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Hörprobe - Metamorphosen
 

 

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»Oh my name it is nothin'
My age it means less
The country I
come from
Is called the Midwest.«











Portrait of Allen Ginsberg and Bob Dylan by Elsa Dorfman (1975)

GNU Free Documentation License


Die Fluchtbewegungen des Bob Dylan

Ulrich Breth über die Metamorphosen des großen Rätselhaften

Der Mann ist auf der Durchreise hier, um bei uns hereinzuschauen. Er hat sich etwas zurückgelehnt. Er trägt einen Stetson, Hemd und Anzug im western style. Die Oberlippe ziert ein Menjoubärtchen, von einem Lächeln umspielt. Die Balance aus Zerbrechlichkeit und Entschlossenheit, die er ausstrahlt, wirkt vertraut, und doch ist der Mann ein Rätsel geblieben. Das Foto von David Gahr auf der Rückseite des Albums Love and Theft ist nicht nur eine Momentaufnahme des Mannes der Masken, als der Bob Dylan oft beschrieben worden ist. Es signalisiert die Erfüllung dessen, was er im Titel eines seiner frühen Meisterwerke zum Anspruch erhob: Bringing It All Back Home. Er hat seine Sachen, wenn es denn ginge, fast schon nach Hause gebracht.
Seit seinem Comeback mit dem Album
Time Out Of Mind ist Bob Dylan präsenter denn je. Mit seinem monumentalen Spätwerk, der Veröffentlichung von Best Of-Alben und älteren Konzertmitschnitten, als Autor, Zeichner, Filmdarsteller, Moderator einer Radioshow und bevorzugter Gegenstand akademischer Aufmerksamkeit.

Das entscheidende Merkmal seiner Selbstinszenierung bestand seit jeher im Wechsel von musikalischen Stilrichtungen, der abrupten Abkehr von erreichten Standards, radikalen Neuanfängen, der Rückkehr zu den Anfängen seiner musikalischen Inspiration, die in den archäologischen Alben The Basement Tapes, Good As I Been To You und World Gone Wrong dokumentiert ist, der erstaunlichen Wandlungsfähigkeit seiner Stimme, mit der er seinen Songs immer wieder neue Bedeutungsnuancen einhaucht, und den Metamorphosen im äußeren Erscheinungsbild, in denen sich der beständige Wandel seiner musikalischen Aussagen reflektiert. Hinzu kommt, daß er, dem oft genug Verrat an diesem und jenem vorgeworfen wurde, keine Position, die er einmal bezogen, hinterher völlig von sich gewiesen hat. Die Momentaufnahmen seiner Karriere stehen nahezu gleichberechtigt nebeneinander, und es scheint, als sei dem song and dance man inzwischen jeder Augenblick seines Lebens zitierbar geworden.

Der Umstand, daß Bob Dylan unzählige Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen hat, sein Leben und Werk in einigen glänzend geschriebenen Arbeiten dokumentiert sind, die Dylanologen täglich neues Material zutage fördern, das in Foren weltweit diskutiert wird, hat unser Bild von ihm angereichert, aber auch dessen Konturen etwas verwischt. Wir wissen zuviel über ihn, um Genaues von ihm wissen zu können. Auch deshalb ist das Phänomen Bob Dylan ein Rätsel geblieben, und genauso war es vermutlich von Anfang an gemeint, als der junge Robert Allen Zimmerman auf seinen Wanderjahren, die ihn von Minnesota ins green rich village führten, sich entschied, Bob Dylan zu sein.

Bereits die Anfänge enthalten Unschärfen, denn es ist nicht einmal sicher, ob der berühmte walisische Dichter Dylan Thomas oder doch eher Matt Dillon, der Marshall der Westernserie Gunsmoke, bei der Namensfindung Pate gestanden hat. Mit den Geschichten, die er über seine Kindheit erfand, hat er sich nicht nur eine andere Vergangenheit prophezeit. Daß er aus einem Waisenhaus in Oklahoma ausgerissen sei bzw. aus Gallup, New Mexiko, stamme und schon als Kind mit wandernden Schaustellern umhergezogen sei, entsprach zwar nicht den Tatsachen, zeichnete aber den Weg vor, den der wandernde Sänger einschlagen sollte, der sich seinen Verfolgern immer wieder durch Fluchtbewegungen entzogen hat. Am Anfang des Songs With God On Our Side aus dem Album The Times They Are A-Changin', das seinen Status als Leitfigur der Folkszene untermauerte, hat er dem Herkunftskomplex der von ihm geschaffenen Kunstfigur in zeitlos gültiger Form Ausdruck gegeben: Oh my name it is nothin'/ My age it means less/ The country I come from/ Is called the Midwest. Der Verzicht auf individuelle Merkmale, an denen er als Person identifizierbar wäre, verwandelt den Sänger in einen Resonanzraum, in den das Great American Songbook als Überlieferungsgeschehen einströmen kann, das sich in seinen Songs im Studio und auf der Bühne in verbindlicher Form aktualisiert. Diesen Prozeß der künstlerischen Selbstbehauptung hat Dylan in Chronicles I, dem ersten Teil seiner Autobiographie, beschrieben. Die irrsinnig komplizierte moderne Welt interessiere ihn wenig. Was er ihr entgegensetzt, sind  Elemente, die er der einzigen Universität, die er wirklich besuchte, den Folksongs, entnimmt: der Untergang der Titanic, die Flut von Galveston, John Henry, der Schienenleger, oder John Hardy, der an der West Virginia Line einen Mann erschossen hat. Das alles war gegenwärtig und lag offen zutage. Das waren die Nachrichten,  die mich interessierten, die ich verfolgte und im Auge behielt.

Seitdem hat Bob Dylan wenig mehr getan oder für sich in Anspruch genommen, als die Songeinfälle, die er den unterschiedlichen Formen der populären amerikanischen Kultur, Jazz, Folk, Country, Blues, Gospel, Schlager und Rock'n'Roll, entnahm, in seinen eigenen Songs in archetypische Chiffren zu übersetzen.        

Dabei sind ihm seine Bibelkenntnisse und eine enorme Belesenheit zustatten gekommen, die allerdings keine Nähe zu bildungsbürgerlichen Reminiszenzen aufweist, sondern experimenteller Natur ist. Der Rückgriff auf die Traditionsbestände der Americana kommt in den Songs in einer assoziativen Bilderfolge zur Geltung, die in der Dylan-Literatur und von ihm selbst (Series Of Dreams) als Logik des Traums beschrieben worden ist. Die biblisch gefärbte Sprache ist kein Ausdruck privater Frömmigkeit, sondern ermöglicht zweierlei. Erstens sorgt sie durch den Hinweis auf die grundlegende Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, den sie mit sich führt, dafür, daß die Songs mit keiner zeitgeschichtlichen Diagnose unmittelbar zur Deckung kommen. Zweitens bietet sie dem Sänger die Möglichkeit, sich noch einmal der Form des erhabenen Sprechens zu versichern. Die Sprachbilder seiner Songs entfalten sich in einem überschaubaren musikalischen Terrain, das ein erstaunliches Maß an Variabilität aufweist. Das verleiht auch seinen komplexesten Songs ihre Plastizität.                 

Das Motiv der Flucht, Flucht vor den Anmaßungen von Autoritäten, Verstrickungen in  unauflösbare Schuldzusammenhänge oder als Ausweg, um sich noch Räume individueller Freiheit zu erhalten, hat er in vielen Songs, etwa Drifter's Escape, Romance in Durango oder Mississippi, gestaltet. Das Phantasma der Flucht steuert auch die Anordnung des semantischen Materials der Songs. Der Aufbruch aus den versteinerten Verhältnissen artikuliert sich in einer Abfolge von Bildern, die der Flüchtende dem Horizont der ihm noch erreichbaren Möglichkeiten entreißt.

Mit dem beschriebenen Verfahren hat Bob Dylan seit Anfang der sechziger Jahre musikalische Stile aufgegriffen und ihnen seine unverwechselware Handschrift aufgeprägt. Er hat der Folkbewegung makellose Alben hinterlassen, mit Bringing It All Back Home, Highway 61 Revisited und Blonde on Blonde Rockgeschichte geschrieben, auf seinen Country-Alben das Lob der Innerlichkeit angestimmt, mit dem Meisterwerk Blood On The Tracks in reflektierter Form die Spur seiner Anfänge wieder aufgenommen, über seine Gospelphase auf Umwegen in diese Spur zurückgefunden, und ist schließlich mit Anläufen und Unterbrechungen triumphal auf die Bühnen der Welt zurückgekehrt.

Er hat Protesthymnen und wunderschöne Liebeslieder geschrieben und der Generation der Jugend- und Gegenkultur Songzeilen geliefert, die zu so etwas wie Erkennungszeichen einer nonkonformistischen Weltanschauung geworden sind. Vor allem in den siebziger und achtziger Jahren hat er seine persönlichen Lebensumstände, Sinnkrisen und religiösen Selbstfindungsversuche, einschließlich seiner vorübergehenden Konversion zum fundamentalistischen Christentum, zum Dreh- und Angelpunkt seines songwritings und seiner Konzerte gemacht.  

Die Züge der outcasts, deren Geschichten er in seinen Songs erzählt, sind auf ihn selbst übergegangen und Teil der Legende Bob Dylan geworden. Vermutlich ist es dies, worauf er sich hinbewegt, trotz der humanistischen Perspektive seines Spätwerks, die angesichts so vieler durchschauter Illusionen und ausgeträumter Träume kaum mehr als das déjà vu einer flüchtigen Liebesbeziehung als utopischen Fluchtpunkt zuläßt: selbst eines Tages die Figur eines Songs zu sein, fast schon kein Mensch mehr, sondern einem Ding unter Dingen vergleichbar, dessen Aura abzusehen ist, was Walter Benjamin der Aura natürlicher Gegenstände als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag konzediert hat.

Vor rund zwanzig Jahren ist der wandernde Sänger, masked and anonymous, wie der Titel des Films von Larry Charles lautet, in dem Bob Dylan einen Sänger auf abschüssiger Bahn spielt, zu seiner Never Ending Tour aufgebrochen, die ihn seitdem durch alle Kontinente der Erde geführt hat. In diesen Tagen schlägt er mit drei Auftritten im House Of Blues in Dallas und Konzerten in Mexiko, Brasilien, Chile, Argentinien und Uruguay ein neues Kapitel dieser Tour auf. I'll see you aroundUlrich Breth

Bei dem Artikel handelt es sich um die geringfügig geänderte Fassung des Beitrages, der am 23. Februar 2008 in den Stuttgarter Nachrichten erschienen ist.
 

 

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