»Gegen
5 fing es an schiefzulaufen. Janis (Joplin) schmiß Cocktailgläser durch die
Gegend. Linda M. (aus der Manson Family) saß mit dem chinesischen Koch in der
Badewanne, fuchtelte mit einem Tranchiermesser & drohte sich die Kehle
durchzuschneiden, sobald er ihr zu nahe kam. Ferlinghetti kotzte ins
Goldfischglas & O‘Gallagher schrie nach der Polizei.« Carl Weissner, von dem
diese Szene aus einem schrägen Leben stammt, war einer der letzten Überlebenden
der Beat Generation. Im Januar 2012 ist er mit 72 unerwartet gestorben. Die
meisten kennen ihn nur als Übersetzer, aber er hat auch großartige Prosa
geschrieben, von der nun eine Auswahl unter dem Titel »Eine andere Liga. Stories,
bei denen man auf die Knie geht und vor Glück in die Fußmatte beißt«
veröffentlicht wurde.
Die vielleicht beste Kurzgeschichte heißt »Last Exit to Mannheim«. Sie ist 1973
in der von ihm, Jörg Fauser und Jürgen Ploog herausgegebenen Untergrundpostille
»Gasolin23« erschienen und liest sich wie Hunter S. Thompson in seinen besten
Zeiten. Carl Weissner, der sich 1966 für zwei Jahre mit einem
Fulbright-Stipendium in New York und San Francisco herumtrieb, lässt da bereits
keinen Zweifel daran, wie Literatur zu sein hat. Jedenfalls kein
»Lindenblütentee und denaturierter Zwieback«, die er bei der von Grass und der
Gruppe 47 dominierten Nachkriegsliteratur assoziierte, denn da gab es »kein
Rülpsen mehr bei Tisch, keine fettigen Finger, keine Kotzflecken in der Diele,
keine verstopften Klos. Nie war deutsche Dichtung so arm an Pep und Kalorien.«
Als Gegenentwurf hatte Weissner eine Literatur im Sinn, die in einem
existentielle Saiten zum Schwingen bringt, Literatur aus der Gosse, Literatur
von Leuten, die den Bodensatz des Lebens kannten, die wie sein Freund Jörg
Fauser jahrelang an der Nadel hingen und die schon mal ins Maul der Hölle
geguckt hatten, die Schreiben als Notwehr begriffen.
In den sechziger Jahren erwarteten sehr viele junge Menschen mehr von Literatur
als moralische Erbauung, sie wollten eine Literatur, die ihre Erfahrungen
wiederspiegelte. Carl Weissner fand sie bei Bukowski, Burroughs, Warhol, J.G.
Ballard, Ken Kesey, der Beat-Generation, die alle in seiner persönlichen »Hall
of Fame« aufgelistet sind, und natürlich bei den stilbildenden Chandler, Hammett
und Ambler. Die damals zahlreich aus dem Boden sprießenden und meist sehr
kurzlebigen Untergrundmagazine waren das Übungsfeld für diese Art von Literatur.
Weissner experimentierte früh mit der Cut-up-Methode, um lineare Denk- und
Lesegewohnheiten zu durchbrechen, als »Demontage der klassischen d.h.
bürgerlichen Wirklichkeit«. Der Erkenntnisgewinn jedoch ist bescheiden und die
kleinen stilistischen Fundstücke zufällig und selten von befremdlicher
Schönheit.
Weissner blieb nicht dabei stehen, schon allein deshalb nicht, weil er zum
Übersetzer seiner Freunde aus der amerikanischen Untergrundszene wurde, als
deren Agent er sich z.T. auch betätigte. Gelegentlich aber schrieb er, und das
auf einem Niveau, das jedem Vergleich mit seinen Vorbildern und Freunden
standgehalten hätte. In einigen Kurzgeschichten scheint auf, welchen Erfolg Carl
Weissner als Schriftsteller hätte haben können, hätte er den langen Atem für ein
Buch gehabt. Aber Carl Weissner ging nie über eine »condensed story« hinaus, und
auch wenn er seine späten Werke wie »Manhattan Muffdiver« oder »Die Abenteuer
von Trashman« als Romane titulierte, so waren auch sie aus Miniaturen,
Fragmenten, Einschüben und Fundstücken zusammengesetzt, genauso wie das in
diesem Buch zum ersten Mal veröffentlichte Stück »Tod in Paris«, das als
kollektive Arbeit unter Federführung Weissners zustande kam und bislang nur auf
englisch im Internet kursierte.
Manchmal liest sich das wie ein Zettelkasten, Zeitungsschnipsel, die Weissner
aufgefallen sind und die er manchmal nur zitiert, manchmal eine kurze Meldung
daraus bastelt. Darin geht es immer wieder um die großen, nie enden wollenden
Perversionen dieser Welt, um Gewalt, Elend, Dummheit, Sadismus, Qual, Folter, um
Selbstmordattentäter und die Sinnlosigkeit ihres Tuns. Eine Lektüre hart an der
Grenze, aber mit jede Menge Realitätsgehalt. Vielleicht waren das die
Fingerübungen für den großen Roman, den Carl Weissner plante, bevor ihm der Tod
ins Handwerk pfuschte.
Es hat eineinhalb Jahre gedauert, bis ein Buch aus seinem Nachlass
veröffentlicht wurde. Es enthält Bild-Collagen, Interviews, Geschichten,
Vorworte, Fotos ohne Legenden, Porträts von ihm (über Bukowski) und über ihn
(von Jürgen Ploog), ohne zeitliche Chronologie, ohne inhaltliche Ordnung. Und
das alles in verschiedenen Schrifttypen, manche Texte weiß auf schwarz, manche
zweispaltig, manche Texte auf englisch, manche übersetzt. Warum das alles so
gemacht wurde, ist nicht nachzuvollziehen, auch nicht, warum man das Buch
umdrehen muss, um »Tod in Paris« lesen zu können. Schade ist es zudem, dass der
großartige Text über Jörg Fauser, der im »Rolling Stone« erschienen ist, nicht
in das Buch aufgenommen wurde.
Vermutlich wollte man den Charakter und die Ästhetik einer
Untergrundzeitschrift, in der viele Texte von Carl Weissner erschienen sind,
bewahren, aber ich glaube, das war keine gute Entscheidung, denn Carl Weissner
hätte es verdient gehabt, aus diesem mittlerweile und aus gutem Grund
vergessenen Milieu hervorgehoben zu werden. Eine sorgfältig editierte Ausgabe
wäre vermutlich besser gewesen, mit der mehr Leute etwas anzufangen gewusst
hätten als die üblichen Verdächtigen, bei denen jede Literatur unter
Generalverdacht gerät, die Erfolg hat oder möglicherweise in den Literaturkanon
aufgenommen wird. Genau das aber hätte Carl Weissner verdient gehabt.
|
Carl Weissner
Eine andere Liga
Stories, bei denen man auf die Knie geht und vor Glück in die
Fußmatte beißt
Aus dem Amerikanischen von Walter Hartmann
Hrg. Matthias Penzel und Vanessa Wieser
Milena Verlag
374 Seiten
24.90 Euro |