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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Es ist, als brächten uns die Bilder die geraubten Herzen zurück. Die Fotografin lebt mit ihrer Familie im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, der geprägt ist von Häusern aus der Gründerzeit, alten Industriedenkmälern und modernen Mietshäusern. Hier leben Menschen aus allen Teilen der Erde. Eine Geschäftswelt aus deutschen, türkischen, italienischen und afrikanischen Händlern ist hier zu Hause. Aber der Stadtteil ist inzwischen auch ein sehr beliebtes Wohnviertel. An allen Ecken und Enden entstehen neue Wohnkomplexe. Theater und Szenekneipen sowie eines der schönsten Kinos der Stadt sind hier zu finden. Zahlreichen Künstlern und Schriftstellern ist der Stadtteil ans Herz gewachsen – nicht nur im Sommer.
Wir sitzen bei einem Kaffee in der Wohnküche. Die 1968 geborene Fotografin
berichtet, wie sie über Umwege nach Köln kam. 1993 fertigte sie eine erste
Studienarbeit in Irland an. Auf ihren Portraits zeigte sie Frauen Anfang 20, die
ihre erste große Enttäuschung hinter sich hatten. Es waren äußerst
charakterstarke Frauen, denen der Betrachter ansah, dass das Leben nicht nur
lustig und amüsant ist, sondern auch voller Rückschläge und Schmerzen.
Ehlings Fotografien sind stark beeinflusst von Richard Avedon, Robert Frank, Rineke Dijkstra, Hellen van Meene – Kollegen, deren Werke sie sehr schätzt. Sie sind zudem untrennbar mit ihrer persönlichen Entwicklung verbunden. Ihr eigener Werdegang spiegelt sich in ihren Bildern wider. Nach dem Studium verbrachte sie zunächst eine intensive Zeit mit sich selbst, ohne recht zu wissen, wie es weiter gehen sollte. Sie zog nach Berlin zu Freunden. Doch auch ohne konkrete Perspektiven zu haben, hat sie ihre Berufung nie infrage gestellt. »Natürlich gab es Verlustängste« sagt sie und erzählt von verschiedenen Nebenjobs, die sie annahm, um ein wenig Geld zu verdienen. Kaum in Berlin, ging alles sehr schnell: Schwangerschaft, Umzug nach Köln, wo sie Hilfe und Engagement durch Freunde erfuhr. Sie begann mit Kinder- und Familienportraits, alles Auftragsarbeiten; sie legte Flyer in Praxen aus, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Ein befreundeter Produzent fragte sie schließlich, ob sie Interesse habe, Portraitarbeiten beim Film zu machen. Sie fotografierte den »Fahnder« und andere Schauspieler, die sich mit Ehlings Bildern bei Schauspielagenturen bewarben. Parallel zu den Auftragsarbeiten ging sie dem nach, wozu sie am meisten Lust hatte. Dazu gehörten vor allem die Portraits der eigenen Kinder. Aus der jahrelangen Begleitung ihres Heranwachsens entstand der Bildband »Sommerherz«. Er vereinigt Bilder gegen das Vergessen der eigenen Kindheit und ist zugleich ein Weckruf kindlicher Erfahrungswelten. In der Kindheit liegt nicht zuletzt der Schlüssel zum Verständnis unserer Identität. Dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben gilt sie als der Ursprung der Sprache, wie die Sprache andererseits Ursprung der Kindheit ist. In diesem dialektischen Spannungsverhältnis von Bild-Sprache und Kindheit erlangen wir Zutritt zur Kindheit nur, indem wir an die Sprache stoßen, die den Eingang unserer Kindheit bewacht. Wenn das Unsagbare in Wirklichkeit die Kindheit ist, und wir uns selbst nur dann erfahren, wenn wir wieder einen Zugang zur Kindheit, zu der Zeit intensivster Erlebnisse, finden, bedarf es der Türöffner. Den Eingang zur Kindheit aufgestoßen zu haben, ist die eigentliche Leistung von Ehlings »Sommerherz«. Wenn wir die Seiten durchblättern, so werden wir beschossen mit Herztönen, von allen Weltkanzeln her. Zentrale Motive der Fotografien sind Verlust und Wehmut, so wie sie der Kinderblick auf dem hier gezeigten Bild der eigenen Tochter transportiert. Die Welt ist fort, ich muß dich tragen. Und der Blick geht hinaus in die Schweizer Berge, ins Wallis, gen Himmel. In der Schweiz hatte sich die Familie in eine Hütte eingemietet. Ihr Erbauer war der in Calrens bei Montreux geborene Maler François de Ribeaupierre (1886-1981). Die zweite Fotografie spürt dem Kinderblick nach und spielt insofern mit der Verschränkung von Innen- und Außenperspektive. »Mit einer Kindheit voll Liebe«, sagt Jean Paul (1763-1825), »kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten.« Diesen Beweis tritt auch »Sommerherz« an. Es zeigt aber auch, dass unsere Erinnerungen an die Kindheit oftmals wie ein Hohlspiegel wirken können, in dem verzerrte und verdrängte Erlebnisse wieder aufscheinen. Dazu noch einmal Celan:
Ein weißes Beben, kauern sich nun leicht Thekla Ehling berichtet, sie habe mit durchaus gemischten Gefühlen und Angst andere wichtige Projekte abgesagt, um dieses eine verwirklichen zu können. Dass sie mittlerweile so arbeiten darf, wie sie möchte, empfindet sie als großes Glück. Glück hatte sie auch, als sich die Verleger Markus und Christoph Schaden ebenso wie die Fotografin Jessica Backhaus für ihr Buchprojekt eingesetzt haben. Es sei ein Geschenk ihres Berufs, die Zeit mit interessanten Menschen zu verbringen, sagt sie. So konnte sie noch den kürzlich verstorbenen deutschen Psychoanalytiker und großen, alten Mann der Friedensbewegung Horst-Eberhard Richter für das Wirtschaftsmagazin Brand eins fotografieren. Zurzeit arbeitet sie an einem Buch über Judith Kerr. In den Portraits von Richter und Kerr spiegelt sich nicht zuletzt unser Schattenjahrhundert.
Vergiss mich nicht: den Augenblick, die Oase inmitten der Konsumgesellschaft,
das Alter, Grollen und Brüllen der Städte, Schlaflosigkeit. »Bloody Love«,
Freude, Trauer und Tod. Staub und Asche. Stolz, Verzweiflung, Erfahrung. Und
immer wieder die Möglichkeit des Neubeginns. Hoffnung. Angst. Sorge. Mut, ja
Mut.
Noch immer sitzen wir in der lichtdurchfluteten Wohnküche, während ich mir die
Bilder anschaue im |
Thekla Ehling |
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