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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Philosophie wohnt am Nichtort der Unmöglichkeit

Die Zeit der großen Erzählungen der Welt ist vorbei. Wohin man auch blickt,
was immer man sich vorstellen kann, alles ist bestimmt von Technik, Kapital
und Medium. Das ist nicht gut und nicht schlecht, sondern notwendig der Fall,
so Peter Trawnys hoffnungsfreie Analyse.

von Timotheus Schneidegger
 

In Sidney Lumets bitterböser Mediensatire „Network“ von 1976 impft der von Ned Beatty gespielte Chef eines TV-Konzerns dem idealistischen Moderator Howard Beale (Peter Finch) ein, was er seinen 60 Millionen Zuschauern tagtäglich einzuimpfen hat: Rührseligkeiten wie Amerika und Demokratie sind passé. Selbst die Sowjets glauben nicht mehr an Karl Marx, sondern folgen dem Kosten-Nutzen-Kalkül, wie es im Übrigen jeder Mensch von Anbeginn der Zeiten tat. Die Konzerne sind die neuen Nationen, in denen jeder am allgemeinen Wohlstand mitarbeitet und gerechten Anteil hat: Jedes Bedürfnis wird befriedigt, jede Angst beruhigt, jede Langeweile zerstreut.

Im Jahr, als Lumets „Network“ in die Kinos kam, starb Martin Heidegger, der die von Technik und Medien geprägte Moderne wie kein anderer philosophisch durchdrungen hatte. Hier stieß er dann auch an seine Grenzen, die sich bereits in seinen Notizen aus den 1930er und 40er Jahren, den „Schwarzen Heften“ abzeichneten. In seinem Privatnationalsozialismus hatte sich der Weise vom Todtnauberg eine zynische Schadenfreude über die Selbstzerstörung der Rationalität angewöhnt, die zum Generalbass seiner Technikphilosophie wurde. Der Kapitalismus war ihm gerade gut genug, um sein antiamerikanisches und vor allem sein antisemitisches Mütchen daran zu kühlen. Eine ernsthafte Berücksichtigung der bewusstseinsformenden Wirtschafts- und Lebensweise in philosophische Diagnosen blieb denjenigen Gegenwartskritikern überlassen, die – wie Herbert Marcuse – bei Heidegger gelernt hatten oder sich – wie Byung-Chul Han oder Peter Trawny – ausgiebig mit ihm beschäftigt haben.

Marcuses „Der eindimensionale Mensch“ prägte eine Generation und lohnt wegen seiner Hellsichtigkeit auch ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen noch die Lektüre. Han hat es zum philosophischen Pop-Star geschafft, der der ZEIT-Leserschaft ihr Unbehagen in der Kultur phänomenologisch unterfüttert. Trawny dagegen ist ähnliche Resonanz nicht vergönnt. Als Herausgeber der „Schwarzen Hefte“ war er während der darauf folgenden Debatte ein gefragter Mann, der Heideggers Antisemitismus zu deuten wusste, ohne ihn herunterzuspielen.

Inzwischen ist die Feuilleton-Karawane weitergezogen und das Interesse daran, ob und was Trawny an eigenständiger, also nicht auf die „Schwarzen Hefte“ bezogener Philosophie zu bieten hat, gleich null. Zu Jahresbeginn beklagte sich Trawny via Facebook darüber, dass sein jüngstes Buch „Technik.Kapital.Medium – das Universale und die Freiheit“ nirgends ordentlich besprochen worden ist. Eine seiner Vermutungen, woran das liegen könnte, trifft ins Schwarze: Es „ist in einem Stil geschrieben, der den normalen Rezensenten abstößt, weil er sich auf ihn mit ein wenig Geduld einlassen müsste.“ Wie wenig bereit Trawny ist, die Leserin zu schonen, verriet er bald darauf in einer Debatte um Populärphilosophie im populärphilosophischen Magazin Heiße Luft: Denn „wenn das Bedürfnis nach Philosophie und die Fähigkeit ihrer Allgemeinverständlichkeit zu Faktoren eines Marktes gemacht werden, dessen erste Motivation keineswegs ‚philosophisch‘ ist“ – dann wird nur noch Richard David Precht gelesen. Man kann fragen, ob es wirklich ein gestiegenes Bedürfnis nach Philosophie in der schwindenden Gruppe der Bücherleser gibt oder ob es nicht eher eines ist nach einem semantischen Accessoire zur Binnendifferenzierung unter ZEIT-Abonnenten – aber die Vorrede ist schon lang genug geworden!

Harter Start

Trawnys „Technik.Kapital.Medium“ beginnt, als hätte man das Buch mittendrin aufgeschlagen, und mutet der Leserin zu, sich an die eigentümlichen Begrifflichkeiten (mitsamt Abkürzungen und typographischen Spezialitäten) zu gewöhnen und deren dürftig verstreute Bestimmungen zu sammeln.

Die Natur bringt hervor, was zur Fortsetzung des Werdens und Vergehens nötig ist. Dem Menschen als biologisches Wesen ist diese Herkunft eingeschrieben: Er hat Begierden und Bedürfnisse sowie die Fähigkeit, die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse und Begierden zu produzieren. Alsbald begehrt er, was er produzieren kann, und ist in ein Netz von Bedingungen und Bedingtheiten verstrickt. Sowohl findet er es vor als er es auch weiterspinnt und muss darum nicht den Eindruck haben, darin gefangen zu sein.

In dieses Bild sei gegossen, wovon Trawny in seinem mit 192 Seiten scheinbar kurzen, aber umso knackigeren Buch ausgeht. Trawny denkt ohne Bilder, dafür in hermetischen Begriffen, weshalb im Folgenden der Versuch einer übersetzenden Wiedergabe gestattet sei.

Zwei Arten, die Welt zu bedeuten, macht Trawny aus: eine mathematisch-technische und eine poetische, die in einander verflochten sind, obschon erstere immer und überall auf die sich heute vollendende Vorherrschaft über letztere ausgelegt war. Sie bedingen jeweils eine spezifische Welt, in der Gegenstände produziert werden oder Sinn geschaffen wird. In der mathematisch-technischen Welt, die zur einzigen geworden ist, sind alle Unterschiede eingeebnet, alles ist zähl-, mess- und ersetzbar. Der historische Triumph dieser Rationalität über den Mythos wird sinnfällig mit den Banktürmen, die irgendwann den Kirchen ihren Rang als Wegmarken abliefen. Die Innenstädte sehen überall auf der Welt allein deshalb (noch) nicht gleich aus, weil das dem Tourismus schaden würde – dem Geschäft mit der Besonderheit von Orten, die im global homogenen Produktionsraum verschwunden ist.

Von Heidegger hat Trawny die fixe Idee übernommen, in der Antike sei alles noch am rechten Fleck gewesen: Damals – mit Hölderlin gesprochen – wohnte der Mensch dichterisch auf dem Grund einer bestimmten Erde. Mythen, Dramen und Kulte organisierten für ihn Raum und Zeit in „Erzählungen, die die Intimität mit der Gemeinschaft verbinden.“ (S. 18)

In der Neuzeit erodiert die Vormacht der Religion, Handel und Wandel treten an ihre Stelle. Der Mythos ist mit dem Holocaust endgültig erledigt, fortan organisiert das rationale Kalkül die ortlos gewordene Welt. Alles, was in ihm möglich ist, wird durch die Trinität von Technik, Kapital und Medium irgendwann notwendig verwirklicht; was im alles bestimmenden und als „TKM“ abgekürzten Universal von Technik, Kapital und Medium unmöglich ist, gibt es auch nicht.

Von Anfang an lief alles auf diese Weltform hinaus, in die TKM das emanzipierte Subjekt, das TKM selbst hervorbrachte, vollständig integriert. Die Welt ist allein ökonomisch determiniert und Ideen wie Freiheit und Verantwortung (oder „Amerika“ und „Demokratie“) entstehen nur aus einem Mangel an Einsicht.

Technik, Kapital und Medium

Wieso Trawny Technik, Kapital und Medium zum Nadelöhr der Realität macht und nicht andere oder vier oder fünf bedeutsame Strukturmomente, bleibt unklar. Willkür ist nicht im Spiel, dafür sind seine Ausführungen zu Technik, Kapital und Medium (und ihrer Wandelbarkeit ineinander) zu fundiert.

Bei Aristoteles war Technik noch ein Hervorbringen und Verwirklichen des Möglichen wie in der Natur, allerdings berechenbar und damit zur zweckgerichteten, endlosen Produktion strebend. Von demselben Aristoteles haben wir das Geflecht von Bewegung und Zeit, das als Geschichte in der instrumentellen Vernunft eine Reihe von Fortschritten ist: Egal von wem – es wird erfunden, was möglich geworden ist. An bestimmten „Schwellensituationen“ zeigt Trawny, wie sich die vorherbestimmte „Umdrehung“ von der poetischen zur mathematisch-technischen „Topologie“ vollzieht: Galileis Teleskop verwirklicht den Beweis des heliozentrischen Weltbilds und setzt die Entzauberung der Welt in Gang. Zuvor hat Gutenberg bereits die (gleichfalls technisch bedingte) Produktion von Öffentlichkeit initiiert. Der religiös-metaphysische Weltbezug wird mit Industrialisierung und Globalisierung vollends abgedrängt. Im Ersten Weltkrieg wird der Mensch zum Anhängsel und Opfer der Maschine. Ernst Jüngers affirmative „Totale Mobilmachung“ (Akzelerationismus avant la lettre...), der sich nichts und niemand entziehen kann, setzt sich in Beschleunigung und Transparenz bis zum Internet fort, in dem Technik und Medium ununterscheidbar werden: eine instrumentell organisierte Ordnung der Dinge, die auch die Sprache technisch macht und offen fürs Kapital ist.

Nämliches ist nach Adam Smith bloßes Wachstum, sofern es in seiner von Karl Marx beschriebenen Bewegung bleibt. Das Kapital ähnelt auch in seiner „schöpferischen Zerstörung“ dem Leben selbst und genießt, wie Trawny in einem Seitenhieb anmerkt, vermutlich darum einen ähnlichen juristischen und psychologischen Schutz.

Nicht nur über die gemeinsame mathematische Rationalität ist Kapital mit Technik und Medium verbunden, sondern auch über die Maschine, in die investiert wird, und über das Geld, das gemäß G-W-G‘ ein Mittel zum Geldmachen ist. Der Kapitalismus bringt nach Joseph Schumpeter „Haltung, Männer und Mittel“ zu seinem Zweck hervor und ist so die treibende Kraft der mathematisch-technisch bedeuteten Welt.

Der Dritte im Bunde ist das Medium, das – wieder nach Aristoteles – als selbst nie wahrnehmbare Mitte zwischen Sehendem und Gesehenem vermittelt. In ihm können Technik und Kapital sich bewegen, aber auch soziale Interaktionen „produziert“ werden, denn das Medium basiert auf Schrift und Sprache, die zu Produktionskanälen werden. Zwischen Mensch und Wirklichkeit steht nach Friedrich Kittler ein „Netzwerk von Techniken und Institutionen“, das nicht mehr bloß vermittelt wie zu Aristoteles Zeiten: Das Medium reguliert die Wirklichkeit und normalisiert das Subjekt im Sinne der Rationalität des Universals TKM.

Wissenschaft, Mensch und Natur

TKM ist die Weltformel. TKM ist universal, total, notwendig und alternativlos. TKM ist das erste Universal, das alle anderen einschließt und hervorbringt. „Was TKM ermöglicht, ist eine Bewegung, in der sich eine Welt entfaltet, die von dieser Bewegung genau organisiert wird.“ (S. 53)

Wissenschaft, Mensch und Natur sind nachgeordnete Universale. Wieder bleibt offen, warum diese und nicht andere, wieder sind diese Abschnitte die weniger abweisenden in Trawnys Buch.

Der Siegeszug der neuzeitlichen Rationalität zeigt sich an der Dominanz der Naturwissenschaft über die nicht-experimentelle Theorie (namentlich Philosophie), die die Natur (poetisch statt mathematisch) als Schöpfung denkt. Das erscheint uns heute als unwissenschaftlich und wie auch anders: TKM organisiert die Universität als Produktionsstätte, in der TKM zu sich kommt und die Mathematisierung der Natur die einzige Methode ist.

Der Mensch erscheint zunächst als intimer, über sich hinaus strebender Leib. Begehren und Bedürfnis bringen ihn zur Produktion und machen ihn zum Vehikel des TKM. Hier legt Trawny eine finstre Volte hin, wenn er beschreibt, wie die Menschenrechte in dem Moment für die weitere Entfaltung von TKM notwendig wurden, in dem Herr und Knecht nicht mehr (in der poetischen Welt) ihren fest zugewiesenen Platz hatten, sondern einander fortan als gleiche Bürger im freien Verkehr begegneten. Das moderne Subjekt emanzipiert sich nicht von TKM, sondern für TKM.

Die Natur – etymologisch das „von selbst werdende“ – bot in der poetischen Welt besondere Orte elementarer Erfahrungen; die technische Rationalität zerlegt und sortiert sie in das Periodensystem der Elemente, die überall gleich sind. TKM treibt der Natur durch ihre Vermessung, Beherrschung und Ausbeutung den Muttermythos aus, scheitert aber an Phänomenen der natürlichen Unverfügbarkeit: Gewalt, Krankheit, Tod und Verfall, aber auch der Eros lassen den Menschen über seine Körperlichkeit die (um der Kommensurabilität willen unbedingt zu therapierende!) Erfahrung machen, dass TKM nicht alles beherrscht, aber halt doch allgegenwärtig wie polychlorierte Biphenyle (PCB) ist. Im Universal TKM wird der Körper für Pornographie „zur Erfüllung eines Phantasiebegehrens“ (S. 72) benutzt und für diesen Zweck zugerichtet. Für Trawny ist das mehr als ein Beispiel, sondern die Pointe: Das Verhältnis des Universals TKM zur Natur ist in diesem Sinne pornographisch.

Schöne neue Welt

Wie bei Marcuse und Han hat die von Trawny beschriebene Weltordnung keinen Urheber, sondern ergibt sich als „prästabilierte Harmonie“. In ihr kann nur bestehen, was ihr entspricht, was auch für das emanzipierte Subjekt gilt, das durch TKM möglich und notwendig wird.

Dient die Zahl der Quantifizierung und Beherrschung, dann ist Geld das Medium, das Quantität wieder in Qualität umschlagen lässt. Die einzige bedeutsame Unterscheidung in dieser Welt ist die zwischen arm und reich, also zwischen ohnmächtig und frei. Konsum verzaubert die Welt aufs Neue, indem er eine genussvolle unio mystica mit TKM verspricht.

Für die Dynamik ist es egal, wer gehorcht, solange gehorcht wird. „Einzigartig“ zu sein oder eine andere als die zweckorientierte „pragmatisierte Rationalität“ zu verfolgen ist erlaubt, aber unnötig. Das Subjekt kann ohnehin nur verwirklichen, was in TKM determiniert ist. TKM belohnt und straft wie ein Gottvater, der als Über-Ich in jedem von uns seine regulative Wirkung entfaltet: Subjekte, Theorien und Gesellschaften sind erfolgreich, wenn sie TKM entsprechen.

Alles andere ist – wie die von TKM hervorgebrachten „Anachronismen“ (Priester, Gesellschaftskritiker, Buchrezensenten) – zu einer Randexistenz verdammt. In und durch das Überholte, das jede Erzählung unter TKM nur noch sein kann, meldet sich noch einmal der poetische Weltbezug störend zu Wort, etwa als Nationalismus, Fundamentalismus oder Lob des einfachen Lebens. Mit den Mitteln der Gegenwart kritisieren Anachronismen diese Gegenwart im Namen von Ideen, die scheinbar immun gegen TKM sind, und helfen als „ein schöner Zombie, ein lasziver Untoter“ die sinn- und ortlose TKM-Welt ein bisschen wenig kalt und abweisend erscheinen zu lassen. Das Universal bietet unzählige Möglichkeiten der erfolgreichen Integration etwa als Konsumkritiker, zu denen Trawny auch Naomi Klein zählt, die als Beispiel für das gute Leben im falschen dient.

Den sozialen Frieden wahrt TKM – trotz der massenhaften Produktion von Armut und Ohnmacht – mit technischer Bewegungsfreiheit: Jeder kann sich ein Smartphone leisten, hält sich für ein emanzipiertes Subjekt und den persönlichen Lebensstil für eine Wahl. TKM bestätigt jeden in dieser Auffassung und kümmert sich: TKM organisiert in der „Pathokratie“ die Affekte, produziert eine darauf abgestimmte Warenwelt und bietet gegen jede Angst die passende Versicherung. TKM erscheint wie ein Gott, der mit „maximaler Verfügungs- und Genussmacht“ (S. 141) lockt und mit Scheitern, Vereinsamung und Armut droht. Das Subjekt versinkt darob in Apathie, in der ihm TKM via Hollywood mit normalisiertem Emotionsersatz beisteht und technische Objekte verkauft, die wie ein Fetisch affektiv aufgeladen werden und die Triebökonomie regulieren helfen.

Diese Weltform ist für ihren Bestand nicht auf Gewalt angewiesen. Sie streut die ihr inhärente Gewalt etwa als Armut in geringen Dosen, die lähmen statt Widerstand hervorzurufen. Dazu passt die von TKM determinierte „Pragma-Politik“, die so zahlenorientiert, effizient und prinzipienlos verwaltet, dass die Automatisierung dieses Geschäfts nur noch eine Frage der Zeit ist.

Revolutionen sind unwahrscheinlich geworden, zumal sie sich stets als Teil der Dynamik des durch TKM bedeuteten Weltenlaufs ereignen. TKM wäre allenfalls durch „externe Krisen“ wie eine Pandemie oder einen Asteroideneinschlag zu erschüttern: Wenn die vielen Ohnmächtigen wirklich zu hungern begönnen, schlüge die Ungleichheit, die das System am Laufen hält, in chaotische Gewalt um. Der Weg in diese letzte Revolution und ihre „apokalyptische Reduktion“ ist laut Trawny auch schon vorgezeichnet.

Der Kollaps kommt (nicht)!

Trawny betont wiederum beharrlich die Ewigkeit des Universals TKM, das sich unabhängig vom Menschen überall entfaltet, wo Intelligenz entsteht. TKM hat weder einen Ausweg noch eine innere Schranke, auch wenn sich Trawny die materiellen Grenzen des Fortschritts mit einem Blick ins Jahr 11014 ausmalt: Schon heute haben Museeen Platzprobleme – wohin sollen all die Werke der nächsten 9.000 Jahre? Und die postmoderne Frage, was in der Kunst überhaupt noch möglich sein soll, wird ähnlich drängend wie die, ob Geschichtsschreibung bei solchen Zeiträumen mehr noch sein kann als Dokumentation und Ablage.

In seiner ontologischen Analyse des Universal TKM enthält sich Trawny jeder Bewertung. Es ist unsinning, die Kugelgestalt der Erde gut oder schlecht zu finden; es ist einfach so, dass sich halbwegs ungestörte Materieansammlungen im All diese Form fügen.

Es geht auch nichts verloren durch die Dominanz des technischen Kalküls. Eine libidinöse Besetzung der Umwelt, Poesie und Intimität, der Trawny 2013 sein Buch „Ins Wasser geschrieben“ widmete, gibt es weiterhin. Die Welt wird nicht mehr so bedeutet, doch Intimität ist „eine tempörare Befreiung vom Universal TKM“ (S. 27) etwa als „an-archische Begegnung“. Sie ist eine Annäherung an den Ursprung, aus dem die mathematische und die poetische Weltbedeutung hervorgingen. Diese besonderen Momente haben eine eigene Zeitlichkeit, eine andere Freiheit als die unterm Universal TKM und einen anderen qualitativen Überfluss. Aber sie sind kurz.

Eine Alternative gäbe es nur jenseits dieser von TKM durchherrschten Welt, die von der Apokalypse so weit entfernt ist wie vom Paradies. „Diese Unmöglichkeit ist der Ort der Philosophie.“ (S. 78) Auch diese Atopie des Unmöglichen, das nicht produziert und Wirklichkeit verweigert, bietet eine eigene Freiheit und Unerschöpflichkeit. Aber man mache sich keine falschen Hoffnungen: Auch die Philosophie – erst recht in ihrer Schwundstufe als „Beratungswissenschaft“ – bleibt Teil des TKM, so sehr sie der Dynamik des Universals auch in ihren Sternstunden zuwider läuft. Die Philosophie ist in der Ortlosigkeit zu Hause. Trawny findet für das Undenkbare, bloß Erahnbare im Vorwort dieses Bild: „Teile des Buches sind im Februar 2013 auf einer Kreuzfahrt der MSC Poesia (!) in der Karibik entstanden. Das Schiff umrundete Kuba, ohne in Havanna anzulegen. Die Insel blieb unerreichbar.“ (S. 13)

„Wer dunkel schreibt, hat es gut, …

...er wird interpretiert. Alle anderen haben bloß Leser“, urteilte Camus ganz recht.

Die Befunde über die „Absperrung des Universums der Rede“, die „repressive Entsublimierung“ und das falsche Leben im goldenen Käfig des Spätkapitalismus, an dem alle – auch seine Kritiker und Opfer – ob sie wollen oder nicht mittun, waren vor 50 Jahren bei Marcuse zu lesen, auf den Trawny gleich in seiner ersten Anmerkung verweist. Von diesem Klassiker unterscheidet er sich durch seinen ontologisch-metaphysischen Anspruch einerseits und den Defätismus andererseits: Sah Marcuse noch in der Kunst und in der großen Weigerung etwas Hoffnung glimmen, lässt Trawny die Illusion einer Alternative gar nicht erst aufkommen.

Das ist redlich, aber für manche Leserin nur eine weitere Zumutung dieses an Zumutungen nicht armen Buchs. Trawny hat sein Thema, aber noch nicht seinen Stil gefunden. Die Kapitel unterscheiden sich in Form, Sprache und Dichte deutlich: Manche lesen sich wie ein anspruchsvoller Feuilletonessay, andere kommen wie eine sehr eigenwillige Predigt daher, so die philosophisch-aphoristische Meditation über die „unvordenkliche Voranfänglichkeit“ des Universals [sic!], in dem der unerreichbare Ursinn des „es gibt“ liegt. Wenn Trawny Sätze schreibt wie „Die vier Universale sind Universalisierungen der einen Universalität.“ (S. 76), dann erinnert das an Heideggerismen wie „das Gering des Rings“ und das „dingende Ding“.

Trawny hat – in seinen Worten – „ein der Zeit angemessenes, aber unzeitgemäßes Lob der Philosophie“ (S. 13) vorgelegt. Das ist richtig, versteht man Philosophie als Gedanken über eine schwer verständliche Welt, die noch schwerer zu verstehen sind. Dass für die Zahl ihrer Leser das gilt, was Enzensberger mal über die Zahl von Lyrikinteressierten schrieb, kann Trawny als Bestätigung der These seines Buchs nehmen.

Artikel online seit 15.08.16

 

Peter Trawny
Technik.Kapital.Medium
Das Universale und die Freiheit
Matthes & Seitz Berlin 2015
191 Seiten
22,90 €
978-3-95757-091-8

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