Ein paar Bemerkungen zu
Margarethe von Trottas Film
»Hannah Arendt« und einige Büchern zum Thema.
Von Karl Martin
Die inszenierte Auseinandersetzung, welche in diesen Tagen um den Verleger der Wochenzeitschrift
»Der
Freitag«, Jakob Augstein, wegen seiner Kritik an der Regierung Netanjahu durch die
jeweiligen Lager-Medien abgewickelt worden ist, blieb weniger als der Hauch eines laues Lüftchen im
Vergleich zu dem Bullshit-Orkan aus Entrüstung und Hass, der damals über
Hannah Arendt
hereingebrochen war, nachdem der
New Yorker
ihre
Artikelserie über den
Eichmann-Prozeß
gedruckt hatte und 1963 ihr Buch »Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der
Banalität des Bösen« in den USA erschienen war.
Seit 10. Januar diesen Jahres läuft nun
Margarethe von Trottas Film »Hannah Arendt« in den deutschen Kinos.
Anders, als es der einfallsreiche Titel vermuten läßt, handelt sich dabei
allerdings nicht um ein heute gerne sogenanntes Biopic, sondern um die
konzentrierte Charakterstudie jener
deutsch-jüdischen Denkerin, deren Arbeiten zur Totalitarismus-Forschung bis
heute Maßstäbe gesetzt haben, und die als streitbare Vor- und Nachdenkerin nicht
nur auf dem Feld der politischen Theorie eine Lücke hinterlassen hat, die bis
heute nicht gleichwertig geschlossen werden konnte.
Am 11. Mai
1960 spürte der Mossad und der Nachrichtendienst Lakam den ehemaligen
SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der im Dritten Reich die Deportationen
der Juden in die Vernichtungslager organisiert hatte, in San Fernando, einem
Stadtteil von Buenos Aires in Argentinien auf. Das Kommando unter der Leitung
von
Rafi Eitan entführte ihn am 22. Mai nach Israel, wo am nächsten Tag der
Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde.
Hannah Arendt bot dem Magazin The New Yorker an, über den Prozess in
Jerusalem zu
berichten und Herausgeber William Shawn (Nicholas Woodeson) nutzte die
Gelegenheit, mit der berühmten Philosophin als Autorin dem Magazin eine neue
Qualität zu verleihen. Als Hannah Arendt ihrem intellektuellen Freundeskreis,
den sie »tribe« nennt, ihr Vorhaben berichtete, befürchtete vor allem Heinrich
Blücher, dass der Prozess seine Frau emotional zu stark belasten könne. Diese
ließ sich jedoch nicht umstimmen, bot ihr der Prozeß doch die letzte
Gelegenheit, einem verantwortlichen Nazi zu begegnen und seinen Charakter zu
verstehen.
Im April 1961 reiste Hannah nach Jerusalem, um den Eichmann-Prozeß zu beobachten
und nach zwei Jahren umfangreicher Recherchen, vielen Debatten mit ihren
Freundinnen Mary McCarthy (Janet McTeer), Lotte Köhler (Julia Jentsch) und
natürlich Heinrich Blücher, lieferte Hannah Arendt ihr Manuskript ab.
Die Veröffentlichung ihrer
Artikelserie im The New Yorker provozierte sofort den eingangs erwähnten
Sturm der Entrüstung in den USA, Israel und schließlich weltweit. Nicht nur Hans
Jonas und Kurt Blumenfeld kündigten ihr darauf die Freundschaft, auch Kollegen
aus der Universität kritisierten sie heftig. Sie erhielt Briefe mit
Beschimpfungen, wurde als »Nazihure« beleidigt und handfest bedroht. Ihre
akademische Karriere war elementar gefährdet. Vom Mossad wurde sie massiv
genötigt, die geplante Veröffentlichung ihres heute berühmten Buches »Eichmann
in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen« aufzugeben.
Stein des Antoßes bis in unsere Tage sind neben ihrer Beschreibung Eichmanns u.a.
als
»Hanswurst«, dem man »beim besten Willen keine teuflisch-dämonische Tiefe
abgewinnen« könne, vor allem jene knapp 10 Seiten ihrer Artikelserie und des
darauf folgenden Buches, in dem sie sich sehr kritisch mit der Rolle der
Judenräte im Holocaust auseinandersetzt. »Diese Rolle der jüdischen Führer
bei der Zerstörung ihres eigenen Volkes ist für Juden zweifellos das dunkelste
Kapitel in der ganzen dunklen Geschichte.« (EiJ
S.209.)
Barbara Sukowa als Hannah Arendt und Axel Milberg als ihr Ehemann Heinrich
Blücher verkörpern überzeugend jenes deutsch-jüdische Intellektuellenpaar, das
sich, 20 Jahre nach seiner Emigration in die USA, Anfang der 60er Jahre im New
Yorker Hochschulmilieu etabliert hatte. Der Film bietet die intensive Begegnung
mit der im besten Sinne eigensinnigen Denkerin, couragierten Frau und begnadeten
Kettenraucherin Hannah Arendt, der Barbara Sukowa gegen Ende des Filmes vor
einem überfüllten Hörsaal mit einem grandiosen Monolog von einer Zigarettenlänge
ein kleines Denkmal gesetzt hat.
Hannah Arendt - Ein Porträt
Hannah Arendt
Regie: Margarethe von Trotta
Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia
Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff,
Klaus Pohl, Nicholas Woodeson u. a.
Land/Jahr: Luxemburg, Deutschland, USA, Israel / 2012
»›Hannah
Arendt‹ war der schwierigste Film, den ich je gemacht habe«, sagt
Margarethe von Trotta. Die große Denkerin Hannah Arendt fühlte sich
zeitlebens nur ihrem eigenen Verstand verpflichtet. Sich ihr zu
nähern heißt für Trotta daher, »einem Menschen beim Denken
zuzuschauen«. Das Begleitbuch eröffnet einen Blick hinter die
Kulissen des Films und erzählt die spannende Geschichte seiner
Entstehung.
Hannah Arendt Ihr Denken
veränderte die Welt 256 Seiten -
Kartoniert
€ 9,99 [D], € 10,30 [A], sFr 14,90
9783492301756
Der
Fluch der Gleichgültigkeit. Arendt nimmt hier ihre Idee von der »Banalität des Bösen« wieder
auf. Sie denkt über Ethik und Moral, Gut und Böse nach. Ein starker
Text von ungebrochener Aktualität.
Über das Böse Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik
Aus dem Nachlaß herausgegeben von Jerome Kohn.
Nachwort von Franziska Augstein
Aus dem Englischen von Ursula Ludz 208
Seiten - Kartoniert
€ 9,99 [D], € 10,30 [A], sFr 14,90
9783492250634 Ursula
Ludz, Hannah Arendt
Menschen in finsteren Zeiten 384
Seiten
Kartoniert
€ 12,99 [D], € 13,40 [A], sFr 18,90 9783492274913
Arendt porträtiert Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Karl
Jaspers, Bertolt Brecht, Walter Benjamin und Tania Blixen:
»Gemeinsam ist allen das Zeitalter, in das ihre Lebenszeit fiel, die
Welt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren politischen
Katastrophen, moralischen Desastern und einer erstaunlichen
Entwicklung von Kunst und Wissenschaft.«
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Warum das Denken verlernt werden muss, um Eichmann als empörend dummen Hanswurst
zu identifizieren.
Marie Luise Knott Verlernen
Denkwege bei Hannah Arendt
Mit Zeichnungen von Nanne Meyer
152 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
978-3-88221-605-9
€ 19,90 / CHF 30,50
Hannah
Arendt /
Gershom Scholem Der Briefwechsel -
1939-1964
Hg. von Marie Luise Knott unter Mitarbeit von David
Heredia
Mit ca. 20 Abbildungen
Suhrkamp
695 Seiten,
39,90 €
978-3-633-54234-5