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Diabolisches Mockumentary der ästhetischen Moderne William Gaddis „Die Fälschung der Welt“ Von Peter V. Brinkemper
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William Gaddis’ 1955
erschienener Roman »The Recognitions« – zu Deutsch Aus der finsteren Ostküsten-Provinzialität der USA kriecht eine seltsame Form der (Anti-)Kunst in die Urbanität Manhattans und Paris, um in ihrer Widerspenstigkeit sich an der europäischen Kultur und ihren Ursprüngen in Rom und in ihren spätantiken Quellen abzuarbeiten. Leerstellen zwischen Epik und Essayistik, Mythologie und Religion konstituieren einen in viele Szenerien und Charaktere (Esther, die gefräßige Muse der Modernität; Stanley, die Stimme der Musik, Recktall Brown, der zynische Agent des Marktes) zerdehnten Entlarvungs-Hyper-Realismus: einen Text voller Einfälle und Visionen, in denen der etablierte und kompakt wirkende Anspruch der modernen Kunst, zumal der bildenden, zum Selbstmissverständnis und Fake ausgedünnt und herunterreflektiert wird. Die abgerundete Originalität der Produktion und ihrer kunstgeschichtlich defensiven Kanonik wird als theologischer, zuweilen sektiererischer Kult aufgeladen oder entlarvt und in ihrer manipulativen Genese zerlegt. Jedes gar nicht so einzigartige Werk wird durch beißende analytische Kritik in reproduzierbare und fehlerhafte Elemente zerlegt, die sich jederzeit in der Opulenz artistischer Plagiate überbieten lassen, vorausgesetzt, dass nur Talent genug vorhanden ist, um zur wilden Produktion zu schreiten, im gewollten Zwiespalt von anzweifelbarer Autorenschaft und ungezügelt spekulativer Ökonomie, ungeahnter Kreativität und schierer Ausbeutung, bis hin zum Ghost-Painting mit garantierter Do-it-yourself-Signatur. »Diese Originalgenies sind größtenteils zum Plagiat verurteilt.« (336) Diskurse prallen aufeinander: US-amerikanische und europäische Kultur, Malerei der Moderne und der (frühen) Renaissance und Ikonen der Spätantike (Memling, van Eyck und El Greco), Dispute über die misslungene Integration malerischer und objekthafter Details in den fiktiven oder real anmutenden Bildraum, Musik und Literatur, Philosophie und Theologie, vorgeblich puristische Künstler-und-Priester-Moral und schamlose kapitalistische Berechnung, die Anmaßung einer selbstzufriedenen Hochkultur und die existenzielle Gaunerei der Straße und die Gerissenheit des Marktes, wenn zu viel Geld auf der Jagd nach zu wenig Originalen ist. Und so wird das spätmodernistische Gebräu einer heiter bis bitter bekifften Spekulation hervorgebracht, die sich noch heute, im Zeitalter der digitalen und literarischen Ernüchterung und Depression 2013/14, brennend aktuell ausnimmt und dabei die Vorboten der immerwährenden westlichen Sinnkrise auf einem längst preisgegebenen Niveau schraffiert. William Gaddis galt seit diesem Frühwerk als zeitlos begnadeter Jüngling und Ahnvater der späteren US-amerikanischen Postmoderne. Auf ihn berufen sich u.a. Thomas Pynchon, Don DeLillo, Jonathan Franzen und David Foster Wallace. Das beeindruckende und erdrückende Erstlingswerk steht seinen späteren Romanen und denen seiner eigenwilligen Nachfolger in nichts nach. Bei aller Verwandtschaft im Ton ist der imaginativ-spektulative Spielraum oft noch weiter gespannt. Die endlosen Sätze und Dialoge, die bereits die infantilen Wortkaskaden von »J.R.« (1975, deutsch 1996) vorwegnehmen, sind derartig aufgeladen, nicht zuletzt durch die beißenden Charakterisierungen in den »Bühnenanweisungen«, dass die real-fiktive Narration von der Fülle des epischen Materials zugleich angereichert und spürbar ausgebremst und umgelenkt wird – zu einem infinitesimalen Palimpsest zwischen Abschrift, Umschrift und Überschreibung. Einerseits durch die intensiv recherchierte realexistierende Gelehrsamkeit und andererseits die unterstellten, gefälschten oder nicht gesicherten Personen, Zitate und Werke, welche die trotzdem gängigen, zum Teil auch abseitigen wissenschaftlichen Hypothesen und Theorien untermauern sollen. Homiletik und Häresie
Der US-amerikanische
Originaltitel »The Recognitions« verweist ja bereits, in bewusster literatur-
und kirchengeschichtlicher Akribie, aber auch Ironie, auf die vielfältigen
Möglichkeiten von Erkenntnis zwischen Wahrheit und Täuschung, vor allem in der
frühen Form einer ontologischen Einordnung in das Ausgewiesen-Sein einer höheren
Echtheit hin, im Rahmen eines didaktisch-homiletischen Wiedererkennungsromans
als Dialog zwischen wissend voranschreitendem Meister und ahnend folgendem
Jünger, der sich die methodischen Schritte von Identifikation, Unterscheidung,
Zertifizierung und Beglaubigung auf dem Weg zum rechten Glauben aneignet. So
soll es auf dem Feld der Religion, aber auch auf dem Gebiet der modernen Kunst
geschehen. Doch im Verlauf von »The Recognitions«/»Die Fälschung der Welt«
springen die Gedanken und Eindrücke rasch aus den vorgegebenen Geleisen, drehen
sich alle Unterscheidungen und Wertsetzungen herum; die Erzählung entledigt sich
in Dialog und Diskurs der Maßstäbe von orthodoxer und monopolistischer
Gültigkeit und Wahrheit, wenn diese nicht schon längst durch den Engpass
repressiv-inzestuöser Tradition oder in bedenkenloser Exploitation abhanden
gekommen sind, und bringt sie doch immer wieder ins Spiel, als seien sie mehr
als Zitate, sondern kognitive Modelle, die sich aus säkular lesen lassen. Der
Traditionsneurose des institutionalisierten Glaubens antwortet die klassische
und moderne Kunst mit überzogener Neuigkeitssucht und Originalitätswahn – als
geradezu naives Nachbild der Frühphasen der Herausbildung und Festigung
fundamentalistischer monotheistischer religiöser Glaubensansprüche. Der
Protagonist Wyatt Gwyon, der mit den spirituellen Voraussetzungen der Kunst
bestens vertraut ist, begegnet vor allem der Moderne, aber auch der frühen
Renaissance, vor allem mit kühler Distanz und passionierter Reflexion, zumal dem
leichtfertigen Originalismus der modernen Produktion die
betriebsam-hintertriebene Kunst der Fälschung und des Als-Ob als osmotisches
Distributionsmedium untergeschoben wird. Anti-Gott und Anti-Auteur Die »Fälschung der Welt« – das klingt im Lichte der bis heute immer weiter gesteigerten Subjektlosigkeit und mechanisierten Kopie von Kunst und Medien schon fast zu singulär, zu hermetisch, zu originell, zu spätmetaphysisch. Der Fälscher und Täuscher als äußerster und letzter, ultimativer Anti-Gott und und Anti-Auteur, an der Kante zur glaubenslosen Vulgarität und zum verspottenden Abgesang, aber eben doch im Triumph eines geheimen und negativen Originals, mitten in der Falschheit des Falschen. Als erfolgreich nachgefragter Lieferant (wie im übrigen viele mäzenatische Auftragskünstler) erleidet der Fälscher zwar den Rangverlust des nicht mehr voll gültigen und anerkannten Auteurs und seines jenseitigen Ewigkeitswertes, aber er lebt somit auch die süffisant-mephistophelische Heimtücke des Lieferanten aus, der sich nicht an die üblichen Konditionen hält, sondern seine eigenen Bedingungen und vor allem den Genuss im ästhetizistischen Diesseits kennt. Gaddis’ philologischer Verweis auf den päpstlich Verehrten, zwischen Rom und der Krim verorteten apostolischen Nachfolger und christlichen Autor, Clemens Romanus, und den ihm zugeschriebenen »Recognitiones« ist ein Vorbild aus der hellenistischen Epoche des Urchristentums und ihres noch kaum konsolidierten Glaubensumbruchs, aber auch eine im Dickicht der Überlieferung sich verlierende Spur von unklarer Autorenschaft und diffuser Intention. In dem auch »pseudoclementinisch« bezeichneten Werk überzeugt der Apostel Petrus höchstselbst seinen Schüler Clemens von der rechten, frühen jüdisch-christlichen Lehre einer ordentlichen, von einem wesensmäßig guten Gott geschaffenen Welt und der freien Entscheidung des Menschen, in Absetzung von der gnostischen »Irr«-Lehre eines Simon Magus, wonach die Welt von einer bösen Macht, einem Demiurgen, dualistisch als materielles Gefängnis für den von Gott determinierten Geist angelegt wurde. »Recognitiones Clementis, an important work of the early church in the form of a philosophical and theological romance, using the disciples as characters in a continuing narrative.« (Link: http://www.senateh ouselibrary.ac.uk/2013/03/07/pseudo-clemens-romanus-a-9th-century-manuscript-fragment/) Das halbwegs Gewusste und das Unfertige, die Inbrunst eines neuen Glaubens und das Provisorium in der Unerfahrenheit der Welt, gehen eine trügerische Symbiose in der manichäischen Teilung des Kosmos und des Glaubens ein, in einer Lehre, die sich bei zunehmender Verbreitung, Einfluss und Macht als gültige Wahrheit etabliert: »Sag ihnen, der ganze Gottesglaube ruht auf einem äußerst wackligen Fundament, gab es doch für die Auferstehung nur einen einzigen Zeugen, und der war leider verrückt. Alles andere ist spätere Zutat. Erst will es nur einer gesehen haben, dann zwölf, dann fünfhundert. Visionen sind ansteckend, und ganz besonders die Auferstehung von den Toten erfreute sich in jenen Tagen allseitiger Beliebtheit. Auf jedem Marktplatz standen irgendwelche Messiahs und wiegelten das Volk auf.« »Sag ihnen, dass nicht die Macht den Menschen korrumpiert, sondern der Mensch die Macht.« (512) Ein gnostisches Einfallstor
Gaddis hat vor allem am
postreligiösen Anfang des Romans das gnostische Einfallstor für seinen Roman-
und Kunst-Helden Wyatt Gwyon weit geöffnet: Wyatts Vater, ein calvinistischer,
aber weltoffener Reverend aus Neuengland, begibt sich mit seiner
halbindianischen Gemahlin auf eine Europareise, an Bord der Purdue Victory
erkrankt Camilla an einer Blinddarmentzündung und stirbt durch die Notoperation
eines Scharlatans, des Hochstaplers, Urkunden- und Geldfälschers Sinisterra.
Nach der Beerdigung seiner Frau auf einem Friedhof in Malaga dringt Reverend
Gwyon in die Geheimnisse der spanischen und erzkatholischen Kultur vor, mit
ihrem barocken Reliquienkult und, gemessen an protestantischen
Reinheitsvorstellungen, geradezu heidnischen Schwelgereien und Exzessen, die das
ehemalige Weltreich und die Vielfalt seiner ihm einverleibten Kulturen
wiederauferstehen lassen. Während die bigott-missionarische Tante May den Neffen
Wyatt in Neuengland beaufsichtigt und quält, erfährt er von seinem heimkehrenden
Vater einen frischen und weltoffenen Geist, im Alltag und auch von der Kanzel.
Auf dem väterlichen Schreibtisch sammelt sich Literatur zum Frühchristentum, zu
Antiken Kulten und Riten sowie zum Animismus von Stammeskulturen. Hinter dem
prinzipientreuen Monotheisten lauert der breit gebildete Humanist und der bis
zum Polytheismus ausufernde Relativist. Spanische Möbel sowie Gemälde von Bosch
und Brueghel lockern die Sittenstrenge im Pfarrhaus auf. Wyatt öffnet sich der
optischen Erfahrung, also dem distanziertesten aller sinnlichen Eindrücke,
gleichfalls nur verhalten, in der reflexiven Form eines kreativen Bruchs. Er
beginnt zu zeichnen und zu malen. Es stellt sich heraus, dass er auf eigene
Entwürfe und realistische Abbildungen und Porträts weniger Energie verwendet,
als auf Kopien mit einem »Grad von Perfektion, wie sie nur von regelrechten
Fälschungen erreicht wurde. Eine Kopie nämlich konzentrierte sich auf die
Vorzüge des Originals, eine Fälschung auch auf deren Makel und Schwächen« (78).
Diabolik und Transgression Das bei Gaddis mehrfach anklingende faustisch-diabolische Motiv des Teufelspaktes als Umschlag der anfänglich hingenommenen Frömmigkeit und der Sehnsucht nach dem ganz Anderen in der Kunst, bis hin zu paradoxen Vermengung von Spirit und Imago, wird zur allgegenwärtigen Einsicht in die Verführung zur »Fälschung der Welt« gesteigert, zur ständigen Wiederkehr der religiösen Kontemplation als Antrieb zur Verachtung und Überbietung von Leben und Kunst. All dies wird in zahllose Facetten der Wahrnehmung und Funktionalisierung zerlegt: ein Bild, ein Gemälde, entweder als reine, reproduzierbare und kommerzialisierbare Oberfläche, oder als ein transparentes, aber auch tendenziöses Fenster zur Welt, oder als Mechanismus der surrealen Verdunkelung unseres Weltzugangs, sei es als eine kalte objekthafte Inszenierung der aus der Welt getilgten Zeit oder sei es dann doch wieder als humaner Akt allen Widrigkeiten zum Trotz: wenn Erinnerung und Imagination zur Vergegenwärtigung in einem kreativen Prozess verschmelzen, ohne die reale Zeit im Detail trügerisch anhalten zu wollen, so dass der Blick aufs offene Ganze des Lebens beibehalten oder wenigstens gestreift wird. In dieser Perspektive bewahrt Gaddis’ Roman, bei aller Kritik und Satire an der Moderne, eine transgressive Verlängerung ihrer Ansprüche, die nicht verraten werden und die bei den postmodernistischen Nachfolgern und ihrer stark auf die plastische Darstellung reduzierten Mikroskopie allmählich aus dem Blick geraten. Für Gaddis gilt: Bei aller epischen Spekulativität und komplex ausfabulierten narrativen Konstruktion und Dekonstruktion bleibt der Lebensfaden in der Textur spürbar und soll auch für den Leser nicht abreißen. Wir haben das Leben, irgendwie, damit wir sogar an der Kunst nicht länger zugrunde gehen. (Vgl. auch: Steven Moore: http://www.williamgaddis.org/recognitions/index.shtml) |
William Gaddis
Die
Entwirklichung der Ökonomie
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