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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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»... die abgeworfenen Häute meines Selbst.«

Drei Werkschauen bringen uns im Herbst den deutschen »Titanen der Moderne«
Max Beckmann näher.

Von Thomas Hummitzsch

»Ich muss Ihnen nicht erst sagen, dass eine gedankenlose Nachahmung der Natur nicht in Frage kommt. Bitte denken Sie immer an diesen Grundsatz – den wichtigsten, den ich Ihnen mitgeben kann. Wenn Sie einen Gegenstand darstellen wollen, bedarf es zweier Elemente: Erstens muss die Identifikation mit dem Gegenstand vollkommen sein, und zweitens müsste noch etwas völlig anderes im Spiel sein. Dieses zweite Element lässt sich nur schwer erklären. Fast so schwer, wie sein eigenes Selbst zu finden. Tatsächlich suchen wir alle eben dieses Element unseres eigenen Selbst.«

Mit diesen Worten trat Max Beckmann (geb. 1884 in Leipzig, gest. 1950 in New York) im September 1947 vor seine erste amerikanische Malklasse an der Washington University, nachdem er nur wenige Monate zuvor sein bitter empfundenes Exil in Amsterdam verließ und mit seiner zweiten Frau Quappi nach Amerika auswanderte. Die an seine Studenten gerichteten Worte wurden schnell zur programmatischen Erklärung von Beckmanns Werk und Werkprozess. Beidem kann man im Herbst in drei fast zeitgleich stattfindenden Ausstellungen nachspüren. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Herangehensweisen bringen die Bilderschauen in Leipzig, Basel und Frankfurt/Main dem Besucher nahe, wie auch Beckmann stets auf der Suche nach diesem eigenen Selbst war und wie sich dieses Selbst in seinen Bildern wiederfand. Die drei Werkschauen, die, zufällig parallel geplant, nun als einvernehmliches Großprojekt erscheinen, fügen sich wie ein Beckmann-Triptychon zu einem Ganzen, welches zwar unterschiedliche Aspekte ins Auge fasst, aber dennoch ein Gesamtbild entstehen lässt. Sie bieten eine einmalige Gelegenheit, sich umfassend mit dem Werk von Max Beckmann zu befassen.

Im Kunstmuseum Basel, welches bekannt dafür ist, einzelne Aspekte eines Künstlerwerkes der Retrospektive vorzuziehen, wendet sich Beckmanns Landschaften zu. Als Maler der condition humaine hat Beckmann das Landschaftsbild auf grandiose Weise (sein Landschaftswerk umfasst etwa 250 Gemälde) erneuert. In einer Zeit, in der der Gattungsbegriff nahezu aufgelöst wurde, greift Beckmann für seine Landschaftsmalereien auf den klassischen Begriff der Landschaftsmalerei zurück. Er experimentiert mit den Grenzen dieses Gattungsbegriffs. Der sensible Blick auf die Natur und deren Wirkung auf die seelische Verfasstheit des Menschen – diese von Caspar David Friedrich übernommenen Leitlinien des Landschaftsbegriffs finden sich auch bei Beckmann wieder, wenngleich bei ihm weniger die Natur auf seine Verfasstheit wirkt, als vielmehr seine Verfasstheit auf die Wahrnehmung der Landschaft. Keine unwesentliche Rolle spielt dabei Beckmanns von Henri Rousseau angeregtes Interesse an der Natur und der Position des Menschen darin, über die er Zeit seines Lebens sinnierte.

Die Baseler Schau folgt Beckmanns Lebensweg und strukturiert sein Landschaftswerk in fünf Stationen: Weimar und Berlin 1902 – 1914, Frankfurt/Main 1915-1933, Berlin 1933 – 1937, Amsterdam 1937 – 1947, Amerika 1047 – 1950. Diese Anordnung kommt Beckmanns stark biografisch geprägtem Landschaftswerk, das mit Industrieabbildungen, Fensterblicken und Stadtansichten von einem stark gedehnten Begriff der Landschaft bis Gebrauch macht, entgegen. Ausgangs- und Angelpunkt ist das als entartete Kunst von den Nationalsozialisten aus dem Frankfurter Städel-Museum entfernte Gemälde Das Nizza in Frankfurt am Main, welches seit 1939 im Besitz des Hauses ist. Die Kuratoren Bernhard Mendes Bürgi und Nina Peter haben aber auch selten zu sehende Stücke, die sich in Privatbesitz befinden und zum Teil seit Jahrzehnten nicht zu sehen waren, wie etwa Hermsdorfer Wald oder Blaues Meer mit Strandkörben, in Basel versammelt.

Betrachtet man die knapp 70 in Basel ausgestellten Landschaften – angefangen bei Große Buhne von 1905 und endend mit Mühle im Eukalyptuswald aus dem Sommer 1950 – kann man Beckmanns Suche nach dem eigenen Selbst nachempfinden. Er begegnet sich hier selbst, verortet sich und seine Zeit in den Landschaftsbildern, reagiert auf die Orte seines Aufenthalts und träumt sich – insbesondere im Amsterdamer Exil – an andere Orte. In den dort entstandenen Gemälden, vor allem in den Meeresbildern, findet sich Beckmanns innere und äußere Lebenssituation immer wieder in düsteren Stimmungen gespiegelt. Beispielhaft seien hier das Triptychon-ähnliche Arrangement der drei Gemälde Nordseelandschaft I, Stürmische See, Wangerooge und Nordseelandschaft II, die den Zyklus eines Naturereignisses und zugleich Beckmanns Lebensängste abbilden, genannt.

Der Traum als Mittel, das »völlig andere« im Bild umzusetzen, spielt bei Beckmanns Landschaften eine besondere Rolle, denn sie sind vielmehr Traumbilder, als realistische Abbildungen der Landschaften. Es sind oft Erinnerungsaufnahmen mit realem Bezug, in denen Beckmann die wahrgenommene Atmosphäre mit persönlichen Stimmungen und den äußeren Anfechtungen seiner Zeit verdichtet hat. Postkarten und selbst angefertigte Skizzen dienten ihm meist als Grundlage seiner subjektivistisch geprägten Erinnerungsbilder. Der Tagebucheintrag vom 8. September 1940, an den der Kunsthistoriker Hans Belting im Begleitband erinnert, macht dies deutlich: »Nochmals – was ich geschaffen habe, sind nur die abgeworfenen Häute meines Selbst.«

Der direkten Konfrontation mit seinem Selbst kann man in idealer Weise in Leipzig nachgehen. Die Ausstellung in Beckmanns Geburtsort steht unter dem Motto Von Angesicht zu Angesicht und versammelt nach fast 50 Jahren erstmals wieder eine Vielzahl von Porträt-, Familien- und Gruppenbildnissen, die in Beckmanns Lebenswerk eine wichtige Rolle einnehmen. Neben rund 50 Gemälden sind in Leipzig auch etwa 100 Druckgrafiken und Skizzen versammelt. Zuletzt war eine solche Portrait-Schau Max Beckmanns 1963 im Badischen Kunstverein zu sehen.

Das Porträt und Selbstporträt spielen in Beckmanns Werk eine bedeutende Rolle. Mit Menschen aus seinem näheren Umfeld befasste sich Beckmann immer wieder porträtierend. An ihm vertrauten Personen, wie den beiden Frauen Minna Beckmann-Tube und später Mathilde »Quappi« Kaulbach oder dem Ehepaar Ugi und Fridel Battenberg übt er immer wieder die malerische Ausführung von Physiognomie als Spiegel des Innenlebens. Er bildet hier aber auch Biografisches ab, etwa wenn auf seinem Familienbild beide Ehefrauen abgebildet sind oder er auf seinem Gemälde Siesta von 1924 sieben Jahre später Minnas Antlitz mit Quappis Gesicht übermalt. Die eigene Verfasstheit reflektiert er nicht zuletzt auch immer wieder im Zeichnen des eigenen Antlitzes. Es begegnen uns auf den Leinwänden aber auch zufällige Bekanntschaften oder Gesichter, die Max Beckmann in den Straßen erblickte.

Die Leipziger Ausstellungsmacher gehen aber noch weiter und bedienen sich dabei einem weit gefassten Porträtbegriff, um zu veranschaulichen, was Kunstsammler und Beckmann-Freund Stephan Lackner einst als »malerisches Welttheater Beckmanns« bezeichnete. Um das Mythologische, ein aus der Malerei nicht wegzudenkendes Element, am Alltäglichen zu verifizieren, greift Beckmann auf die kulissenhafte Inszenierung zurück. Alltagsbeobachtungen, etwa aus dem Zirkus oder dem Varieté, paart er mit symbolisch ausgestatteten und ikonographisch aufgeladenen Figuren mit bereits bekannten Gesichtern.
An die Seite der klassischen Porträts und der allegorischen Arrangements haben die Kuratoren auch zahlreiche Gemälde von Menschenmengen gestellt. Für solche Werke hat Beckmann oft auf seinen reichen Fundus an Gesichtern und Porträts zurückgegriffen und sie hier eingebaut. Diese Menschenmengenbilder sind insofern Beckmannsche Suchbilder, auf denen die zahlreichen Gesichter, denen man in der Ausstellung begegnet, im Kleinen versteckt sind.

Im Frankfurter Städel begleitet die Retrospektive Max Beckmann & Amerika die sukzessive Eröffnung des Museumsneubaus. Sie wendet sich mit etwa 50 Gemälden und 60 Zeichnungen Beckmanns letzter Werkphase zu, die nicht minder produktiv und mythologisch ist, zeigt aber auch Gemälde, die viele Jahre vor der Emigration entstanden sind und zur belastenden Vorgeschichte der Verbannung gehören (Kreuzabnahme, Der Befreite, Die Weintraube). Als Beckmann 1947 das verhasste Exil in Amsterdam verlässt und nach Amerika auswandert, ist das für ihn wie eine Befreiung. Der zwangsweise Exilierte wird zum freiwillig Emigrierten. »14 Jahre exilé / et condamné / nun wieder frei – sehen wir was weiter kommt«, notiert er 1946, bereits ein Jahr vor seiner Ausreise, als er einige seiner Werke nach New York schicken darf. Noch drei Jahre nach seiner Ausreise später erinnert er sich vor Freunden an das befreiende Gefühl der Überfahrt nach Amerika: »Sie können nicht ermessen, was das für ein innerer Umschwung war für mich, in dies friedliche Land zu kommen, nach den furchtbaren Zerstörungen, die ich in Europa miterleben musste.«

Als er in den USA ankam, war er dort bereits ein Star. Im MOMA hängt seine Kunst an der Seite von Pablo Picasso, Fernand Léger und Henri Matisse. Die Demütigung der Entartung seiner Kunst und der Vertreibung ins Exil kann er hier endlich hinter sich lassen. Mit der kunsthistorischen Entwicklung des europäischen Expressionismus hin zu einem amerikanischen Stil, dem Abstrakten Expressionismus, zelebriert von Jackson Pollock, Mark Rothko oder William De Kooning, setzte sich Beckmann nicht auseinander. Es komme darauf an, ob ein Bild genügend innere Substanz habe, nicht aber, ob es diesem »Geschrei der Avantgarde« angehöre. Das war alles, was er dazu zu sagen hatte.

In den USA erhält Beckmann mehrere Lehraufträge und Malklassen, er wird zu Vorträgen eingeladen und seine Bilder hängen in den wichtigsten Museen des Landes. Die zahlreichen Erlebnisse und Eindrücke auf seinen Reisen zu Vorträgen und Ausstellungen verarbeitet er in unzähligen Zeichnungen und Skizzen, die er teilweise später zu Gemälden verarbeitet. Er malt aber auch wenige Landschaftsstudien und erneut Porträts der ihn umgebenden Menschen. Die Städel-Ausstellung kann man daher als ideale Synthese der beiden anderen Beckmann-Schauen interpretieren. In Frankfurt werden zur auch die drei großen mythologisch überfrachteten Triptychen Beginning, Departure und Argonauten präsentiert. Sie sind auch Beleg dafür, wie intensiv sich Beckmann mit Fragen der historischen und Natur-Mythologie befasst hat. Seine Reflektionen über eine universale und immer wiederkehrende Naturmythologie finden sich insbesondere auch in seinen amerikanischen Bildern wieder.

»Nicht mit den Ohren sollt ihr sehen, sondern mit den Augen! In jeder Kunstform kann Ungewöhnliches erreicht werden und es hängt allein von der produktiven Fantasie des Beschauers ab, das zu entdecken.«
 

Stephan Reimertz
Max Beckmann
rororo
Taschenbuch, 160 S.
8,95 €
978-3-499-50558-4

Max Beckmann
Landschaften
Hrsg. Bernhard Mendes Bürgi, Nina Peter, Texte von Hans Belting, Mendes Bernhard Bürgi, Eva Demski, Nina Peter, Maren Stotz, Beatrice von Bormann
236 Seiten, 147 Abb., davon 117 farbig
25,00 x 30,70 cm
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-7757-3146-1

Max Beckmann
Von Angesicht zu Angesicht
Hrsg. Susanne Petri, Hans-Werner Schmidt, Beiträge von Felix Billeter, Christiane Zeiller, Texte von Barbara C. Buenger, Christian Fuhrmeister, Marcus Andrew Hurttig, Susanne Kienlechner, Mario-Andreas von Lüttichau, Olaf Peters, Uwe M. Schneede
400 Seiten, 417 Abb., davon 208 farbig
25,00 x 30,60 cm
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-7757-2817-1

Max Beckmann
Die Skizzenbücher
Hrsg. Max Beckmann Gesellschaft, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Von Christiane Zeiller, mit einem Beitrag von Gerd Presler,
976 Seiten, 1466 Abb., davon 1260 in Duplex, 191 farbig
25,50 x 31,30 cm
Leinen mit Schutzumschlag, 2 Bände im Schuber
ISBN 978-3-7757-2274-2

Beckmann & Amerika
Hrsg. Jutta Schütt, Städel Museum Frankfurt am Main, Texte von David Anfam, Karoline Feulner, Ursula Harter, Lynette Roth, Stefana Sabin, Jutta Schütt, Christiane Zeiller
280 Seiten, 259 Abb.
23,00 x 28,00 cm
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-7757-2984-0


Siehe auch:

Exil in Amsterdam

Max Beckmanns fruchtbarer Trotz

Von Herbert Debes
Artikel lesen

Überlegungen zur Ausstellung und Katalog





 


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