Die Paradoxie, daß Beckmanns Exil-Jahre in Amsterdam, überwiegend begleitet
von elementarsten Ängsten und Entbehrungen, seine werkgeschichtlich
schöpferisch reichsten waren, belegt keinesfalls die bei Kritikern
beliebte These, daß ein Künstler leiden müsse, um wirklich Großes
schaffen zu können.
Der in seiner Heimat als 'entartet' gebranntmarkte
deutsche Maler hätte gerne darauf verzichtet, in seinem zum Atelier
umfunktionierten ehemaligen Tabaksspeicher, ohne Heizung und die
geliebten Zigarren
vor der Leinwand stehen zu müssen, während über ihn deutsche und
alliierte Bomber- und Jagdgeschwader auf dem Weg zu ihren Einsätzen
hinwegdröhnten.
Die Zweizimmerwohnung am Rokin 85 in der Amsterdamer Innenstadt und sein
Atelier waren keinesfalls sichere Inseln in den von den Nazis besetzten
Niederlanden. Beckmann und seine Frau mußten damit rechnen bespitzelt zu
werden, und konnten sich mit Rücksicht auf ihre Familienangehörigen
'daheim im Reich' keine Auffälligkeiten leisten. So skizzieren denn auch
Beckmanns lakonische Tagebuchaufzeichnungen eindrucksvoll das in vieler
Hinsicht entbehrungsreiche Leben als Mensch und Künstler, das mit dem
vergleichsweise beschaulichen Dasein Manns & Brechts in Kalifornien
nichts gemein hatte.
»Tagebucheintrag, Freitag. 22.September 1944.
Todesangst? Mais oui – und auch ein etwas groteskes Gefühl wie eine fast
fremde Verantwortung für das in mir vorhandene positive Element. Die
letzte Position war völlige Verzweiflung an irgendeinem Sinn der Welt.«
Umso
erstaunlicher erscheint Beckmanns durchaus erschütterbarer
Selbstbehauptungswille, und seine trotzige Lebenslust, die ihn
selbst nach »Ladenschluß« (Sperrstunde) und sogar während des Luftalarms
seine Stammkneipe, das nahegelegene »Kaperschip« und andere
Etablissements aufsuchen ließ, in denen auch während der Besatzung
Varieté- und Musikvorstellungen geboten wurden.
»Tagebucheintrag, 02.November 1942.
Abends trotz Verbot mit elektrischem Licht, ohne Verdunkelung
gearbeitet.«
Immer
wieder taucht in Beckmanns Briefen, Tagebüchern und Reden das Motiv der
Selbstbehauptung des Künstlers gegen die Barbarei und das Nichts auf.
Für ihn manifestiert in der Rolle des Malers als Illustrator eines
absurden Welttheaters.
»Tagebucheintrag,
Dienstag 27. Juni 1944.
Vom gelinden Wahnsinn leicht getrieben tänzelt die Menschheit von Blume
zu Blume. Andere retten sich durch Zaubersprünge vor dem Entsetzen des
Nichts.«
Beckmanns philosophische Kraftquellen, die ihm bei der Überwindung
dieser tief empfundenen Absurdität alles Seins in der Vollendung seiner
Gemälde zur Seite standen, waren u.a. immer wieder Schopenhauer,
buddhistische Schriften und die Kabbala. In seiner Rede Ȇber meine
Malerei«, die er anläßlich der Ausstellung 'Twentieth
Century German Art' in den New Burlington Galleries, London am 21. Juli
1938 hielt, offenbart er sein Credo als Maler eindrucksvoll:
»Worauf es mir in meiner Arbeit
besonders ankommt, ist die Idealität, die sich hinter der scheinbaren
Realität befindet. - - - Ich suche aus der gegebenen Gegenwart die
Brücke zum Unsichtbaren - - -ähnlich wie ein berühmter Kabbalist es
einmal gesagt hat: 'Willst du das Unsichtbare fassen, - dringe so tief
du kannst ein – in das Sichtbare' - - -
Es handelt sich für mich immer wieder darum, die Magie der Realität zu
erfassen, und diese Realität in Malerei zu übersetzen. - Das Unsichtbare
sichtbar machen durch die Realität. – Das mag vielleicht paradox
klingen, - es ist aber wirklich die Realität – die das
eigentliche Mysterium des Daseins bildet!
Entscheidend hilft mir dabei die Durchtastung des Raumes. – Höhe, -
Breite und Tiefe in die Fläche zu
übertragen, sodaß aus diesen drei Raumgegebenheiten
sich die abstrakte Bildfläche des Raums gestaltet, die mir Sicherheit
gibt gegen die Unendlichkeit des Raumes. – Meine Figuren kommen
und gehen wie sie mir Glück und Unglück bieten. – Ich aber versuche sie
festzuhalten in der Entkleidung ihrer scheinbaren Zufälligkeit. Das
einmalige und unsterbliche Ego zu finden – in Tieren und Menschen – in
Himmel und Hölle, die zusammen die Welt ergeben, in der wir leben.
Raum - - - - - Raum - - und nochmals Raum - - die
unendliche Gottheit, die uns umgibt und in der wir selber sind.«
(Aus: Die Realität der Träume in Bildern,
Reclam, Leipzig)
Steht
man heute vor Max Beckmanns Gemälden, offenbart sich die Kraft dieses
von ihm beschriebenen Raumes unmittelbar. Und das große
Publikumsinteresse an den Arbeiten Max Beckmanns belegt, daß es offenbar
eine Sehnsucht gibt, mit diesen Raum in Berührung zu kommen und die
ebenso verstörende wie tröstende Kraft seiner Bilder zu spüren. Leider,
oder Gottseidank ist dieser Raum nicht beliebig reproduzier- und
konsumierbar (Hallo, Walter Benjamin).
Den Abbildungen seiner Gemälde fehlt trotz größtmöglicher
drucktechnischer Qualität eben jene magische Dimension, die sich nur im Auge
und Herzen des Betrachters vor Ort in der Konfrontation mit dem Original
einstellt.
Max Beckmann starb am 27. Dezember 1950 während eines Spazierganges in
New York an einem Herzschlag. Für mich war und ist er der bedeutendste
lebende deutsche Maler, da können andere ihre Bilder drehen und wenden,
wie sie wollen. Herbert Debes
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Copyright für alle Abbildungen Pinakothek der Moderne, München
Katalog zur Ausstellung:
Max Beckmann
Exil in Amsterdam
Hrsg. Pinakothek der Moderne, Munich,
Text von Carla Schulz-Hoffmann, Christian Lenz, Beatrice von Bormann u.a.
Hatje Cantz
440 Seiten, 273 Abb.,
davon 231 farbig, 42 in Duplex
25,00 x 30,70 cm, gebunden mit Schutzumschlag,
ISBN 978-3-7757-1837-0
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