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Plaudereien
aus dem Nähkästchen Je vier Vorlesungen des Schriftstellers Hanns-Josef Ortheil und des Lektors des Luchterhand Literaturverlags Klaus Siblewski wollen erklären "wie Romane entstehen". Ortheils Vorlesungen machen den Anfang und er übernimmt es, den Roman zunächst mit der üblichen Definition als Prosaerzählung von einer gewissen Länge - 50.000 Worte bzw. >500 Seiten - abzugrenzen. Gegen Ende der ersten Vorlesung ergänzt er dies mit Milan Kunderas Umschreibung, die den Roman als grosse Prosaform bestimmt, bei der der Autor mittels experimenteller Egos (Figuren) einigen grossen Themen der Existenz auf der Grund geht. Experimentelle Literaturen bis hin zum "Nouveau Roman" sind mit dieser Definition allerdings nicht abgedeckt. Die später vorgenommene Ausdifferenzierung, der Roman sei nicht Erschaffung…eines Augenblicks oder einer Szene, sondern eher die Erschaffung eines poetischen Universums erscheint da solider - obwohl dann beispielsweise die Epen eines Homer in diesem Sinne auch "Romane" wären. Definitionen haften naturgemäss gewisse Vereinfachungen an. So ist nicht klar, warum eine kürzere Erzählung oder Novelle nicht ebenfalls grossen Themen der Existenz auf den Grund gehen könnte; Beispiele hierfür gibt es genug. Da Ortheil sich jedoch explizit als Romanschriftsteller sieht ("infiziert" mit einem Roman-Virus) und mit etlichen Attributen den Roman als Sonderform des Erzählens herausgehoben sehen möchte (er ist bei ihm gefrässig und monströs, verkörpert das Wilde und das Chaotische), ist der Wunsch, diesen als "Königsdisziplin" zu sehen, zwar verständlich, wird aber von Schriftstellern, der Kritik und auch von Lesern durchaus kontrovers diskutiert, wovon man nichts erfährt. Aus ökonomischer Sicht lassen sich Romane wesentlich besser vermarkten als Erzählungen oder gar Lyrik; viele Schriftsteller, die sich auf kürzere Erzählungen verstehen, sehen sich von ihren Verlegern irgendwann genötigt, nun "endlich einen Roman" zu schreiben.
Das Faszinosum Ausführlich geht Ortheil auf das Ausphantasieren des Romansstoffs ein, den er – ein bisschen arg vereinfachend – als eine Art Traumphantasie beschreibt und berichtet auch von Gefahren für das Projekt, etwa durch zu starke Annäherungsversuche oder auch Kontrolle des Autors dieser fiktiven Welt, die bis zur Erstarrung von Figuren, Räume[n] und Texte[n] führen kann.
Versuch einer modernen
Phänomenologie des Romananfangs Ortheil ist offensichtlich bemüht, mit seinen Ausführungen eine moderne Phänomenologie des Romananfangs zu konstruieren und zu konstituieren. Hierfür vermeidet er, auf gängige Allgemeinplätze für das Entstehen von Literatur wie beispielsweise "Kreativität" zurückzugreifen und versucht stattdessen diesen Prozess zu erfassen und zu beschreiben. Dafür kreiert er (phasenweise) eine neuartige Terminologie, was wohl seiner Tätigkeit als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität zu Hildesheim geschuldet ist. Die Versuche, eine eigene Sprache für diese tatsächlich wenig untersuchten Phänomene zu erschaffen, geraten allerdings manchmal etwas zu krampfhaft und sind wenig eingängig. Zudem fehlt Ortheil eine gewisse Stringenz, so dass man manchmal den Eindruck hat, die beschriebenen Akte würden parallel stattfinden oder die Reihenfolge sei irgendwie austauschbar. Im Gegensatz zu Siblewski, der später manchmal in vulgärpsychologische Deutungsmuster abrutscht, versucht Ortheil eine eher philosophisch-philologische Perspektive. Ortheils Vorträge sind – bei allen Schwächen, beispielsweise der Pflege des immer wieder rezipierten Klischees einer (sogenannten) Leere nach dem Schreibrausch der Romanniederschrift – wesentlich kurzweiliger als die Texte von Klaus Siblewski, der allzu nüchtern zunächst in Ortheils Spuren (sprich Begrifflichkeiten) wandelt (Siblewski und Ortheil kennen sich aus gemeinsamen Arbeiten). Dabei fügt Siblewski als fast originäre Definition des Romans noch den Punkt des Strebens nach Veröffentlichung hinzu. Anhand eines nicht genannten österreichischen Autors und dessen Teilmanuskript, welches er mit dem Autor bespricht und einige kritische Anmerkungen macht, versucht er zu verdeutlichen, wie sich die Arbeit des Lektors in den bestimmten Phasen des "Romanprojekts" zeigt – und mit welchen Risiken dies verbunden ist. Bei allen Typisierungen, die Siblewski auch von Lektoren vornimmt, gefällt noch am besten die Beschreibung des Lektors als denjenigen, der den Grad der inneren Stringenz im Roman erhöhen soll.
Plaudereien aus dem
Nähkästchen Die Fragilität zwischen den dann irgendwann doch divergierenden Interessen zwischen Lektor und Autor (ersterer muss vor allem auch auf die Vermarktung des Romanes schauen, während der Autor eher auf seinen künstlerischen Anspruch rekurriert), ist sicherlich weitgehend bekannt. Siblewski zeigt, dass ein Lektor auch mit einem sehr grossen Einfühlungsvermögen ausgestattet sein muss, um die Angst des Autors vor dem Urteil des Lektors nicht zum unüberwindlichen Hindernis werden zu lassen. Seine Aufgabe sei es, die poetische Idee, die im entstehenden Roman hervorschimmert, zu festigen und zu stärken.
Bei diesen Betrachtungen
wird allerdings die Grundangst des Autors, nämlich die der Ablehnung,
kaum gestreift; stillschweigend geht Siblewski fast immer davon aus, dass ein
Treffen eines Autors mit dem Lektor die Akzeptanz mindestens des Exzerptes
bereits beinhaltet. Nicht thematisch abwegig wäre es gewesen, auf Unterschiede in der Lektoratsarbeit zwischen Romanen und beispielsweise Kurzgeschichten hinzuweisen. Gibt es überhaupt welche? Oder erschöpft sich die Differenz bei der Lektorierung kürzerer Prosa (oder gar Lyrik) auf die rein zeitliche Ebene, da ein Roman ja umfangreicher ist? Oder existieren doch noch andere Kriterien?
Zuviele Typisierungen Zwischendurch fragt Siblewski, ob eine mangelhafte Gliederung des Romans nicht auch Auswirkungen auf dessen Qualität hat (er verneint dies später), sieht im Autor einen Materialkannibalen, benutzt Plastikwörter wie Ideenmanagement oder Setting, betont die grosse Verantwortung der Lektoren und befeuert Klischees über skurille Schreiber mit ihren durchaus asozialen Phasen. Und wenn dann etwas Verdrängtes im Autor aufbricht und Siblewski Freud und dessen Aufsatz "Der Dichter und das Phantasieren" zitiert, das "Über-ich" anführt und am Ende des Buches das Schreiben als Befreiung von einer Obsession fast pathologisch gedeutet wird – dann übernimmt sich Siblewski, weil er unbedingt das psychoanalytisch-literaturwissenschaftliche auch noch einbringen will. Am Schluss bilanziert er, dass die Arbeit am Roman…einer ästhetischen Struktur folgt: der des Rondos…Kein Roman kommt an dem Ende an, sondern nur an einem. Angesehen davon, dass Ortheil auf Seite 19 bereits zu einem ähnlichen Urteil kam (er spricht vom "künstlichen Ende"), ist dies nach all dem vorher Gesagten von verblüffender Schlichtheit. Da es aber auch für das vorliegende Buch gilt (obwohl es kein Roman ist), ist es eine gute Nachricht. Denn endlich hat man wieder Zeit, Romane zu lesen. Romane, wie Ortheil in der schönsten Formulierung des Buches sagt, denen sich die Autoren verschreiben. (Gregor Keuschnig) Die kursivgedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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