Malcolm McDowell, Jg. 1943,
ist in der Vor-Baby-Boomer-40er Generation eine expressive Bombe, die keine
kontrollierte Selbstdarstellung, sondern den unmittelbaren Ausdruck von
Vitalität, Energie, Risiko und wilder, regelloser Freiheit verkörpert. In
gewisser Weise kommt er dem ein Jahrzehnt älteren Jean Paul Belmondo und seinem
Godardschen Start-Up »Außer Atem«, ein Film, der Avantgarde und Popularität aufs
glücklichste verband, recht nahe.
Malcolm McDowells
hungriger Direkt-Effet und seine Sprunghaftigkeit zwischen dem lauten
Maschinengewehrsalven am Ende und dem oft leisen Kammerton am Anfang von »If....«
(1968), seinem ersten Film mit seinem behutsamen Mentor und Regisseur Lindsay
Anderson, zeigen die ganze Spannbreite seines Könnens an, mit dem er im Sinne
eines Musilschen Törleß im Internat literarische Sensibilität beweist, aber auch
dem schnöden und korrupten Sadismus seiner Upper-Class-Mitschüler widersteht, um
dem unausrottbaren Establishment im Finale gehörig einzuheizen.
Malcolm McDowell brachte
und bringt die dramatische Situation und die filmischen Einstellungen und Bilder
zur Vibration, mit seinem hellwachen eisblauen Blick und seiner tänzerischen und
sexuellen Präsenz. Mit ihm war ein Gesicht und ein Körper für die Kamera
geboren, von und an dem sich Regisseure wie von keinem anderen inspirieren
ließen: zu ungeahnter Agilität, aber auch einer offenen, keineswegs
hinterhältigen, zügellosen Gewalt, zwischen Realität und
plastisch-phantastischer Übertreibung, zu haarsträubend perversen
Wunscherfüllungen, um das Publikum in einen Katarakt zwischen
Sensationslüsternheit und Orgie, kontrolliertem Experiment und unübersichtlicher
Überschreitung und Selbstbestrafung zu stürzen. Nicht auszudenken, was passiert
wäre, wenn Sergio Leone und McDowell zusammengekommen wären. Und in Deutschland
hätte ein junggebliebener Moritz Bleibtreu, der genau im »Clockwork«-Jahr das
Licht der Welt erblickte, auch das Zeug zu einem anderen McDowell, wenn ihm mehr
herausfordernde Parts angeboten würden.
Die Tragik des Talentes
bestand darin, dass Stanley Kubrick McDowell in den Olymp stieß und dann wieder
fallen ließ, noch ehe das komprimierte filmisch-schauspielerische Glück und
Unglück von »A Clockwork Orange« (1971), der recht nahen Adaption von Anthony
Burgess dystopischem Roman, zwischen kreativer improvisatorischer Leistung des
Akteurs und der kalkulierten satirischen Manipulation durch den Regisseur im
vollem Umfang begreifbar wurde. Dank McDowell wurde der mit schwarzer Melone,
einseitiger Kunstwimper, Springerstiefeln, weißer Unterwäsche mit
Golfgenitalschutz und Gummi-Messer-Schlag-Stock von Milena Canonero
eingekleidete Alex(ander) DeLarge eine der präsentesten Filmfiguren aller
Zeiten, mit jener zutiefst ambivalenten Sympathie in der progressiven
Widerwärtigkeit eines komisch-dandyhaften Gestus und eines konsumistisch
korrupten Charakters zwischen sexbesessenen Hippies und gewaltsüchtigen
Neo-Nazis, ein athletischer Provokateur und Nerd, der sich sein Menü von »Ludwig
van«, realen Prügeleien, Foltern und Vergewaltigungen im Drogenrausch mit seinen
Droogies zu kinoreifen und pseudo-elitären rhythmischen
Kunst-Vergnügungs-Sequenzen zu verbinden wusste, bis die Ludovico-Therapie mit
Aversions-Serum und Nürnberger-Nazi-Wochenschau zu Beethovens Neunter seinen
selbst-inszenierten Gelüsten scheinbar einen politischen Strich durch die
Rechnung machte.
Wenn man so will, hat sich
Malcolm McDowell von diesem frühen Ruhm als Kubrick-Wunderknabe in der Folge
nicht erholt. Lindsay Anderson war für McDowell ein sensibler Freund, Kubrick,
auf dem Weg zu seinem eigenen Erfolgsgipfel, ein napoleonischer Exploiteur.
McDowell musste diesen Wunderknaben, das geniale Monster, das den gelangweilten
Set so richtig aufräumt und wegputzt, später immer wieder geben. »I’m singin'
in the rain.«
Dieses musikalische Zitat rücksichtslos einzusetzen, das war auch ein Einfall
von ihm. Er änderte damit die Logik des gesamten Drehbuchs. Und er gab diese
Show stets uneingeschränkt und voll.
In der Folge fehlten Drehbücher und Angebote, die die souveräne Körperlichkeit
des Darstellers auch in eine gewaltfreie Richtung hätten lenken können. Manches
Script war dann auch wieder zu bieder und zu konservativ. Und selbst Andersons
gutgemeinte Satire »Britannia
Hospital«
(1982) bietet nur eine Karikatur der Potentials von McDowell nach »Clockwork
Orange«.
In Tinto Brass’ und Bob Gucciones »Caligula«
(1979) brillierte er neben leicht abgetakelten Weltstars als inzestuöser Bruder
der völlig entblößten Julia Drusilla und als wahnsinnigster aller
tyrannisch-dekadenten Gott-Kaiser Roms, der auf der wasserlosen Bordell-Galeere
die Senatorengattinnen als Huren zu Billigpreisen für die leeren Kassen Roms im
Takt von Prokofjew antrieb.
Das Ideal des »Over
the top«,
der exzessiven Darstellung und des einschüchternden Körpereinsatzes, nicht in
der Weise sportiver Action-Stars, sondern im Zentrum des theatralischen
Kino-Schauspielens, als Theater der Grausamkeit, gerade auch psychisch, wie bei
Viscontis Helmut Berger, hat sich längst zur rationalen Kontrolle und
einvernehmlichen Leistungs-Glättung zwischen vielbeschäftigten TV-Mimen und
erfolgsgestressten, risikovermeidenden Klein-Regisseuren gemäßigt. Die letzte
Klappe ist für Malcolm McDowell, diesen singulären, hochkalibrigen
Auteur-Schauspieler zwischen aufregender High Art und hinreißendem Trash,
grotesken Kampfrollen und subtileren Besetzungen, wie in »Katzenmenschen«, »The
Player«
und »Dorian«,
noch lange nicht gefallen. Nur, wer führt bei dieser Unbändigkeit Regie und gibt
ihr eine cinematographische Form?
Caligula (1979)
Mit Peter O'Toole, John Gielgud, Helen Mirren