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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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»Und
wieder ein Sommer...« Zwischen 1994 und 2008 photographierte Lillian Birnbaum Haus und Garten von Peter Handke. Bis auf eine Ausnahme ist der Hausherr auf den Bildern abwesend, aber der Photographin gelingt es, Handke in den Dingen zu zeigen. Der Titel des Buches Portrait des Dichters in seiner Abwesenheit ist demzufolge kongenial. Peter Hamm beschreibt dieses (vermeintliche Un-)Ordnungsgefüge in seinem Vorwort zutreffend als "angerichtet". Der prächtige Bildband besticht darin, dass die Motive die Photographin gefunden haben; sie hat sie nicht "erjagt". Hierin liegt der Unterschied zwischen schnödem Abphotographieren und Kunst. Mit diesem Buch und der dokumentierten "dinghaften" Angerichtetheit kann man sich die Szenerie zu Peter Handkes neuestem Theaterstück "Die schönen Tage von Aranjuez" herbeiphantasieren. Man sieht die beiden Protagonisten (ein "Mann" und eine "Frau") in seinem Garten sitzen, sieht die Stühle und den Tisch (und auch die "hölzerne Leiter in einem Apfelbaum" - freilich ist die Leiter im Bildband an einen Balkon angelehnt) und einer der Äpfel ist dann wie selbstverständlich derjenige, den der Mann auf dem Tisch manchmal hin- und herkullern lässt (Vorsicht: eines von zwei Action-Bildern im Stück). Ein Mann und eine Frau an einem Sommertag im Dialog, oder, besser? (besser als der vom Autor gewählte Untertitel "Sommerdialog"?), in Zwiesprache. Eine Fortschreibung aus dem "Spiel vom Fragen" (von 1989), bis heute Handkes lebensbejahendstes Stück? Vielleicht ist es ja das Schauspielerpaar oder die Kinder der beiden Alten aus dieser "Reise zum sonoren Land"? Oder Krapps Frau mit ihrem Mann aus bzw. in früheren Zeiten? Vielleicht auch der "Wilde Mann" aus dem "Untertagblues" und die Bankfrau aus dem "Bildverlust" (schließlich sagt sie von sich, sie sei eine "Abenteurerin" gewesen)? Kurz vor Ende des Stückes nennt die Frau den Mann "Fernando" – eine Reminiszenz an Fernando Pessoa und dessen Dichtung? Oder handelt es sich am Ende gar um ein Selbstgespräch des Dichters? Zunächst kommt dieses Zwiegespräch leicht und luftig daher. Es ist still, man hört das Flügelschlagen der Schmetterlinge und die Libellenflügel knistern. Der Sturm aus Handkes ambitioniertem Partisanendrama ist einem sanften Rauschen der Bäume gewichen. Mann und Frau sitzen zum Fragen am Tisch. Scheinbar gibt eine "Vereinbarung" oder "Abmachung", die das Spiel bestimmen soll und – vor allem - das Ausfragen verbietet. Wobei es genauso sein kann, dass diese Vereinbarung erst im und durch das Gespräch entsteht (so, wie manche Erinnerung erst im Reden, im Erzählen, wiederkommt). Die beiden fragen, erzählen, reflektieren, er- und verklären und wieder-holen: Stationen aus dem Leben, Kindheitsgeborgenheiten, Selbstvergewisserungen. Die Frau erzählt von ihrer "Männerfolge" (nein, nicht von Liebhabern; wenigstens nicht nur), den "Fest[en] der Leiber", von ihren "Racheakten…aus einer Revolte" und von Trennungen (man war "zusammengeblieben, bis es kein Wir mehr gab"). Manchmal weicht der den Antworten lauschende Mann scheinbar aus ins Schauen und Anschauen. Und ins Assoziieren. Wunderbare Bilder gelingen so: die Spatzengrübchen im Sand ("für den, der zugeschaut hat"), der Schwalbenflug, eine Epipöe vom Springkraut, "die Schatten der Regentropfen auf den zwei Körpern", die Schilderung des Genusses einer (nur einer!) wilden Johannisbeere oder "der Aufwind vom Meer auf dem Plateau zusammentreffend mit dem Fallwind von den Bergen". Die Erzählung über eine Reise nach Aranjuez und das Suchen nach dem "Casa del Labrador". Der Mann wird zum "Mauerschauer", die Frau zur Suchenden, zur "Spielverderberin" (wieder scheint das "Spiel vom Fragen" auf). Handke gelingt es virtuos, eine ephemere Geborgenheit in der Welt zu evozieren. Aber die Ernüchterung folgt fast immer sofort danach. Die Ursache liegt in einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber so etwas wie Idylle, kommt sie auch noch so elegisch daher. Handke misstraut diesen "Scheingesetzen" des "geglückten Tages". Auch die "süße[n] Illusion[en]" im Zwiegespräch werden irgendwann zum Platzen gebracht (schon früh wird dieses Ende vorweggenommen); nein: sie müssen zum Platzen gebracht werden. Eben noch fast einstimmend in Piafs "Je ne regrette rien" folgt fast auf dem Fuß der Widerspruch zum "verächtlichen" "Geschmetter" und stattdessen die Referenz auf Blanche DuBois (der Figur aus "Endstation Sehnsucht") und deren Hymnus auf die "'Liebeswürdigkeit der Fremden'…'kindness auf strangers'". Ein Beispiel für ein filigranes Kippbild; die Drastik anderer Bilder ver- und zerstört zuweilen. Und plötzlich dann naht der Abschied und die äußere Stimmung verändert sich. "Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende. Wir sind vergebens hier gewesen", so die Bilanz des Fragenden (aus Schillers "Don Carlos" zitierend). Die Stille weicht den "Hornissen" ("die aus Asien oder wo eingewanderten") und wie so oft bei Handke donnern Bombergeschwader über die Protagonisten durch die Landschaft. Dann fliegt die Libelle nicht mehr, sondern "schrammt auf dem Boden", "Hausalarmsirenen" sind zu hören, "Außenweltgeräusche", "alles in Distanz, zugleich gegenwärtig". Fernandos "Apfelzaubermärchen" weicht der "anderen Ewigkeit", die ihren Platz (wieder) einnimmt. "Man hat, was man liebt, schon von Anfang an verloren, und für allezeit, auch wenn man es nicht verloren hat", so der Mann verbittert. Und wie zum Widerspruch beginnen während dessen die behutsam entblößten Schultern der Frau "zu leuchten wie von innen heraus". Da kippt also das Bild noch einmal – mit der Möglichkeit, dass die "Blumen des Guten" doch noch gesehen werden können. Zuweilen erinnert der fiktive Dialog des Paares an den (freundschaftlichen) "Schlagabtausch" zwischen Peter Handke und Lojze Wieser 2007 im jugoslawischen (!) Karst (mit Frederick Baker; zu lesen und zu sehen ist das in Die Sprachenauseinanderdriftung in der Reihe "Gehört, gelesen und gesehen"). Auch wenn die Themen andere sind – das Slowenische und die Zweisprachigkeit; der Karst; der Wieser-Verlag; die Schönheit des Buches und die Fast-Unmöglichkeit, ein solches zu verschenken – in diesem wunderbaren Gespräch verirrt sich Handke manchmal so versonnen wie der Mann im Drama ("Ich träume manchmal noch, dass ich noch in der Schulzeit bin, also im Gymnasium, und das ich da ganz alt bin und dass ich die Klasse wiederholen muss und dann mitten im Traum beschließe ich: Ach, ich mach nicht mehr weiter, ich gehe weg von der Schule" oder "…ein zweisprachiges Ortsschild ist viel schöner als eine Wörtherseeoperette" und schließlich "Eine Feuerwanze kriecht da!"). Und man kann sich anhand Lojze Wiesers ruhiger, leiser, ja begütigender Stimme vorstellen, wie die Frau sprechen könnte, die mit dem Mann im Stück in das Fragespiel ihres Lebens eingetreten ist.
Ich stelle mir vor, wie
Jean-Marie
Staub und Danièle Huillet dieses Fragespiel als Film inszeniert hätten
(womöglich direkt in Handkes Garten). Aber das geht ja nicht mehr. Luc Bondy
wird die Uraufführung dieses Stückes für das Theater aufbereiten. Er wird
wissen, die Hervorbringungen des Schönen mit den in den Dialogen versteckten
drohenden Abgründen auszubalancieren und das große Potential dieses so
unscheinbar daherkommenden Dramas zu entwickeln. Lothar Struck |
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