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»Von vnnutzē buchern«

Von echten und falschen Narren, von Dennis Abner, Katzenmensch bis Zirpuanna, Unratberührer. Ulrich Holbeins gewaltiges »Narratorium«
ist ein wahrhaft närrisches Unterfangen.

Von Stefan Möller

Welchen Weg beschreitet jemand, der »unfähig zu praktischem Beruf« ist, dem das Ziel Philosoph ebenso verschlossen bleibt, »zuwenig Homophonie«, wie Asket oder Sexsüchtiger, »zuwenig Humorlosigkeit«, und dem es auch nicht zum Mystiker reicht, da »zuviel IQ und zuviel Wissen um Hirnphysiologie«? Nun, im Fall Ulrich Holbeins bekommt die Welt einen der ungewöhnlichsten Autoren deutscher Zunge. Gewöhnlichkeit ist seine Sache nicht und Gewöhnlichkeit ist auch nicht Sache der 255 fiktiven und realen Figuren, deren Lebensabriss in »Narratorium« versammelt ist.

In Brants »Narrenschiff« geht stolz voran der Büchernarr, der von sich sagt »Danñ jch on nutz vil bűcher han Die jch nit lyß / vnd nyt verstan«. Holbein hat verstanden, deshalb trifft auch zu »Wer vil studiert / würt ein fantast«. Ein Fantast ist er, der Universalbelesene.

Ulrich Holbein wurde 1953 in Erfurt geboren, seine Familie machte 1957 rüber. Als studierter Theo- und Biologe und freier Maler arbeitete er auch mal als Hilfspfleger. Seit Ende der 70er hat er sich ganz dem Leben als Autor verschrieben, in diversen Verlagen sind diverse Bücher erschienen, darunter der Roman »Isis entschleiert«, der komplett aus Zitaten konstruiert wurde. Als Kolumnist schrieb er unter anderem für die ZEIT, FAZ und Süddeutsche, auch den katholischen Soldatenkalender bereicherte er. Abgeräumt wurden diverse Förderpreise (5-7), Stipendien und richtige Preise. Holbein lebt im nordhessischen Knüllgebirge, sein Haus ist, darauf weisen fast alle Artikel über ihn hin, deshalb hier auch ordnungshalber erwähnt, schwer zu finden, weil von diversem Gewächs versteckt.

Wenn das Aussehen Ulrich Holbeins beschrieben wird, fällt gelegentlich der Name Catweazle. Das mag despektierlich klingen, ein Blick auf Portraitfotos gestattet aber zumindest die Überlegung, dass dies nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Und da Holbein sein Äußeres durchaus inszeniert, dürfte ihn der Vergleich auch nicht sonderlich stören. Wenig despektierlich sind die Vergleiche, die dem Autor Holbein angetragen werden. Da fallen Namen wie Jean Paul und Walter Benjamin und Arno Schmidt drängt sich förmlich auf.

Der Ammann Verlag hat nun das unglaubliche, ansehnlich bebilderte »Narratorium« veröffentlicht. Was für ein Kuriositätenkabinett ist in dem Buchklotz versammelt. Staunend steht der Leser da und fragt sich, wie viel Wissen ein einzelner Mensch vereinen kann. Ein wahrhaft närrisches Unterfangen, dieses Lexikon mit anarchischer Auswahl.

Alle sind sie vertreten, die Blutsäufer vom Schlage Idi Amins stehen neben Scharlatanen, Philosophen, Mytikern, Heiligen, echten Narren und harmlosen Bekloppten. Gut, nicht alle sind vertreten, Perry Rhodan hat es geschafft (zwei Einträge hinter einem gewissen Joseph Ratzinger, dem attestiert wird »Je öfter bei seiner geliebten theologischen Arbeit Geistesblitze o.ä. vor der Tür blieben, desto theologischer wusste er vom Sanctus spiritus zu reden.«), Catweazle wurde die Aufnahme ebenso verwehrt wie Uri Geller, der nur im Eintrag Uriella (»die sich auf Sanella und Uri Geller reimte«) kurz Erwähnung findet. Die alphabetische Ordnung führt zu interessanten Nachbarschaften, auf Franziskus von Assisi folgt Muammar Al-Gaddafi, auf Novalis folgen Mickey & Mallory Nox, die Natural born Killers (»Am Hochzeitstag töteten sie keinen, aber sofort danach viele.«)

Fiktive Gestalten reihen sich an bekannte und unbekannte Personen der Zeitgeschichte, auch der unvermeidliche Dieter Bohlen kriegt sein Kapitel. Holbein begegnet ihnen allen mit ironischer Distanz, mal liebevoll, mal abwatschend, nie aber neutral, dafür häufig polemisch. Ironie ist auch das prägende Element von Holbeins Sprache. Dank kunstvollem Wortgetöse, verpackt in einen süffisanten Plauderton, bereitet die Lektüre auf kurzer Strecke Freude, führt aber zu deutlichen Ermüdungserscheinungen auf der langen Distanz.

Es empfiehlt sich allerdings sowieso, das Werk nicht am Stück zu lesen, ja, es verlangt geradezu, von Zeit zu Zeit an beliebiger Stelle aufgeschlagen zu werden und sich darin ziellos zu bewegen. Mehr ist auch schwer erträglich, zu groß wird die Erfurcht ob der Wissensfülle Holbeins, die er auf jeder Seite unter Beweis stellt. Verschüchtert tröstet man sich schwach mit dem Gedanken, dass es Streber auf den Schulhöfen nie leicht hatten und die nur so mittel belesenen, aber coolen Jungs die hübschen Mädels kriegten. Warum fehlt eigentlich Umberto Eco? Der weiß doch auch immer alles und reibt es jedem unter die Nase.

Nein, man will nicht ungerecht werden, »Narratorium« ist ein kurioses, kluges, komisches, respektloses, fantastisches Buch, ohne den selbstdarstellerischen Drang Holbeins wäre es so nie entstanden. Auf einen bibliographischen Anhang wurde verzichtet, ausführliche Literaturhinweise finden sich im Blog zum Buch, unter http://narratorium.net. Das Kapitel vom Büchernarren im »Narrenschiff« ist überschrieben mit der Zeile »Von vnnutzē buchern«. Ist „Narratorium« unnütz? Nicht eine einzige Seite ist es, die Welt braucht den Narrenspiegel. Ein Hoch der Narretei und diesem gewaltigen Werk.
Stefan Möller

 

Ulrich Holbein
Narratorium

Ammann Verlag
1008 Seiten
Mit zahlreichen,farbigen Abbildungen
EUR 39.90 / CHF 66.00 (UVP)
ISBN 9783250105237

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