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Zu dick aufgetragen

Michael Knoll über Klaus Modicks Roman
»Die Schatten der Ideen«

Als ich im Herbst 1991 in Konstanz anfing zu studieren, machten unter uns Studenten zwei kleine Bücher die Runde. »Moos« und »Ins Blaue« von Klaus Modick. Auch wenn ich die Geschichten nicht mehr zusammen bekomme, erinnere ich mich, wie sehr sie mich damals begeisterten. Danach verlor ich Modicks Romane aus den Augen, obwohl seine schaffensreichste Zeit erst vor ihm lag.
Mehr als anderthalb Jahrzehnten nach diesen ersten Begegnungen wurde mir erneut ein Buch von Modick empfohlen: »Die Schatten der Ideen«. In Jugenderinnerungen schwelgend freute ich mich auf das Buch über einen deutschen Schriftsteller, der eine Anstellung an einem College in Vermont erhält, dort zufällig einem dunklen Geheimnis des Colleges auf die Spur kommt und dabei in allerhand mysteriös politische Verwicklungen gerät.

So sehr ich mich auf das Buch gefreut hatte, so groß war die Enttäuschung. Das Buch beginnt, um es freundlich auszudrücken, unerträglich. Auf den ersten 50, 70 Seiten breitet Modick einen Antiamerikanismus aus, den selbst eingefleischte Bush-Kritiker nerven muss. Ein Beispiel gefällig? Welchen Beruf üben die ersten drei genannten amerikanischen Figuren aus? Sie sind Ökonomen. Und die zwei erst genannten Deutschen? Sind Literaturwissenschaftler. Ich war ein wenig an Werner Sombarts Unterscheidung von »Händlern und Helden« erinnert, jedenfalls wunderte es mich doch sehr, dass ein renommierter deutscher Schriftsteller in einem ebensolchen deutschen Verlag solche Klischees veröffentlichen kann. Natürlich lebe auch ich lieber in einem Land, in dem ein ehemaliger Taxifahrer Vizekanzler werden kann, als in einem Land, in dem eine Kreationistin und Waffenliebhaberin möglicherweise Vizepräsidentin wird. Und unzweifelhaft hat Modick mit seinen Beobachtungen zu den Verhältnissen in den USA nach 9/11 recht, dennoch hatte ich die Aneinanderreihung von Klischee, Halbwahrheit, Vorurteil und berechtigter Kritik schnell satt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir einen Totalverriss des Buches vorgenommen, mit der Pointe, dass neben den vielen Katastrophen, die die Welt dem noch amtierenden US-amerikanischen Präsidenten zu verdanken hat, nun auch noch sein schlechter Einfluss auf die deutsche Belletristik hinzukommt. Der Form halber las ich das Buches weiter, was zumindest meine anfängliche Enttäuschung abgemildert hat, denn gegen Ende gewinnt der Roman sogar an Spannung, die mich nicht kalt ließ. Nichtsdestotrotz zieht sich ein Konstruktionsfehler durch den Roman, der ihn letztlich scheitern lässt.

Erzählen wir kurz die Geschichte des Romans: Moritz Carlsen, kein sehr berühmter, aber auch kein unbekannter Schriftsteller, allerdings mit aktueller Schreibblockade, erhält das Angebot, als Writer in Residence an einem College in Vermont zu leben und dort zu unterrichten. Im Gästehaus des Colleges, in dem er untergebraucht ist, stößt er zufällig auf einen alten Karton mit Kladden und Ordnern. Darin findet er das Leben von Julius Steinberg, einem ehemaligen Historiker am College. Steinberg, der Name verrät es, war ein deutscher Jude, der 1933 aus seinem Vaterland vertrieben wurde und in den USA sein Glück suchte. Dieses Glück fand er beruflich wie privat nach einigen Irrungen und Wirrungen. Dieses Glück verlor er aber wieder zuzeiten des zunehmenden Antikommunismus’ am Ende des Zweiten Weltkrieges und zu Beginn des Kalten Krieges. Steinberg, der dem Zivilisationsbruchs des deutschen Nationalsozialismus entkommen war, endet im Irrsinn des US-amerikanischen McCarthyismus: Nach seiner Haftentlassung aus dem Vermont State Prison sterben er und seine Frau bei einem »Unfall« in ihrem manipulierten Auto. Als Carlsen diesem Mord auf die Schliche kommt, muss er schnell erkennen, dass die dunklen Mächte, die Steinberg auf dem Gewissen haben, im Amerika der Neocons und des »War on Terror« immer noch oder wieder präsent sind.

Nun beschreibt Modick die USA nicht aus sicherer Entfernung aus Deutschland. Nein, er kennt die USA von mehreren Aufenthalten als Dozent und Writer in Residence recht gut, über seine Zeit und seine Erfahrungen im Middlebury College in Vermont veröffentlichte er 2004 das Buch »Zuckmayers Schatten – Vermonter Journal«. Carlsen ist immer ein wenig auch Modick. Und gerade deshalb gelingt es Modick treffend, das beschauliche und oft ein wenig unmodern gewordene Leben in der amerikanischen Provinz zu schildern. Er ruft die melancholischen Bilder eines Edward Hoppers mit den zu großen Bars für zu wenige Gäste hervor und beschreibt damit das Amerika, das eben nicht Avantgarde ist, sondern ein Amerika, an dessen Inventar der Zahn der Zeit nagt und dessen Mobiliar aus der Mode gekommen ist.
Auch gibt er treffend den Zeitgeist eines Amerikas wieder, das sich wiederholt in einem weltweiten Krieg wähnt. Seit ihrer Gründung pendeln die USA zwischen den Werten Freiheit und Sicherheit und dieses Pendel schlug unter der Bush/Cheney/Rumsfeld-Regierung stark Richtung Sicherheit aus. Es bestand die Gefahr, dass die ur-amerikanischen Werte Freiheit und demokratische Partizipation unterminiert würden. Offensichtlich war, dass zwischen 2001 und 2003 ein konformistischer Patriotismus unhinterfragt seine Bahn zog. Andersdenkende gelten als unpatriotisch oder gar unamerikanisch, ein Vorwurf, den wir aus der amerikanischen Geschichte nur zu gut kennen, das Komitee für unamerikanische Aktivitäten lässt grüßen. Mit diesem historischen Vorbild spielt auch der Roman. Oder wie es im Klappentext des Buches heißt: »In der von Mißtrauen und Hysterie geprägten Gegenwart macht er [d.h. Carlsen] die bittere Erfahrung, dass Geschichte sich wiederholt.«

Modick ist natürlich schlauer als die PR-Leute seines Verlages, die für diesen Satz verantwortlich sind. Dass er ein exzellenter Kenner literarischer Theorien ist, beweist Modick häufig genug in seinem Roman. Modick selbst spielt lediglich mit einem impliziten Vergleich der Verhältnisse in den USA zuzeiten von Joseph McCarthy und George W. Bush und legt diese Lesart seinen Leserinnen und Lesern unterschwellig nahe, ohne sie jemals konkret auszusprechen. Wie geschickt oder ungeschickt Modick dies theoretisch fundiert, erfahren wir aus einem Gespräch mit einem Freund und Kollegen Steinbergs, als sie zusammen einen Kurs über Giordano Bruno planen. Steinbergs Kollegen legt Modick folgenden Satz in den Mund: »Wenn wir Geschichte erforschen und lehren, sollten persönliche Leidenschaften keine Rolle spielen. Und ich habe die Absicht, völlig leidenschaftslos über Giordano Bruno zu unterrichten. Wenn das jemandem aktuell vorkommt, kann er gern seine eigenen Schlüsse ziehen. Ich habe da nichts zu sagen, aber einiges zu zeigen. Machen Sie mit?« Nicht Modick macht den Vergleich, aber er bringt die Leser dazu, ihn zu machen.

Kommen wir zum wesentlichen Konstruktionsfehler des Buches. Indem Modick den Vergleich zwischen Steinberg/McCarthy und Carlsen/Bush hervorruft, kann er sich gegen einen weiteren historischen Vergleich nicht wehren. Und dieser Vergleich macht die ganze Problematik des Buches deutlich. Der Vergleich NS-Deutschland und McCarthy-USA.
Natürlich ist Steinbergs fiktionales Ende eine moralische Katastrophe für die USA und wir wissen, wie deutsche Intellektuelle, die vor den Nazis in die USA geflohen waren, sehr real unter dem antikommunistischen Bespitzelungsklima gelitten haben. Die McCarthy-Ära ist eine für die USA unwürdige, ein politisches und oft genug menschliches Desaster. Im Vergleich mit dem, was in Deutschland während der Jahre 1933 bis 1945 geschehen ist, bleibt diese Ära jedoch eine historische Petitesse. Nichts anderes gilt für George W. Bush, um den Bogen in die heutige Zeit zu schlagen. Die Amerikaner werden sich noch wundern, wie groß der Scherbenhaufen ist, der ihnen ihr 43. Präsident hinterlassen wird. Ein wie auch immer angedeuteter Vergleich mit den Verhältnissen in Deutschland 1933 und den USA 1947 bzw. 2008 ist aber ebenso dumm und untragbar wie der Vergleich zwischen Saddam Hussein und Adolf Hitler, den die Bush-Clique als Begründung für die Irakkrieg geäußert hat. Der Mord an Julius Steinberg ist fiktional, der Mord an 6 Millionen Juden aber historisch real. Und in Klammer sei erwähnt, dass Julius Steinberg in seinem fiktionalen Lebensweg in den USA Mitte der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts mehr Möglichkeiten hatte als viele Migranten, auch mit akademischer Ausbildung, im Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Erfolgreich auch deshalb, weil die USA sich stets als Einwanderungsgesellschaft verstanden haben und verstehen und vom Brain Gain profitieren. Am meisten werden die USA selbst unter den aktuellen Restriktionen der Bush-Administration leiden, die zu Beginn des Romans anschaulich geschildert werden.

Das Buch hat auch tolle Passagen, vor allem Modicks Einlassungen über die Theorien des Übersetzens und über Schreiben als kreativer Prozess. Ebenso die Liebelei zwischen Carlsen als Dozent im nicht mehr ganz besten Alter mit einer Studentin im allerbesten Alter. Auch für Dozenten gelten zwei Weisheiten: Alter schützt vor Torheit nicht und Cherchez la femme. Schließlich zeichnet die Lebensgeschichte von Julius Steinberg exemplarisch Wege deutscher Intellektueller nach, die im Namen deutscher Kultur in die USA emigrieren mussten. Diese Wege waren selten gerade, sie waren oft hart und steinig, aber oft genug auch erfolgreich. Über den »Schatten der Ideen« liegen aber zu viele Schatten, um es gut finden zu können. Und nicht nur für deutsche Politiker gilt, sondern auch für deutsche Schriftsteller: Anspielungen auf das Dritte Reich gehen meistens schief. Michael Knoll
 

Klaus Modick
Die Schatten der Ideen
Roman
Eichborn Verlag
19.95 Euro, 35.90 sFr ISBN:9783821858272
456 Seiten

Leseprobe
 

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