Home Termine Autoren Literatur Blutige Ernte Quellen Politik Geschichte Philosophie Zeitkritik Sachbuch Bilderbuch Filme Töne Preisrätsel |
|||
Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
Anzeige Glanz&Elend Die Zeitschrift kommt als großformatiger Broschurband in einer limitierten Auflage von 1.000 Exemplaren mit 176 Seiten, die es in sich haben. Ohne Versandkosten bestellen! |
||
Bücher & Themen Bücher-Charts l Verlage A-Z Medien- & Literatur l Museen im Internet Glanz & Elend empfiehlt: 50 Longseller mit Qualitätsgarantie Jazz aus der Tube u.a. Sounds Bücher, CDs, DVDs & Links Andere Seiten Quality Report Magazin für Produktkultur Elfriede Jelinek Elfriede Jelinek Joe Bauers Flaneursalon Gregor Keuschnig Begleitschreiben Armin Abmeiers Tolle Hefte Curt Linzers Zeitgenössische Malerei Goedart Palms Virtuelle Texbaustelle Reiner Stachs Franz Kafka counterpunch »We've got all the right enemies.» |
Immer am Limit
Auch in seinen Erinnerungen zeigt sich der jüngst verstorbene Polemiker
Christopher Hitchens als meinungsstarker Stilist, dem es vor allem um eins geht:
um sich selbst. »Was
mich nicht umbringt, macht mich stärker« Mister Gnadenlos
Dies änderte sich erst, als er sich vor ein paar Jahren an die Seite prominenter
Atheisten gesellte, zu Richard Dawkins und Daniel C. Dennett, Religionen als
Quelle der Intoleranz, und Gewalt bezeichnete und den Glauben an einen
Christengott als blanken Unsinn abtat (Der
Herr ist kein Hirte). Davor war "the Hitch", wie er sich selbst gern titulierte, vor allem mit Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten aufgefallen. Auch schreckte er nie vor scharfzüngig formulierten Forderungen, Statements und Urteilen gegenüber Prominenten zurück. Bill Clinton nannte er nach dessen Affäre mit Monica Lewinsky einen "Vergewaltiger" und "notorischen Lügner", Henry Kissinger wollte er am liebsten ins Gefängnis stecken und in Mutter Teresa sah er vor allem eine religiöse "Fanatikerin". Stets Haltung bewahrt Geduckt oder gar kleingemacht hat sich Hitchens nie. Stets zeigte er Rückgrat und bewahrte Haltung. Und er hat all das auch nicht verloren, als er nach Fertigstellung seiner Memoiren vor gut eineinhalb Jahren erfuhr, dass er an Speiseröhrenkrebs erkrankt war und eine Heilung oder gar Genesung ausgeschlossen sei. Weder brach danach die Welt für ihn zusammen noch zog er sich emotional geknickt ins Privatleben zurück oder revidierte gar seine Meinung über die Religion und den Aberglauben, den er zeit seines Lebens bekämpft hatte.
Im Gegenteil: Obwohl der Krebs bereits im vierten Stadium war ("ein fünftes
Stadium gibt es nicht," schreibt er lapidar im Vorwort), ging Hitchens auf
Lesereise, so lange er noch die Kraft dazu aufbrachte; und obwohl er am Schluss
ein Drittel seines ursprünglichen Körpergewichts verloren hatte und dank
diverser Chemotherapien und "Painkiller" kaum noch die Hand führen konnte, las
er begierig seine Lieblingsliteraten und schrieb weiter Kolumnen für Vanity
Fair - zuletzt über Charles Dickens (Charles
Dickens’s Inner Child, Dostojevski und Friedrich Nietzsche (Trial
of the Will). Achtung vor sich und der Welt Daher verwundert es auch nicht, dass er keinen Priester zu sich ans Bett bat, als es aufs Ende zuging. Bewusst, wach und aktiv wollte er den Sensenmann erleben. Beten oder gar um Gnade betteln kam ihm nicht in den Sinn. "Der Einbruch des Todes", sagt er, habe es ihm vielmehr ermöglicht, "meine Verachtung für den falschen Trost der Religion und meinen Glauben an die zentrale Bedeutung von Wissenschaft und Vernunft um eine Petisse konkreter zum Ausdruck zu bringen". Trotz dieser Selbstüberhöhung, seines ungebrochenen Kampfgeistes und seiner bewussten Koketterie mit dem Ende war er sich seiner eigenen "relativen Bedeutungslosigkeit" überaus bewusst. Falle er aus, so sei das nichts Weltbewegendes. Danach ginge "die Party", wie er das Leben nannte, "eben ohne ihn weiter". Um ein rechtschaffenes Leben zu führen und nicht doch irgendwann zum Dieb, Lügner, Vergewaltiger oder gar Mörder zu werden, bräuchte es weder Gott noch den Glauben an ihn. "Selbstachtung" sowie "der Wunsch, andere Menschen zu achten" reichten dafür vollkommen aus, wohingegen doch gerade die Gottesfürchtigsten allzeit bereit seien, im Namen ihres Herrn noch die schrecklichsten Schandtaten zu begehen. Gier nach Leben So unbescheiden, offen kämpferisch und von sich überzeugt sich Hitchens auch gern in seinen Erinnerungen gibt: als "unbeugsam", wie es im Untertitel der deutschen Ausgabe heißt, und "Widerspruchsgeist", als "Störenfried" oder gar "Rebell" wollte er nicht gern gesehen werden. Das fände er nicht nur als "trivial und herablassend", gesteht er, in ihnen schwinge auch noch eine "gewisse Selbstgefälligkeit" mit. Wenn er "Autoritäten in Frage" gestellt habe, sei das weder einer "Phase" seines Lebens noch einer Laune der "Hormone" geschuldet gewesen. Vielmehr habe er sich seine Gegner, Carter, Kissinger, Clinton usw., stets gezielt und mit Bedacht ausgesucht.
Gleichwohl sei er auch kein "Einzelgänger" oder gar "Feigling" gewesen, wie man
ihm mitunter unterstellte. An "Freundschaften und Gesellschaften" habe es ihm
nie gemangelt. Nach beiden habe er geradezu gelechzt, wie die vielen
durchzechten und durchstrittenen Nächte bewiesen. Sicher habe ihm der "Mut zum
echten Soldaten oder echten Dissidenten gefehlt". Trotzdem habe er
Widerstandskämpfer immer und überall unterstützt, am Hindukusch und in
Mesopotamien genauso wie auf Kuba, in Bosnien oder in Nicaragua. Offensiv verteidigen Hitchens war nicht nur ein gewiefter Polarisierer, ein "Kotzbrocken", "Widerling" oder wahlweise auch "Arschloch", der andere mit seiner renitenten Rechthaberei und seiner bewusst zur Schau getragenen Egozentrik nervte und provozierte, er war auch jemand, der mit seinen abrupten und diversen politischen Platz-, Seiten- und Stellungswechseln Freunde wie Gegner vor den Kopf schlug und mitunter in den Wahn trieb. Anfang der Achtzigerjahre verteidigte er noch als "linksoppositioneller Marxist", der in Kuba einst die Revolution gefeiert und im Vietnam-Krieg gegen die Amerikaner erbittert polemisiert hatte, den Falkland-Feldzug der Maggie Thatcher. Und als zwanzig Jahre später die Twin Towers zusammenkrachten und George W. Bush den Irak mit fadenscheinigen Argumenten angriff, pirschte er sich unvermittelt ins Lager der neokonservativen Falken (Hitchens feiert den Irak-Krieg). Für die politische Linke war Hitchens, der Leo Trotzki und Rosa Luxemburg verehrte und Paul Wolfowitz und Ahmed Tschalabi zu seinen Freunden zählte, endgültig verloren und zum "Wendehals", "Verräter" und "Kriegstreiber" mutiert. Auch diese Wendemanöver zeigen, dass er weder Scheu noch gar Angst vorm Aussprechen unangenehmer Wahrheiten kannte. Und zwar auch dann nicht, wenn sie ihm selbst das Leben hätten kosten können. Als etwa der Ayatollah Khomeini die Fatwa über Salman Rushdie verhängte, ergriff er unerschrocken und öffentlich Partei für den britischen Schriftsteller und geißelte all jene Verlage, Politiker und Kollegen, die den "Schwanz einzogen" und sich hinter hohlen Floskeln verschanzten. Und noch jüngst, als er in Beirut das Hakenkreuz auf dem Plakat einer Pro-Assad-Partei erblickte, beschmierte er es mit dem berühmten F-Wort, was ihm prompt eine Tracht Prügel einbrachte. Offen kampfeslustig Zurückhaltung, Rücksichtnahme oder gar Demut waren für ihn Fremdwörter. Arrogant im Auftreten, brillant im Formulieren, lässig im Ausdruck - in diesen Posen gefiel "Hitch" sich am allerliebsten, vor allem, wenn er auf einem Podium Platz nahm, im Studio eines US-Kabelsenders saß und etwa mit Noam Chomsky, Charlton Heston oder Norman Finkelstein die Klinge kreuzte. Dann war er in seinem Element, dann lief er zur intellektuellen Hoch- und Bestform auf. Was andere über ihn dachten, das hat ihn nie sonderlich interessiert. Dafür war er viel zu eitel und zu sehr von sich selbst eingenommen. War er mal von der Richtigkeit einer Sache überzeugt, und das war sehr häufig der Fall, dann posaunte er die auch lauthals hinaus. Selbst David Irving, den trotzigen Holocaust-Lügner, lud er zu sich nach Hause, um mit ihm über Geschichte und Antisemitismus zu debattieren. Hatte er sich doch mal getäuscht und bemerkt, dass er übers Ziel hinausgeschossen war, übte er sich entweder in Lakonie und spöttelte frohgemut über sich und die Welt oder flüchtete sich in Selbstironie. Als etwa andere Bellizisten längst die Seite gewechselt und ins Lager der Irak-Kriegsgegner übergelaufen waren, verteidigte er stur und vehement den US-Einmarsch ins Zweistromland. Saddam Hussein zur Strecke zu bringen, hielt er auch dann noch für eine gute Idee, als sich das US-Desaster im Irak bereits abzeichnete, für das er die Unfähigkeit der Bush-Administration verantwortlich machte. Renitent hielt er weiter an der Behauptung fest, der Irak hätte gezielt nach Massenvernichtungswaffen gestrebt. Immer am Limit
Auch wenn Hitchens in seinen Memoiren es lieber anders sehen mag: sein
Lebensstil war alles andere als konventionell. Immer lebte er am Limit, "auf dem
Siedepunkt", wie es bei Georges Bataille über den exzessiven Selbstverschwender
heißt, und am Fuße des "Vulkans" (M. Lowry). Vor allem seine jüdische Mutter,
die später mit einem Liebhaber durchbrannte und mit diesem dann Selbstmord
beging, setzte alle Hebel in Bewegung, dass er als Dreizehnjähriger und Sohn
eines britischen Marineoffiziers auf Privatschulen nach Cambridge und Oxford
kam, wo er eine erstklassische Bildung erhielt. Großartiger Stilist Vor einem Monat, am 15. Dezember letzten Jahres, starb "Hitch" zweiundsechzigjährig im Hospital von Houston in Texas, aufrecht, stolz und in aller Würde, wie es heißt. Der exzessive Raubbau an seinem Körper, das ständige Saufen und Rauchen, Reisen und Durchzechen der Nächte forderte seinen Tribut.
"That he not busy being born is busy dying" ("Wer nicht ausgelastet geboren
wird, ist damit beschäftigt zu sterben") - diese Zeile aus Bob Dylans “It’s
Alright, Ma (I’m Only Bleeding)”, den und dessen Songs Hitchens besonders liebte
und die er in seiner vorletzten Kolumne für Vanity Fair der von Nietzsche
weiter oben explizit zitierte, war Fleisch und ihm zum Verhängnis geworden.
Von Hitchens, zumal von einem Briten, hätte man einen etwas besseren Geschmack
zumindest in Sachen Whiskey erwartet. Ein ausgewählter Single Malt von der Insel
hätte ihm sicher besser entsprochen. Für seine Memoiren gilt dies sicher nicht.
Sie sind mit viel Gleichmut und Selbstdistanz, ohne Larmoyanz und jede
Bitternis, aber bestimmt im Urteil und in stilvoller Eleganz formuliert. |
|
|
|
|||