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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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176 Seiten, die es in sich haben:
»Diese mühselige Arbeit an den Zügen des Menschlichen«
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Mit Texten von Hannah Ahrendt,
Wassili Grossman, Nicolàs Gomez Davila, Gert Neumann, Dieter Leisegang, Fernando Pessoa, u.a.

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»Alles Geschriebene ist Schweinerei...«

Gregor Keuschnig über Roberto Bolaños »Lumpenroman«

Eine Ich-Erzählerin namens Bianca, inzwischen verheiratet und Mutter, erzählt von ihrer Vergangenheit als "Kriminelle". Sie erzählt, wie sie nach dem tödlichen Unfall ihrer Eltern zusammen mit ihrem Bruder in Rom als Minderjährige weiterlebt. Sie erzählt, wie sie sich mit ihren kleinen Einkommen (sie ist in einem Friseurladen beschäftigt und wäscht dort vorzugsweise den Kunden den Kopf, er macht in einem Fitnessstudio sauber) überleben. Sie schaut Quiz-Shows im Fernsehen, ihr Bruder leiht Pornofilme aus der Videothek aus und verehrt eine Darstellerin. Sie erzählt, wie der Bruder eines Tages zwei Freunde mitbringt (die sie, mangels Namen, als Bologneser und Libyer bezeichnet). Sie erzählt, wie es nie mehr dunkel wird um sie herum, was sie nachts kaum schlafen lässt. Sie erzählt, wie sie, die Jungfrau, sich von den Freunden des Bruders beschlafen lässt und darauf achtet, nicht zu wissen, mit wem sie es gerade treibt. Sie erzählt, wie die drei Jungs mit ihren (vermutlich dubiosen) "Geschäften" scheitern und sie schließlich an den ehemaligen Filmstar und Bodybuilder Maciste verkuppeln. Von nun an besucht Bianca diesen Mann zweimal die Woche. Sie schlafen miteinander und er bezahlt dafür. Er ist blind. Und er soll einen Tresor haben. Diesen Tresor gilt es zu finden. Die vier wollen ihn, den blinden Mann, ausrauben. Aber der Tresor bleibt unauffindbar, Bianca gesteht dem dicken Maciste ihre Liebe, pflegt ihn mit Kamillentee, als er krank wird und verabschiedet sich kurz darauf von ihm. Gleichzeitig setzt sie die beiden Freunde des Bruders vor die Tür. Und Bianca kann wieder die Dunkelheit wahrnehmen.

Das ist im Wesentlichen der Inhalt dieses "Lumpenromans". Wenn dies ein bisschen dürftig erscheint – es ist dürftig. Es ist nicht nur ein dürftiger Inhalt, es ist auch dürftig erzählt. Bianca hält sich selber nicht für intelligent (sie füllt einmal einen Fragebogen einer Frauenzeitschrift aus und erklärt dies dort), was im Erzählton gespiegelt wird. Sie bemerkt, dass sich in Europa oder Italien ökonomisch etwas ändert, weiss aber nicht was. Aber später kennt sie die Worte "Amnesie" und "Lobotomie" und verwendet sie richtig.

Es sind viele solcher Widersprüche in diesem kleinen Buch. Der Bruder ist minderjährig, bekommt aber offensichtlich problemlos Pornofilme. Bianca schaut nur Quiz-Shows, bis sie sich auch alle möglichen Filme besorgt, sich dann jedoch eher für die Hüllen interessiert als sie anzuschauen. Ihre Jungfräulichkeit verliert sie wie nebenbei. Immer kündigt Bianca ihr Hineinrutschen ins Kriminelle an, aber außer, das es einen Plan gibt, erfährt man nichts. Bianca zeigt eine wache Trägheit, ist tendenziell aber eher passiv. Diagnosen des Lesers wie Depression oder psychische Störung greifen nicht. Man gibt dieses Suchen nach Erklärungen schnell auf und lässt sich von der Gleichgültigkeit der Erzählfigur anstecken.

Es wäre ein Fehler, die Unstimmigkeiten als Fehler des Autors zu werten. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Wie schon im ausufernden Roman "2666" betreibt Roberto Bolaño ein ausgiebiges, bisweilen hinterlistiges Suchspiel mit Verweisen, Rückbezügen und Motiven aus Literatur, Theater und Film, die unter der eher trägen Erzählsprache der minderbemittelten Bianca erst entdeckt werden sollen. So ist der "Lumpenroman" eine Art Referenz-Memory. Ein ideales Buch für eine Party literaturbegeisterter Philologen, die stundenlang Parallelen und Fortschreibungen berühmter (oder weniger berühmter) Werke herausdestillieren mögen. Fast fühlt man sich manchmal an eine Spielshow erinnert, bei der man auf den Buzzer drücken soll, wenn man wieder eine Allegorie entdeckt hat, die an Fellini, Pasolini, Kafka, Beckett, Brecht, Thomas Bernhard oder sonst wen erinnert. Diese "Literatur-Literatur" ist in der kleinen Form dieses Buches noch stärker präsent als im Monumentalwerk "2666", in dem es immerhin dieses verstörend-wuchtige Kapitel der Frauenmorde gab.

Es war vorhersehbar, dass "Lumpenroman" mit großer Anteilnahme bedacht wird, da die Bedürfnisse der zeitgenössischen Literaturkritik perfekt erfüllt werden. Hinzu kommt das persönliche Schicksal des Autors, welches eine ideale Projektionsfläche bildet. Man kann sich so herrlich-wortgewaltig einem Lob hingeben (und nebenbei dem "normalen" Leser damit seine Unbildung vorführen). Jede Nuance wird aufgepeppt, weil sie im Kontext mit Höherem verortet wird. Nichts steht für sich, alles ist Symbol, Metapher, Bild. Das Buch ist der Prototyp des postmodernen Romans. Nicht die Erzählung mit ihrer ziemlich bescheidenen Sprache wird da gelobt, sondern ihre Deutung. So kommt man zu einem Urteil wie Adam Soboczynski, der hier "schlechterdings alles Essentielle der vergangenen Jahrtausende" verwoben sieht. Und Christopher Schmidt macht "dunkel leuchtende, phosphoreszierende Poesie" aus. Das ist jetzt nicht etwa Loriots heile Welt, sondern die "Zeit" bzw. die "Süddeutsche Zeitung".

Was bleibt ist das herrliche Motto von Antonin Artaud, welches dem Roman vorangestellt ist: "Alles Geschriebene ist Schweinerei […] Das ganze Literatenvolk ist schweinisch, und besonders dasjenige dieser Zeit". Die Schweinerei hätte ich gerne gelesen. Stattdessen wird mir ein ziemlich kleines Ferkelchen als Sau verkauft. Gregor Keuschnig

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Roberto Bolaño
Lumpenroman
übersetzt aus dem Spanischen von Christian Hansen
Hanser

Fester Einband, 112 Seiten
14.90 €

Leseprobe


 


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