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»Unser Leben ist ein Wirbel und kein Strich«
Sigrid
Lüdke-Haertel über das
stürmische Romandebüt
»Bestattung eines Hundes«
von Thomas Pletzinger
Ein
junger Autor, gerade einmal 32 Jahre alt, hat mit diesem Roman einen Coup
gelandet. Die Kritik jubelt und jault zu annähernd gleichen Teilen. (Ich halte
es mit dem Jubel.) Eheprobleme, Dreiecksgeschichten, ‚männliche’ und auch echte
Hahnenkämpfe sind so großartig beschrieben, daß man sich schon beim Lesen die
Blutspritzer aus dem Gesicht wischt. Dazu Terroranschläge in New York und
Brasilien, idyllische Blicke auf den Luganer See und viele muntere Bettszenen,
die sich mal am Berghang mal auf der Parkbank abspielen. Das heißt: eine
spannende Story, in der ein dreibeiniger Hund und einer der jungen Männer
wahrhaft über die Wupper gehen.
»Du solltest mal wieder
etwas Gelungenes schreiben, Mandelkern«. Mit diesen Worten schickt die
Chefredakteurin Elisabeth Emmerich, Ende dreißig, Daniel Mandelkern an den
Luganer See. Er soll dort den publikumsscheuen Dirk Svensson, einen sehr
erfolgreichen Kinderbuchautor, interviewen. Pletzinger hat die Handlung an einen
idyllischen Ort verlegt. Ein meist spiegelglatter See, umgeben von hübschen
Dörfern mit friedlichem Kirchengeläut. Aber hinter den oft dicken Mauern
verbergen sich etliche Geheimnisse. Und Mandelkern bringt seine Probleme mit.
Denn Elisabeth ist nicht nur seine Vorgesetzte, sondern auch seine Ehefrau.
Außerdem ist er Ethnologe und nur des Geldes wegen ›Kulturjournalist‹. In seiner
Ehe kriselt es. Elisabeth will ein Kind, er möchte lieber noch etwas abwarten
und weil sie nicht mehr über sich reden, finden sie, meist kräftig
alkoholisiert, nur noch im Bett so richtig zueinander.
Mit einer deftigen Portion Restalkohol im Blut macht sich Mandelkern auf den Weg
nach Lugano. Dort holt ihn Svensson, wie verabredet, mit seinem Boot ab. Das
verfallene Haus, in dem er wohnt, ist nur über das Wasser zu erreichen. Aber
warum steigt auch die kleine, hübsche Frau, die Mandelkern schon im Flugzeug
aufgefallen war, mit dem Jungen ebenfalls ins Boot? Ist sie Svenssons Frau,
seine Geliebte? Warum hat sein Hund nur drei Beine?
Mandelkern soll »dem ganzen Menschen Svensson auf die Spur kommen.« Das gelingt
ihm auch, aber anders als er es vorhatte. In den vier Tagen, die er sich in dem
Haus aufhält, wird er in eine Dreiecksgeschichte mit hineingezogen. Das Ganze
ist vertrackt komponiert. Dauernd wechselt die Perspektive und auch der Leser
erfährt erst am Ende, wo es wirklich lang gegangen ist. Die hübsche, kleine Frau
ist Finnin, heißt Tuuli und stellt , was sie hat, gerne aus. Ihr durchsichtiges
Nachthemd kommt auch bei Mandelkern gut an.
Mandelkern entdeckt in einem Koffer ein Manuskript, offensichtlich Svenssons
Autobiographie. In einer Nacht liest er es durch: Svensson, Tuuli und ein
gewisser Felix Blaumeiser hatten sich in Brasilien kennen und lieben gelernt,
dann gemeinsam den 11.
September in
New York erlebt.
Tuuli wird schwanger, aber weiß nicht von wem. Ein Hahnenkampf soll entscheiden,
wer von den beiden Männern mit ihr leben darf. Die Beschreibung des blutigen
Kampfes wird zum Meisterstück. Jedes Mal, wenn das Blut aufspritzt, spürt man,
wie die beiden Männer hinter den Hähnen stehen. Svenssons Hahn wird getötet,
Blaumeiser, der »freudige Trinker, blonde Surfer, blauäugige Waghals« feiert
seinen Sieg. Svensson verläßt die beiden und zerbricht fast daran.
Pletzinger hat die Geschichten seiner Helden kompliziert mit einander verwoben.
Harte Schnitte, abrupte Ortswechsel: Lugano, Brasilien, New York, Vergangenheit
und Gegenwart. Durch dieses Verfahren baut er Spannung auf bis zum Schluß. Für
Felix Blaumeiser, den vermeintlichen Sieger, wird der Luganer See zum
Verhängnis. Ein Unfall wohl, aber welchen Anteil haben Tuuli und Svensson daran?
Pletzingers Roman hebt sich wohltuend von den vielen anderen Büchern über
Beziehungskisten ab. Er kann schreiben. Sein Spiegelungsverfahren ist sehr
effektiv. Erst am Ende laufen die unterschiedlichen Handlungsstränge
buchstäblich im See zusammen.
Der dreibeinige Hund, dessen Lebens- und Leidensgeschichte uns in dem gesamten
Buch begleitet, geht unglücklicherweise vor die selben und wird in einem Koffer
in den sehr tiefen See versenkt.
Nach vier Tagen hat Mandelkern noch immer kein Interview. Wenn Svensson
überhaupt mal etwas sagt, dann lügt er – Tuuli zufolge. Svensson, sagt sie,
bastele sich die Welt so zusammen, ›daß er sie ertragen kann‹. Journalistisch
gesehen wird die Reise zur Pleite. Aber Mandelkern hat Klarheit gewonnen über
Elisabeth und seine Zukunft. Er will eine Familie haben, will als Ethnologe
arbeiten, nicht mehr als Kultur-Fuzzi. Denn: »unser Leben ist ein Wirbel und
kein Strich«.
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Thomas Pletzinger
Bestattung eines Hundes
Roman
Kiepenheuer und Witsch
352 Seiten
19,95 €
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