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Zu
dick aufgetragen
Als
ich im Herbst 1991 in Konstanz anfing zu studieren, machten unter uns Studenten
zwei kleine Bücher die Runde. »Moos« und »Ins Blaue« von Klaus Modick. Auch wenn
ich die Geschichten nicht mehr zusammen bekomme, erinnere ich mich, wie sehr sie
mich damals begeisterten. Danach verlor ich Modicks Romane aus den Augen, obwohl
seine schaffensreichste Zeit erst vor ihm lag. So sehr ich mich auf das Buch gefreut hatte, so groß war die Enttäuschung. Das Buch beginnt, um es freundlich auszudrücken, unerträglich. Auf den ersten 50, 70 Seiten breitet Modick einen Antiamerikanismus aus, den selbst eingefleischte Bush-Kritiker nerven muss. Ein Beispiel gefällig? Welchen Beruf üben die ersten drei genannten amerikanischen Figuren aus? Sie sind Ökonomen. Und die zwei erst genannten Deutschen? Sind Literaturwissenschaftler. Ich war ein wenig an Werner Sombarts Unterscheidung von »Händlern und Helden« erinnert, jedenfalls wunderte es mich doch sehr, dass ein renommierter deutscher Schriftsteller in einem ebensolchen deutschen Verlag solche Klischees veröffentlichen kann. Natürlich lebe auch ich lieber in einem Land, in dem ein ehemaliger Taxifahrer Vizekanzler werden kann, als in einem Land, in dem eine Kreationistin und Waffenliebhaberin möglicherweise Vizepräsidentin wird. Und unzweifelhaft hat Modick mit seinen Beobachtungen zu den Verhältnissen in den USA nach 9/11 recht, dennoch hatte ich die Aneinanderreihung von Klischee, Halbwahrheit, Vorurteil und berechtigter Kritik schnell satt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir einen Totalverriss des Buches vorgenommen, mit der Pointe, dass neben den vielen Katastrophen, die die Welt dem noch amtierenden US-amerikanischen Präsidenten zu verdanken hat, nun auch noch sein schlechter Einfluss auf die deutsche Belletristik hinzukommt. Der Form halber las ich das Buches weiter, was zumindest meine anfängliche Enttäuschung abgemildert hat, denn gegen Ende gewinnt der Roman sogar an Spannung, die mich nicht kalt ließ. Nichtsdestotrotz zieht sich ein Konstruktionsfehler durch den Roman, der ihn letztlich scheitern lässt. Erzählen wir kurz die Geschichte des Romans: Moritz Carlsen, kein sehr berühmter, aber auch kein unbekannter Schriftsteller, allerdings mit aktueller Schreibblockade, erhält das Angebot, als Writer in Residence an einem College in Vermont zu leben und dort zu unterrichten. Im Gästehaus des Colleges, in dem er untergebraucht ist, stößt er zufällig auf einen alten Karton mit Kladden und Ordnern. Darin findet er das Leben von Julius Steinberg, einem ehemaligen Historiker am College. Steinberg, der Name verrät es, war ein deutscher Jude, der 1933 aus seinem Vaterland vertrieben wurde und in den USA sein Glück suchte. Dieses Glück fand er beruflich wie privat nach einigen Irrungen und Wirrungen. Dieses Glück verlor er aber wieder zuzeiten des zunehmenden Antikommunismus’ am Ende des Zweiten Weltkrieges und zu Beginn des Kalten Krieges. Steinberg, der dem Zivilisationsbruchs des deutschen Nationalsozialismus entkommen war, endet im Irrsinn des US-amerikanischen McCarthyismus: Nach seiner Haftentlassung aus dem Vermont State Prison sterben er und seine Frau bei einem »Unfall« in ihrem manipulierten Auto. Als Carlsen diesem Mord auf die Schliche kommt, muss er schnell erkennen, dass die dunklen Mächte, die Steinberg auf dem Gewissen haben, im Amerika der Neocons und des »War on Terror« immer noch oder wieder präsent sind.
Nun
beschreibt Modick die USA nicht aus sicherer Entfernung aus Deutschland. Nein,
er kennt die USA von mehreren Aufenthalten als Dozent und Writer in Residence
recht gut, über seine Zeit und seine Erfahrungen im Middlebury College in
Vermont veröffentlichte er 2004 das Buch »Zuckmayers Schatten – Vermonter
Journal«. Carlsen ist immer ein wenig auch Modick. Und gerade deshalb gelingt es
Modick treffend, das beschauliche und oft ein wenig unmodern gewordene Leben in
der amerikanischen Provinz zu schildern. Er ruft die melancholischen Bilder
eines Edward Hoppers mit den zu großen Bars für zu wenige Gäste hervor und
beschreibt damit das Amerika, das eben nicht Avantgarde ist, sondern ein
Amerika, an dessen Inventar der Zahn der Zeit nagt und dessen Mobiliar aus der
Mode gekommen ist. Modick ist natürlich schlauer als die PR-Leute seines Verlages, die für diesen Satz verantwortlich sind. Dass er ein exzellenter Kenner literarischer Theorien ist, beweist Modick häufig genug in seinem Roman. Modick selbst spielt lediglich mit einem impliziten Vergleich der Verhältnisse in den USA zuzeiten von Joseph McCarthy und George W. Bush und legt diese Lesart seinen Leserinnen und Lesern unterschwellig nahe, ohne sie jemals konkret auszusprechen. Wie geschickt oder ungeschickt Modick dies theoretisch fundiert, erfahren wir aus einem Gespräch mit einem Freund und Kollegen Steinbergs, als sie zusammen einen Kurs über Giordano Bruno planen. Steinbergs Kollegen legt Modick folgenden Satz in den Mund: »Wenn wir Geschichte erforschen und lehren, sollten persönliche Leidenschaften keine Rolle spielen. Und ich habe die Absicht, völlig leidenschaftslos über Giordano Bruno zu unterrichten. Wenn das jemandem aktuell vorkommt, kann er gern seine eigenen Schlüsse ziehen. Ich habe da nichts zu sagen, aber einiges zu zeigen. Machen Sie mit?« Nicht Modick macht den Vergleich, aber er bringt die Leser dazu, ihn zu machen.
Kommen wir zum wesentlichen Konstruktionsfehler des Buches. Indem Modick den
Vergleich zwischen Steinberg/McCarthy und Carlsen/Bush hervorruft, kann er sich
gegen einen weiteren historischen Vergleich nicht wehren. Und dieser Vergleich
macht die ganze Problematik des Buches deutlich. Der Vergleich NS-Deutschland
und McCarthy-USA.
Das
Buch hat auch tolle Passagen, vor allem Modicks Einlassungen über die Theorien
des Übersetzens und über Schreiben als kreativer Prozess. Ebenso die Liebelei
zwischen Carlsen als Dozent im nicht mehr ganz besten Alter mit einer Studentin
im allerbesten Alter. Auch für Dozenten gelten zwei Weisheiten: Alter schützt
vor Torheit nicht und Cherchez la femme. Schließlich zeichnet die
Lebensgeschichte von Julius Steinberg exemplarisch Wege deutscher
Intellektueller nach, die im Namen deutscher Kultur in die USA emigrieren
mussten. Diese Wege waren selten gerade, sie waren oft hart und steinig, aber
oft genug auch erfolgreich. Über den »Schatten der Ideen« liegen aber zu viele
Schatten, um es gut finden zu können. Und nicht nur für deutsche Politiker gilt,
sondern auch für deutsche Schriftsteller: Anspielungen auf das Dritte Reich
gehen meistens schief. Michael Knoll |
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