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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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»Ich
war nicht Präsident, um populär zu sein.«
Gegen Ende des
Buches schreibt Václav Havel:
Die kleine Episode
zeigt den anarchischen Humor Václav Havels, der gelegentlich auch in
diesem Buch hervorblitzt. Und glücklicherweise nimmt er sich in diesen
Gedanken und Erinnerungen die notwendige Zeit und Muße. Es ist
eine Art politisches Vermächtnis. Eine Selbstvergewisserung all dessen,
was von seiner Seite in den bewegenden Jahren des Umbruchs bis hinein
ins Jahr 2003 getan und - manchmal ist das interessanter - auch
unterlassen wurde.
Im Laufe des
Buches fragt sich der Leser immer mehr, warum Havel diese für ihn später
dann fast untragbaren (auch gesundheitlichen) Strapazen auf sich
genommen hat. Seine Antwort hierzu ist nicht monokausal. Sie basiert
aber letztlich auf einem kantischen Pflichtgefühl nicht nur den Menschen
gegenüber, sondern auch der in einem Menschenleben einmalig zu nennenden
und unwiederkehrbaren Situation. Hatte doch vor allem Havel (aber nicht
er alleine) jahrzehntelang für eine Demokratisierung seines Landes
gekämpft, sogar im Gefängnis gesessen – da konnte man sich der Pflicht
nicht mit fadenscheinigen Gründen entziehen. Im Gegensatz zur fast zur
Folklore verkommenen Pflicht-Rhetorik beispielsweise deutscher Politiker
ist Havels Postulierung allerdings unbedingt Glauben zu schenken.
Hvížd'alas Fragen
nehmen auch die seit Jahren, teilweise Jahrzehnten kursierenden Vorwürfe
gegenüber Havels Handlungen in der Zeit 1989-90 und/oder seiner
Amtsführung (insbesondere was die Teilung der Tschechoslowakei angeht)
auf, so dass man manchmal meint, Havel sei angeklagt. Es wird dabei auch
schon einmal sehr detailliert auf innertschechische bzw.
innertschechoslowakische Politik eingegangen; der mit diesen Details
nicht vertraute Leser fühlt sich schnell ein bisschen überfordert, zumal
es kein Glossar gibt, welche die zahlreich besprochenen Persönlichkeiten
wenigstens kursorisch vorstellt.
Die präsidialen
Notizen und auch Havels Antworten auf Hvížd'alas Fragen lassen erkennen,
dass sehr schnell eine diffuse normative Kraft des Faktischen den
anfänglichen Elan aufgezehrt hat. Früh sieht sich Havel nur noch als
Objekt des Geschehens, nennt Politik widerlich und kämpft
vehement dafür, wieder Subjekt zu werden. In gewissen Zyklen gelingt ihm
das auch. Aber die Phasen reiner Freude sind – wenigstens, was die
Aufzeichnungen angeht – rar. Am Ende ist er fast desinteressiert was das
Amt angeht; mindestens jedoch desillusioniert. Das bedeutet natürlich
nicht, dass er seine Pflichten nicht bis zum Schluss wahrnimmt – aber in
der Rückschau liegt auch eine gehörige Portion Ernüchterung - und, das
macht das Buch so ehrlich, auch Selbstkritik.
Havel sieht – wie
viele osteuropäische Intellektuelle - die USA historisch (im
zurückliegenden Kalten Krieg) als Vorkämpfer und Garant der neuen
Ordnung. Die USA war Bollwerk gegen den von ihm verhassten
Kommunismus. Die USA haben mit ihrer Politik, so Havels
unausgesprochenes Credo, den Kommunismus besiegt – und nicht Europa.
Havel greift die Ostpolitik Europas respektive Deutschlands nicht direkt
an; er erwähnt sie aber auch nicht. Eindeutig verurteilt er jedoch eine,
wie er sich ausdrückt, Appeasement-Politik gegenüber
diktatorischen Regimen. Seine globalisierungskritischen Äusserungen beziehen sich fast immer auf die ökonomische Globalisierung, die er scharf angreift (Mafia-Kapitalismus; der laut Havel praktizierte Marktdogmatismus sei eine Ideologie der Durchschnittlichkeit) – keinesfalls auf eine politische oder soziale. Hier ist Havel nicht nur Europäer (natürlich kein EU-Anhänger – die EU nennt er einmal amorphe Missgeburt), sondern Kosmopolit. Seine Äusserungen zur europäischen Zukunft (er befürwortet eher einen Bundesstaat und nicht diesen losen, bürokratisierten Staatenbund der Egoisten) sind sehr interessant. So spricht sich Havel beispielsweise für einen in den Mitgliedsstaaten gewählten europäischen Präsidenten aus, als symbolische Verkörperung ihrer Idee, ohne grosse Vollmachten. Er begründet das unter anderem damit, dass die EU aus lauter Kollektivorganen und zirkulierenden Funktionen bestehe – eine, wie er 1994 süffisant anmerkt, typische Erscheinung für Länder vor dem Zerfall (Jugoslawien). Havel schlägt ein Parlament mit zwei Kammern, eine 'Kammer des Volkes' […] und eine 'Kammer der Nationen' mit paritätischer Vertretung der Staaten wie im Senat der USA vor und die Kommission als ein rein fachliches Exekutivorgan ohne grosse politische Vollmachten, bei dem es nicht auf die Staatsangehörigkeit ankommt, sondern nur auf die Fachkenntnisse. Seine weiteren Ideen gehen in Richtung einer Ideen-Charta für die EU und so etwas wie eine Verfassung, d. h. alle die Dokumente, nach denen sie sich richtet […] zu einem einzigen und allgemein verständlichen Text zu verbinden. Das, was heute gilt [1995], ist nur einer kleinen Gruppe von Experten verständlich. – Wenn man sich den zeitlichen Abstand dieser kursorisch entwickelten, aber äusserst klugen Vorschläge vergegenwärtigt und mit dem aktuellen Status quo vergleicht, dann erkennt man die Problematik der EU in ihrer ganzen Tragweite. Das Buch birgt zahlreiche interessante Miniaturen dieser Art. Sei es über die Diskussion um das Mehrheitswahlrecht (Havel hat sich hier in seinem Land nicht durchsetzen können) oder die historische Einordnung bestimmter, auch bei uns bekannter tschechische Politiker (wie Alexander Dubček, den Havel ganz schön dekonstruiert und der aktuelle tschechische Präsident Václav Klaus, den Havel als mehr oder weniger rücksichtslosen, opportunistischen Karrieristen darstellt und mit dem ihn ein veritables Hassgefühl verbindet) oder sein Verhältnis zu seinem Freund Richard von Weizsäcker (sein Lehrer im Präsidentenamt) und seine Versuche gegen den tschechischen Mainstream die Versöhnung zwischen Tschechien und Deutschland voran zu bringen (er sieht sich dort eher gescheitert aufgrund der Säuerlinge auf beiden Seiten; interessant am Rande die Formulierung Abschub für das von Deutschen verwendete Wort Vertreibung [Havel bezeichnet es selbst als unsinnig – benutzt es aber immer]). Oder über das bei uns sehr wenig bekannte und unterschätzte aber sehr wichtige Prozedere der Auflösung des Warschauer Pakts (rückwirkend erklärt Havel das zu seinem politischen Meisterstück), das sehr packend beschrieben wird oder Havels Gedanken zur Postdemokratie, einer Art Aufbruch aus den erstarrten, ausschliesslich institutionell agierenden Parteiendemokratien, hin zu einer offenen Zivilgesellschaft und zu einer Wiederherstellung überschaubarer menschlicher Gemeinschaften als Quelle der menschlichen Solidarität und Selbstkontrolle.
Und dann die
Ambivalenz des Havelschen Denkens, wenn er die Massnahme verteidigt,
über den Beitritt Tschechiens nur NATO keine Volksbefragung
durchzuführen: Die Sicherheit des Landes durch Verträge
sicherzustellen, ist eine Aufgabe der Politiker, die aus ihrem Mandat
hervorgeht, und wenn sie das nicht zum Schaden ihres Landes tun, was
hier nachweislich nicht der Fall war, wäre die Abhaltung eines
Referendums ein In-Zweifel-Ziehen des Mandats der demokratisch gewählten
Vertretung des Staates oder eine Äusserung des Misstrauens ihm gegenüber
gewesen. Havel akzeptiert hier einzig die Möglichkeit für Neuwahlen.
Ein Referendum komme nicht infrage, denn es geht hier nämlich nicht
um ein kontroverses Thema, über das die Ansichten verschieden sein
können, […] sondern um ein Prinzip, nämlich um das Recht des Staates,
seine Unabhängigkeit vertraglich auf die Weise zu schützen, die er für
die beste hält. Umgekehrt könnte man auch argumentieren, dass gerade
diese Form grundlegender Prinzipien eines Staates einer gewissen
Legitimation durch das Volk bedürften. Und hier zeigt sich dann die
Schwäche der schriftlichen Fragestellung: Gerade diese sehr
interessanten Thesen Havels werden nicht weiter befragt und ausgeführt.
Havel war nie ein Opportunist – und das sollte
eigentlich eine Kardinaltugend politischer Eliten sein. Er war ein freier Geist. Und das ist selten genug
heutzutage.
Lothar Struck |
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