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Artikel online seit 13.02.14

Schmierentheater mit Kinkerlitzchen

Alexander Schimmelbuschs
Buch »Die Murau Identität«

Von Lothar Struck







 

Sensation: Thomas Bernhard ist gar nicht tot und wurde 1989 einer "Antikörperbehandlung" unterzogen, die ihn mit exzellenter Gesundheit ausgestattet hat. Er lebt unter dem Namen Franz-Josef Murau in New York, ist verheiratet mit einer Spanierin und hat einen Sohn. Der Ich-Erzähler Alexander Schimmelbusch ist diesem Geheimnis auf der Spur und besitzt fünf "versiegelte Reiseberichte" aus den Jahren 1992 bis 2000 von Bernhards Verleger. Es geht darin vor allem um Ànima Negra, das ultimative Manuskript des Meisters; so etwas wie das letzte, ultimative Buch überhaupt.(Vermutlich in letzter Minute konnte der Verlag den Autor überzeugen, sein Buch entgegen der Vorankündigung nicht Ànima Negra zu nennen, zumal es sich um eine Weinmarke handelt.) 

Das ist also das sogenannte Setting in "Die Murau Identität" (ohne Bindestrich!). Und was hätte da noch kommen können. Stattdessen? Ein hibbeliger, narzisstischer Erzähler, der unbedingt mit Schimmelbusch gleichgesetzt werden soll und dies nicht nur, weil er sich mehrmals so nennt, sondern weil es vermutlich zum Plan dieses Buches gehört. Gut versteckt dabei, dass Schimmelbusch natürlich nicht nur Schimmelbusch ist, sondern sich als Esteban, den Sohn Bernhards sieht, der Investmentbanker ist (wie Schimmelbusch es im real life war) und sich gelegentlich als Künstler geriert (was Schimmelbusch sicherlich für sich in Anspruch nimmt).   

All dies wäre noch auszuhalten gewesen, wenn die Geschichte dann irgendwann als Satire, Komödie oder Groteske zünden würde, aber es wird dann nur ein veritabler Rohrkrepierer. Der Narziss Schimmelbusch will unbedingt auch ein bisschen Raddatz-Luxus-Flair herbeizaubern, Wein- und Champagnermarken werden aufgefahren, die Unterschiede zwischen Business-Class und First-Class diverser Fluglinien ausgebreitet und dem größten Hobby des Erzählers wird immer ausgiebig Platz eingeräumt: Er liebt den Oralverkehr, erinnert sich an die wenigen Momente ehelicher Harmonie als seine jetzige Ex-Frau vor ihm kniete und es ihm besorgte ("ich auf einmal keine Kritik mehr hörte, sondern die weichen Lippen meiner Ehefrau auf meinem Alter Ego spürte") und noch zwei Mal dürfen die Leser die sexuellen Vergnügungen des fellatiophilen Schimmelbusch lesen. Man ist irgendwann schon froh, dass beim Doppelnull-Journalisten A.S., auf den sogar eine als Rucksackträgerin getarnte New-York-Times-Journalistin angesetzt ist (auch hier – Sie wissen schon) das Diktiergerät im Montblanc-Füller eingearbeitet ist und nicht in seinem Penis.

Es sind nicht die einzigen Ablenkungen, die in diesen zähen Brei hineingerührt werden. So steht Schimmelbusch in einer Schlange in einer Starbucks-Filiale in Barcelona, (die Bemerkung "etwas Dümmeres als Starbucks-Kritik [ist] kaum denkbar" wird man hoffentlich fürstlich honoriert haben) und sieht die Blicke des spanischen Lumpenproletariats auf seinen schönen Anzug, was ihn zu allerlei Gedanken veranlasst. Oder es wird über Klein- und Großbürger philosophiert. Schließlich ist von einer Art Maschine mit dem Namen iMind die Rede, die es Menschen ermöglicht, "das Bewusstsein anderer zu erfahren". Zwischendurch wird über die "blasse Garde hauptamtlicher Bernhard-Exegeten" gelästert, wobei Schimmelbusch alias Schimmelbusch allerdings keinerlei exegetische Alternative anbietet. Also alles Kinkerlitzchen, die den Spannungsbogen bis zur Begegnung des Erzählers mit Bernhard/Murau aufrecht erhalten sollen.

Am Ende des Buches ist Schimmelbusch alias Schimmelbusch pleite, aber bekommt 28 Minuten Zeit, mit Bernhard alias Murau zu reden, wobei es natürlich einen einzigen Bernhard-Monolog gibt bzw. das, was Schimmelbusch da schreibt ein Bernhard-Monolog sein soll, der, damit seine erschreckende Unfähigkeit einen Bernhard-Monolog zu schreiben nicht so auffällt (okay, es gibt zwei halbwegs gut imitierte "Kalkwerk"-Sätze) , auch wiederum Ablenkungen Schimmelbuschs einstreut und am Ende dann in etwa so ergiebig ist als hätte man einem Glas Wasser beim Verdunsten zugesehen.

Also dann an die sogenannten Reiseberichte des Verlegers, der natürlich nicht Siegfried Unseld genannt wird, vermutlich auch gar nicht genannt werden darf, weil sonst Klagen drohen. Diese Klagen wären allerdings auch vollkommen gerechtfertigt wenn es so etwas wie ein Literaturgericht geben würde, denn ein solch belang- wie zusammenhangloses und lächerliches Zeug hat Unseld nie geschrieben, wie man mindestens im Briefwechsel Bernhard/Unseld hätte sehen können. Womöglich glaubt Schimmelbusch, dass es sich um eine Parodie handelt, aber wenn man dann so gar kein Sprachgefühl hat sollte man es doch seinlassen. Schimmelbusch braucht diese Notate allerdings für seine zweite Lieblingsbeschäftigung: das Handke-Bashing.

Schwer zu sagen, ob Schimmelbuschs Verehrung für Bernhard größer ist oder sein obsessiver Hass auf Handke. Dabei geht es nur vordergründig um Handkes kontrovers diskutierte Texte zu Serbien und Jugoslawien. Der Hauptgrund liegt wohl darin, weil Handke sich zwei-, drei mal in Interviews negativ bis verächtlich über Bernhard geäußert hat und Schimmelbusch solche Äußerungen als persönliche Beleidigungen auffasst, die es umgehend zu sühnen gilt. Nach seinem lächerlichen und vor Fehlern strotzenden Text im "Freitag" vor zwei Jahren gibt er seinem Äffchen nun abermals gehörig Zucker und diktiert dem "Verleger" allerlei Tiraden gegen Handke in die Feder. Passend hierzu hat ja die ZEIT soeben Werbung für "Die Murau Identität" gemacht und Schimmelbuschs Text über den 'Vergleich' von Bernhard und Handke publiziert, in dem er teilweise die gleichen Verdrehungen und Zitate-Fälschungen anbringt wie  im Buch, allerdings noch zusätzlich garniert mit deftigen Lügen, wobei man dies von Schimmelbusch ja durchaus gewohnt ist und inzwischen ist man es auch gewohnt, dass so etwas vom Feuilleton der ZEIT nicht wenigstens korrigiert wird, falls man das, was die ZEIT da produziert überhaupt noch Feuilleton nennen sollte und nicht vielleicht eher Klamauk oder, besser, "Schmierentheater".

Möglicherweise ist mein Gehirn die Wurzel all meiner Probleme", so mutmaßt Schimmelbusch alias Schimmelbusch alias Esteban in einer scheinbar hellsichtigen Phase, wohl wissend, dass derartige Passagen als Ausweis von Selbstironie gewertet werden und virtuelle Pluspunkte bringt. Nach vier Stunden Lektüre der 204 Seiten ist man derart erschöpft, dass man sich über nicht einmal mehr aufregen mag, so phantasielos und dumm ist dieses Buch einer weitgehend talent- und sprachlosen Krawallschachtel. Wenn es einen Gott geben sollte – warum schützt er nicht tote Dichter vor solchen Sympathisanten und uns, den Leser, vor einem solchen Schund? 

Von Lothar Struck ist u. a. erschienen: Der mit seinem Jugoslawien' – Peter Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik

 

Alexander Schimmelbusch
Die Murau Identität
Metrolit
208 Seiten
18,00 €
978-3-8493-0338-9

 


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