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Unzumutbare Wahrheit

Rolf Löchel über Ingeborg Bachmanns Briefwechsel mit Paul Celan

"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", versicherte Ingeborg Bachmann 1959 dem Publikum in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden. So ganz sicher schien sie sich jedoch nicht zu sein. Und so sprach sie wohl nicht zufällig lieber allgemein von dem Menschen, und zielte somit auf ein allen Menschen gemeinsames Wesen, und nicht etwa von den Menschen, womit jeder einzelne mit all seinen je ganz verschiedenen Eigen- und Besonderheiten gemeint wäre. Dem Menschen also ist die Wahrheit zumutbar, darum aber noch lange nicht einem jeden jede Wahrheit. Und ganz sicher nicht diesem einen Menschen, Paul Celan, der Bachmann so nahe stand wie nur wenige andere, eine ganz bestimmte Wahrheit. Celan, einer der vielen Millionen, die in - und sofern sie überlebten - durch die Hölle der Shoah getrieben worden waren. Einer, der fortan an einer Verletzlichkeit litt, die wohl nur die LeidensgefährtInnen wirklich verstehen konnten und die immer wieder zu klinischen Schüben führte. Bachmann teilte Celans Leidensgeschichte zwar nicht. Doch gehörte sie zu den nicht eben zahlreichen GefährtInnen, die es wenigstens versuchten - auch wenn dies schwerlich gelingen konnte. Doch eines wusste Bachmann: Diesem Menschen ist die Wahrheit, eine bestimmte Wahrheit zumindest, nicht zuzumuten. Und so schrieb sie ihm im September 1961 zwar einen Brief von geradezu grandioser Wahrhaftigkeit, doch schickte sie ihn - man muss sagen: wohlweislich - nicht ab.

Im Herbst 1961 also, zwei Jahre nach ihrer Dankesrede und auch zwei Jahre nachdem Günther Blöcker eine Rezension der "Sprachgitter"-Gedichte veröffentlicht hatte, die Celan als antisemitisch empfand. Bereits im Frühjahr 1961, ein halbes Jahr bevor Bachmann den besagten Brief schrieb und nicht absandte, hatte dann Claire Goll ihre 1953 erstmals erhobenen und ebenso berühmte wie ungerechtfertigten Plagiatsvorwürfe gegen Celan erneuert. Beide Male wandte er sich zutiefst getroffen an nahestehende Menschen, um Unterstützung zu erbitten. Dabei begegnete er ihnen jedoch zugleich mit einem tiefen Misstrauen, das nur allzu bereit war, jedes abwägende Wort als Verrat zu denunzieren.

Schon im August 1959, unmittelbar vor Blöckers Rezension ging Celan der Vorwurf der Judenfeindlichkeit allzu schnell über die Lippen, wenn er den Eindruck hatte, jemand habe sich ihm persönlich gegenüber des Antisemitismus schuldig gemacht. So bescheinigte er in einem Brief an Bachmann den "patentierten Antinazis" Alfred Andersch und Heinrich Böll aufgrund seiner "höchst konkreten Erfahrungen", sie hätten es sich in ihrer "seinerzeitigen Unbescholtenheit (war es, so muss ich, und ich habe Grund dazu, fragen, wirklich in allen Teilen Unbescholtenheit) auf das bequemste und einträglichste eingerichtet", so dass sie "sich jetzt und hier - die eklatantesten Gemeinheiten leisten" würden - "freilich nur 'privat' und nicht in der Öffentlichkeit, denn das schadet ja bekanntlich dem Prestige". Er aber "sehe wieviel Niedertracht" in ihnen stecke, ganz im Unterschied zu Martin Heidegger, "der an seinen Verfehlungen würgt, der nicht so tut, als habe er nie gefehlt, der den Makel, der an ihm haftet, nicht kaschiert".

In einem Brief an Max Frisch bezichtigte Celan Böll wenige Monate später gar der "Verlogenheit und Niedertracht und Hitlerei". Vor allem letzteres ist völlig unhaltbar und der Vergleich zugunsten Heideggers zudem denkbar ungerecht, hat sich der Existenzphilosoph - abgesehen von einer lapidaren Bemerkung im Spiegel - doch nie öffentlich von seiner nationalsozialistischen Verblendung zu Beginn der Nazidiktatur distanziert. Bachmann reagiert auf Celans außergewöhnliche und schwerlich gerechtfertigte Milde gegenüber Heidegger mit einem Hinweis auf ihre während der Arbeit an ihrer Dissertation erworbenen Kenntnisse der Existentialphilosophie. Anders als Celan, sehe sie "die Einbruchstelle" für Heideggers "politische Verfehlung" in dessen Denken und Werk.

Wenige Wochen nach Celans ersten brieflichen Ausfällen gegen Böll und Andersch erschien Blöckers Rezension mit einer tatsächlich in einer bedenklichen Wortwahl vorgetragenen, doch eher ästhetischen Kritik vor allem an der "Todesfuge". Bachmann versuchte, den empörten Celan mit der Bemerkung zu beruhigen, dass er für seine Gedichte im allgemeinen doch "sehr [...] bewundert" werde und daher schon "Deines Ruhmes wegen [....] immer wieder der Versuch gemacht werden wird ihn zu schmälern". Auch stellte sie infrage, ob Blöckers - in ihren Augen offenbar eher belanglose - Kritik tatsächlich antisemitisch sei. "Wer über die Todesfuge das schreibt, was dieser Blöcker darüber geschrieben hat, der schändet die Gräber. Auch meine Mutter hat nur dieses Grab", antwortet Celan völlig außer sich und bittet Bachmann "mir nicht mehr zu schreiben, mich nicht anzurufen, mir keine Bücher zu schicken" und "das gleiche" auch Max Frisch auszurichten, mit dem Bachmann seinerzeit liiert war. Doch nur fünf Tage darauf lässt er wieder von sich hören: "Ich bin in Sorge um Dich, Ingeborg", beschwört er sie. Doch tatsächlich geht es ihm gar nicht um die Freundin, sondern um ihn selbst. Denn, so fährt er fort, "mein Notschrei - Du hörst ihn nicht, bist nicht bei Dir (wo ich Dich vermute), bist [...] in der Literatur".

Dieser misstrauisch-vorwurfsvolle Gestus prägte den Briefwechsel von Seiten Celans bereits früher und mehr noch in der Folgezeit. So wirft er Bachmann ein halbes Jahr später vor, sie habe sich "verabenteuert", und spricht ihr mit einer ganz eigenen Unlogik jede Möglichkeit des Einspruchs ab: "dass Du es nicht einmal weißt, ist [...] der beste Beweis dafür". Zugleich überschüttet er sie mit vollkommen ungerechtfertigten Vorwürfen. "[All jene[n], die mich nur allzu gerne verleumden", glaube sie "aufs Wort; mich fragst Du nicht einmal. Alles über mich Zusammengelogene hat für Dich Evidenz. Mich selbst willst Du nicht wahrnehmen, nicht wahrhaben, nicht fragen", und lässt seine Anwürfe in der rhetorischen Frage gipfeln: "Schämst Du Dich nicht, Ingeborg?"

Zu konstatieren, dass diese Anwürfe absurd und ungerecht sind, wäre allerdings noch zu wenig gesagt. Denn schließlich verteidigte Bachmann - ebenso wie manch andere - Celan nicht nur in der Goll-Affäre, sondern versuchte zudem, auf ihn selbst mäßigend einzuwirken und zu verhindern, dass er sich von Golls Verleumdungen zerstören ließ: "[I]ch bitte Dich, laß die Geschichten in Dir zugrunde gehen, dann meine [ich], gehen sie auch aussen zugrund. Mir ist oft, als können die Verfolgungen [uns] nur [etwas anhaben], solang wir bereit sind, uns verfolgen zu lassen. Die Wahrheit macht doch, daß Du darüber stehst, und so kannst Du's auch wegwischen von oben." [Einfügungen von den HerausgeberInnen des Briefwechsels]

In dieser Situation also schrieb Ingeborg Bachmann im Herbst 1961 jene eingangs erwähnten Wahrheiten, die sie Celan dann doch nicht zumuten wollte: "Ich glaube, dass das grössere Unglück in Dir selbst ist", konstatierte sie sicher zutreffend, ohne allerdings darauf einzugehen, wie es in ihn hineingekommen ist - nämlich in den Lagern -, und fuhr eindringlich fort: "Es kann jetzt nur von Dir abhängen, ihm richtig zu begegnen, Du siehst ja, dass alle Erklärungen, jedes Eintreten, so richtig es auch gewesen sein mag, in Dir das Unglück nicht verringert hat, wenn ich Dich so sprechen höre, kommt es mir vor, als sei alles wie es vor einem Jahr war, als gelte nur das andere, der Schmutz, das Hämische, die Torheit. [...] Das ist Dein Unglück, das ich für stärker halte als das Unglück, das Dir widerfährt. Du willst das Opfer sein [...] Du willst, dass die Schuld haben an Dir [...] ich glaube nicht, dass die Welt sich ändern kann, aber wir können es". Die "Selbstverleugnung" von Celans Frau Gisèle Celan-Lestrange, "ihr schöner Stolz und ihr Dulden" seien vor ihr "mehr [...], als Dein Klagen".

Der Brief blieb als Entwurf liegen. Bachmann schrieb Celan statt dessen eher knapp, dass sie auf eine mündliche Aussprache hofft. Doch dazu scheint es nicht mehr gekommen zu sein. Auch war dies ihr vorletzter Brief an ihn, dem nur noch einige kurze Nachrichten in einem Schreiben aus dem Dezember des gleichen Jahres folgten. Celan antwortete nicht mehr. Erst im September 1963, nach Bachmanns Klinik-Aufenthalt in Berlin, und dann noch mal vier weitere Jahre später meldete er sich wieder. Doch nun war es Bachmann, die nicht mehr reagierte.

Lange war der Briefwechsel zwischen den beiden wohl bedeutendsten deutschsprachigen NachkriegslyrikerInnen, die mit ihren Gedichten je auf ihre Weise ein berühmtes Diktum Theodor W. Adornos widerlegten, unzugänglich und es schien keinerlei begründete Hoffnung zu bestehen, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern werde. Doch nachdem 2001 Celans Briefwechsel mit seiner Frau und drei Jahre später Bachmanns Korrespondenz mit Hans Werner Henze veröffentlicht worden waren, stimmten Bachmanns Erben überraschenderweise der Veröffentlichung der Briefe zwischen Bachmann und Celan zu. Briefe, in denen sich wohl nicht ein einziges Moment der Leichtigkeit, der Unbeschwertheit finden lässt. Auch nicht in den Briefen der - wie die HerausgeberInnen schreiben - aus Rumänien geflohenen "displaced person" und der gerade mal 21-jährigen österreichischen Philosophiestudentin im Jahre 1948, dem Jahr, in dem sie sich kennen lernten und in einander verliebten. Von Beginn an überschatten Probleme, Missverständnisse und Celans schwierige und unzugängliche Persönlichkeit ihre Liebe.

Als sich für Bachmann wenige Monate, nachdem sie einander kennen und lieben gelernt hatten, die Möglichkeit abgezeichnete, entweder in die USA oder nach Paris, wo Celan lebte, zu gehen und sie seinen Rat erbat, reagierte er nicht etwa mit einfühlsamen Verständnis für ihre offensichtliche Unsicherheit, ob sie willkommen ist, sondern mit Vorwürfen: "Als jener Brief kam, in dem Du mich fragtest, ob Du Paris oder die Vereinigten Staaten wählen solltest, hätte ich Dir gern gesagt, wie sehr ich mich freuen würde, wenn Du kämst. Kannst Du einsehen, Ingeborg, warum ich es nicht tat? Ich sagte mir, daß wenn Dir wirklich etwas (daß heißt, mehr als etwas) daran läge, in der Stadt zu leben, in der auch ich lebe, Du mich nicht erst um Rat gefragt hättest, im Gegenteil." Schon damals, im August des Jahres 1949 nahm er für sich in Anspruch, was er ihr nicht zubilligt: Wünsche unausgesprochen zu lassen, in der Hoffnung die Andere möge auch so um sie wissen.

Bereits im August 1949 stellt Bachmann fest, sie sei "wohl die Einfachere von uns beiden, und doch muss ich mich eher erklären, weil es für Dich schwerer zu verstehen ist." Von Beginn an ist sie die Empfindsame, er der Empfindliche. Und ganz dem Geschlechterklischee gemäß ist sie es, die in der Zeit ihrer beiderseitigen Liebe die 'Beziehungsarbeit' leistet, während er ihr und nur ihr die Schuld an Zwistigkeiten zuschiebt, deren Lösung er ebenfalls von ihr erwartet.

Sie sei, schreibt er ihr 1951, "die Seite", die für das "Entstehen" der "Situation, in der wir uns befinden [...] massgebend (um nicht zu sagen: verantwortlich) war", während er, "nicht zuletzt durch Dein allzu beharrliches Schweigen [...] vor Problemen stehe". Dabei lässt er nur seine Sicht als die einzig angemessene, ja wahre und objektive gelten und verlangt von Bachmann, diese mittels "wahrheitsgetreue[m] Erinnern" zu übernehmen und "das Geschehene als das [zu] empfinde[n], was es auch wirklich war". Zudem möchte sie doch bitte "nur ein wenig sparsamer mit [Ihren] Ansprüchen" sein. Von ihm selbst, so schließt er lapidar, gebe es "nicht viel zu berichten". Bachmann reagiert schmerzlich getroffen: "Was Du auf das Intimste meiner Briefe zu antworten hast, weht mich sehr kühl an". Und doch mag sie ihm keine Vorwürfe machen - "aber ich verstehe und respektiere Dich zu sehr, um Bitterkeit in mir aufkommen zu lassen". Nur dass sie "Ansprüche stelle, vielleicht zu hohe", mag sie sich "nicht übel nehmen".

Schon während des ersten Jahres ihrer Liebe der Ferne, das "mit wenigen, aber sehr zärtlichen Grüssen, ganz kleinen Versuchen zu sprechen, aus denen bis heute noch nicht viel geworden ist", verstrichen ist, hatte sie Celan versichert, er sei "an nichts 'schuld'". Hingegen reagiert sie seinen Vorwürfen und Schuldzuweisungen gegenüber defensiv und stets verständnisvoll: "Dein Abscheu und Dein 'Zorn' ist begreiflich - was ich nicht verstehe, und das muss ich einmal sagen - ist diese schreckliche Unversoehnlichkeit, das 'niemals vergeben und niemals vergessen', das fuerchterliche Misstrauen, das Du mich fuehlen laesst." Doch Celan mag die Richterrolle gegenüber der Angeklagten durchaus nicht ablegen: Mit ihren Briefen schaffe Bachmann "Undeutlichkeiten, mit denen ich nun wieder ebenso schonungslos ins Gericht gehen muss, wie seinerzeit mit Dir selbst."

Auch Celans Misstrauen den ihm Nahestehendsten, auch der Geliebten, der Freundin gegenüber macht sich bereits in den ersten Jahren bemerkbar, und bricht sich in ebenso gravierenden wie haltlosen Verdächtigungen Bahn, wie ein Brief Bachmanns aus dem Herbst 1951 zeigt, der allerdings ebenso wie der zehn Jahre später geschriebene ein bloßer Entwurf blieb. Celan hatte von ihr einen Ring zurück verlangt, der weit mehr als ein bloßes Liebespfand war - handelte es sich doch um den Ring, den die von den Nazis ermordeten Frauen in Celans Familie getragen hatten. Vermutlich also Celans Großmutter und sicher seine Mutter. Diesen Ring hatte Celan Bachmann anvertraut und verlangte ihn nun zurück. Erhalten ist nur Bachmanns Reaktion auf diese Forderung, die allerdings sehr deutlich macht, welche Verletzung die aus Bachmanns Briefentwurf erahnbare Begründung der Rückforderung für sie bedeutete: "Der Verdacht, den Du [...] gegen mich aussprichst, scheint mir so ungeheuerlich, dass ich jetzt, zwei Tage, nachdem ich es erfahren habe, mich noch zusammennehmen muss, einen klaren Gedanken zu fassen und die Bitterkeit und Verzweiflung nicht zu zeigen, die über mir zusammenschlagen. [...] es geht hier nicht um Dich und um mich, mir jedenfalls nicht - sondern nur darum, ob das, wofür ich stehe vor dem, für das dieser Ring steht, bestehen kann. Und ich habe Dir nichts zu sagen, als dass mein Gewissen vor den Toten, die diesen Ring getragen haben, besteht. [...] Ich weiss, dass Du mich verabscheust und dass Du mir zutiefst misstraust, und ich bedaure Dich, weil Du, um eine Enttäuschung zu verwinden, den anderen, der Dir diese Enttäuschung gebracht hat, so sehr vor Dir und den anderen zerstören musst. Dass ich Dich dennoch liebe, ist seitdem meine Sache geworden."

Selbstverständlich werden in dem immerhin über anderthalb Jahrzehnte andauernden, mal mehr, mal weniger intensiven Briefwechsel, der zwei Liebesbeziehungen zwischen den beiden Korrespondierenden überdauerte, eine Reihe lebensgeschichtlicher Ereignisse und zur Entscheidung anstehender Fragen angesprochen, wie etwa die bereits erwähnte Alternative Bachmanns, in die USA oder nach Paris zu gehen. So auch Bachmanns Frankfurter Poetikvorlesungen, die sie in einem "Augenblick" angenommen habe, "in dem ich nicht zurechnungsfähig war". Obwohl er sich zuvor gegenüber ihrer Bitte um entsprechenden Rat bedeckt gehalten hatte, gibt sich Celan, nachdem Bachmann eine Entscheidung getroffen hatte und sie nun beklagte, als der von Anfang an hellsichtigere: "ich hatte, ich habe - und es wäre falsch, es Dir zu verschweigen - wirkliche Bedenken".

Eine anderer Stelle belegt, wie viel Vertrauen Bachmann zu Beginn ihrer Beziehung mit Frisch in den Schweizer Autor setzte: "Ich bin sehr froh, sehr aufgehoben in Güte und Verständnis, und ich bin nur manchmal traurig über mich selbst, weil eine Angst und ein Zweifel nicht ganz weggehen, der mich selbst betrifft, nicht ihn." Ein Vertrauen, das - wie man weiß - zutiefst enttäuscht wurde.

Frisch ist im vorliegenden Buch jedoch nicht nur als Thema der zwischen Bachmann und Celan gewechselten Briefe präsent, sondern auch als Briefautor. Denn die HerausgeberInnen haben sich dankenswerterweise dafür entschieden, die Korrespondenzen zwischen Celan und Frisch ebenso wie die zwischen Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange in den Anhang aufzunehmen. So wird manches erhellt, was ansonsten im Dunkeln geblieben wäre.

Beeindruckend sind insbesondere die Briefe die Bachmann und Celan-Lestrange wechselten. Die gemeinsame Sorge um den Freund, Geliebten und Gatten verband die beiden Frauen auf eine Weise, die zu einem über Celans Suizid hinaus andauernden freundschaftlichen Verhältnis führte. Bachmann bewunderte nicht zuletzt "die unerschöpfliche und tapfere Liebe", die Celan-Lestrange ihrem Mann über viele Jahre hinweg schenkte. Nicht Freundschaft, nur diese könne Celan "im Unglück helfen". Doch wie Celan-Lestranges Antwort verrät, wusste sie schon damals, im Frühsommer 1960, "daß auch ich Paul nicht immer helfen kann".

Neben den beiden Briefwechseln bietet der Anhang einen Stellenkommentar, der mit meist kurzen, aber informativen Sacherläuterungen aufwartet. Ihn zu konsultieren lohnt sich fast immer.

Zwar kann der vorliegende Band nach der Publikation des Briefwechsels zwischen Celan und seiner Frau keine derart überraschenden Einblicke bieten, wie es dieser mit der Wiederaufnahme der Liebesbeziehung Bachmanns mit dem nunmehr verheirateten Mann Ende der 1950er-Jahre tat, doch wirft er ein erhellendes Licht auf das biografische Moment in Bachmanns Lyrik und Literatur. Ein Licht, das Hans Höller und Andrea Stoll in einem ebenfalls angehängten Kommentar entzünden. "Die Spannungen der symptomatischen Rede im Briefwechsel, die Verkennungen und Missverständnisse, die Schuldzuweisungen oder der im Schweigen sich manifestierende Widerspruch lassen alle harmlosen Vorstellungen von Dialog und Intertextualität fragwürdig erscheinen." Rolf Löchel

Dieser Artikel erschien zuerst by Literaturktitik.de

 

Ingeborg Bachmann / Paul Celan: Herzzeit. Briefwechsel.
Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
400 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-13: 9783518420331

 

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