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Ein
Flaneur auf dem Fahrrad
Inspirierende Radtouren mit David Byrne durch 9 Weltstädte.
Von Stefan
Geyer
David Byrne ist ein vielbeschäftigter Mann. Der Endfünfziger ist Musiker,
ehemals Mastermind der Talking Heads, Produzent und bildender Künstler. Diese
Tätigkeiten führen ihn rund um die Welt, zu Konzerten und Ausstellungen. Und er
ist Flaneur, ein moderner Flaneur, einer mit dem Fahrrad. Byrne ist
leidenschaftlicher Radfahrer und so hat er sein Faltrad auf allen seinen Reisen
in die Metropolen der Welt dabei.
Er nimmt uns unter anderem mit nach Berlin, New York, Manila, San Francisco,
London, Sydney, er fährt Rad in Städten, in denen das sonst niemand tut, wie z.
B. in Istanbul und Buenos Aires. Seine Begründung ist einleuchtend: […]
ich schätze die Fahrradperspektive und die Freiheit offenbar mehr, als mir klar
ist. Ich bin süchtiger, als ich mir eingestehe (S. 163). Auf all
diesen Erkundungsfahrten tut er das, was ein Flaneur so tut – er beobachtet und
denkt nach. Diese Gedanken und Beobachtungen hat er jetzt aufgeschrieben und so
ist David Byrnes Buch „Bicycle Diaries“ voll mit seinen Erkenntnissen zu
Architektur, Stadtplanung, Gentrifizierung, Verkehr und natürlich Kunst und
Musik. Das sind keine revolutionären, nie gehörte Gedanken, aber es sind
Gedanken, die vielleicht nur ein Radfahrer haben kann. Der Radfahrer ist
aufmerksamer, sieht mehr und nimmt mehr wahr, als Autofahrer mit ihrem
begrenzten Blick. Des Radfahrers Nase umweht der Wind der Freiheit. So bleibt
auch der Kopf frei.
Natürlich kann man Byrne nur zustimmen, wenn er in Istanbul das Verschwinden
ganzer Stadtviertel mit ihren Holzbauten zugunsten „moderner“ Bauten im Stil
einer „globalen Architektur“ beklagt. Einer Architektur, die auf lokale und
historische Gegebenheiten keine Rücksicht nimmt und die überall auf der Welt
anzutreffen ist. Ebenso spendet man leise Applaus, wenn er, angesichts des
Niedergangs der Stadt Detroit und der Krise des Autokonzerns General Motors,
empfiehlt, das komplette Management gegen Manager aus Japan und Korea
auszutauschen – die wüssten wenigstens, wie man sparsame Autos baut.
In Buenos Aires trifft Byrne, nicht unerwartet, auf dasselbe Phänomen wie in New
York und vielen anderen Metropolen der Welt – Gentrifizierung. Leute mit kleinen
Einkommen, Künstler, ziehen in die Vorstädte, weil sie die steigenden Mieten in
den Innenstadtbezirken nicht mehr aufbringen können. Und natürlich begegnet ihm
der Tango, dem im Buenos Aires Kapitel naturgemäß viel Platz eingeräumt wird.
Und ihm begegnet der Fußball, indirekt. Im Fernsehen läuft das WM Spiel Mexiko
gegen Argentinien – und so hat Byrne für eine gewisse Zeit die Stadt fast für
sich alleine.
Man fragt sich was, um alles in der Welt, jemand veranlassen könnte, nach
Australien zu reisen, wenn man Byrne nach Sydney folgt und seinen Schilderungen
der feindlichen Flora und Fauna des Landes, die ihn daran erinnert,
dass die Menschen der Natur schnuppe sind (S. 208). Nicht so David
Byrne, nach vielen Besuchen hat er den Kontinent lieben gelernt, nicht zuletzt
deshalb, weil es sich in seinen Städten so trefflich Radfahren lässt.
Berlin scheint Byrnes Fahrradparadies zu sein. Er ist entzückt von den vielen
Radfahrern, den guten Radwegen und der Disziplin und Rücksichtnahme, die
Fußgänger, Autofahrer und Radfahrer aufbringen. Selbst an roten Ampeln blieben
alle stehen. Jeder, der schon mal in Berlin Rad gefahren ist, weiß, dass dem
nicht so ist. Aber vielleicht entsteht dieser Eindruck, wenn man meist in New
York mit dem Rad unterwegs ist. Es sei ihm verziehen. Verglichen mit den anderen
Metropolen der Welt, in denen David Byrne mit dem Rad unterwegs war, ist Berlin
wahrscheinlich schon so etwas wie ein Fahrradparadies. Verzeihen wollen wir ihm
auch, dass er aus dem, mittlerweile abgerissenen, Palast der Republik das
Hauptquartier der SED macht und ihn auch gleich noch an den Alexanderplatz
verlegt.
Das letzte Kapitel ist David Byrnes Wohnort New York gewidmet, einer Stadt, die
sich langsam für Radfahrer öffnet. Immer mehr Radwege werden angelegt und immer
mehr New Yorker nutzen das Rad, nicht nur die wagemutigen Fahrradkuriere. Byrne
hat für seine Stadt verschiedene Fahrradständer entworfen, immer entsprechend
dem Ort, an dem sie aufgestellt werden sollen. Ein solcher Ständer in Form eines
Damenschuhs steht z. B. vor einem Luxuskaufhaus, für Greenwich Village hat er
einen gitarrenförmigen entworfen, für die Bowery eine Flasche. Alle sind
Unikate, kleine Kunstwerke, die das Image des Fahrrads verbessern helfen.
Im Epilog beschäftigt sich der Autor noch mit der Zukunft des Verkehrs, die er
naturgemäß im Fahrrad sieht. Er führt unter anderem positive Beispiele aus aller
Welt an, in denen sich Städte, wie z. B. Bogotá oder auch Paris bewußt für eine
Förderung des Radverkehrs entschieden haben, mit guten Erfolgen.
Byrne fährt nicht Rad, weil es ökologisch und vernünftig ist, sondern
hauptsächlich,
weil es mir
ein berauschendes Gefühl von Freiheit vermittelt (S. 330). Und:
Es ist das befreiende Gefühl – das physische und psychische Empfinden -, das
überzeugender ist als jedes praktische Argument. Allein die Perspektive, die der
Höhe von Fußgängern, Straßenverkäufern und Schaufenstern entspricht, verbunden
mit einer Fortbewegungsweise, bei der man sich nicht ganz vom Straßenleben
ausgenommen fühlt, ist pures Vergnügen (S. 349). David Byrne ist
also Radfahrer aus Vergnügen und daher kommt sein Buch auch ohne jeden
moralischen Zeigefinger aus.
Es macht Spaß mit David Byrne durch die Metropolen der Welt zu radeln und seinen
wachen, witzigen und klugen Gedanken zu folgen, den Gedanken eines Flaneurs,
eines Flaneurs auf dem Fahrrad. Stefan Geyer
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David Byrne
Bicycle Diaries
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit
S. Fischer Verlag
386 Seiten
19,95 €
Leseprobe
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