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Ein
Funken Hoffnung Aber liest man seine Werke genau, und berücksichtigte man sein damaliges Alter, so offenbart sich dieses Schreibende plötzlich als vollkommen klar: Tišma war wohl traumatisiert. In so vielen seiner Bücher taucht dieses Bild der Leichen in der Donau bei Novi Sad auf – Opfer eines (oder mehrerer) Massaker(s), verübt von denjenigen, die vorher Opfer gewesen waren. Tišma war beseelt von den Geschichten dieser Menschen, deren Verbrechen und Grosstaten zu erzählen. Vielleicht war Tišma der letzte Tragödiendichter des 20. Jahrhunderts. Bis auf »Die wir lieben« sind alle seine Romane und Erzählungen auch Selbstvergewisserungen; fast therapeutisch anmutende Versuche, das Unverstehbare zu begreifen. Tišmas Schreibfuror war weniger Besessenheit (wenigstens nicht ausschliesslich), sondern Akribie. Nochmals und nochmals und nochmals wollte er die Hintergründe, das den Menschen so fürchterlich machende, hervorheben; jedesmal wählte er hierzu eine andere Perspektive: mal einen ganzen Schwarm von Hauptfiguren, mal eine Familie, mal Einzelpersonen, die später in (unheilvolle) Verstrickungen eintreten. Und der Mitte des Hurrikans, dort wo am ruhigsten sein soll, fast ohnmächtig, seine Protagonisten, wartend auf – ja, auf was? Auf das Schicksal? Auf eine – unsichtbare, weil unerklärte – Erfüllung eines Orakelspruchs? In »Kapo« ist es der katholisch getaufte Jude Lamian, der im Lager Auschwitz als Kapo Furfa ein »Überlebensprogramm« für sich selber etabliert (etablieren darf); einen regen Handel zwischen Häftlingen und der SS, um nicht selber, aus einer Laune heraus vernichtet zu werden. Hier (und nur hier) entwickelt er eine fast unglaubliche Kreativität im Abhängigmachen von und mit anderen. Er spinnt ein feines Vorteilsnetz, bis hin zum »Zuteilen« von jungen Häftlingsmädchen, die sich ihm nackt gegen Brotbissen und Milch hinzugeben haben. Niemals richtet Tišma das Verhalten seiner Figuren. Aber Lamian holt seine Geschichte ein, als er eines Tages eine Zeitung in einem Bus findet, mit dem Namen einer der Mädchen, die er damals so entwürdigend beschlafen hatte. Von nun an lässt ihn dieses Handeln, jahrzehntelang »verdrängt«, nicht mehr los. Überall wittert er jetzt Jäger, die ihn heute, vierzig Jahre danach, zu überführen trachten. Alles Gesehene, Gefühlte bringt er in Bezug auf das Lagerleben; jede Alltäglichkeit ruft sofort eine Assoziation aus dem Lager hervor, die hängenden Brüste einer Frau, der Blick eines Mannes, das Sonnenlicht durch ein Fenster. Meisterhaft versteht es Tišma (in der auktorialen Perspektive) die Nöte, die Qualen und die paranoischen Seelenzustände Lamians zu erzählen, für den Leser fassbar zu machen. Lamian holt über diese Frau, die Helena Lifka heisst, Erkundigungen ein; er erfährt, dass sie in Zagreb lebt. Er fällt in eine tiefe Lebenskrise, verlottert, geht nicht mehr aus dem Haus, lässt sich pensionieren, denkt an Selbsttötung. Endlich rafft er sich zur Reise nach Zagreb auf. Dort glaubt er die Frau gesehen zu haben, verfolgt sie, beobachtet sie beim Einkaufen, mutmasst über ihren Alltag. Am nächsten Tag besucht er sie, stellt fest, dass es Helena Lifkas Cousine ist und dass sie, der ehemalige Häftling, vor einem halben Jahr an Krebs verstorben sei. Lamians Idee, eine irgendwie geartete Vergebung oder nur Zuwendung ob einer Aussprache zu erhalten, zerbricht. Und abermals gibt es in Lamians Leben eine niemals mehr zurückzuholende Chance, sich mit jemandem über seine Vergangenheit auszusprechen, wie damals nach dem Kriege mit jedem jüdischen Richter, dessen Freundschaft er aus Angst so verschmähte und erst nach seinem plötzlichen Tode schmerzte die verpasste Möglichkeit. Diese Verzweiflung an sich selbst, dieses wilde Assoziieren und niemals mehr wegkommen vom Gewesenen, den Sog der Vergeblichkeit – das konnte Tišma meisterhaft erzählen. In den besten Momenten erinnert »Kapo« an seine brillanten Erzählungen (»Die Schule der Gottlosigkeit«, in denen er auf knappem Raum grosse Intensität entstehen lässt (und vermutlich einer der grössten Meisterleistungen der Literatur, wie Tišma die Gedankengänge eines Mannes erzählt, der am Vorabend seiner Deportation in seiner Wohnung sitzt; der letzte Abend in Freiheit und wie hypnotisiert seinem Los ergeben). Niemals verfiel Tišma in die Versuchung des billigen Moralisierens. Die einfache Gleichung »Täter = böse - Opfer = gut« gab es bei ihm nicht. Kroatische Ustascha metzeln Serben nieder und die »Rache« der Serben (einiger Serben) im Kommunismus; ein jüdischer Kapo verdingt sich um jeden Preis; das Kind des brutalen Folterknechts überlebt eine lebensgefährliche Infektion, just in dem Moment er seinen Delinquent ermordet. Niemals geht es »gerecht« zu. Und niemand verlässt bei Tišma die Bühne geläutert oder erlöst - das Überleben schafft noch keine Befreiung mehr; nein, es verschafft - im Gegenteil - oft genug fürchterliche Qualen. Zwischen den Zeilen sieht man in »Kapo« (einem Buch, das 1987 erstveröffentlichte wurde) das Aufziehen der neuen (alten) Probleme Jugoslawiens hervorkommen und es ist deutlich anzumerken, wie dies dem Autor geschmerzt haben muss. Und dieses Thema - immer wieder in den Tišma-Büchern vorhanden - kollidiert mit einem anderen, grossen Thema dieses Autors: der Unausweichlichkeit des menschlichen Schicksals. Tišmas Denken war zwar nicht griechisch, d. h. er vertrat nicht die These, dass sozusagen ein bestimmtes Schicksal jedem Menschen unabhängig von seinem späteren Handeln zugeordnet ist (von oberer Instanz etwa), aber dem Schicksal, welches der Menschheit in einer bestimmten Epoche befällt, diesem Schicksal kann der Mensch ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr entrinnen, nein: er schreibt es sogar fort. Bei Tišma waren die Figuren nie nur Getriebene, sondern auch Treiber, und sei es, sich zu ergeben. Sind sie klug oder können reagieren, so werden sie (scheinbar) zu Überlebenskünstlern. Aber es befreit eben nicht mehr. Bei aller Technik des blossen, physischen Überlebens: innerlich waren seine Helden ausgelaugt, verbittert, mutlos. Kurz: es ist keine Rettung möglich, zu keiner Zeit; mindestens keine irdische (über anderes schwieg Tišma). Diese Ausweglosigkeit lässt Tišmas Bücher gelegentlich finster, negativ erscheinen. Aber hinter all dieser Trübnis funkelt - sehr gut versteckt - der Gedanke der Möglichkeit, die menschliche Geschichte anders zu gestalten, als in den gehabten Mustern. Aber das war nicht Tišmas Thema und Genre. Er verstand sich als poetischer Chronist; sein Glaube an das Erzählen (mag es auch Selbsttherapie sein und Selbst-Teufelsaustreibung) verrät aber das Fünkchen Hoffnung.
Am 16. Februar 2003, vor
fünf Jahren, ist dieser grosse Dichter Aleksandar Tišma gestorben. Tišma war
auch ein Heimatdichter (freilich nicht im verkitschten Sinn); ein Dichter
der Stadt von Novi Sad, der Vojvodina und natürlich von Jugoslawien. Den
Literaturnobelpreis hat er leider nicht bekommen; auf der
»Liste«
stand er wohl, wie es heisst. Zugegeben kein Lesefutter, aber seine Bücher
strahlen, leuchten. Erleuchten. Lothar Struck |
Aleksandar Tisma wurde 1924 im
ehemaligen Jugoslawien geboren und wuchs in Novi Sad auf. 1944 trat er in
die jugoslawische Befreiungsarmee ein. Nach dem Krieg arbeitete er als
Journalist und Verlagslektor. Er verstarb am 16. Februar 2003 im Alter von
79 Jahren in Novi Sad. |
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