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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Sahras Visionen

»Freiheit statt Kapitalismus«
Wie Sahra Wagenknecht mit dem »Pippilotta-Prinzip« Deutschland retten will

Von Gregor Keuschnig

 Ist es nicht merkwürdig, dass bis heute einige der schlimmsten Diktaturen ein "demokratisch" in ihren Staatenbezeichnungen führen? Und/oder als "Volksrepublik" so etwas wie Pluralismus suggerieren? Warum werden so häufig bestimmte Termini ausgerechnet dann verwendet, wenn sie exakt das Gegenteil dessen bedeuten, was man gemeinhin damit verbindet? Und was hat das dauerhaft für Auswirkungen auf das kollektive Gedächtnis von Gesellschaften?

Man nehme den Begriff der "Freiheit", der in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit seine Unschuld spätestens 1976 verloren haben dürfte. Damals zog die CDU mit dem Slogan Freiheit statt Sozialismus (die CSU: "Freiheit oder Sozialismus") in den Bundestagswahlkampf. Ausgedacht von Alfred Dregger, einem strammen Rechtsaußen, sollte dies anzeigen, dass es - wie so häufig bei Bundestagswahlen - ums Ganze ging. Die Denunziation gegen den "Emigranten" Willy Brandt - eine "Tradition" in der Union seit den 50er Jahren - hatte nicht funktioniert. Brandt war aus anderen Gründen demissioniert - Kanzler war nun Helmut Schmidt und sein Gegenkandidat hieß Helmut Kohl. Da Schmidts Politik zu diesem Zeitpunkt pragmatisch-unspektakulär verlief und außenpolitisch auf eine Vertiefung der Ostpolitik Brandts setzte, musste schleunigst eine Hysteriemaschine angeworfen werden, die Schmidt nebst SPD als "Sozialisten" dämonisierte (man schreckte aus rein strategischen Gründen vor dem Begriff des "Kommunisten" zurück; natürlich war genau diese Assoziation intendiert), um den damals eher tollpatschig wahrgenommenen Kohl als Freiheitsfigur zu idealisieren. Das Ergebnis ist bekannt - die Unionsparteien erreichten 48,6% der Stimmen (nur 1957 gab es bis dahin mehr; 1983 wurde Kohl dann gegen Vogel mit 48,8% gewählt), aber Schmidt blieb Kanzler (fast ironischerweise durch eine Partei die auch das Attribut "frei" in ihrem Namen führt).

Nie mehr erholt

"Freiheit" war jedoch gründlich mit dem Odium des Kalten Kriegers kontaminiert, der in seiner antikommunistischen Paranoia hinter jeglichen Formen der Verständigung mit ideologisch nicht konformen Systemen den "Ausverkauf" der Werte an den Klassenfeind witterte. Von diesem psychopathologischen Missbrauch des Freiheitsbegriffs hat sich die West-Bundesrepublik im Grunde genommen nie mehr ganz erholt. Dies zeigte sich sowohl in der Bewertung der osteuropäischen Dissidentenbewegungen der 80er Jahre durch das linksintellektuelle Milieu als auch bei den Demonstrationen von Leipzig (und anderen Städten der DDR) 1989. Der emphatische Freiheitsbegriff, den die Demonstranten dort gegen eine bröckelnde Staatsmacht intonierten verstörte weite Teile der wohlstandsverwöhnten Bundesbürger, die das Grundrecht der Freiheit als Selbstverständlichkeit a priori begriffen (und später zum Teil in einem Anfall aberwitziger Milde von einer "kommoden Diktatur" schwadronierten). Fast zwangsläufig entdeckte im Volkskammerwahlkampf 1990 der CSU-Ableger "DSU" (eine Partei, die zu Recht glücklicherweise längst vergessen ist) die Dregger-Parole und reaktivierte sie; kurzfristig durchaus mit einem gewissen Erfolg. (Der Slogan wurde noch diverse Male wiederbelebt, u. a. mehrfach von der FDP, was deren Geschichtsvergessenheit auf Schönste illustriert.)

Man muss annehmen, dass der Titel von Sahra Wagenknechts Buch "Freiheit statt Kapitalismus" absichtsvoll gesetzt wurde. Dennoch gibt es einen Unterschied: War "Freiheit statt Sozialismus" als düstere Dystopie präventiv verwandt worden, so verspricht Wagenknecht mit "Freiheit statt Kapitalismus" eine Utopie. (Die These, dass unsere Gesellschaft derzeit nicht "frei" sei, die hier mitschwingt, wird im Verlauf des Buches ausführlich begründet.)
Und da ist sie dann wieder: Die implantierte Skepsis des Gebrauchs des Begriffs "Freiheit". Da will uns jemand "befreien". Und ich frage mich, ob ich das möchte. Oder ob es nicht vielleicht eine Kategorie kleiner geht?

Nein, geht es nicht. Sahra Wagenknecht verfechtet einen kreativen Sozialismus, der allen mehr Wohlstand bringt, mehr Gerechtigkeit erzeugt, alle gleicher macht und – als Kollateralnutzen – auch noch gesünder. Das vermeintlich Interessante: Sie, die Linken-Politikerin, die ihre Mitgliedschaft in der "Kommunistischen Plattform" ihrer Partei zur Zeit "ruhen" lässt (wie geht das - eine Überzeugung "ruhen" lassen?), beruft sich zu Beginn (und am Ende) des Buches überraschenderweise auf Walter Eucken, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard - alles Wirtschaftstheoretiker, die weit entfernt von jedem Verdacht links-sozialistischer Ideologie stehen. Gleichzeitig entdeckt man zum Teil wütende Nadelstiche gegen die deutsche Sozialdemokratie während und seit Rot-Grün 1998 bis zur Gegenwart.

Verstörung überall

Ist Sahra Wagenknecht jetzt auch "im System" angekommen? Die Verstörung ist jedenfalls groß - sowohl bei den Verfechtern der marxistischen Denkweise wie auch bei Wagenknechts politischen Gegnern. Hat die Autorin in ihrem Rekurs auf Müller-Armack dessen Verstrickungen in den Nationalsozialismus übersehen? Und wo bleibt der (scheinbar so unersetzliche) Marxismus-Jargon, hört man die Adepten klagen. Tatsächlich ist das Buch in dieser Hinsicht äußerlich frei. Wohltuend, von den gängigen -Ismen derart verschont zu bleiben. Und einer bemerkte sogar ein Lächeln der Autorin auf dem Cover und mutmaßt da einiges hinein. Wagenknecht als Weiterentwicklerin der ordoliberalen Wirtschaftswissenschaft? Ludwig Erhard reloaded sozusagen? Ist es mehr als nur eine strategische Masche, Erhards "Wohlstand für alle" als Maxime einer neuen Gesellschaftsform zu revitalisieren?

Aus "Reichtum für alle", einem naiv-dümmlichen Robin-Hood-Verteilungsversprechen, wird nun "Wohlstand für alle". Das ist nur scheinbar eine Spur pragmatischer - das wird aber erst am Ende des Buches deutlich. Da sich Wagenknecht auf die Marktwirtschaftler Eucken und Erhard und das Ahlener Programm der CDU beruft, erstaunt der Begriff des "kreativen Sozialismus", den sie für ihr Konzept gefunden hat. Vielleicht wäre "sozialistische Marktwirtschaft" treffender gewesen. Dennoch: Die Eingriffe in den Markt und mithin die Wirtschaft, die Wagenknecht vornehmen will, sind - bei allem Bekenntnis zu "Leistungsgesellschaft", "Wettbewerb" und "Innovation" - fundamental.

Das Buch ist in zwei nahezu paritätische Teile aufgeteilt, die von einem Prolog und einem Epilog eingerahmt werden, in denen der bereits erwähnte Rekurs auf die liberalen Wirtschaftswissenschaftler erfolgt. Leider führt die Klarstellung zu Beginn, dass mit "Neoliberalismus" eine gänzlich andere Wirtschaftsordnung verbunden wurde, als das, was heute darunter verstanden wird, nicht dazu, dass Wagenknecht auf die despektierliche Verwendung dieses Begriffs im weiteren Verlauf des Buches verzichtet.

Allerlei Beiworte

Im ersten Teil beschäftigt sich Wagenknecht mit der Diagnose des heutigen Kapitalismus, wobei sie das Resultat ihrer Ausführungen in der Überschrift "Unproduktiver Kapitalismus" schon vorweg nimmt. Da wird in überschäumender Wut das unwürdige Dasein und das Elend der Hartz-IV-Hölle gegeißelt, von der systematischen Zerschlagung der Sozialsysteme durch die mächtigen Wirtschaftslobbys fabuliert und der EU-Binnenmarkt als Teufelswerk willfährig-korrupter Politiker beschimpft. Ständig wird das Bild "Monopoly"-spielenden Bankster oder anderer "Kapitalisten" bemüht. Wo immer es geht, wird Personen oder Personengruppen das Beiwort Haie zugewiesen. Gruppenverbindungen geraten schnell zur Mafia; Bankmanager sind Ackermänner, Unternehmer zuweilen durchgeknallt und Quartalsirre (in Anspielung auf die von Börsenunternehmen quartalsweise veröffentlichten Berichte). Familienunternehmen sind wahlweise Eigentumsdynastien oder Kriegsschauplätze (wenn es um Nachfolgeregelungen geht) und werden durchgängig als Clans apostrophiert. Besonders die Quants und die Klattens haben es Wagenknecht angetan; die "Albrechts" dagegen bleiben verschont - vermutlich bieten sie keinen historisch-politischen Aufregungs-Mehrwert (Verstrickung in den Nationalsozialismus).

Mit ihrer Lust mit besonders eingängigen Bildern Stimmungen zu erzeugen, schießt Wagenknecht gelegentlich mit allzu gewagten Metaphern über das Ziel hinaus, etwa wenn sie von der Hydra der Private-Equity-Haie spricht oder von Zockerbanden, die beim russischen Roulette weich fallen würden. Politiker, die wirtschaftsfreundliche Politik betrieben haben, sind mindestens verdächtig, korrupt zu sein. Statt zu erklären, dass Ratingagenturen ihre Bewertungen im Auftrag der Kunden vergeben, werden daraus einfach Lügennoten.

Die Globalisierung ist übrigens eine Lüge - wobei Wagenknecht vermutlich (aber das ist nicht ganz klar) nicht den Vorgang als solches meint, sondern die vermeintlichen Vorteile einer Globalisierung. Sie habe, so die These, nur dem Großkapital genutzt. Eine hanebüchender Unsinn, wofür es hunderte Millionen Gegenbeweise in Form von Mittelschicht-Indern und -Chinesen gibt (die im übrigen die Exporthausse Deutschlands größtenteils befördern).

Innovationen als Allheilmittel

Interessant ist Wagenknechts (an Schumpeter gebundenes) emphatisches Verhältnis zu "Innovation" und "Investition". Sie zitiert Wirtschaftstheoretiker, die primär nicht den Gewinn als Ziel eines Unternehmens betrachten, sondern den Innovationsgrad, der zur Weiterentwicklung der Produkte und damit zu Kundenzufriedenheit und -bindung führt. Dabei ignoriert sie, dass es seit Jahrzehnten kontinuierlich Innovationen und Investitionen gibt - freilich handelt es sich um Personal- und Prozessinnovationen, die infolge der Automation, die in größerem Rahmen in den 70er Jahren einsetzte, zu enormen Produktivitätssteigerungen führte - bei gleichzeitig sinkendem Personalbedarf. Ein vollständig blinder Fleck bei Wagenknecht.

Um die Wirtschafts- und Sozialsituation Deutschlands (und Europas) besonders dramatisch darzustellen, bedient sich die Autorin gelegentlich eines simplen Tricks: Statistiken über die Situationen aus den USA (oder auch Großbritanniens) werden herangezogen und mit den deutschen Kennzahlen auf geschickte Weise miteinander verknüpft. So malt sie das Gespenst einer drohenden De-Industrialisierung an die Wand. Und natürlich hat es in den USA (und noch mehr in Großbritannien) in den letzten Jahrzehnten eine beispiellose Schrumpfung von Arbeitsplätzen im industriellen Sektor gegeben. Ganze Industriezweige haben die westliche Welt verlassen und wurden nach Asien ausgelagert. Wagenknecht diversifiziert diese Entwicklung jedoch nicht. Tatsächlich stellen die USA noch 20% der weltweiten Güter her; ein Wert der seit fast 20 Jahren nahezu unverändert ist (nicht zuletzt eine Folge von "Innovationen"). Die US-Industrieproduktion ist immer noch höher als die Chinas. Da die Asiaten jedoch im Bereich der (billigen) Konsumgüter einen enorm hohen Exportanteil haben, wird suggeriert, die meisten anderen Länder hätten ihre Produktion mehr oder weniger aufgegeben. Wagenknechts vorgebrachter Vorwurf, die Politiker würden zu schnell auf Vereinfachungen hereinfallen, gilt nicht nur hier für sie selbst. Beispielhaft und auf die Spitze getrieben wird diese Form der Statistikauslegung und unzulässigen Vermischung, wenn es darum geht, wieviel Prozent der Bevölkerung welche Volumina der Vermögenswerte besitzen bzw. kontrollieren und wie sich die Einkommensströme verteilen. Hier verwendet sie Statistiken je nach passender Meinung (zum Nachlesen: Seite 139).

Kuchenstückchen

Überhaupt entwickelt Wagenknecht einen kreativen Umgang mit Zahlen und deren Interpretation - in der Beurteilung volkswirtschaftlicher Prozesse übrigens nicht unüblich, was zuweilen die These aufkommen lässt, die Ökonomik sei im strengen Sinne keine Wissenschaft. Weil es zu ihrem Weltbild gehört, dass der "kleine Mann" mit seinem "Hungerlohn" nicht in der Lage ist, relevante Ersparnisse anzulegen, wird das Geldvermögen in Höhe von 4000 Milliarden Euro (ein andermal ist von 4,9 Billionen Euro die Rede) zur Gänze und völlig beleglos den Superreichen zugeordnet. Ein Blick in die Statistik der Bundesbank hätte genügt, um festzustellen, dass die Spareinlagen bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit rd. 600 Milliarden Euro angegeben werden. Wagenknecht betont zu Recht, wie wichtig diese Form der Geldinstitute für den Angestellten und Arbeiter ist. Demzufolge kann man guten Gewissens davon ausgehen, dass die hier angesparten Summen zum großen Teil von diesen "einfachen" Leuten angespart wurden.

Die Volkswirtschaft teilt Wagenknecht in drei Kuchenstückchen auf. Es gibt ein Lohnstück, ein Staatsstück und ein Profitstück. Letzteres füllt sich immer mehr, während die anderen beiden immer wieder aufgegessen werden. Wagenknechts Aussagen zum Konsumverhalten der Superreichen sind nun ziemlich widersprüchlich. Mal heißt es, sie konsumierten nicht mehr, sondern anders (als schlösse das eine das andere aus), mal veröden die Vermögen sinn- und nutzlos auf den Konten, mal treiben sie die Finanzwirtschaft zu jenen Zockereien an und mal mästen sie nur eine kleine Luxusindustrie. Scheinbar gibt es auch den Fall, dass sie - in geringem Maße – an Investitionen beteiligt sind. Dann schränkt die Autorin jedoch sofort wieder ein, dass diese Investitionen nicht besonders lukrativ seien, was im übrigen bei den derzeit niedrigen Zinsen nicht richtig ist. In jedem Fall geht es irgendwie darum, an das Profitstück heranzukommen. Es hat zuweilen etwas Erfrischendes, wenn man komplexe Vorgänge derart reduziert erklärt; zur Klarheit trägt es jedoch nicht immer bei.   

Natürlich sind die in den letzten Jahrzehnten in der Wirtschaft aufgetretenen Veränderungen alles andere als schönzureden. Zu recht erklärt die Autorin den hochriskanten Schneeballsystemen der Finanzwirtschaft den Krieg und es ist in der Tat skandalös, warum die Regierungen spätestens seit der sogenannten Finanzkrise 2009 nicht entsprechend reagiert haben (zur Not auch ohne Zustimmung der angelsächsischen Regierungen und deren Satelliten). Aber warum hat man Sahra Wagenknecht nicht gesagt, dass das Bombardement mit Alarmismen, Pejorationen und Invektiven, die den Leser durch ihre aufgesetzte Impertinenz nicht nur ermüden, sondern auch die Möglichkeit, sich sein eigenes Urteil zu bilden, manipulativ beeinflussen sollen und ihn damit fast beleidigen, einfach unnötig ist? Schafft man es nämlich irgendwie diese rhetorischen Phrasengewitter ohne Brummschädel zu überstehen, erkennt man, dass etliche der Zustandsbeschreibungen korrekt und fundiert beschrieben sind. Und so ist es schließlich eine Mischung aus Müdigkeit und Nervosität, die hohe Erwartungen für den zweiten Teil Kreativer Sozialismus: Einfach. Produktiv. Gerecht. wecken.

Aber auch hier verheddert sich Wagenknecht in seitenlangen Exkursen, die den jeweiligen Ist-Zustand in ihrem Sinne aufbereiten bevor sie dann die – in wichtigen Details ziemlich vagen - Handlungsvorschläge unterbreitet. Die Schulden der EU-Staaten will Wagenknecht mit der Streichung der Alt-Schulden (ausgenommen sind hier die Kleinanleger, die mit 500.000 Euro veranschlagt werden), der Verstaatlichung der großen Finanzkonzerne und einer einmaligen Vermögensabgabe auf sehr hohen Vermögen bei den Millionären und Multimillionären erreichen. Dies müsse mit einer radikalen Umverteilung der Einkommen von oben nach unten und einer solide[n] Steuerpolitik einher gehen. Damit wäre die Finanzdiktatur beendet. Dies ist sicherlich richtig. Es fragt sich nur, wie diese Form der Diktatur dann genannt werden kann.

Partieller Realitätsverlust

Sie geißelt mit großem Furor die - wie sie behauptet – seit mehr als zwanzig Jahren kolportierte Mär von der Notwendigkeit einer privaten Rentenvorsorge und beschießt die Riester-Rente mit Vehemenz (den Riester-Schwachsinn hält sie für einen originellen Coup der privaten Versicherungswirtschaft sieht - als Beleg dient ihr, dass Riester nach seiner Ministertätigkeit dort als Werbeträger fungierte und Vorträge hielt). Ihre Analyse ist zunächst durchaus zutreffend. Schließlich will Wagenknecht aufzeigen, dass private Alterssicherungssysteme nicht funktionieren können, weil sie sich u. a. Kapital an volatilen Märkten besorgen müssen - eine These, die zuweilen losgelöst vom tatsächlich schrecklich komplizierten Riester-System geführt wird. Wenn dann jedoch das Hohelied auf die umlagefinanzierte Rente gesungen wird und vom Demografie-Mythos die Rede ist, fragt man sich schon, in welchem Land Frau Wagenknecht lebt.

Ernsthaft behauptet sie, dass der verteilbare Einkommenskuchen pro Kopf der Bevölkerung…2030 - wenn der Kapitalismus die Wirtschaft nicht völlig ruiniert - nicht kleiner, sondern größer sein wird als heute. Dies deshalb, weil Arbeitsproduktivität und Löhne steigen würden. Als Beleg für die Gültigkeit dieser These auch unter unveränderten Bedingungen führt sie (leider ohne Beleg) eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus, nach der die Zahl der in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer 2025…gar nicht unter, sondern in etwa auf dem heutigen Niveau liegen würde. Heutiges Niveau? Naja. So ganz wird dann das Niveau doch nicht gehalten: Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter sinke, so wenige Zeilen später, um 2 Millionen. Aber das bedeute nichts, denn eine höhere Beschäftigungsrate - sie flugs vorausgesetzt wird - nebst kontinuierlich steigender Produktivität würde zu gleichen Einzahlungen in die Sozialsysteme führen wie jetzt. Die weiteren Bedingungen für diese These stehen allerdings im Kleingedruckten: Notwendig sei, so Wagenknecht, ein jährliches Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent und Produktivitätssteigerungen von 1,3 Prozent. Angesichts der Wachstumswerte der vergangenen Jahre sind dies äußerst optimistische Vorbedingungen. Und selbst wenn sie eintreten ist die Annahme ziemlich kühn, dass, wenn die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter schon um 2 Millionen sinkt, die verbliebenen einen mit der Zeit stetig steigenden Bedarf an Rentenleistungen erwirtschaften können, ohne dass die Beiträge ist immense Höhen steigen (hierüber erfährt man nichts).  

Abgesehen davon, dass sich Wagenknecht im weiteren Verlauf des Buches unbedingt vom gängigen Wirtschaftswachstumsbegriff (das BIP) verabschieden will - übrigens aus guten Gründen - und abgesehen davon, dass diese beiden Bedingungen bei derart gesättigten Märkten absolut illusorisch sind (auch hierfür gibt Wagenknecht Beispiele in ihrem Buch), zeigt diese Stelle einen ziemlichen Realitätsverlust, den sie sich bei ihren Vorhersagen in die Zukunft gönnt. Hinzu kommt, dass ihre Annahmen durch das IAB selbst widerlegt werden: In einer Studie vom August 2011 kommt das Institut unter Fortschreibung der gängigen ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen zu einem ganz anderen Fazit: "Die Zahl der Personen, die dem Arbeitsmarkt potenziell zur Verfügung stehen, wird bis 2025 um fast 3,5 Millionen sinken." Wagenknechts ohnehin brüchiges Konstrukt bricht vollends zusammen. Ihr Schluss, über das Eintreten der Voraussagen würde die wirtschaftliche Entwicklung entscheiden und nicht die Demographie ist in diesem Zusammenhang schlichtweg Unsinn, da sie ein wahnwitziges Wachstum benötigt, dass sie in dieser Form an anderer Stelle nicht nur ausdrücklich ablehnt, sondern auch unmöglich wäre. Übrigens dürften sich die Konditionen nach 2025 noch gravierender verändern, weil danach sukzessive die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Im gesamten Kapitel über die Rentenversorgung gibt es außer der vagen Andeutung einer Neuorganisation der Eigentumsordnung keinen einzigen Vorschlag, der über bloße Wunschträume hinausgeht (Lohnsteigerung über Produktivität; Arbeitslosigkeit aktiv bekämpfen; Mindestlohn).

Mit dieser Kritik an Wagenknecht ist nicht der gängigen privatwirtschaftlichen Argumentation das Wort geredet, die zum Teil von der Politik allzu willig übernommen wurde bzw. wird. Es soll nur exemplarisch gezeigt werden, wie Wagenknecht ihre Lösungsvorschläge mit Annahmen rechtfertigt, die heute schon illusorisch sind. Utopien basieren zwar unter anderem auf die Freisetzung bisher ungeahnter Potentiale. Aber diese müssen wenigstens theoretisch erfüllbar sein.

Verstaatlichungen 3.0

Mit brachialen Mitteln will Wagenknecht gegen die regulierungsresistenten Banken vorgehen. Auch dies erfolgt nicht ohne Abschweifungen beispielsweise über die Sündenfälle der EU hinsichtlich der deutschen Landesbanken. Deren marode Lage führt sie teilweise auf Bestrebungen zurück, diese Landesbanken zu "privatisieren" und privatwirtschaftlichen Renditeerwartungen zu unterziehen (eine teilweise richtige Einschätzung, die allerdings das Versagen der Politik auf der ganzen Linie nur unzureichend erklärt und Verantwortlichkeiten allzu gerne auf persönliche Bereicherung reduziert - statt Überforderung oder Geltungssucht als teilweise Verursacher gelten zu lassen). Und die Einflußnahme Brüssels auf eine mögliche Zerschlagung des Sparkassenwesens der Bundesrepublik, die im letzten Augenblick noch verhindert werden konnte, erwähnt sie merkwürdigerweise nicht. Wagenknecht wiederholt ihre Aussage, die großen Banken zu verstaatlichen, um die Finanzoligarchie zu entmachten. Die Großbanken sollen auf ein gemeinnütziges Geschäftsmodell wie aktuell von Sparkassen und Genossenschaftsbanken praktiziert, verpflichtet werden. Sie sollen wieder, wie Wagenknecht formuliert, Diener der Realwirtschaft werden und lieber fünf falsche Ideen finanzieren als eine gute sterben lassen. Ihr Vertrauen in die staatlich eingesetzten Lenker dieser Kolosse ist dabei scheinbar grenzenlos.

Ganz am Rande erwähnt Wagenknecht, dass die Zockerabteilungen der Banken abgewickelt bzw. veräußert werden sollen (letzteres ist interessant: an wen?). In ihrer Analyse weist sie übrigens kein einziges Mal auf Clintons Aufhebung des Glass-Steagall-Acts aus dem Jahr 1999 hin, mit dem die über 60 Jahre gültige Trennung der Finanzwirtschaft zwischen Geschäfts- und Investmentbanken aufgehoben wurde (in einem Halbsatz schreibt sie lediglich, dass Obama bei der Zurücknahme dieses Vorgangs gescheitert sei). Eine ähnliche Aktion zur Befriedung der Situation der Banken (die bestimmte Investmentinstitute nicht mehr "systemrelevant" machen würde) und/oder die Einführung einer Tobin- oder Börsenumsatzsteuer zieht Wagenknecht offensichtlich erst gar nicht ins Kalkül. Warum auch an "Kleinigkeiten" herumdoktern wenn die große Verstaatlichungskeule geschwungen wird?

Die Banken sind nur der Anfang. Wagenknecht möchte alle Unternehmen, die lebensnotwendige, "öffentliche" Güter anbieten, verstaatlichen. Hierzu gehören Leistungen der Grundversorgung wie Wasser, Energie, Mobilität und Kommunikation. […] Das gleiche gilt für Bildung, Gesundheit, Mietwohnungen und die ganze Palette kommunaler Dienste, aber auch Pharmaunternehmen und die Medien. Auch wenn letzteres ist durchaus problematisch ist, finden sich bei Wagenknecht genug Beispiele, die ihre These stützen. So sollte die Bahn wieder zu ihrer "Kernkompetenz", der Beförderung von Menschen auf der Schiene, zurückkehren und sich nicht als weltweiter Logistikgigant gerieren. Schlüssig weist sie nach, dass die Privatisierung öffentlicher Aufgaben (ÖPNV, Müllentsorgung, Wasserversorgung) mehr Nachteile als Vorteile aufweist. Und tatsächlich erscheint es nutzlos, mehr als 150 gesetzliche Krankenklassen aus Gründen des "Wettbewerbs" auszuhalten, die ein gemeinsames Leistungsspektrum von rd. 99% vorgeschrieben bekommen (nebst den überflüssigen Kassenärztlichen Vereinigungen - aber derart ins Detail geht Wagenknecht nicht).   

Interessant ist Wagenknechts Rekurs auf das Gemeinwohl. Ihre Definition hierzu: Leistung für alle zu moderaten Preisen, abgesichert durch Sozialtarife für Geringverdiener. […] Umweltgesichtspunkte sind wichtiger als Rentabilität, Nah- und Fernverkehr müssen vor allem attraktiv sein und sich nicht unbedingt rechnen. Die Energieerzeugung muss den Übergang zu erneuerbaren Energieträgern umsetzen… Interessant und lesenswert, wie Wagenknecht auf nur sieben Seiten (d. h. 2% des Buches) den reinen Umstieg auf einen "grünen Kapitalismus" aus Gründen der Systemimmanenz verwirft und zu dem Schluss kommt: Wer eine umweltverträgliche Wirtschaft will, muss den Kapitalismus hinter sich lassen. 

Karpfen statt Haie

Mit gravierenden Einschnitten geht Wagenknecht gegen Großunternehmen vor, deren politische Macht sie damit auch bekämpfen möchte. Unternehmen ab 10 Milliarden Euro Umsatz oder 50.000 Beschäftigten (nur in Deutschland? Oder weltweit?) werden teilverstaatlicht, in dem der Staat eine Sperrminorität von 25% übernimmt und damit wesentliche Unternehmensziele bestimmt (die gängigen Mitbestimmungsmodelle hält Wagenknecht – wohl zu Recht – für gescheitert). Großunternehmen seien keine Privatangelegenheit. Aber gleichzeitig versucht sie, zu beruhigen: Dies betreffe nur 0,2% aller Unternehmen. Vielleicht stimmt dies mit der reinen Anzahl der Unternehmen - die Auswirkungen wären jedoch gravierend, denn betroffen wären immerhin 20 der 30 DAX-Unternehmen. Und da sie an einer gut versteckten anderen Stelle im Buch auch die eventuelle Marktmacht eines Unternehmens als weiteren, wichtigen Grund für (Teil-)Verstaatlichung sieht, erscheint dieser Wert eher niedrig angesetzt. Mit der geordneten Zerschlagung von Wirtschaftsmonopolen oder kartellhaften Oligopolen soll die Wettbewerbsfähigkeit der KMUs steigen. Es ginge darum, Karpfen [zu] züchten statt Haie, so Wagenknecht in einem sehr schönen Bild. Ein hehres Ziel. Aber ist eine Monokultur aus Karpfen erstrebenswert? Und was hat das mit ordoliberalem Gedankengut zu tun? So driftet sie im Laufe des Buches immer mehr in Richtung Joseph Schumpeter, übernimmt dessen Unterscheidung zwischen Kapitalist und Unternehmer (wobei für Wagenknecht ein "Kapitalist" auch ein "Großunternehmer" ist) und bekräftigt mit einer in Koketterie abdriftenden Naivität, der echte Unternehmer dürfe nicht gegängelt und unterdrückt, sondern gefördert und unterstützt werden.

Es gibt reichlich Steuern und Abgaben, beispielsweise eine Vermögenssteuer von 5-10% auf alle Vermögen ab 1 Million Euro (bei Unternehmen sollen deren Gewinne zwecks Investitionen dort verbleiben oder an die Mitarbeiter ausgeschüttet werden). Langfristig wären diese Vermögen also irgendwann fast vollständig in Staatseigentum übergegangen. Es gibt eine Dividendensteuer von 75% (auf ähnlichem Niveau dürfte sich die Zinsabschlagssteuer bewegen). Schenkungen und Erbschaften sind bis 1 Million Euro steuerfrei ("Omas Häuschen" soll unangetastet bleiben) – danach beträgt sie 100%, d. h. alles (Omas Schmuck nicht mehr). Bei Unternehmen fließt das Geld auch hier in unveräußerliche Belegschaftsanteile.

Wagenknechts Vertrauen in den Staat und deren Lenker ist trotz der zahlreich zu entdeckenden gegenteiligen Beispiele enorm. Mit der Tatsache, das Staatsunternehmen nicht mehr dem Zwang unterliegen, Profit sozusagen "um jeden Preis" zu erwirtschaften, rechtfertigt sie diese Methoden. Ihre historischen Ausführungen zu den Erfolgen von Staatswirtschaften und Staatsunternehmen sind jedoch absurd: Sie erläutert anhand der europäischen Volkswirtschaften nach dem zweiten Weltkrieg, wie effizient der Staat gewirtschaftet habe wobei sie die östlichen Gesellschaftsmodell[e] ausdrücklich ausnimmt. Die Begründung ist interessant: Man hätte dort den Fokus nicht allein in der Veränderung der Eigentumsverhältnisse gelegt sondern gleichzeitig versucht, die Marktbeziehungen zwischen den Unternehmen durch eine detaillierte Planung der gesamten Volkswirtschaft zu ersetzen. Ob letzteres nicht irgendwann fast zwangsläufig eine Folge des ersteren wird?   

Immer wieder Schumpeter

Die Beispiele, die sie aus Frankreich, Italien, Großbritannien (England) und Österreich hervorbringt, sind verzerrende Darstellungen. Denn damals – nach dem Krieg - gab es natürlich keine privaten Investoren. Der Staat war mangels Alternative gezwungen, als Marktakteur aufzutreten. Da die Wirtschaften durch die Kriegsfolgen am Boden lagen, sind Wachstumsraten keine besondere Kunst. Als Wagenknecht einmal mehr von Schumpeters "schöpferischer Zerstörung" schwärmt (sie verwendet durchgängig den Begriff der "kreativen Zerstörung"), wird in einer kurzen Passage mit der Dynamik einer vollständigen Zerstörung einer Volkswirtschaft plangespielt, in der die Wirtschaft noch einmal von ganz unten neustarten muss. Der Wiederaufbau würde dann eine umweltverträglichere Industrie hervorbringen, als dies in einer Ökonomie möglich wäre, die mühsam eine neue Infrastruktur parallel zur alten implementieren müsste. Obwohl Wagenknecht diese Möglichkeit schnell verwirft (Einer solchen Situation würde allerdings – wie der Nachkriegszeit – so unendlich viel Leid, Armut und Not vorhergehen, dass die Menschheit schlecht beraten wäre, lammfromm abzuwarten, ob dem Kapitalismus im tiefsten Tal der Tränen irgendwann ein dynamischer Neustart gelingt), schwingt doch eine gewisse Faszination für diesen postapokalytischen Neuanfang mit.   

Die Versäumnisse der Staatswirtschaften in den 50er und 60er Jahren, die sich unter anderem in krisenhaften Entwicklungen zeigten ("Stahlkrise", "Kohlekrise") nimmt sie zwar zur Kenntnis, ordnet sie aber nicht handelnden Personen zu. Für den Stadtkämmerer, der seine Gemeinde in ein undurchsichtiges Swap-Geschäft mit großen Verlusten führt, hat sie sogar noch tröstende Worte bereit.

Dabei neigen Staatsakteure nicht unbedingt zu schöpferisch-inspirierter Innovationsbereitschaft: sie bevorzugen den Status quo – schon weil ihre Repräsentanten wiedergewählt werden wollen (für Wagenknecht ist das ein Vorteil). Erstaunlich am Rande, wie das zutiefst elitaristisch agierende Frankreich als vorbildhaft dargestellt wird. Von China hat Wagenknecht nur eine äußerst selektive Kenntnis, wenn sie rühmt, dass dort die größten Unternehmen noch weitgehend staatlich seien. De facto stimmt dies zwar aber sie vergisst, dass innerhalb dieser Kolosse (die Wagenknecht in Deutschland sofort entsprechend zerschlagen würde) sehr wohl ein Wettbewerb stattfindet, da es sich nicht um Staatsmonopole handelt. Desweiteren übersieht sie, dass in China im Rahmen einer Privatisierung seit den 90er Jahren eine Vielzahl KMUs entstanden waren; zum Teil aus den rd. 20 Millionen entlassenen Beschäftigten, die aus staatlichen Unternehmungen freigesetzt wurden. Und schließlich vergisst die starken sozialen Diskrepanzen die sich in China wie in fast keinem anderen Industrieland auftun – auch und gerade durch eine ungenügende Regulierung der Staatsbetriebe, die wie Wirtschaftsunternehmen geführt werden.    

Pippilotta-Prinzip

Mit diesem Buch ist deutlich geworden, was Sahra Wagenknecht unter "Freiheit" versteht. Zwar plant sie – darauf weist sie ausdrücklich hin - kein Revival einer Planwirtschaft (die Planungsautonomie soll in den Unternehmen verbleiben, die dann noch übrig sind). Aber die Antwort, in welchem Rahmen diese Maßnahmen durchgeführt und umgesetzt werden sollen, bleibt sie schuldig. Soll Deutschland dies im Alleingang machen? Wird also diesmal eine Art ökonomischer Mauerbau das Wort geredet? Natürlich erwägt sie auch Zölle für den Handel zwischen Regionen mit vollkommen unterschiedlichen Lohnniveaus und Produktionsbedingungen, die nicht nur den hiesigen Produzenten […] mehr Luft zum Atmen lassen sondern auch Vorteile für die Beschäftigten in den Schwellenländern bedeuten würde. Möchte sie denn die eingenommenen Zölle etwa transferieren oder stellt sie Arbeitslosigkeit als soziale Alternative dar?

Welche Auswirkungen auf die ökonomische Situation der Bundesrepublik im Verhältnis zu anderen Volkswirtschaften hätten die Vorschläge? Wie stünde es um die Attraktivität Deutschlands am Weltmarkt? Und: Wagenknecht saß immerhin fünf Jahre im europäischen Parlament. Wie würden all diese Maßnahmen, insbesondere die neue Eigentumsordnung, verfassungs- und europarechtlich beurteilt? Dazu gibt es nur einen läppischen Satz: Hierfür wäre…eine Veränderung der europäischen Verträge wünschenswert. "Pippilotta-Prinzip" nennt man sowas inzwischen: "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt." Schade.

Dennoch: Muss man auch häufig bei der Lektüre den Kopf schütteln, so wünscht man sich doch gelegentlich, dass all die genannten Initiativen einmal umgesetzt werden würden. Zumal ja inzwischen auch konservative Publizisten zu zweifeln beginnen. Das schöne bei dieser Form von Utopien ist, dass der Konjunktiv als Rettungsanker fungiert: Man wird nie erfahren, ob es funktioniert – daher kann jemand wie Wagenknecht guten Gewissens sagen, dass es funktioniert hätte. Es obliegt nun jedem, sich die Rosinen aus diesem Kuchen herauszupicken. Davon gibt es durchaus einige. Aber es ist wie im richtigen Leben: Wenn man zuviel nascht, verdirbt man sich unter Umständen den Magen. Gregor Keuschnig

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.

Bildnachweise:

"Freiheit statt Sozialismus" - Wahlplakat CDU: Konrad-Adenauer-Stiftung

"Reichtum für alle" - Wahlplakat Die Linke:  "Politplatschquatsch"

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Sahra Wagenknecht
Freiheit statt Kapitalismus
Eichborn
Hardcover mit Schutzumschlag
368 Seiten
19.95 Euro, 28.50 sFr
ISBN:9783821865461

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