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Der
Kopf voller Sterne
Tim Wintons Surfer-Roman »Atem«
Echte Surfer
sind süchtig, nach dem Meer, der Sonne und nach den Wellen, den hohen Wellen,
der höchsten Welle. Der Erregung überhaupt. Davon erzählt Tim Winton in seinem
neuen Roman »Atem«.
Der Australier weiß, wovon er schreibt. Und er weiß auch, wie er schreiben muß.
Zweimal schon stand er auf der Shortlist des Booker-Prize, dem Adels-Verzeichnis
englisch-sprachiger Literatur.
»Ich war ein Einzelkind und von Natur aus ein
Eigenbrötler.« – sagt der elfjährige Bruce von sich. Er lebt in einem kleinen
Kaff an der australischen Westküste. Nach der Schule geht man schwimmen und vor
allem tauchen. Bruce und sein ein Jahr älterer Freund und Rivale Loonie halten
die Luft an bis ihnen übel wird und die Köpfe »voller Sterne« sind.
Bald genügt ihnen das Tauchen im Fluß nicht mehr. Sie besorgen sich Surfbretter
und ziehen ans Meer. Sie suchen das Risiko. Das wird schnell zur Sucht. Der alte
Hippie Sando ist ihnen zum Vorbild. Er verführt sie zu halsbrecherischen
Aktionen. »Wenn du am Ende noch immer lebendig auf deinen Beinen stehst,
durchschießt es dich wie Elektrizität. Du fühlst dich lebendig, hellwach ...
Mann, das ist so, als hättest du die Hand Gottes gespürt«.
Langsam rollen die Wellen in großen Wogen an, türmen sich steil auf, brechen,
die Gischt schäumt, es donnert und kracht, und die Surfer reiten auf dem Kamm
der Welle. Wenn sie Pech haben, werden sie herumgeschleudert und irgendwann
wieder an die Oberfläche gespült.
Auch der Leser erlebt, fast atemlos, die Macht und Kraft des Wassers. Er spürt
die Gischt auf der Haut. Empfindet das Glücksgefühl des Surfers, dem es gelungen
ist, die Welle zu reiten und wieder einmal überlebt hat.
»Und schon war die Welle über mir, ihre Masse überholte mich so schnell, daß ich
meinte, rückwärts zu fahren. Um mich herum war nichts als brodelnder Dampf. Ich
hing im kochenden Nest aus Schaum ganz oben in ihrer Spitze, aufgehoben in Lärm
und Ungläubigkeit, bevor ich in einer Walze blendender Gischt nach unten fiel.
Das Aufrichten war ein reiner Instinkt, ich schlitterte direkt vor diesem
geifernden Chaos dahin und mein kleines Brett ratterte unter meinen Sohlen«.
Diese kurzen Glücksgefühle, die die drei erleben, lassen sie immer waghalsiger,
verrückter werden. Sie stecken ihre Grenzen immer weiter. Es drängt sie immer
stärker zum ultimativen Kick. Sie glauben, sie hätten das gewöhnliche Leben für
immer hinter sich gelassen.
Sando, ihr Meister und Guru, lebt mit einer sehr jungen Frau in einem alten Haus
in einer abgelegenen Bucht. Beide arbeiten nicht regelmäßig. Sie führen ein
Leben, das besonders Bruce, inzwischen vierzehn geworden, total fasziniert.
Sando und Loonie, der Freund von Bruce, verschwinden für einige Wochen, um ein
noch aufregenderes Gebiet zum Surfen zu finden. In dieser Zeit verführt die
junge Frau aus Langeweile oder Einsamkeit, oder beidem, den unerfahrenen Bruce.
Er wird hungrig nach Sex. Eva, die junge Frau, verlangt von ihm Praktiken, die
lebensgefährlich sind, für sie aber erst das »wahre Leben« bedeuten.
Aus der Rückschau, er ist inzwischen fünfzig geworden, empfindet Bruce diese
Gratwanderung zwischen Leben und Tod als reinen Wahnsinn. Er hat keinen Kontakt
mehr zu seinen früheren Freunden, erfährt allerdings, dass Loonie und Eva ums
Leben gekommen sind. Seine eigene Ehe ist gescheitert, und er zieht Bilanz. Aber
wer einmal auf dem Wellenkamm geritten ist, den Kitzel der Gefahr so intensiv
gespürt hat, tut sich schwer, ein normales Leben zu führen. Auch der gealterte
Bruce sucht noch immer den Reiz der Gefahr. Er ist Sanitäter geworden und wenn
die Sirene heult, schießt sein Adrenalin hoch, er wird hellwach – und glaubt,
sich selbst wieder richtig zu spüren.
Der alte Bruce ist, das spürt man als Leser, zwar ein armer Hund. Das Leben, das
er einst geführt hatte, ist vorbei. Aber es war ein Leben, wie es nur wenige
erleben. Sigrid Lüdke-Haertel
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Tim Winton
Atem
Roman
Aus dem Englischen von Klaus Berr.
Luchterhand Verlag, München 2008,
236 S., 16,95 €
Leseprobe
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