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Artikel online seit 13.01.13

Charakterstudie einer Denkerin

Ein paar Bemerkungen zu
Margarethe von Trottas Film
»Hannah Arendt« und einige Büchern zum Thema.


Von Karl Martin






 

Die inszenierte Auseinandersetzung, welche in diesen Tagen um den Verleger der Wochenzeitschrift »Der Freitag«, Jakob Augstein, wegen seiner Kritik an der Regierung Netanjahu durch die jeweiligen Lager-Medien abgewickelt worden ist, blieb weniger als der Hauch eines laues Lüftchen im Vergleich zu dem Bullshit-Orkan aus Entrüstung und Hass, der damals über Hannah Arendt hereingebrochen war, nachdem der New Yorker ihre Artikelserie über den Eichmann-Prozeß gedruckt hatte und 1963 ihr Buch »Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen« in den USA erschienen war.



Seit 10. Januar diesen Jahres läuft nun Margarethe von Trottas Film »Hannah Arendt« in den deutschen Kinos. Anders, als es der einfallsreiche Titel vermuten läßt, handelt sich dabei allerdings nicht um ein heute gerne sogenanntes Biopic, sondern um die konzentrierte Charakterstudie jener deutsch-jüdischen Denkerin, deren Arbeiten zur Totalitarismus-Forschung bis heute Maßstäbe gesetzt haben, und die als streitbare Vor- und Nachdenkerin nicht nur auf dem Feld der politischen Theorie eine Lücke hinterlassen hat, die bis heute nicht gleichwertig geschlossen werden konnte.

Am 11. Mai 1960 spürte der Mossad und der Nachrichtendienst Lakam den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der im Dritten Reich die Deportationen der Juden in die Vernichtungslager organisiert hatte, in San Fernando, einem Stadtteil von Buenos Aires in Argentinien auf. Das Kommando unter der Leitung von Rafi Eitan entführte ihn am 22. Mai nach Israel, wo am nächsten Tag der Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde.

Hannah Arendt bot dem Magazin The New Yorker an, über den Prozess in Jerusalem
zu berichten und Herausgeber William Shawn (Nicholas Woodeson) nutzte die Gelegenheit, mit der berühmten Philosophin als Autorin dem Magazin eine neue Qualität zu verleihen. Als Hannah Arendt ihrem intellektuellen Freundeskreis, den sie »tribe« nennt, ihr Vorhaben berichtete, befürchtete vor allem Heinrich Blücher, dass der Prozess seine Frau emotional zu stark belasten könne. Diese ließ sich jedoch nicht umstimmen, bot ihr der Prozeß doch die letzte Gelegenheit, einem verantwortlichen Nazi zu begegnen und seinen Charakter zu verstehen.

Im April 1961 reiste Hannah nach Jerusalem, um den Eichmann-Prozeß zu beobachten und nach zwei Jahren umfangreicher Recherchen, vielen Debatten mit ihren Freundinnen Mary McCarthy (Janet McTeer), Lotte Köhler (Julia Jentsch) und natürlich Heinrich Blücher, lieferte Hannah Arendt ihr Manuskript ab.

Die Veröffentlichung ihrer Artikelserie im The New Yorker provozierte sofort den eingangs erwähnten Sturm der Entrüstung in den USA, Israel und schließlich weltweit. Nicht nur Hans Jonas und Kurt Blumenfeld kündigten ihr darauf die Freundschaft, auch Kollegen aus der Universität kritisierten sie heftig. Sie erhielt Briefe mit Beschimpfungen, wurde als »Nazihure« beleidigt und handfest bedroht. Ihre akademische Karriere war elementar gefährdet. Vom Mossad wurde sie massiv genötigt, die geplante Veröffentlichung ihres heute berühmten Buches »Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen« aufzugeben.

Stein des Antoßes bis in unsere Tage sind neben ihrer Beschreibung Eichmanns u.a. als »Hanswurst«, dem man »beim besten Willen keine teuflisch-dämonische Tiefe abgewinnen« könne, vor allem jene knapp 10 Seiten ihrer Artikelserie und des darauf folgenden Buches, in dem sie sich sehr kritisch mit der Rolle der Judenräte im Holocaust auseinandersetzt. »Diese Rolle der jüdischen Führer bei der Zerstörung ihres eigenen Volkes ist für Juden zweifellos das dunkelste Kapitel in der ganzen dunklen Geschichte.« (EiJ S.209.)

Barbara Sukowa als Hannah Arendt und Axel Milberg als ihr Ehemann Heinrich Blücher verkörpern überzeugend jenes deutsch-jüdische Intellektuellenpaar, das sich, 20 Jahre nach seiner Emigration in die USA, Anfang der 60er Jahre im New Yorker Hochschulmilieu etabliert hatte. Der Film bietet die intensive Begegnung mit der im besten Sinne eigensinnigen Denkerin, couragierten Frau und begnadeten Kettenraucherin Hannah Arendt, der Barbara Sukowa gegen Ende des Filmes vor einem überfüllten Hörsaal mit einem grandiosen Monolog von einer Zigarettenlänge ein kleines Denkmal gesetzt hat.

Hannah Arendt - Ein Porträt

 
 

Hannah Arendt
Regie: Margarethe von Trotta
Darsteller: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff, Klaus Pohl, Nicholas Woodeson u. a.
Land/Jahr: Luxemburg, Deutschland, USA, Israel / 2012


»›Hannah Arendt‹ war der schwierigste Film, den ich je gemacht habe«, sagt Margarethe von Trotta. Die große Denkerin Hannah Arendt fühlte sich zeitlebens nur ihrem eigenen Verstand verpflichtet. Sich ihr zu nähern heißt für Trotta daher, »einem Menschen beim Denken zuzuschauen«. Das Begleitbuch eröffnet einen Blick hinter die Kulissen des Films und erzählt die spannende Geschichte seiner Entstehung.

Hannah Arendt
Ihr Denken veränderte die Welt
256 Seiten - Kartoniert
€ 9,99 [D], € 10,30 [A], sFr 14,90
9783492301756

Der Fluch der Gleichgültigkeit.
Arendt nimmt hier ihre Idee von der »Banalität des Bösen« wieder auf. Sie denkt über Ethik und Moral, Gut und Böse nach. Ein starker Text von ungebrochener Aktualität.


Üb
er das Böse
Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik
Aus dem Nachlaß herausgegeben von Jerome Kohn.
Nachwort von Franziska Augstein
Aus dem Englischen von Ursula Ludz
208 Seiten - Kartoniert
€ 9,99 [D], € 10,30 [A], sFr 14,90
9783492250634

Ursula Ludz, Hannah Arendt
Menschen in finsteren Zeiten
384 Seiten
Kartoniert
€ 12,99 [D], € 13,40 [A], sFr 18,90 9783492274913

Arendt porträtiert Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Karl Jaspers, Bertolt Brecht, Walter Benjamin und Tania Blixen: »Gemeinsam ist allen das Zeitalter, in das ihre Lebenszeit fiel, die Welt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren politischen Katastrophen, moralischen Desastern und einer erstaunlichen Entwicklung von Kunst und Wissenschaft.«

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Das Böse der Lächerlichkeit preisgeben
Von Thomas Hummitzsch
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Warum das Denken verlernt werden muss, um Eichmann als empörend dummen Hanswurst zu identifizieren.



Marie Luise Knott
Verlernen
Denkwege bei Hannah Arendt
Mit Zeichnungen von Nanne Meyer
152 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
978-3-88221-605-9
€ 19,90 / CHF 30,50


Hannah Arendt /
Gershom Scholem
Der Briefwechsel -
1939-1964

Hg. von Marie Luise Knott unter Mitarbeit von David Heredia
Mit ca. 20 Abbildungen
Suhrkamp
695 Seiten, 39,90 €
978-3-633-54234-5  

Leseprobe



 


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