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Von der Würde des Menschen In Israel begehrt eine neue Schriftstellergeneration auf. Ernst sollte man sie nehmen, die jungen Wilden der israelischen Literaturszene, die die politischen, gesellschaftlichen und moralischen Verhältnisse in dem jüdischen Staat kritisch betrachten. Holocaust war gestern, jetzt ist Nahost-Konflikt. »Ich sag Dir, es gibt diesen Ort gar nicht. Wir sind in einen Albtraum geraten, ganz versehentlich.« So oder ähnlich könnte man das Schicksal des Nahen Ostens beschreiben, der seit mehr als sechzig Jahren keine Ruhe findet. Seit dem Scheitern der Camp-David-Verhandlungen im Juli 2000 hat man sich von einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts nur noch weiter wegbewegt. Während Fischerplan, Road-Map oder die Initiative der Arabischen Liga im nahöstlichen Sande verliefen, haben sich die Fronten zwischen Israelis und Arabern verhärtet. Seit dem Tod des ewigen palästinensischen Potentaten Yassir Arafat im November 2004 hat die radikalislamische Hamas den Gazastreifen übernommen, die Friedensverhandlungen mit Syrien sind gescheitert und der Libanonkrieg im Sommer 2006 hat einen Frieden mit dem nördlichen Nachbarn in weite Ferne gerückt. Dazu kommen die innerisraelischen Debatten um den Umgang mit den Palästinensern, den Siedlungen und dem Militär. Insgesamt geht es um die Ausrichtung der zukünftigen Politik des Staates Israel nach innen und außen. Die innere Lage Israels ist sechzig Jahre nach seiner Gründung so angespannt wie noch nie. Statt innerer Einheit vor den äußeren Bedrohungen treten die gesellschaftlichen Spannungen zu den akuten Problemen hinzu. Mit dieser Situation setzen sich vier Neuerscheinungen junger israelischer Autoren auseinander. Wütend und ohne allzu große Rücksicht auf das vergangene Leid der Großelterngeneration richten sie den Fokus auf einige akute Probleme in der israelischen Gesellschaft. Militarismus, Chauvinismus und Xenophobie angesichts des palästinensischen Terrorismus sind die großen Themen, mit denen sich die Bücher von Ron Leshem, Yiftach Ashkenazy, Michal Zamir und Assaf Gavron beschäftigen. Den Autoren ist es dabei mehr oder minder gut gelungen, das Dokumentarische ins Romaneske einzuschließen.
Ron
Leshems Anti-Kriegsroman „Wenn es ein Paradies gibt“ ist wohl die authentischste
der drei Neuerscheinungen. Der Roman handelt vom Rückzug der Israelis aus dem
Südlibanon im Jahr 2000. Die militärische Festung Beaufort ist das
Aushängeschild des israelischen Widerstands gegen die islamische Bedrohung durch
die Hisbollah. Leshems faktenreiche Geschichte erzählt die letzten Tage der
Israelis in der südlibanesischen Festung, bevor sie sich unter starkem Beschuss
zurückziehen und den mittelalterlichen Bau sprengen. Das Romandebüt gewann in
Israel den bedeutendsten Literaturpreis und wurde unter der Regie von Joseph
Cedar verfilmt. „Beaufort“ gewann auf der letztjährigen Berlinale den Silbernen
Bären in der Kategorie „Beste Regie“. Verletzte und Tote gibt es in Israel aber nicht nur durch den alltäglichen Terror und die militärischen Antworten darauf. Der jüngste der hier versammelten Autoren, Yiftach Ashkenazy, macht dies mit seinem Erzählband „Mein erster Krieg“ deutlich. In der das Buch prägenden Geschichte „Bett Nummer sechs“ berichtet er in sechs Episoden von völlig unterschiedlichen Schicksalen der in diesem Bett sterbenden gewöhnlichen Menschen. Er bringt Vertreter völlig unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und Altersklassen auf faszinierende Weise zusammen und lässt ihre Schicksale – beladen mit teilweise völlig alltäglichen Problemen, die im tagtäglichen Überlebenskampf oft untergehen – immer wieder kreuzen. Es entsteht so ein faszinierender Erzählteppich, gewebt aus dem Leben und Sterben des altersmüden Rabbi, dem 18jährigen Soldat, der bei einem Anschlag schwer verletzt wurde und einem leukämiekranken Jungen und dessen aus Angst vor einem weiteren Schicksalsschlag abtreibender Mutter. „Bett Nummer sechs“ ist eine traurige Ballade, die von vergeblichen Hoffnungen und schmerzhaften Abschieden erzählt, die keinen Leser kalt lassen. Es ist verblüffend, welch erzählerische Reife der erst 1980 geborene Ashkenazy in seinen Erzählungen an den Tag legt. Zuweilen wirken die Geschichten zwar etwas absurd, doch besteht die Frage, was irrwitzig genug sein könnte, um im Wahnsinn des Nahen Ostens an Glaubhaftigkeit zu verlieren. Ashkenazys Erzählungen erlangen eine ähnliche Authentizität, wie Leshems Antikriegsroman. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass er ähnlich wie Leshem seine eigenen Erfahrungen mit dem Wahnsinn des tagtäglichen Kriegs in seinen Erzählungen verarbeitet. In der letzten Episode von „Bett Nummer sechs“ berichtet ein israelischer Soldat auch, dass in dem nahöstlichen Durcheinander auch formal Unbeteiligte dem Extremismus der Auseinandersetzung zum Opfer fallen. Er erzählt vom Tod eines Journalisten, der auf spektakuläre Bilder und sekundenlangen Ruhm hoffte und dessen Leben mit aller Radikalität ausgelöscht wurde – ein Kollateralschaden. „Er verbrannte zusammen mit ihnen [den Libanesen] in einem Auto achthundert Meter weit weg von da, wo ich war. Die Granate eines Panzers war ein direkter Treffer. Danach stellten sie die Tötung mit einer Flugabwehrrakete und Handgranaten sicher. Am Schluss zerstörten sie die Leichen und das Fahrzeugskelett mit einem Panzer. Es bestand der Verdacht, dass die verkohlten Leichen vermint waren.“ Die abschließenden fünf Erzählungen greifen einzelne Aspekte aus „Bett Nummer sechs“ wieder auf oder sind zugleich Hintergrund für die Hauptgeschichte wie auch isolierte Berichte. Zusammengenommen entwirft Ashkenazy mit „Mein erster Krieg“ ein zeitkritisches Puzzle der israelischen Gesellschaft und des alltäglichen Wahnsinns namens Naher Osten, der keinen Frieden findet. Ob 1948, 1967, 1983 oder heute, verändert hat sich in Israel und den angrenzenden Staaten wenig, erfährt man in Ashkenazys Geschichten über den normalen Wahnsinns des Alltags mit all seinen existenziellen und nichtigen Problemen. „Die Zeit, die man im Gang verstreichen hören konnte, schlüpfte unter dem zerbrochenen Fenster durch, damit das Leben sie nicht bemerkte.“ Die 60 Jahre Israel scheinen zumindest hinsichtlich der angespannten Sicherheitslage auch kaum bemerkbar.
Von
grassierender Menschenverachtung im israelischen Militär schreibt Michal Zamir
in ihrem Roman „Das Mädchenschiff“. Zamir, Tochter des ehemaligen Direktors des
Auslandsgeheimdienstes Mossad, beschreibt in ihrem, wie sie betont, nicht
autobiografischen Roman, das Schicksal einer jungen israelischen Soldatin in
einem militärischen Fortbildungsstützpunkt. Die militärischen Strukturen
beschreibt sie als maskulin-chauvinistisch und sexistisch, in der junge Frauen
den hierarchisch übergeordneten lüsternen Männern hilflos ausgeliefert sind. Assaf Gavrons „Ein schönes Attentat“ stellt wohl den literarisch gelungensten Roman der drei Neuerscheinungen dar. Eitan Einoch, einer der Profiteure der schnelllebigen New Economy, überlebt in kurzer Zeit drei Anschläge und wird zur nationalen Ikone. Die absurdesten israelischen Interessengruppen versuchen seine Bekanntheit für sich zu nutzen. Der ihn umgebende mediale Wirbel lässt sein Leben völlig aus den Fugen geraten. Zugleich ist er auf der Suche nach der Geschichte eines Mannes, den er noch kurz vor dem ersten Anschlag in Tel Aviv kennen lernte. „Hör mal, falls mir was passiert, möchte ich, dass Du meiner Freundin Schuli in Jerusalem sagst, dass Du ihr sagst...“ Ja, was sollte er ihr eigentlich sagen? Er erfährt es nicht mehr. Als er die Freundin aufsucht, findet er heraus, dass keiner seiner Verwandten weiß, was dieser Mann überhaupt in Tel Aviv gemacht hatte. Eitans Neugier, angefeuert von seiner Leidenschaft für die attraktive Schuli, ist geweckt. Auf der Suche wird er nicht nur seine Frau und seinen Job verlieren, sondern auch dem Palästinenser begegnen, bei dem die Fäden der drei Anschläge zusammenlaufen. Gavron entwirft einen Plott, der zum Ende hin die Spannung eines Detektivromans besitzt und so den etwas langatmigen Beginn ausgleicht. Allerdings, und das macht den Roman trotz aller Längen lesenswert, teilt Gavron die Erzählung in zwei Perspektiven auf, die wie ein Puzzlespiel vom Leser zusammengesetzt werden müssen. Die Rückblicke des liberalen Israelis Eitan (Opfer) und des schwer verletzten, pflegebedürftigen Palästinensers Fahmi (Täter) tragen den Roman. Die Art und Weise, wie Gavron der israelischen Hektik Eitans die orientalische Gelassenheit von Fahmi trotz aller Wut entgegensetzt, beweist seine Gabe zum Erzählen, lässt jedoch auch sein Verkennen der palästinensischen Unruhe durchblicken. Der 40-jährige Autor scheitert allerdings daran, die israelischen Realitäten möglichst unauffällig in seine Erzählung einzubinden. Offensichtlich wollte Gavron keine Ansicht zu einem denkbaren Umgang mit den Palästinensern auslassen. Schade, kommt der Roman so doch hin und wieder wie ein Pflichtprogramm daher. Und dennoch, allein aufgrund der unschuldig wirkenden Gegenüberstellung von Opfer und Täter ist der Roman lesenswert und zu empfehlen.
Im Kampf um das Überleben
des jüdischen Staates inmitten der arabischen Welt sind die Menschen, um die es
doch jedem Staat gehen sollte, in Vergessenheit geraten. Und vor allem jene
Generation, die in den vergangenen turbulenten Jahren ihren Kopf für die
Sicherheit des Landes hinhalten musste, fühlt sich vom jüdischen Staat und der
israelischen Gesellschaft in ihrer Würde verletzt, verraten, vergessen.
Stellvertretend für eine ganze Generation stellt einer der Soldaten in Ron
Leshems Roman resigniert fest: „Wir sind hier, und niemand bewegt seinen
Hintern, um uns Heizstrahler zu besorgen, während wir vor Kälte fast umkommen,
niemand kümmert sich um rechtzeitigen Nachschub, niemand hält es für nötig, uns
Wasser ranzuschaffen, wenn die Tanks leer sind, und kein Mensch nimmt uns mit,
wenn wir an der Kreuzung in Kirjat Schmona trampen, also, für wen machen wir das
alles? Das schätzt doch niemand mehr in diesem Staat?“ Leshem, Ashkenazy, Zamir
und Gavron nehmen diese Missachtung nicht länger hin, sondern legen mit ihren
Romanen und Erzählungen den Finger in die innerisraelischen Wunden. Es sind
keine schönen Texte, die man in die Hand bekommt, aber es sind Geschichten, die
das Potential haben, eine Gesellschaft wachzurütteln und die Menschen aus ihrer
Lethargie zu holen. Bessere Schreiber findet man in Israel allemal, ob es aber
in dieser Generation Zornigere, Mutigere und Entschlossenere gibt, das muss erst
bewiesen werden. |
Ron Leshem
Yiftach Ashkenazy
Michal Zamir
Assaf Gavron |
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Glanz@Elend
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