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Der
Wichtel vom Fichtelgebirge
Über Michael Buselmeiers bezaubernden
Theaterroman »Wunsiedel«
Von Sigrid Lüdke-Haertel
Der Schriftsteller Michael Buselmeier war einmal Schauspieler gewesen - und
jetzt ist er, zurecht, auf der Short-List für den Deutschen Buchpreis 2011
gelandet. Sein Held Schoppe, nach einer Figur in Jean Pauls Riesenroman »Titan«
genannt, ist die literarische Erscheinungsform des Autors. 1989 war er in dem
»Landroman« mit dem schlichten Titel »Schoppe« schon einmal aufgetaucht.
Buselmeier, so etwas wie der zornige Alte von Heidelberg, Romantiker und
Revoluzzer zugleich, hat viele Gedichte geschrieben. Jetzt, mit diesem Roman,
wird er, wider Willen ganz gewiß, auf seine alten Tage noch zum Erfolgsautor.
Ein Hochsommertag im Juni
1964. Moritz Schoppe fährt im Bummelzug von Heidelberg nach Wunsiedel. Er ist
»ein erst kürzlich dem Universitätsstudium entlaufener Schauspieler auf dem Weg
in sein erstes Engagement.« Es ist die erste Trennung von seiner geliebten
Mutter. Den Vater hat er nie gekannt. Jetzt steht die arme Frau, ihren Dackel
fest an sich gepreßt, weinend am Bahnsteig. Auch seine erste große Liebe Ulla
bleibt in Heidelberg zurück.
Moritz Schoppe, Anfang zwanzig, ist oft am verzweifeln. Er hat schon mehrfach
»das Rasiermesser gezückt«, hat »Lebensfurcht«. Er ist ein »Eckensteher«,
andrerseits auch ein «Unruhestifter«, in seinen Äußerungen oft »anmaßend« und
»arrogant«. Vor allem aber ist er ein Theaterbegeisterter mit großer Ehrfurcht
vor der hohen Kunst. Und jetzt wartet eine tiefe Enttäuschung auf ihn. In
Wunsiedel, der Geburtsstadt Jean Pauls und dem Ort provinzieller »Festspiele«,
trifft er auf einen unfähigen Regisseur und unbegabte Schauspieler. Schoppe
bearbeitet Goethes »Götz von Berlichingen«, und die Schauspieler verhunzen auf
grauenhafte Weise das Stück. Als seine Ulla ihm bald darauf auch noch einen
Abschiedsbrief schreibt, versinkt er fassungslos in seinem Unglück. Er fühlt
sich »verlassen verraten verbraten verloren verschlissen beschissen
weggeworfen«. Er ist völlig außer sich, weint, klagt und läßt seinem Furor
freien Lauf. Nur seine langen, einsamen Wanderungen lassen ihn sein Elend
vergessen, geben ihm Trost und Erleichterung und auch die Bücher Jean Pauls
geben ihm das, »was ich im Leben suchte«. In der Landschaft und der Natur fühlt
er sich geborgen, zu Hause, findet er ein Gefühl von Heimat. »Der Bach geht
leise glucksend neben mir her, Moose und Algenhaar, das sich rötlich mit der
Strömung bewegt.« »Ich streife im Vorbeigehen das Getreide mit der Hand, das
frisch gemähte Gras mit den Füßen. Du bist ja noch da, sage ich laut zu mir
selbst.« Jahrzehnte später spult er noch einmal den Film seiner Erinnerungen ab.
Die Bilder von damals überlagern die Bilder der Gegenwart. Und umgekehrt.
Vierundvierzig Jahre später fährt Schoppe noch einmal nach Wunsiedel. Er trifft
nicht nur auf seine alten Hoffnungen und Leiden, sondern erlebt dort, verstärkt
sogar, die alte Trostlosigkeit. Jetzt ist der Bahnhof zugenagelt. Viele Häuser
sind verlassen. Aus den Seniorenheimen tröpfeln »alte Leute, Bucklige, Hinkende,
windschiefe Leute«, also der ganze Jammer der Welt. Anfangs empfindet er Trauer.
Doch er erinnert sich an die alten Freuden. Der Romantiker in ihm macht sich
wieder auf den Weg. Er erkundet aufs Neue die Landschaft, die ihm, dem
kritischen Revoluzzer, schon einmal Trost und Zuflucht war. Ein Ort, an dem ihm
Glück möglich schien. Buselmeiers Roman ist stark autobiographisch geprägt. Es
ist seine eigene Geschichte, die er hier erzählt. Nicht von A bis Z, nicht
chronologisch, sondern hin und her springend, in den Zeiten, in den Orten. Es
ist die Poesie, die ihn beflügelt. Ihn und sein Buch. Ein kleines Meisterstück.
Sigrid Lüdke-Haertel
Der Artikel erschien zuerst im Strandgut –
dem Kulturmagazin für Frankfurt am Main
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Michael
Buselmeier
Wunsiedel
Ein Theaterroman
Wunderhorn Verlag
160 Seiten
18,90 €
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