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Bücher & Themen Artikel online seit 05.01.13 |
Vom Geben und Nehmen
Teil 1 von Ulrich Seidls
Paradies-Trilogie: »Liebe«
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Wer sich in einen Ulrich Seidl-Film begibt, muß wissen, was ihn erwartet: Es wird sehr intim, sehr körperlich, sehr traurig, sehr komisch, sehr böse, sehr zärtlich; es wird peinlich, vielleicht sogar peinigend. Aber dafür gelangt man auch an einen Ort, an dem man noch nicht war. Im Inneren von Alltag und sexueller Ökonomie ganz normaler Menschen. Und das erste, was man da drin entdeckt, das ist, daß eigentlich gar nichts »normal« ist in dieser Welt.
Es gibt drei Dinge, die in
Ulrich Seidls Filme das Peinliche oder gar Peinigende, das unangenehm berührend
Intime und die Offenbarung des Grotesken und Korrupten im Alltag abfedern: Zum
ersten ein ungemeiner Gestaltungswillen – jede Einstellung ist ungeachtet des
Schrecklichen, das sie zeigt, auf eine besondere Weise schön. Es ist ein klares
Tableau, eine sprechende räumliche Anordnung. Die ungeschminkte Realität zeigt
sich in einem Rahmen reiner Kunst. Keinen Gedanken gibt es da an den
gewöhnlichen Voyeurismus des medialen Alltags. Das Ungeschönte entfaltet sich in
schönen Bildern. Zum zweiten gibt es da einen sehr wohl dosierten Humor. Keiner,
der erst heraus gekitzelt werden müßte oder der sich der satirischen
Übertreibung verdankte, schon gar kein Lachen der Überheblichkeit, sondern ein
Humor, der das Komische, das die Tragödien des Lebens grundiert, einfach nicht
verbirgt. Und am Ende ist, zum dritten, in Ulrich Seidls Filmen, so hart und
direkt sie uns auch angehen mögen, doch eine große Menschenliebe und eine
Neugier auf die Verhältnisse, in denen man so lebt und leidet, am Werk. Die
Schwäche des einzelnen ist nicht der Punkt, den man denunzieren will, sie ist
das Tor, das in das Innere führt. Denn es sind Menschen auf der Suche nach dem
Glück, nach Befreiung, nach Liebe. Unglücklicherweise führt die Befreiung des
einen nur zur Unterdrückung des anderen, unglücklicherweise lauert hinter jedem
Gefängnis, das man verläßt, schon das nächste. Teresa, alleinerziehende Mutter einer schon übergewichtigen, schon phlegmatischen Tochter, macht sich auf, das Glück in Afrika zu suchen. Dort, in Kenia, gibt es die Beachboys, junge afrikanische Männer, die sich weiße Sugarmamas suchen, die dafür bezahlen, daß sie sich noch einmal begehrt fühlen dürfen. Der Film zeigt mehrere Begegnungen Teresas mit Beachboys. Beim ersten Mal sind ihre Hemmungen noch zu groß, beim zweiten Mal verwechselt sie den Deal mit so etwas wie Liebe, beim dritten Mal hat sie schon die Regeln des Gebens und Nehmens gelernt, und am Ende hat sich Teresas Sehnsucht nach Liebe in ein kolonialistisches sexuelles Spiel verwandelt. Doch je roher ihr Verhalten als Sextouristin wird, desto ferner rückt ihr Traum. Nicht einmal die Verwandlung eines Opfers in eine Täterin ist wirklich gelungen. Näher noch als in ihren verzweifelten Liebeskämpfen sind wir am Ende Teresa in ihren Tränen. Zweimal zeigt Seidl sehr anschaulich, was da abläuft. Am ersten Tag füttert Teresa ein Kapuzineräffchen auf der Terrasse ihres Resort-Bungalows, und jedesmal, wenn sie es mit der Kamera festhalten will, ist es schon wieder mit seiner Beute verschwunden. Und mittendrin, als Teresas Verhalten von der Sehnsucht nach Liebe zum Verlangen nach sexueller Dienstleistung umgekippt ist, sehen wir die Damen aus Wien um ein Krokodilbecken stehen, fasziniert und erregt, wo die Tiere nach Fleischbrocken schnappen, die man ihnen hinhält.
Seidl denunziert weder die
eine noch die andere Seite. Zwei Jahre lang hat er im Milieu der kenianischen
Beachboys recherchiert, und einige von ihnen dafür gewonnen, ihre Rolle auch im
Film zu spielen. Wir verstehen die Beweggründe auf beiden Seiten nur zu gut; wo
das emotionale auf das materielle Elend stößt, kann nur neue Ausbeutung und neue
Gewalt entstehen. Und obwohl Teresa – mit bewundernswertem Mut von Margarethe
Tiesel verkörpert – eine ausgedachte Figur mit einer ausgedachten Geschichte
ist, ist »Paradies: Liebe« doch auch ein Dokumentarfilm. Nicht bloß einer über
Sextourismus in Kenia. Sondern über die Suche nach einer neuen Sprache der Liebe
in der globalisierten sexuellen Ökonomie. Georg Seeßlen |
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