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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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»Schatten, die mit Schatten spielen« Karten scheinen momentan ein Erfolgsgarant im Literaturbetrieb zu sein. Im aktuellen Erfolgsroman des französischen enfant terrible Michel Houellebecq »Karte und Gebiet« spielen Michelin-Straßenkarten eine wesentliche Rolle. Die militärischen Bewegungen auf einer Europakarte, abgebildet auf dem Spielplan eines Strategiespiels mit dem Namen »Das Dritte Reich«, stehen im Mittelpunkt des soeben erschienenen Romans von Roberto Bolaño, der den Namen dieses Spieles trägt. Vor zwei Jahren erschien in Deutschland Bolaños grandioses Epos »2666«, eine Jahrhundertgeschichte der Gewalt, die sich vom Deutschland der 1930er Jahre über die europäischen Studentenrevolten bis in die Gegenwart des mexikanischen Drogenkriegs erstreckt. Spätestens seit dem Erscheinen von »2666« ist der 2003 in Barcelona verstorbene Chilene auch deutschen Lesern ein Begriff. Seine Vorgängerromane »Chilenisches Nachtstück«, »Die Naziliteratur in Amerika«, »Stern in der Ferne« oder »Die wilden Detektive« – für letztgenannten Roman wurde er mit dem Premio Herralde de Novela und dem wichtigsten Literaturpreis Lateinamerikas, dem Premio Rómulo Gallegos, ausgezeichnet – erfreuen sich seither reger Anhängerschaft. Im vergangenen Herbst erschien der im Nachlass gefundene »Lumpenroman« und stieß auf ein begeistertes Echo. Jahre nach seinem Tod herrscht hierzulande das von Matthias Matussek vorausgesagte Bolaño-Fieber. Mit »Das Dritte Reich« ist nun erstmals eine deutsche Übersetzung des Debütromans des chilenischen Schriftstellers in einem edlen Leineneinband erschienen. Dies ist aus zweierlei Gründen von Bedeutung: Zum einen ist Bolaños beeindruckendes, mehrere tausend Seiten umfassendes Werk in kaum mehr als 15 Jahren entstanden. Mit dem 1989 abgeschlossenen Roman »Das Dritte Reich« liegt nun Bolaños Übungsplatz für seine späteren Werke vor. Zum anderen besteht das literarische Œuvre des Chilenen nicht einfach nur aus einigen Romanen und Erzählungen, sondern bildet ein komponiertes Gesamtkunstwerk, in dessen Teilen Personen, Handlungsorte, Themen und Motive immer wieder auftauchen und aufeinander Bezug nehmen. »Das Dritte Reich« ist insofern auch die Keimzelle all dessen, was Roberto Bolaño danach geschaffen hat. Der Roman ist als Tagebuch verfasst, geführt von Udo Berger, einem Elektroingenieur aus Stuttgart, der mit seiner Freundin Ingeborg Urlaub an der spanischen Küste macht. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit strategischen Kriegsspielen und hat sich europaweit einen Namen als Experte und Kritiker auf dem Gebiet gemacht. Für die renommiertesten Szenemagazine schreibt er Fachartikel und erläutert Spezialstrategien, auf Spielmessen und Conventions tritt er gegen die internationalen Größen der Wargames-Welt an.
Um
sich auf eine solche Partie vorzubereiten, hat er sich in seinen Sommerurlaub
das Spiel »Das Dritte Reich« mitgenommen. Dabei geht es darum, in der Rolle der
Alliierten oder der Achsenmächte den Verlauf des Zweiten Weltkriegs zu
verändern. Den Spielverlauf und die Folgen seiner Züge hält er in seinem Tagebuch fest. Sein Ziel ist nicht nur, die Partie zu gewinnen, sondern dabei eine »unglaubliche Variante« des Spiels zu finden, eine Variante, auf die bisher niemand gekommen ist. Es wäre aber todlangweilig, wenn »Das Dritte Reich« einfach nur das Log- bzw. Schlachtenbuch des Spielverlaufs wäre. Dies ist jedoch mitnichten der Fall. Der Roman setzt sich aus mehreren Handlungsebenen zusammen, die sich in ihrer Eigenständigkeit immer wieder berühren. Insofern klingt bereits in Bolaños Debüt die Struktur seines Gesamtwerks an, in dem Personen, Sujets und Orte immer wieder auftauchen und aufeinander Bezug nehmen, aber auch unabhängig voneinander existieren. Ingeborg und Udo lernen zu Beginn ihres Urlaubs Charly und Hanna in einer Diskothek kennen. Warum die bildschöne Hanna in den Händen des notorisch-aggressiven Trinkers Charly gelandet ist, bleibt ein Rätsel. Tage- und Nächtelang ziehen die beiden Paare gemeinsam durch Restaurants, Bars und Diskotheken der Stadt. Während sich Charly jeden Abend hemmungslos betrinkt, sucht Hanna Zuflucht bei Ingeborg, die wiederum Zuwendung sucht, da sich Udo immer intensiver in sein Kriegsspiel vertieft. Udo wiederum fühlt sich zu der etwas älteren Hotelbesitzerin Frau Else hingezogen und versucht, sich ihr vorsichtig anzunähern. Nach einigen durchzechten Nächten geschieht dann die unvermeidliche Katastrophe, die Bolaños Erstling einen Hauch von Drama gibt. Der großspurige Charly kehrt nicht mehr von einem Surfausflug zurück. Was bleibt, sind viele offene Fragen. Ist er abgehauen, verunglückt oder Opfer eines Verbrechens geworden? Führten Hanna und er überhaupt eine glückliche Beziehung? Hatte er Feinde? Gab es mehr als Anspielungen zwischen Ingeborg, Hanna und Charly? Und welche Rolle spielt der Besitzer des Tretbootverleihs am Ufer, der anscheinend vor Jahren bei einem Brand schwer verletzt wurde und daher im Roman immer nur als »der Verbrannte« bezeichnet wird? Mit Charlys Verschwinden gewinnt der Verbrannte an Bedeutung in dem Roman. Zwar weiß kaum jemand, wer er ist, die meisten Touristen ignorieren ihn, Udo aber spürt eine beängstigende Anziehungskraft von ihm ausgehen. Der Verbrannte bemächtig sich seiner Gedanken und schleicht sich in Udos Träume. Eines Tages lädt ihn Udo in sein Hotelzimmer ein, präsentiert ihm das aufgebaute Spiel und erklärt ihm die Regeln. Der Verbrannte übernimmt schließlich die Rolle der Alliierten. Eine verheerende, eine faustische Partie, die sich über Wochen hinzieht, beginnt.
»Pass auf das auf, was du in Spanien hast!« Die Betrachtung des Faustischen, des Bösen, ist ein Sujet, welches sich wie ein roter Faden durch Roberto Bolaños Gesamtwerk zieht – stets beobachtend, studierend, konfrontierend, aber niemals urteilend. Für sein Werk trifft zu, was George Bataille 1957 in seiner bahnbrechenden Studie »La littérature et le mal« (dt. Die Literatur und das Böse, jüngst neu aufgelegt beim Verlag Matthes & Seitz) festgehalten hat. Die Literatur, die sich der Souveränität des Bösen verschrieben hat, darf selbst nicht ins Moralische verfallen, sondern muss einer »Hypermoral« verpflichtet bleiben, schreibt Bataille dort. Diese Literatur muss nicht nur erkennen, dass sie nicht unschuldig ist, sondern muss sich zu ihrer Schuldigkeit bekennen, im Bösen verharren, gerade auch dann, wenn ihr ihre Bösartigkeit vorgeworfen wird. »Die Literatur ist das Wesentliche, oder sie ist gar nichts«, fasst Bataille dies in seinem Werk zusammen. In »Das Dritte Reich« ist dieses Böse in dem stets sympathisch wirkenden Udo personalisiert, der in völliger Geschichtsvergessenheit wenige Jahrzehnte nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs freudig bewegt am Triumph der deutschen Wehrmacht auf dem Reißbrett arbeitet. Bolaño selbst bewertet dieses Handeln und Denken an keiner Stelle, bekennt sich also schon in seinem Debüt zum Bataille’schen Maßstab der Schuldigkeit seiner Literatur. Mit der zunehmenden Verwebung von Bergers Spiel- und Erlebnisbeschreibungen ist schließlich auch nicht mehr eindeutig feststellbar, wo der große Krieg, das Böse, denn eigentlich tobt – ob auf dem Spielbrett oder in der erzählten Realität.
»Pass auf das auf, was du
in Spanien hast«, sagt der Verbrannte zu Udo, als der Spielverlauf eine andere
Richtung einschlägt. Es ist ein unscheinbarer, aber symbolischer Satz. Bei
Bolaño wird aus Spiel eine verheerende Wirklichkeit und aus dem Leben ein
gefährliches Spiel. Er schildert dies unprätentiös und kühl, unbarmherzig und
abgeklärt. Lässt alles stehen und nimmt nichts zurück. |
Roberto Bolaño
Mehr zu Autor
und Werk unter
www.roberto-bolano.de |
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