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Exotik,
Abenteuer und die Göttin Kali
Stefan Möller zur Wiederentdeckung Emilio Salgaris »Die Geheimnisse des
schwarzen Dschungels«
»Denn dort, im
Dickicht aus Dornen und Bambusrohr, zwischen Sümpfen und gelblichem Wasser,
verbergen sich die wilden Tiger; sie lauern kleinen Booten und sogar Schiff en
auf, stürzen sich an Bord und reißen unachtsame Bootsführer und Schiff er in
Stücke. Dort schwimmen im Wasser riesige, grauenerregende Krokodile und lauern
gierig auf menschliche Beute.«
Deutschland hat Karl May, Frankreich Jules Verne, England Sir Henry Rider
Haggard und Italien hat Emilio Salgari. Als Schriftsteller erlangte er durch
seine Abenteuerromane auch über Italien hinaus Bekanntheit. Der 1862 in Verona
geborene Salgari war ein Vielschreiber, er veröffentlichte in weniger als 30
Jahren zwischen 82, die Zahl ist gesichert, und 105 Romanen, die genaue Anzahl
kann nicht festgestellt werden. Berühmt wurden vor allem sein Zyklus über den
schwarzen Kosaren und die 11-bändige Sandokan-Reihe. Der erste Band dieser
Reihe, »Die Geheimnisse des schwarzen Dschungels«, ist gleichzeitig auch Teil
des ersten Verlagsprogramms des Wunderkammer Verlags.
Salgari wurde in Deutschland auch als der italienische Karl May bezeichnet. Die
Biographien beider weisen etliche Parallelen auf, auf die Dr. Paolo Barbon im
Vorwort eingeht. Beide Autoren haben die Schauplätze, die sie in ihren Romanen
beschrieben, nicht bereist. Karl May unternahm seine Orient- und Amerikareise
erst nachdem er die wichtigsten Werke verfasst, Salgari hat mit Ausnahme einer
Kreuzfahrt von Venedig nach Brindisi, mit einem Abstecher nach Dalmatien,
zeitlebens keine größere Reise unternommen.
Beide Autoren erzielten mit ihren Werken riesige Auflagen. Anders aber als Karl
May gelang es Salgari nicht, seine Erfolge auch in Wohlstand umzusetzen. Kleines
Kuriosum am Rande: Salgari hat unter Pseudonym den Roman Il Figlio del
Cacciatore d'Orsi, eine Raubübersetzung von Mays Der Sohn des Bärenjägers
veröffentlicht.
Deutschland und Italien kamen im großen Wettlauf
um die Kolonien zu kurz, deshalb blieb, im Gegensatz zu England, das
Verhältnis zu außereuropäischen Kulturen ein vermitteltes. In
»Die
Geheimnisse des schwarzen Dschungels«
wird dies besonders deutlich durch die zahlreichen Beschreibungen von
Landschaften, Flora und Fauna. Allesamt scheinen sie direkt aus diversen
Nachschlagewerken abgeschrieben zu sein, der lexikalische Stil ist nicht zu
überlesen. Der Text ist gespickt mit fremdartigen Namen und Bezeichnungen, die
dem zeitgenössischen Leser einen Hauch von Exotik vermitteln sollten.
Der Roman erschien zuerst zwischen Januar und April 1887 als Fortsetzungsroman
in einer Tageszeitung. Dementsprechend unvermittelt beginnt auch die Handlung,
für einen Handlungsaufbau bleibt da keine Zeit. Wir begegnen dem Schlangenjäger
Tremal-Naik, der im indischen Dschungel lebt und seinen Gefährten. Einer der
Gefährten überlebt das erste Kapitel nicht, er wird ermordet. Bald stellt sich
heraus, dass hinter dem, und vielen noch folgenden Morden, die geheimnisvolle
Thug-Sekte steckt, deren Anhänger der Göttin Kali huldigen und die mittels
Schlinge für reichlich Opfernachschub sorgen. Um seinen Gefährten zu rächen,
macht sich Tremal-Naik auf die Suche nach der Sekte, die sich auf einer Insel
versteckt hält. Dort sieht er die schöne Ada, die Jungfrau der Pagode.
Sie wurde von den Thugs entführt. Ada und Tremal-Naik verlieben sich natürlich
sofort und unsterblich ineinander, Tremal-Naik befreit sie. Daraus entwickelt
sich eine anständige Verfolgungsjagd mit vielem Hin und Her, Gefangennahmen,
Toten, als Schauplätze dient der Dschungel und ein geheimnisvoller Tempel, Adas
Vater, britischer Offizier, greift in das Geschehen ein, die Seiten werden
scheinbar gewechselt und alles läuft auf ein furioses Finale hinaus.
Der kritische Leser kann dem Roman berechtigt
vieles vorwerfen: Die Charaktere sind eindimensional, die Handlung nicht
hintergründig und gelegentlich bar jeder Logik. Die Dialoge sind hölzern.
Tremal-Naik! Bist du verletzt?
Nein, Ada, ich bin nicht verletzt!
Aber was war das für ein Lärm?
Sie haben den Eingang verschlossen …
Aber wir werden einen Weg hinaus finden, Ada, das verspreche ich dir!
Aber eigentlich spielt das keine Rolle, denn es
gibt Bücher, in denen das egal ist. Es sind jene Bücher, mit denen man sich als
Junge mit einer Taschenlampe bewaffnet unter die Bettdecke verzogen hatte und
heimlich unbedingt noch ein paar Seiten vor dem Einschlafen lesen musste. In
jenen Zeiten konnte man den Namen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn
Hadschi Dawuhd al Gossarah vorwärts und rückwärts aufsagen und wer es nicht
konnte, der war ein Mädchen. Man wusste genau, was ein Greenhorn ist oder wo die
Skipetaren beheimatet sind. Man hatte sich auf die Suche nach Kapitän Grant
begeben und dass der Weg vom Mittelpunkt der Erde zurück auf Stromboli endet,
das wusste man auch. Den größten Helden von Sir Henry Rider Haggard kannte man
zumindest aus dem Fernsehen, die Quatermain-Verfilmungen waren ein Muss in den
80er Jahren. Auch die Sandokan-Serie war ein wichtiges Thema in den
Pausengesprächen.
Viele dieser Werke sind aus heutiger Sicht an
manchen Stellen zumindest fragwürdig. Es finden sich plumpes Moralisieren und
Schwarz-Weiß-Malerei. Bei Karl May und Sir Henry Rider Haggard schlägt
gelegentlich der zeitgenössische Rassismus durch. Auch bei Emilio Salgari findet
sich dieser, auch wenn später ein Malaie der Gute und die Engländer die Bösen
werden.
All diesen Romanen ist eins gemein. Sie entführten uns in eine faszinierende
Welt, sie vermittelten uns ein Bild von fremden Kulturen, auch wenn dieses Bild
gelegentlich verzerrt war.
Umberto Eco lässt in Die geheimnisvolle Flamme der Königin
Loana
Giambattista Bodoni auf der Suche nach seiner Identität auch über die Werke
Salgaris stolpern. Natürlich musste ich diese Bücher als Kind verschlungen
haben, und bei der erneuten Lektüre tauchen sie dann auch wieder auf, die
Affenbrotbäume, kolossale Pombos wie die, welche die
Hütte von Giro-Batol umgaben, Mangroven, Palmkohlnüsse mit ihrem mehligen, nach
Mandeln schmeckenden Fruchtfleisch, den heiligen Banian des schwarzen
Dschungels.
Für den Sandokan-Zyklus ist der Roman die
Ouvertüre, der Tiger von Malaysia selbst taucht noch nicht auf. »Die
Geheimnisse des schwarzen Dschungels“ führen den Leser ein in die Welt des
indischen Subkontinents, zentrale Figuren werden vorgestellt.
Der in Deutschland mittlerweile vergessene
Salgari hat seinen festen Platz unter den großen Autoren von Abenteuerromanen.
Ihn aus der Vergessenheit zu holen und neue Leser für ihn zu begeistern ist das
Ziel des Wunderkammer Verlags. Die 11 Bände erscheinen in unregelmäßiger Folge,
viele erstmals vollständig und in einer dem Originaltext treuen Neuübersetzung
von Jutta Wurm.
»Die
Geheimnisse des schwarzen Dschungels«
ist ein klassischer, schnörkelloser Abenteuerroman, mit allen Schwächen, die
dieses Genre gelegentlich hervorbringt.
Aber eben auch
mit allen Stärken. Es ist der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, das
Gegenüberstellen von Tapferkeit und Feigheit, das Erzählen von Freundschaft, es
ist die große Liebe- die, wenn wir ehrlich sind, uns damals nicht so richtig
interessierte, es sind doch eher Jungsbücher – und es ist der Traum von
Abenteuer und fernen Ländern, der diesen und andere Romane immer noch
faszinierend macht. Auch wenn wir heute nicht mehr heimlich unter der Bettdecke
lesen müssen, weil wir schon groß sind und solange lesen können, wie wir wollen.
Dieser Faszination konnten sich selbst Autoren wie Cesare Pavese, Massimo
Carlotto und Andrea de Carlo nicht entziehen, die ihre Begeisterung ebenso
äußerten wie Pasolini oder Visconti. Und was stören schon die hölzernen Dialoge?
Hey, Tremal-Naiks treuester Gefährte ist ein Tiger! Das ist viel cooler.
Gespannt darf man auf die nächsten Teile sein, die uns nach Mompracem zu
Sandokan führen werden. Freuen wir uns auf seinen Kampf gegen James Brooke, den
Mörder seiner Familie. Stefan Möller
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Emilio Salgari
Die Geheimnisse
des schwarzen Dschungels
Wunderkammer Verlag
280 Seiten
Übersetzt aus dem Italienischen
von Jutta Wurm
€ 17,95
ISBN 978 3 9390 6210 3
|