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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Seitwert


Prototyp des akademischen Prekariats

»
Weiskerns Nachlass« von Christoph Hein ist mehr als eine gelungene Gesellschaftssatire

Von Ralf Richter

Ist es das Buch zum »Polit-Skandal« des Jahres? Zumindest versteht der Leser, der dem Universitätsbetrieb entweder durch langjährige Abstinenz entfremdet ist oder durch andere Lebensplanungen ohnehin den angeblichen geistigen Eliteschmieden fern blieb, den Skandal nun besser. Wenn man das Buch weg legt hat man eines gelernt: Es gibt wohl hunderte wenn nicht  tausende »Guttis« in diesem Land – ja, es muss sie einfach geben. Den »Herrn« oder die »Frau Doktor« wird man wohl künftig mit etwas weniger Respekt grüßen.

Wenn die gesamte Gesellschaft in der Krise ist, dann sind davon auch Hochschulen und Universitäten nicht verschont. Wir wissen: In diesem Herbst stürmen eine halbe Million Studienanfängerinnen und -anfänger die Hörsäle,  so viele wie nie zuvor in diesem Land. Schuld daran hat nicht zuletzt der falsche Doktor. Das aber die Professorenschaft so ganz zaghaft auf die Schwindler reagierte – Götz Aly machte unlängst an der Freien Uni die Probe aufs Exempel und stellte zu seiner Überraschung fest, dass 80 Prozent seiner Kolleginnen und Kollegen keinen Ehrgeiz haben Betrug bei den Hausarbeiten aufzudecken – erläutert Hein in seinem Roman ganz ausführlich: Das Elend der Dozenten - ganz egal ob es nun Privatdozenten oder Leute auf einer halben Stelle wie sein Held Stolzenberg sind - lähmt doch das Interesse an wirklich gut ausgebildeten Studenten ganz gewaltig. Gerade bei den Professoren und Dozenten im Fachbereich Geisteswissenschaften kommt das Wissen hinzu, hier wird nicht die Elite des Landes heran gezogen sondern eher ein akademisches Prekariat, die Armut mit Diplom oder Doktortitel. 80 Prozent der Absolventen in den Geisteswissenschaften finden nach Abschluss ihres Studiums keine feste Stelle. Wenn aber einer Gesellschaft die Erzieher, Lehrer und Dozenten kaum etwas wert sind, dann verfallen auch bei diesen die Sitten und es tritt eine ganz natürlich Bakschisch-Mentalität wie in Dritte-Welt-Ländern ein. Dozenten lassen sich dann schon gern mit Geld oder Sex bestechen und die Studenten wissen bestens über die Notlagen ihrer Lehrer Bescheid, von deren Idealen nichts mehr übrig geblieben ist. Hier fühlt man sich an »Der menschliche Makel« von Philipp Roth erinnert, der nicht nicht nur auf die Weltfremdheit seiner Kollegen eingeht sondern gleichzeitig konstatiert, wie die Allgemeinbildung und das Wissen der Studenten mit Jahr zu Jahr abnehmen. Gelernt wird nur noch für eine Note und diese Note muss aber stimmen, fällt sie schlechter als erwartet aus wird der Anwalt umgehend geholt und am Ende knickt der Dozent ja doch ein. Insofern neigen immer mehr Lehrende dazu sich das Prozedere zu ersparen und doch gleich die bessere Note zu geben. Bei der Diplomarbeit, beim Bachelor oder Master aber geht dann die eine oder andere Studentin aufs Ganze – die Formulierung »betreute Arbeit« lässt ja auch allerlei Deutungen zu …

Stolzenburg, gerade 59 geworden und mit einer gesalzenen Nachforderung des Finanzamtes konfrontiert, sieht die Felle schon lange davon schwimmen. Er kämpft nicht, er hofft nur noch und wenn er ganz in die Enge getrieben wird, rebelliert er sogar noch ein klein wenig. Auf die Idee sich zu solidarisieren und gemeinsam zu kämpfen kommt er nicht – und damit ist Christoph Hein sehr nahe an der Realität. Jeder ist sich selbst der Nächste. Wie auf der Arbeit, so in der Beziehung. Man nimmt was man kriegt und vergisst es wieder – unser Leben ist im höchsten Maße fragil geworden. Über uns schwebt eine Creme de la creme mit scheinbar wohl geratenen Super-Kindern, die keine »normale« Schule je besucht haben, zwischen Rio und Singapur studieren, später in Kapstadt arbeiten. Auch in diese Welt nimmt uns Hein mit denn Stolzenburg hat ja ein Obsession: Weiskern! Ein Librettist, Bekannter von Maria Theresia. Ein einst berühmter Sachse am Wiener Hof, der längst vergessen ist doch Stolzenberg will ihn wieder zum Leben erwecken durch ein mehrbändiges Werk, was er zu schreiben gedenkt und jagt verschollenen Manuskripten nach, wobei er in wilde Geschichten gerät. Denn wer hat denn nun diese seltenen Werke und Autographen? Es sind Menschen mit Geld, die einfach eine Wertanlage für Krisenzeiten suchen. Nicht nur Gemälde steigen astronomisch im Wert, auch ein Originalbrief von Goethe oder Schiller und selbst der eines Weiskern macht sich in der Privatsammlung gut! Das Leben des armen Stolzenbergs vollzieht sich in dem Dreieck Uni-Alltag, Frauengeschichten und private Weiskern-Forschung. Gelegentlich trifft man auf Menschen, die halten das Buch für ein gelungenes satirisches Werk. Was diese Menschen eint: Sie kennen den Hochschul- und Universitätsbetrieb dieser Tage nicht.
 









Mitschnitt einer Lesung des Autors




Christoph Hein

Weiskerns Nachlass
Roman
Suhrkamp
318 Seiten
24,90 Euro


 


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