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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Klapse auf den Hinterkopf
Über Leif Randts »Schimmernder Dunst über Coby County«


Von Gregor Keuschnig

Ein silbernes Fast-Quadrat und grau-silberfarbene, vertiefte Buchstaben auf weißem Grund: Selten hat ein Cover die Stimmung eines Buches derart kongenial bebildert. Denn derart aseptisch erscheint das Leben in der fiktiv-utopischen Stadt CobyCounty in Leif Randts Roman.

Tatsächlich heißt es auf den Titelseiten noch "Coby County" - im Buch gibt es dann überall diese schicken Binnenmajuskeln, vom Kuchenbringdienst BakeryExpress über das Museum ConyCountyArthouse, einer ehemaligen Fabrik (Coleman&Aura), den Hügeln der Stadt (ColemanHills) und der Eisenbahngesellschaft CC.MetroExpress. Und natürlich heißt es jetzt CobyCounty, dieser im geografischen Niemandsland angesiedelte Ort, weder USA noch Europa. Ein Ort, in dem der Frühling Ende Februar beginnt und eine ganz spezielle Jahreszeit zu sein scheint - warm, mit vielen Touristen und Unmengen von Partys und Veranstaltungen.

CobyCounty erscheint zunächst als eine Mischung aus Thomas Morus' Utopia, einem durchgestylten, modernen Atlantis und verkappter Ökodiktatur. Die Energieversorgung ist autark und ökologisch korrekt – mit Solar- und Wind- und Wasserkraft. Die politischen Verhältnisse sind stabil; die Bevölkerung ist mindestens oberer Mittelstand. Die Dienstleistungen funktionieren perfekt. Alle sind schlank, soft gelaunt und verhalten sich smart. Man ist qualitativ hochwertig angezogen. Wims zeitweise enorm moralische Stimmung wäre - nach außen gekehrt - schon die Ausnahme. Man gibt sich gesundheitsbewusst: Auf Partys gibt es Fenchelcremesuppe (anschließend badet man zusammen), man trinkt Apfelsaftschorle oder Tee mit fettarmer Milch und bestellt eine Ruccolapizza mit Cocktailtomaten. Nicht ganz passend ist die Liebe zum selbstgemachten Espresso und - einer der zahlreichen Running Gag[s] - der geliebte Eistee. Im Untergrund (oder zu Hause) wird dann reichlich Alkohol getrunken. Aber warum tragen so viele Personen skandinavisch klingende Nachnamen?

Wie zum Beispiel der Ich-Erzähler, Wim Endersson. Er ist 26, seine Mutter 65. Das Buch beginnt mit ihrer Geburtstagsfeier. Sie ist Hotelmanagerin und lebt mit dem Architekten Tom zusammen; ihr Mann, Wims Vater, hatte CobyCounty verlassen, nachdem ein Film von ihm beim Publikum durchgefallen war. Überraschenderweise ist er nun zurückgekommen - mit seiner 34jährigen neuen Freundin. Wim ist in einer Literaturagentur beschäftigt, sucht junge, zeitgenössische Talente und redigiert ihre Texte. Zu Beginn ist er mit Carla befreundet. Wims Freund Wesley verläßt CobyCounty, um dann einige Tage später zurückzukommen und sich seiner Zuneigung zu Frank gewiss zu sein. Carla beendet die Beziehung mit Wim per Shortmessage. Später lernt er eine Keyboardverkäuferin kennen, die ebenfalls Carla heißt. Er nennt sie CarlaZwei. Dazwischen gibt es diverse Frühlingsfeste, an denen auch der Dokumentarfilm, der dem Buch den Titel gegeben hat, aufgeführt wird, eine Bürgermeisterwahl und eine Unwetterwarnung. Und scheinbar ist am Schluss auch alles überstanden.
Was zunächst belanglos klingt, wird in einem Tonfall zwischen Thomas Meinecke und Wilhelm Genazino erzählt. Dabei fällt die gefühlskontrollierte, fast gestelzte Sprache Wims auf, die mit Anglizismen und Relativsätzen gespickt ist. Die Menschen leben und erleben sich stark sozialkontrolliert, wie exemplarisch das küssende Paar zeigt, das Wim am Rande einer Party betrachtet:

Sie scheinen sich gerade kennenzulernen, wirken beide betrunken und haben die meiste Zeit die Augen geschlossen. Sie wissen, dass sie ein Bild abgeben. Bei einigen seiner Bewegungen, wenn die Hand zum Beispiel schon ihren Po streift, weicht sie zurück. Dann schauen sie sich kurz an. Er simuliert einen weichen Blick, den er sich im betrunkenen Zustand vielleicht sogar selbst glaubt, und sie genießt seinen leicht gelogenen Ausdruck, muss aber stets ihre Grenzen markieren. So wahren beide ihr Gesicht und können am nächsten Tag von einem Erfolg erzählen, von einem sinnlichen Erlebnis, aus dem sie jeweils als Gewinner hervorgegangen sind. Er hat sie gekriegt und sie hat klargemacht, dass sie nicht so leicht zu kriegen war.

Das nimmt gelegentlich komische Züge an, etwa wenn Wim Carla nicht zurückküsst und sich mit ich war kurz in Gedanken entschuldigt. Oder als Wim mit einer Frau tanzt und ihr testweise an den Po greift, und relativ positiv überrascht ist. Die Begründung des Chefs Wim zu beurlauben ist für ihn völlig griffig und richtig. Der Sex mit CarlaZwei ist nicht ruppig wie am Anfang mit Carla I, sondern eckig und sie macht nichts besonders gut, was Wim aber wahnsinnig recht ist, denn auch ihm gelingt nichts optimal.
Das Leben ist CobyCounty ist vernünftig, rational und geplant; man legt Wert darauf, ein in jeder Situation beherrschtes Verhalten an den Tag zu legen. So ist auch die Wahlbeteiligung immer bei rd. 96%; niemand will sich eine Blöße geben. Und sogar das Übergeben nach übermäßigem Alkoholgenuss oder Völlerei für den nächsten Tag wird entsprechend im voraus terminiert. Kotzen nach Ansage, sozusagen.

Aber es gibt Risse in dieser schönen Welt. Sie deuten sich zunächst nur sehr zaghaft mit den Veränderungen in Wims Privatleben an. Nach Carlas Trennungs-SMS bekommt er eine leicht abgestandene Melancholie. Dann geht die Bürgermeisterwahl anders aus als gedacht - obwohl niemand den siegreichen Herausforderer gewählt zu haben scheint. Schließlich brennt es in einem Außenbezirk und am Ende gibt es die Evakuierung infolge einer Unwetter- bzw. Sturmwarnung. Wim bleibt mit seiner Carla und einigen anderen und wie durch ein Wunder scheint nichts zu passieren. Dennoch: Die Furchtlosigkeit, mit der Wim am Ende mit CarlaZwei am Strand wandelt, wirkt aufgesetzt; irgendwie hat man das Gefühl, eine Katastrophe pompejanischen Ausmaßes ist nicht mehr weit.

So nebulös wie Wims Sprache und so pseudo-cool wie sein Verhalten (und das der anderen), so vage kommt auch Randts Prosa daher. Insofern soll hier etwas "abgebildet" werden. Nachteilig ist dabei, dass die Hauptfigur ein intellektuell eher anspruchsloser Junge ist, der als von Randt als eine Art "CobyCounty-Korrespondent" mit leicht narzisstischer Persönlichkeitsstörung ausgestattet wurde. Eine Entwicklung findet nicht statt und ist auch nicht vorgesehen. Auch Wesley, Wims Freund, der scheinbar mehr Informationen zu haben scheint, bleibt seltsam entrückt. Sein raunender Befund, der Zenit von CobyCounty sei längst überschritten, bleibt bloße Behauptung.

Leif Randt ist ein Meister der Andeutung. Es wimmelt von Interpretationsmöglichkeiten, die manchmal listig in der Schwebe gehalten werden und beim Leser Assoziationen hervorrufen. So bieten sich durchaus Parallelen zu einigen utopischen bzw. dystopischen Romanen und Szenarien an. Randt gelingt es, einen suggestiven Sog hervorzubringen. Geschickt verstärkt wird dies durch den Kursivdruck aller wörtlichen Rede (und von Wims Selbstzitaten), womit auch optisch ein Kontrapunkt zur schönen neuen Welt gesetzt werden soll.
"Schimmernder Dunst über Coby County" erzeugt durchaus eine gewisse Spannung. Und man findet einige hübsche Bilder, etwa die der Obstkorbkinder (nach dem Motto: Als es nach der Geburt noch Obstkörbe gab) oder das Besteckklappern als einziges Geräusch auf einer Party, auf der es kurz danach zum Eklat kommt. Aber Leif Randts Kunstfertigkeit, sein subtiles (gelegentlich doch ein bisschen gespreiztes) Spiel mit diversen (literarischen) Anspielungen wird dem Buch dann doch zum Verhängnis, weil letztlich alles verschwommen und indifferent bleibt und der Leser allzu leicht in Gleichgültigkeit flüchten kann. Wer dabei bleibt, erhält am Ende statt einer anregenden Kopfmassage nur ein paar Klapse auf den Hinterkopf. Gregor Keuschnig

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. Hierbei zwischen der im Buch kursiv gesetzten wörtlichen Rede der Protagonisten und den Erzählungen der Hauptfigur nicht unterschieden. 

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Leif Randt
Schimmernder Dunst über CobyCounty
Roman
Berlin Verlag
240 Seiten, Gebunden
18,90
ISBN-13: 9783827010278

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