In einem Interview, das Mario Vargas Llosa im August letzten Jahres der
spanischen Zeitung El Pais (übersetzt von Simon Lörsch) gegeben hat, antwortet
er auf die Frage: Woran arbeiten Sie derzeit? »An
einem kleineren Essay namens Die Zivilisation und das Spektakel. Es geht
darum zu beschreiben, wie der zeitgenössische Kulturbetrieb das Spektakel
favorisiert. Was nicht als Spektakel daherkommt, wird nicht zu Kultur.«
Im Oktober darauf wurde der Peruaner mit dem Nobelpreis für Literatur
ausgezeichnet und das mediale Spektakel nahm seinen Lauf.
Die Tatsache, daß während dieser Buchmesse ausgerechnet Argentinien
das Gastland der weltweit größten Bücherschau war, hätte Pedro Camacho, den
schrulligen bolivianischen Erfinder der ebenso skurrilen wie herzergreifenden
Geschichten aus Llosas grandioser Romankomödie »Tante Julia und der
Schreibkünstler«, sicher zu einer bissigen Bemerkung über die unverbesserlichen
»Gauchos« animiert.
Die Liebesgeschichte der attraktiven wie kapriziösen und frisch
geschiedenen Julia (32) und Ihres heißblütigen Neffen Mario (18) lebt von dem
facettenreichen Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Konventionen des
konservativ katholischen, südamerikanischen Landes an der Schwelle zur
Mediengesellschaft und dem libertären Sturm und Drang seiner Jugend. Llosa zeigt
sich mit dem bereits 1977 erschienenen Roman als Liebhaber der komödiantischen
Feder. Mittels der Figur des »Schreibkünstlers« Pedro Camacho demonstriert er
großmeisterliches Schreibhandwerk, dessen Virtuosität und Leichtigkeit viele
sich dafür haltende »Kunstschreiber« der »Generation Golf« zum Verstummen
bringen müßte. Parallel zur Entwicklung der gefährlichen Liason der Liebenden
entwickeln sich Camachos im Land überaus erfolgreiche Radio-Soaps zu einem
chaotischen Durcheinander seiner ohnehin skurrilen Figuren. Diese beginnen
völlig unvermittelt von einer hanebüchenden Geschichte zur nächsten zu wandern,
stürzen die Zuhörer schließlich in eine unauflösbare Verwirrung und scheinen
Camacho selbst schließlich in den Wahnsinn zu treiben.
Kurz: »Tante Julia und der Schreibkünstler« bietet, nun von Thomas Brovot neu in
zeitgemäßes Deutsch übersetzt, ein uneingeschränktes Lesevergnügen mit
poetischem Tiefgang.
»Die
jungen Hunde« wollen spielen, frei sein, das Leben erfahren und genießen.
Diese mitreißende Geschichte einer Jugend in Peru ist das Resultat eines
gelungenen symbiotischen Zusammenwirkens von Mario Vargas Llosa und dem
katalanischen Fotographen Xavier Miserachs. Die Originalausgabe ist bereits 1967
in der Serie »Palabra e Imagen« im Verlag Lumen, Barcelona, erschienen. Nun ist
die Erzählung in der Neuübersetzung von Susanne Lange erstmals auf Deutsch zu
haben. Das Komische und das Tragische liegen hier so eng beieinander, daß man
nicht weiß, ob man nun lachen oder weinen soll, denn das ist harter, dem Leben
abgeschauter dramatischer Stoff, den Vargas Llosa hier auf 96 Seiten verdichtet
hat.
Miserachs schwarz-weiß Fotographien, die auch für sich alleingenommen das
Lebensgefühl der jungen Generation im Peru der späten 60er Jahre vermitteln,
steigern durch ihre Dynamik das Tempo der ohnehin atemlos ihrem dramatischen
Ende entgegen stürmenden und drängenden Geschichte.
»Der
Traum des Kelten« schließlich belegt, daß die Gattung des historischen Romans
noch nicht rettungslos verloren ist. Vargas Llosa erzählt das Leben und Sterben
des Iren Roger Casement (1864-1916).
Casement, der als Konsul der Briten in Afrika (Kongo, Nigeria) und Südamerika
(Brasilien, Peru) tätig war. Er wurde für seine Aufklärung der
menschenverachtenden Verbrechen an der jeweils eingeborenen Bevölkerung durch
die
Kautschuk gewinnenden Firmen von
der britischen Regierung in den Adelsstand erhoben. Im Laufe der Jahre wird sich
Casement jedoch seiner irischen Identität bewußt und gelangt zu der Überzeugung,
sich am Befreiungskampf Irlands von den Briten aktiv beteiligen zu müssen. Nach
einer fehlgeschlagenen Kommandoaktion, der ein ebenso mißlungener Handel mit dem
wilhelminischen Generalstab vorausgegangen war, wird der inzwischen auch
gesundheitlich schwer gezeichnete Casement von den Briten festgenommen. In dem
folgenden Prozess wird er als Spion und Hochverräter zum Tode verurteilt.
Bezeichnenderweise wird ausgerechnet in der Zeit, als sein Gnadengesuch zur
Entscheidung ansteht, durch geschickt lancierte Tagebuchaufzeichnungen aus
seiner(?) Feder bekannt, daß Casement homosexuell ist. Am 3. August 1916 wird
Casement in London gehängt.
Vargas Llosa rekonstruiert Casements Leben und Wirken mittels Rückblenden aus
der Todeszelle heraus, was unterschiedliche Textebenen ermöglicht und eine
Konzentration des Lesers auf die jeweiligen Lebensabschnitte zuläßt. Die
Entwicklung von Casements Persönlichkeit vom jugendlichen Abenteurer, der auf
den Spuren von
Henry Morton Stanley durch Afrika
wandeln wollte, hin zum glühenden Patrioten und Kämpfer für die Freiheit Irlands
im politischen Spannungsfeld des europäischen Hochkolonialismus und
Nationalismus liest sich ebenso spannend wie informativ. So erfährt der Leser
zum Beispiel en passent, daß Casement einen jungen Mann, der auf dem Weg ist,
seine Stelle als Kapitän eines Flußdampfers auf dem Kongo anzutreten,
eindrücklich auf die Erfahrungen vorbereitet, die diesen im Landesinneren
erwarten, und die wir heute als
Joseph Conrads Aufzeichnungen aus
dem
»Herz
der Finsternis«
lesen können.
Fazit: »Der Traum des Kelten« ist harter Tobak, was die Beschreibung der
grauenhaften Verbrechen angeht, die Casement im Kongo und in Peru aufgedeckt und
bewiesen hat. Literarische Geschichtsschreibung erster Güte, ein im besten Sinne
zeitgemäßes Denkmal, das die äußeren wie inneren Kämpfe des irischen Patrioten
Roger Casement lebendig hält.
|
Foto:
Arild
Vågen
Buchmesse Göteborg, September 2011
Mario Vargas Llosa
Alles Boulevard
Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst.
Übersetzt aus dem Spanischen von Thomas Brovot.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
227 Seiten, 22,95 EUR
9783518423745
Mario Vargas Llosa
Die jungen Hunde - Erzählung
Neu übersetzt von Susanne Lange.
Mit Fotografien von Xavier Miserachs
Suhrkamp
Gebunden, 96 Seiten
ISBN: 978-3-518-42271-7
Zu der Fotogalerie
Leseprobe
Mario Vargas Llosa
Tante Julia
und der Schreibkünstler
Roman
Neu übersetzt von Thomas Brovot
Suhrkamp
Gebunden, 447 Seiten
ISBN: 978-3-518-42255-7
Mario Vargas Llosa
Der Traum
des Kelten
Roman
Suhrkamp
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar
Gebunden, 447 Seiten
ISBN: 978-3-518-42270-0
Leseprobe
|