberte Rebell
ISBN 978-3-257-23926-3
Biographie, detebe 23926 Broschur, 256 Seiten,
€ (D) 9.90 / sFr 17.90* / € (A) 10.20

Rohstoff
ISBN 978-3-257-23922-5
Roman, detebe 23922 Broschur, 336 Seiten, € (D) 9.90 / sFr 17.90* / € (A) 10.20
 

Das Schlangenmaul
ISBN 978-3-257-23923-2
Roman, detebe 23923 Broschur, 320 Seiten, € (D) 9.90 / sFr 17.90* / € (A) 10.20

Der Schneemann

ISBN 978-3-257-23921-8
Roman, detebe 23921 Broschur, 272 Seiten, € (D) 8.90 / sFr 15.90* / € (A) 9.20

Der Strand der Städte – Blues für Blondinen
Essays
ISBN 978-3-257-23928-7
detebe 23928 Broschur, 352 Seiten, € (D) 10.90 / sFr 19.90* / € (A) 11.30

Die Tournee
Roman aus dem Nachlass
ISBN 978-3-257-23929-4
Roman, detebe 23929 Broschur, 272 Seiten, € (D) 8.90 / sFr 15.90* / € (A) 9.20

Trotzki, Goethe und das Glück
Gesammelte Gedichte und Songtexte
ISBN 978-3-257-23927-0
Gedicht, detebe 23927 Broschur, 416 Seiten, € (D) 10.90 / sFr 19.90* / € (A) 11.30


Jörg Fauser
O-Ton
TRIKONT
US-0245
Doppel-CD
im Digipak mit ausführlichem Booklet
17.- €





 


 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik

Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik   Bilderbuch   Comics   Filme   Preisrätsel   Das Beste