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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Hesiod
und die Monster Ästhetik ist die Lehre von der Wahrnehmung, griechisch: aisthēsis. Seit Baumgarten und Kant bezeichnet sie die Lehre vom Schönen und dessen Erfahrung; Hegel fokussierte das Kunstschöne und den schönen Schein; und schließlich war die Kunst für Adorno eine ernste Alternative zur gesellschaftlichen Realität. Erst in den letzten Jahrzehnten findet innerhalb der ästhetischen Theorie ein starker Rückbezug auf subjektive Erfahrungswelten und Werte statt. Zweifellos ist der subjektive Aspekt bereits bei Kant grundgelegt, verstand er doch die Ästhetik als Kritik des Geschmacks und als Lehre von der sinnlichen Erkenntnis. Es ging ihm um die kritische Beurteilung des Schönen und die Frage nach den Bedingungen ästhetischer Beurteilung, genauer: um unser Erkenntnisvermögen im Hinblick auf ästhetische Urteile. Allein die transzendentale Ästhetik war für ihn Wissenschaft im strengen Sinne, da sie von den Prinzipien der Sinnlichkeit a priori handelt. Bei Baumgartens unvollendet gebliebener Aesthetica ist die Ästhetik ars pulchre cogitandi, also eine Kunst des schönen Denkens, da Schönheit die Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis meint. Eine Ästhetik der Nacht wäre also nicht nur eine Theorie über die Schönheit der Nacht, sondern müsste zugleich auch die Frage nach Wahrnehmung und Urteilskraft des Menschen in Bezug auf die Schönheit der Nacht aufwerfen. Frieses Untertitel „Eine Kulturgeschichte“ verleiht dieser Ästhetik darüber hinaus eine historische Dimension. Zu erwarten wäre mithin eine Geschichte der Entwicklung der Ästhetik der Nacht von der altgriechischen aisthēsis bis zu gegenwärtigen Ästhetiken.
Das Buch aber handelt in
der Hauptsache von Hesiod und den Monstern. Nach einer knapp 100seitigen
„Vorrede“, in der vieles kryptisch bleibt („Die Nacht hat eingestülpte
Leiblichkeit, so wie die Menschen eingestülpte Nacht haben“), widmet Friese sich
Hesiods Theogonie, in der die Musen tanzen und die Götter gegen die Titanen
kämpfen. Wichtiger noch: Der Tag (Hemera) geht aus der Finsternis (Erebos) und
der Nacht (Nyx) hervor. Der entscheidenden Frage, ob das Lehrgedicht, in dem
Entwicklung und Dauer im steten Widerspruch stehen, ob Hesiods archaische Poesie
schon als Ästhetik gelten kann, geht Friese nicht wirklich nach. Vielmehr
behandelt er es als ästhetisch anspruchsvolles Stück Literatur, das die Ordnung
der Welt und die Verantwortung des Menschen zum Thema hat. Seine durchaus
fundierte und ehrgeizig vorgetragene, mehr als 300 Seiten umfassende
Quellenanalyse hält sich nicht unbedingt an den Titel des Buches. Das gilt
leider auch für die folgenden 800 Seiten, die sich in der Hauptsache mit
Monstern und Nachtleibern beschäftigen. Zwar werden ästhetische Aspekte immer
mitgedacht, von einer Ästhetik der Nacht aber fehlt jede Spur. In besagtem
zweiten Teil wuchert das Thema förmlich aus und entwickelt sich ähnlich wie
Elisabeth Bronfens „Tiefer als der Tag gedacht“ zu einem Fragment über all die
Nachtphänomene in der Geschichte des Menschen und seiner Kultur. Bronfens
Darstellung jedoch bietet den Vorteil, die Kosmogonien der Nacht wesentlich
kürzer zu behandeln. Und sie muss auch nicht den Spagat zwischen Ästhetik und
Kulturgeschichte der Nacht mit bedenken. Genau dies wird Friese zum größten
Problem. Ist sein Buch eine Kulturgeschichte der Ästhetik? In Sachen Ästhetik
fehlen bei ihm Denker wie Baumgarten und Adorno, aber auch Derrida, der mit
Fichus eine prominente philosophische Aufwertung der Nacht vorgenommen hat
und den träumenden Diskurs als Stück Aufklärung deutet. Kant taucht bei Friese
nur mit der Anthropologie und der Kritik der praktischen Vernunft auf. Für die
Ästhetik ist freilich die Kritik der Urteilskraft bedeutend. Auch Platons
Symposium, den Phaidros und die Politeia hätte er zugunsten des Timaios
vernachlässigen können. In Sachen Kultur und Literatur vermisse ich Céline und
Bonaventura. Selbstverständlich hat ein so gewaltiges Thema zwangsläufig seine
Lücken, auch bei 1300 Seiten. Aber der Reise ans Ende der Nacht und den
Nachtwachen hätte schon ein Platz gebührt. Bis zum Schluss ist mir zudem
nicht ganz klar geworden, ob Hesiod und die Monster nur den ersten Teil
einer weit umfänglicheren Kulturgeschichte der Nacht beschreiben. |
Heinz-Gerhard
Friese |
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