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Vom Privatnationalsozialismus zur Privatopposition von Timotheus Schneidegger |
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Heideggers Disposition zum Nationalsozialismus
schürt zugleich von Anfang an die Entfremdung vom Regime. Dessen rhetorische
Gleichmacherei zugunsten der Volksgemeinschaft stößt dem Einzigen übel auf.
(GA94 181, 192) Seine rechtskonservative Verachtung von Pöbel und Massenmenschen
(GA94 245, 337-339, GA95, 187, 195, 202-204) ist nur konsequent angesichts
seines (gleichfalls dem Zarathustra abgeguckten) Elitarismus (GA94 396f., 443)
und betrifft nach 1934 die NS-Folklore in Gänze. (GA94, 40, 58f., 94, 101, 221,
223; GA95 363) Heidegger verachtet den »Vulgärnationalsozialismus« als
biedermeierlichen Materialismus, biologistisch und spießbürgerlich (GA94
142-144), als hohlen Jesuitismus (GA96 228), worin sich die besondere
Enttäuschung des Christenfressers über die guten Beziehungen zwischen Berlin und
Rom ausdrückt.
Nein, mit den Nazis ist kein neues Seynsverhältnis
zu erobern, stattdessen versinkt alles »in die völkisch frisierte Plattheit des
ödesten amerikanischen Pragmatismus«. (GA94 190f., vgl. GA95 339). Der
Nationalsozialismus sei nur ein »Rational-Sozialismus« (GA96 195). Die
Erfolge gäben seiner Besinnungslosigkeit zwar praktisch Recht (GA94 508;
GA95 233, 275). Sie allein könnten politisches Handeln jedoch nicht
rechtfertigen, notiert Heidegger, um gleich klarzustellen, dem NS nicht
moralisch kommen zu wollen. Vielmehr müsste die seynsgeschichtliche Berufung des
Volks Maßstab allen Handelns sein. (GA95 232f.) Vom Privatnationalsozialismus zur Privatopposition
Heideggers Privatopposition (GA95 33f., 190) ist
nichts als Gemecker gegen die Gemeinplätze von »Volk« und »Lebensraum« (GA95
242). In seinen Notizen pflegt er Skepsis bis Verachtung gegenüber den Helden
der Reichskulturkammer: Wagner (»Unterleibsmusik«, GA95 109) und Chamberlain
(GA94 446, 507), George, Klages, Spengler (GA95 137, GA96 18, 269f.) und auch
Ernst Jüngers »heroischer Realismus«, wie er etwa den zunächst von Heidegger
gewürdigten »Arbeiter« prägt, flieht bloß wortreich vor der Fragwürdigkeit des
Seyns. (GA95 258f.; GA96 171, 180, 191, 202f., 211f., 223f., 275) Heidegger wird
zum umso kritischeren Kritiker, als sich das Gerede des NS-Kulturbetriebs dem
seinen nähert und er es entschieden als genauso oberflächlich wie das des
Christentums abwatschen muss. (GA95, 338-340, 424f.; GA96 158)
Die stille Privatopposition und Heideggers
Besinnungsbegriff gehören zusammen. (vgl. GA95, 318) Beide entspringen seiner
Gekränktheit. Er verachtet die Öffentlichkeit als äußersten Subjektivismus (GA96
61f.), wo »nur kluge Spürhunde für das Zeitgemäße das Überlieferte neu
aufkochen.« (GA95 414) Das Wesentliche aber sei nicht öffentlich (GA96
178, 215, 220). Ab Mitte der 30er häufen sich die Notizen, die von Rückzug,
Isolation und dem Wunsch zu verschwinden (GA96 196) künden. Als Existentialist
missverstanden zu werden, nötigt dem Eremiten patzigen Dank dafür ab, seine
Wahrheit als eine unerhörte noch lange Zeit für sich allein haben zu dürfen.
(GA96 207)
Karl Löwith begegnete als Exilant in Rom 1936
seinem früheren Lehrer Heidegger. Das Parteiabzeichen am Revers des
Todtnaubergers vor Augen, äußerte Löwith die Vermutung, dass dessen »Parteinahme
für den Nationalsozialismus im Wesen seiner Philosophie läge. Heidegger stimmte
mir ohne Vorbehalt zu und führte mir aus, dass sein Begriff von der
‚Geschichtlichkeit‘ die Grundlage für seinen politischen ‚?Einsatz‘ sei.« Heidegger und die Juden
Heidegger war ohne Zweifel ein Nationalsozialist,
darin ist
Jürgen Kaube (FAZ) zuzustimmen, sofern man unter »Nazi« jeden Pg. versteht,
der nach 1933 mindestens weitermachen konnte wie bisher. Husserl und Arendt werden in den Schwarzen Heften erwähnt, nie jedoch als Juden. Heidegger notiert einen ganzen Absatz aus Arendts Biographie von Rahel Varnhagen am Ende eines seiner Schwarzen Hefte von 1939. (GA95 265) Das belegt einmal mehr den anhaltend regen Austausch beider, da Arendt den Text zwar 1938 im Pariser Exil fertiggestellt hat, aber erst 1957 als Buch veröffentlichen konnte. Über Husserl notiert Heidegger, sein Denken reiche »nirgends in die Bezirke wesentlicher Entscheidungen« (GA96 46f.), was Micha Brumlik als Zeichen der Verachtung wertet. Urteilt an dieser Stelle der Schwarzen Hefte ein Antisemit über einen Juden – oder weist hier ein Denker einem anderen seine Versäumnisse nach? Wer nicht bloß kursorisch liest, weiß, wie oft Heidegger von den »Bezirken wesentlicher Entscheidungen« im Sinne einer großen Eigentlichkeit spricht, in die niemand vordringt, der wie Husserl (und alle anderen; vgl. GA94 345) in der Rationalität des ersten Anfangs verhaftet ist.
Heideggers Antisemitismus ist wie nahezu jede
abergläubische »gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit« nie auf konkrete Personen bezogen. (»Nee, du
bist einer von den Guten!«) Der Jaspers-Schüler Guido Schneeberger hatte in
seiner »Nachlese
zu Heidegger« 1961 versammelt, was Heidegger in den Jahren vor seinem
NSDAP-Eintritt zu Universität, Politik und Führer geäußert hatte. »Es fiel
schwer, das nicht als Gerede höchster Einstimmung in das, was man damals so
sagte, zu bezeichnen«, so
Jürgen Kaube in seiner Besprechung von Lutz Hachmeisters Buch, das wie
gerufen die Umstände des SPIEGEL-Interviews mit Heidegger 1966 behandelt. Dafür spricht, wie floskelhaft er 1916 in einer Karte an Ehefrau Elfride die »Verjudung« der Universität beklagt und dass es keine antisemitischen Äußerungen vor 1938/39 in den Schwarzen Heften gibt. Explizit taucht das Judentum zum ersten Mal in Band 95, S. 97 auf – in einer Notiz, die von 1939 stammen dürfte. Juden werden da mit der Machenschaft und Weltlosigkeit in Zusammenhang gebracht. Hier macht sich ein seynsgeschichtlicher Antisemitismus bemerkbar, der jenseits von Moral und Personen vor sich hin sintert. Denn Weltlosigkeit schreibt Heidegger auch den Tieren zu (GA95 282, vgl. GA29/30 261f.). Er spricht den Juden damit aber nicht ihre Menschlichkeit ab – das tut nämlich die Machenschaft, indem sie jeden aufs Tierhafte reduziert und auch damit die Weltlosigkeit fördert. Geschichte, Grund und Boden sind dasjenige, worin das Denken Wurzeln schlägt und wachsen darf. Raum und Zeit des Denkens sind von »grundlegender« Bedeutung für Heidegger, der vorwiegend zwischen Feldern und Wäldern weilt. Die Machenschaft dagegen verrät sich auch in der modernen Reisetätigkeit, die immer mehr Menschen überall und nirgends zuhause sein lässt. Diese »Bodenlosigkeit« ist für Heidegger charakteristisch für das Judentum, das schon sehen wird, was es davon hat, sich so gut in der alles entwurzelnden Machenschaft einrichten zu können. Da die Notizen fast allesamt undatiert sind, kann nur spekuliert werden, ob Heidegger hier das perfide Motiv aus Hitlers Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 aufgreift, wonach das Judentum vernichtet würde, wenn es die Völker »noch einmal in einen Weltkrieg« stürze. Die Machenschaft als Chiffre für das Judentum? Danach zeigt sich Heideggers Antisemitismus eher in Form von Rülpsern als in der einer durchgehenden Rhetorik. Die philosophischen Feindbilder bleiben weiterhin Christentum und Machenschaft, die Juden kommen wie die Nazis nur am Rande vor. (GA95 168f., 325) Die Scheinüberlegenheit der NS-Kulturpolitik kommt ihm wie »jüdisches Gebahren« vor – eine Bemerkung, die Heidegger mit dem Hinweis auf die Gefahr verbindet, sich im Kampf dem Wesen des Gegners anzuverwandeln. (GA95 326; GA96 183 255) Dieses Motiv ist zentral für Heideggers Kulturgeschichte des Abendlands. Die Machenschaft steht nicht stellvertretend für das Judentum und wird auch nicht als von Juden betrieben verstanden. Vielmehr habe sich in der neuzeitlichen Metaphysik der leere Rationalismus breitmachen können – und damit das Judentum eine »zeitweilige Machtsteigerung« erfahren. (GA96 46) Im Bestreben, alles berechenbar zu machen, bringe die Machenschaft den Rassebegriff hervor, der den Juden längst vertraut sei, »weshalb sie sich auch am heftigsten gegen die uneingeschränkte Anwendung zur Wehr setzen« (GA96 56). Da der angloamerikanischer Liberalismus durch und durch machenschaftlich geprägt ist, fänden sich Juden dort auch am besten zurecht. Die Verlockung, sich ans vermeintlich sichere Ufer des Guten und Humanen zu retten, indem man Heidegger und seine Leserschaft endgültig verdammt, ist nach solchen Niederträchtigkeiten groß. Dabei wird aber übersehen, dass es für Heidegger nicht der angeblich »rechnende, weltlose Jude« ist, der den wackeren Germanen in Seynsvergessenheit hält. Die neuzeitliche Rationalität sei keine »willkürliche ‚Weltanschauung‘ von Wenigen hinreichend Gewalttätigen« (GA95 151f.) und die Besinnungslosigkeit wird auch nicht »gemacht« (GA96 146). Der seynsverlassene Vorrang der Berechenbarkeit und Subjektivität ist das »Wesen des Zeitalters«, das sich imperialistisch aller bemächtigt. (GA96 238) Es ist der machenschaftliche Zeitgeist, der den Deutschen (und allen anderen Völkern) ihre Wesensfremdheit aufdränge (GA95 181; GA96 187, 212, 269). Jeder Einzelne ist Betroffener und Betreiber der Machenschaft, selbst Diktatoren und kommunistische Oligarchen. (GA96 105f., 121, vgl. 113) Das indes kommt einigen entgegen, wie Heidegger meint am machenschaftlichen Universitätsbetrieb beobachten zu können. Amerikanismus und Liberalismus sind in den Schwarzen Heften vor 1939 Chiffren für eine (im Wortsinn) theorielose Wissenschaft wie die »jüdische« Anthropologie und Psychologie (GA95 322; GA96 267). Auch Soziologie werde »mit Vorliebe von Juden und Katholiken betrieben« (GA95 161), weil denen der machenschaftliche Bezug auf Gesellschaften und Menschen am leichtesten fiele. Dieser ist aber keineswegs ihnen eigen, wie sich für Heidegger daran zeigt, dass man (also die Nazis) die Psychologie »des Juden ‚Freud‘« (GA96 218) anfeindet, obwohl man sich den Menschen gar nicht mehr anders als psychologisch und d.h. machenschaftlich denken kann. Nationalisierung der Rationalitätskritik
Die fließenden Grenzen und gegenseitigen
Bedingtheiten von Antiamerikanismus, Antikapitalismus und Antisemitismus sind
Gegenstand anhaltender (linker) Selbstvergewisserung. Zuletzt stellte der
Historiker Brendan Simms die These auf, Hitlers Judenhass resultiere vor allem
aus seiner antimodernistisch-antikapitalistischen
Verachtung der angloamerikanischen Kultur. Heidegger schreibt die Geschichte des Abendlands als Geschichte der ausufernden Machenschaft, die den Hintergrund bilde für Bellizismen und Pazifismen und das sich ihrer bedienende Judentum, die allesamt in die neuzeitliche Metaphysik verstrickt seien, ohne es zu merken. (GA96 131-133) Alle sind Betroffene und Betreiber der Machenschaft, die die auf das Verfolgen ihrer Interessen festgelegten Völker dazu bringt, diejenigen zu unterwerfen, deren machenschaftliche Herrschaft weniger weit entfaltet ist. (GA96 140f., 145-147, 152f.) Seynsgeschichtlicher Generalplan Ost
Was wie politische Naivität wirkt, ist das
kindische Beharren darauf, als einziger die wahren weltgeschichtlichen
Verhältnisse jenseits von Gut und Böse zu durchschauen. Arier, Juden und Slawen,
Kapitalismus gegen Bolschewismus, all das ist für Heidegger bloß Ablenkung und
Flucht vor der Seynsfrage (GA96 152). Ende der 1930er herrscht die metaphysische
Verwüstung: Unter der umfassenden Herrschaft der Machenschaft in ihren
nationalen Erscheinungsformen wächst nichts mehr, dem
seynsgeschichtlichen Denken ist der Boden zerstört. Die westlichen Demokratien
seien ohnehin unfähig zur Entscheidung und wichen in lauen Humanismus aus (GA95
405f.).
Zwar sei der Bolschewismus als machenschaftliche
Veranstaltung die »Motorisierung des Menschentums« (GA96 256f.), doch stehe er
mit seiner Brutalität noch auf dieser ominösen russischen Erde, weshalb er eine
»Anfangsmöglichkeit« besitze – im Gegensatz zum bloß zusammenraffenden
Amerikanismus (GA96 257-259). Kann Heidegger Antisemit und Philosoph sein? Zu Beginn des ersten Teils dieser Nachlese wurde gewarnt, sie mute der Leserschaft einiges zu. Heideggers Auslassungen zeigen im Vergleich zu zeitgenössischen Äußerungen nicht gerade geifernden Rassenwahn, sind aber unappetitlich genug. Diskreditiert der Antisemitismus nun also Heideggers Philosophie?, fragt nicht nur Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des Philosophie Magazins. Als solcher hat er den Fundamentalontologen als »gefährlichen Denker« aufs Cover der Ausgabe 03/2014 gehoben, womit die Philosophie auf dem Hochglanzboulevard angekommen ist. Richard Wolin beschreibt darin, wie Marcuse und Arendt nach 1945 ihren Meister bis zur Selbstverleugnung verteidigten. Im Interview vermutet Peter Trawny, Herausgeber der Schwarzen Hefte, Heidegger habe in seine Rationalitätskritik Motive aus den »Protokollen der Weisen von Zion« einfließen lassen, freilich ohne belegen zu können, ob Heidegger diesen Grundtext des Antisemitismus gelesen hat. Das hätte er auch nicht müssen. Viel wahrscheinlicher und für das Selbstbild Heideggers vernichtender ist, dass der Todtnauberger die allgegenwärtige NS-Propaganda vom Weltjudentum einfach nachgeplappert hat und sich durch die seynsgeschichtliche Einordnung schlauer als die Nazi-Ideologen vorkam. Die Frage ist damit aber nicht beantwortet. Noch dazu, wenn man sie dermaßen hochjazzt wie Eilenberger, demzufolge die Nähe von Heideggers Denken zum Antisemitismus nicht bloß seine Philosophie diskreditiere, sondern einen großen Teil aller Philosophie des 20. Jahrhunderts, die von ihm beeinflusst ist. Eine Unterströmung von konservativem Zynismus ließe sich bestimmt bei allen Heidegger-Epigonen nachweisen, von Lévinas, Derrida und Arendt bis hin zu Gadamer, Sloterdijk und Byung-Chul Han.
Analytisch korrekt wäre die Frage, ob Heideggers
Philosophie des Antisemitismus bedarf oder sich seiner lediglich bedient
hat. Das obige Zitat von Löwiths Begegnung mit Heidegger anno 1936 spricht
dafür. »Die Judenfeindschaft in den Schwarzen Heften ist kein Beiwerk;
sie bildet das Fundament der philosophischen Diagnose.« Assheuer von der ZEIT
glaubt ebenso wie
Uwe Justus Wenzel in der NZZ, seynsgeschichtliches Tieftauchen mache
anfällig für Verschwörungstheorien, die wiederum das Denken anleiten.
»Heideggers Antisemitismus lässt sich aus seinem Nationalsozialismus ableiten
und dieser aus seiner Philosophie«, diagnostiziert
Michael Jäger im Freitag und kritisiert im Übrigen recht klug Heideggers
Haltung anhand des von ihm gepredigten Wegs des Fragens. Mit Micha Brumlik und
Rainer Marten, der seit Jahrzehnten gegen seinen einstigen Lehrer andenkt,
betrachten zwei weitere kluge Köpfe Heideggers Philosophie als unrettbar mit
braunem Gedankengut durchwirkt. Heideggers Denken lässt sich nicht zivilisieren, weil es sich auf einer Höhe (oder Tiefe) bewegt, von der aus Einkaufszentren, Opernhäuser, Panzerhallen und Konzentrationslager gleich aussehen. Seine Technikphilosophie und Modernitätskritik ist aber nicht strukturell antisemitisch wie etwa die Unterscheidung zwischen raffendem und schaffendem Kapital. Seine Menschenverachtung ist zynisch und allgemein, sein Antisemitismus widerlich und Gerede. Man prüfe es selbst. Von den 1.240 Seiten der Schwarzen Heften enthalten 14 Seiten die Worte Juden oder Judentum, und zwar: GA95 97, 161, 322, 325, 326, 396; GA96 46, 56f., 133, 218, 242f., 262. Halbherzige Entnazifizierung
Muss man Heidegger überhaupt verteidigen? Schon
ganz andere Großdenker wurden nach 1945 mit dem Etikett des »Mitläufers«
exkulpiert, das ihrem empfundenen Großtum einen dissimulierten Dämpfer versetzt
und ihm doch seine Fortsetzung auf dem Boden der FDGO ermöglicht hat. Heidegger
ist auch nur einer »dieser frischzelligen NS-Zombies«, »denen es nie an
Fürsprechern in der Bundesrepublik mangelte«, wie
Jens Hoffmann in Konkret 5/2014 schreibt, um überhaupt etwas anlässlich der
Schwarzen Hefte schreiben zu können. Peter Trawny hat an der Wuppertaler Uni das Martin-Heidegger-Institut begründet und parallel zur Edition der Bände 94-96 das 104-seitige Buch »Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung« (Klostermann 2014) geschrieben. Daneben gibt es die Martin-Heidegger-Gesellschaft in Meßkirch, der seit 2003 Günter Figal (zugleich Inhaber des Heidegger-Lehrstuhls in Freiburg) vorsitzt. Über das Verhältnis dieser Organisationen zu einander und zur Familie Heidegger sowie über interne Querelen kann von außen munter spekuliert werden. Was hinter den Kulissen der deutsch-französischen Heideggeristik vor sich gehen mag, lässt sich zwischen den Zeilen des Beitrags erahnen, mit dem Trawny vor dem Jahreswechsel in der ZEIT Stellung nahm zur Pariser Aufregung über die Veröffentlichung der Schwarzen Hefte: »Wie es in der akademischen Szene üblich ist, hatten Herausgeber der Gesamtausgabe Martin Heideggers Kollegen in Frankreich von ihrem Vorhandensein informiert.« Jürgen Kaube (FAZ) schreibt, Heideggers französische Gralshüter seien »auch aus Freiburg« informiert worden. Diese, so Trawny, »liefen sozusagen intellektuell Amok« und versuchten, »die Herausgabe meines Buches durch Feststellung meiner Inkompetenz zu verhindern«. Schützenhilfe bekam Trawny im Dezember 2013 von Figal, der im Deutschlandradio Kultur allerdings bloß dazu riet, die Veröffentlichung erstmal abzuwarten. In der Zwischenzeit ließ sich Figal als heller Kopf porträtieren, der Heidegger gar nicht verteidigen muss und will.
Das war es also? Nicht ganz. Es liegen Heideggers
Notizen der Jahre 1931 bis 1941 vor. In der ZEIT erwähnt Trawny, dass sich die
Aufzeichnungen aus den späteren Kriegsjahren in Privatbesitz – bei der Familie
Heidegger? – befänden und ihm als Herausgeber der Einblick bisher verweigert
werde. Knapp drei Monate später behauptet er im
Interview mit der Badischen Zeitung, es gebe »zwischen 1941 und 1945 keine
‚Schwarzen Hefte‘«. Die grundverkehrte Debatte Zog das Walserwort von der »Auschwitzkeule« 1998 noch eine Diskussion der Schuld- und Gedenkkultur mit Ignatz Bubis nach sich, so scheinen längst das Personal und die Bereitschaft sowieso zu fehlen, den Intellektuellen ernst zu nehmen, wenn er sich überraschend einmischt, wie es das Feuilleton sonst so gerne von ihm fordert. (Auch darüber hat Keuschning klug und richtig geschrieben.) Was das für den Intellektuellen (oder den, der als solcher gehandelt werden will) heißt, interessiert hier weniger als das, worum die Öffentlichkeit durch den Reflex des Skandalisierens gebracht wird. Nach Lewitscharoffs Dresdner Rede wurde nicht über Sorgen, Nöte, Ethik und Ökonomie der künstlichen Befruchtung debattiert, drum ist auch niemand irgendwie weiser geworden. Stattdessen hatten wir bloß einen Shitstorm, der selbst den darin Engagierten nichts brachte außer dem auf seine rasche Wiederbestätigung drängenden Wahn, auf der richtigen Seite zu stehen, und sei es auch nur die des Fäkalgebläses. Im Fall von Heideggers Schwarzen Heften ist es weder mit dem Freiburger Schweigen getan noch mit der ritualisierten Pflichtübung, jeden für erledigt zu erklären, der der NSDAP-Mitgliedschaft in Tateinheit mit generalisierenden Äußerungen über Juden überführt ist. Denn weder Heidegger ist erledigt noch das, was ihn zu einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts gemacht hat und aller öffentlichen Ablehnung zum Trotz wirksam bleibt.
In seiner
vollumfänglichen und wärmstens empfohlenen Besprechung des Buchs über
Heideggers SPIEGEL-Interview wundert sich Lothar Struck über die demonstrative
Antipathie, mit der Lutz Hachmeister die Todtnauberger Technikkritik abtut: »Die
Medien sind voll davon; das Feuilleton der FAZ schreibt seit Jahren fast über
nichts anderes mehr.« Das Unbehagen, das uns bei den drei obigen Fragen befällt, hat seine Entsprechung in der kindlichen Faszination von Baggern und Traktoren: Was der Mensch so alles fertigbringt, erledigt die wahrlich nicht rationale Frage, ob ihm das überhaupt zusteht.
In diesen irrationalen Regionen befinden sich
Globalisierungskritiker, Entschleuniger und Grüne schneller in rechter
Gesellschaft, als ihnen lieb sein kann. Es ist eben kein kurioser Zufall, dass
der Verleger Thomas Hoof, der Akif Pirinçci zum nützlichen Idioten bzw. zur
neuen Lichtgestalt der neokonservativen Revolution gemacht hat, zuvor
NRW-Landesgeschäftsführer der Grünen war und als Manufactum-Gründer das
Shoppingbedürfnis nach Distinktion, Nachhaltigkeit und Nostalgie entdeckte.
Für Heidegger ist der verhängnisvolle Vorrang des
Quantitativen eine Folge des neuzeitlichen Weltbilds (GA95 349f.), was mit der
Bacon-Kritik Adornos und Horkheimers noch höchst vereinbar ist. Das kulturelle
wie technische Immermehr ist für Heideggers Rationalitätskritik indes eine
ständige Selbstübersteigerung in Seynsvergessenheit (GA95 302f.; GA96 107, vgl.
117) und völkischer Selbstverleugnung (GA94 482f., 499f., 501f., 509-511). Wenn
er Wohlfahrt, Kulturförderung, christliches Heilsversprechen, Vergnügungen und
Gerede verdammt (GA96 203), dann als nationalontologischer Kulturkritiker (GA95
10-12, 13f., 72f.). Dessen Ton ist aber kaum zu unterscheiden von der
konservativ-bürgerlichen Modernitätsskepsis Adornos. So beklagt Heidegger die
Disneyisierung des Landlebens, in welcher selbst der Bauernhof machenschaftlich
bestimmt wird »durch das illustrierte Blatt mit der Darstellung von ausgezogenen
Film- und Tanzweibern, von Boxern und Rennfahrern« (GA96 54, 90f., 201) Nachdem
Technik und Historie zum Weltbezug schlechthin geworden sind, bleibt das »Leben«
als vom seynsverlassenen Kulturbetrieb verklärte Schwundstufe übrig. (GA95
128-134, 215-217; GA96 89f.) Im Großen wird der »Amerikanismus« zum
unkontrollierbaren Planetarismus, zur globalen Endstufe machenschaftlicher
Verwüstung, flankiert von kulturellem Idiotismus (GA96 260f., 265f., 270f.):
Alle »müssen je ihr eigenes Gerät haben, um so jedermann sein zu können,
schnell und leicht das zu kennen und zu hören und zu ‚sein‘, was jeder andere
ebenso ist.« (GA96 265) Die Schwarzen Hefte enthielten nach Brumlik auch »Überlegungen, die dem ‚Linksheideggerianismus‘, wie man ihn etwa bei Alain Badiou findet, ein für alle Mal den Boden entziehen dürften. Unter Bezug auf Lenins Wort, dass Kommunismus Sowjetmacht plus Elektrifizierung sei, urteilt Heidegger, dass die Technik weder Mittel noch Zugabe, sondern die ‚Grundform der Vermachtung der Macht‘ sei.« Tatsächlich stellt Heidegger an der entsprechenden Textstelle (GA96 128-130) einfach das neuzeitlich-machenschaftliche Wesen auch des Bolschewismus fest. Der »Linksheideggerianismus« – falls es ihn bei Badiou gibt oder überhaupt geben kann – folgt Heidegger gerade im Überschreiten der ideologischen Antagonismen hin zum gänzlich Anderen. Seine radikale und umfassende Dekonstruktion (als »zerstörende Verwandlung«, vgl. GA94 213; GA95 226-228) ist nicht auf den Hass und die Deutschtümelei der Schwarzen Hefte angewiesen. Dennoch ist bei der Frage, was vom gekränkten Nationalontologen wie aufzuheben sei, Vorsicht geboten wie bei der Schatzsuche im Minenfeld. Ontologischer Chiliasmus Neben den zynischen und antisemitischen Einlassungen nimmt ein nicht minder problematischer ontologischer Chiliasmus den größten Raum in den Schwarzen Heften ein. Wie ein philosophischer Hiob glaubt Heidegger kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkiegs, in der seynsgeschichtlichen Endzeit zu leben. (GA95 141-146, 148f., 183f., 239f., 243; GA 96 54), die sich u.a. in der Vollendung der fraglosen Neuzeit aus Zwecken und Nutzen ankündigt (GA95, 280, 334f., 328-331, 386; GA96 52-55, 119). In schellingscher Manier fallen Vollendung und Neuanfang zusammen, sodass sich in der uneingeschränkten Machenschaft die Wahrheit des Seyns anbahnt (vgl. GA96 30f.) – und vielleicht kommt dem Übergang »eine ungewöhnliche Zerstörung des neuzeitlichen Europa zuhilfe« (GA96 134). Die Menschen sind in der Machenschaft so seynsverlassen wie man Einöden »gottverlassen« nennt und im umgekehrten Sinn spricht Heidegger vom anderen Anfang als dem letzten Gott, dessen Erscheinen Katastrophe und Apokalypse – wie Heidegger es mag: im griechischen Wortsinne – wäre (vgl. GA94 404; GA95 48-50, 406f., 417). Ganz wie sein Vorbild Nietzsche glaubt auch Heidegger uneingestanden, seine christliche Erziehung überwinden zu können, indem er den Chiliasmus philosophisch auf die Spitze treibt. Kehrt man Heideggers Begriffsgewinnung um, so wird aus Hölderlin, dem Voraus-dichtenden, dem nach-zudenken ist, der προ-φήτης: der Prophet des Seyns (vgl. GA95 332f., 378-380; GA96 60); drum die Erinnerung des »scheinbar gottabgekehrten Sohnes« an die fromme Mutter (GA94 320) und der Argwohn gegen die Gottlosigkeit des Bolschewismus (GA94 351). (Übrigens ist auch der katholisch-familiäre Briefwechsel Heideggers ediert.)
Das Seyn als Gott versteht Heidegger nicht im
christlichen, sondern völlig neuen Sinn (GA95, 24f., 212f.; GA96 156f.), weshalb
er auch den Atheismus als bloß Negatives verabscheut (GA96 23f.). Der
christliche Gott dient dem historischen Tier bloß »zur Verrechnung seines Glücks
und seines Unglücks« (GA95, 303), womit das Seyn nichts zu schaffen haben wird.
»Alle Götter vordem waren Erklärungen und Bestätigungen und Ausflüchte des
Seienden.« (GA96 66; vgl. 136f.)
Die Tyrannei der Technik über das Dasein (GA94
356f., 363, 426f.) ist das metaphysisch noch völlig unverstandene Wesen dieser
Endzeit (GA95 291f., 364-366, 373f., 377f., 418). Revolutionen (GA95 229f.) und
der faktische Krieg zwischen Weltanschauungen oder Völkern als Massenwesen seien
bloß machenschaftlicher Vordergrund (GA95 39, 70f., 185, 235, 253, 439f.), eine
»riesige Verschleierung einer riesenhaften Leere und Ratlosigkeit« (GA96 40,
141f.). Zwar sei der Weltkrieg die äußerste Umwälzung in die Machenschaft (GA96
173, 180), doch »der Krieg ist nicht das Schrecklichste« (GA95 202), wie auch
der Genickschuss bloß vordergründliches Zeichen des Terrors ist (GA96 139). Das ist die erste große Mystik des technischen Zeitalters. Wozu soll man sich damit noch beschäftigen?
»Ackerbau ist jetzt motorisierte
Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in
Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung
von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.« (Heidegger,
»Das Ge-Stell«, 1949) Es ist falsch, darin die Vorstufe eines »kommenden Wortes«
der Scham zu sehen, auf das Paul Celan nach seinem Besuch in der Todtnauberger
Hütte hoffte. Vielmehr verrät sich darin ein Echo von Heideggers Hoffnung, der
Nationalsozialismus werde vollbringen, was der technisch-historisch integrierte
Erste Weltkrieg nicht vermochte (GA95 81, 133; GA96 44-47, 113f.): die falsche
Metaphysik an ihr katastrophales Ende bringen (vgl. GA96 193f.). Um 1940 übernimmt der Bolschewismus die Rolle des ontologischen Antichristen. Seynsgeschichtlich verstanden laufe er darauf hinaus, jeden gleichermaßen der Machenschaft zu unterwerfen und damit die Neuzeit zu vollenden. Weil darin sein Wesen liege, führe jede nicht-seynsgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus zu seinem Sieg (GA96 149-157), womit Heidegger das Motiv der Anverwandlung an den Gegner im Kampf wieder aufgreift. Da die Neuzeit zu einer solchen seynsgeschichtlichen Auseinandersetzung längst unfähig und unwillig geworden ist, steht ihre Selbstvernichtung in der totalen Mobilmachung des machenschaftlichen Weltbürgerkriegs bevor. (GA96 154f.) Danach aber käme die Zeit, in der die Seltenen den anderen Anfang dichten und denken werden. (GA96 155)
Diese Sehnsucht nach dem reinigenden Gewitter, die
hämische Cassandra-Geste befällt auch heute
manchen Konsumkritiker und Ökoaktivisten, der einer Menschheit verbittert
die Apokalypse an den Hals wünscht, vor der er
zu lange gewarnt hat, ohne Gehör zu finden. Der Bau des Fuchses Heidegger hat alle Charakteristika eines geschlossenen narzisstisch-paranoiden Weltbilds, weshalb er im SPIEGEL-Interview ein Vierteljahrhundert später über das Gleiche spricht, worum es auch in seinen Schwarzen Heften geht. Schon die triviale Annahme, christliche Erziehung und abgebrochenes Theologiestudium (nebst des Landlebens; vgl. GA95, 217, 290; GA96 69, 107, 130, 161, 187) könnten das Denken des Meisters geprägt haben, würde (trotz seines Eingeständnisses in GA12 91) von seinen Jüngern, die sich heimlich für die »Vorbereitenden«, »Gründer« und »Schaffenden« des neuen Anfangs halten (vgl. GA96 66f.), als Psychologismus zurückgewiesen, mit dem Heideggers Denken zum Schutze der neuzeitlichen Seynsverlassenheit banalisiert werden soll (vgl. GA95 415f.; GA96 256). Von außen ist ihm nicht beizukommen, dafür ist leicht an ihm vorbeizukommen. Dies umso mehr nach der Debatte, deren Teilnehmer mehrheitlich 14 Seiten als hinreichend ansehen für die Damnatio Memoriae des Angeklagten. Ohne Zweifel war Martin Heidegger ein eitler Griesgram und ein übler Nazi, der selbst gegenüber Paul Celan, dessen Eltern im KZ ermordet wurden, nicht das geringste Zeichen des Bedauerns zeigte. Stattdessen immunisierte er sich mit seinem Auserwähltheitskult: Der Untergang als Sieg der Seinsgeschichte gehöre den einsam schweigenden Denkheroen mit der nötigen Größe und Zerrissenheit (GA94 480f., 484, 485; GA95 19, 21, 70, 91, 104, 205, 219f., 286f., 391; GA96 108). In seiner Nachahmung übertrifft er Nietzsches Selbstwiderspruch, die Hoffnung auf Hinterwelten als nihilistisch zu zeihen und dabei unentwegt auf »die Künftigen« zu verweisen. (vgl. GA94, 320, 322f., 343f.; GA95 250f.; GA96 147) Dabei wird Heidegger manchmal sogar seltsam konkret: Erst nach zwei Jahrhunderten wird das vielleicht was mit den Deutschen als Seynsgründer (GA96 171); um das Jahr 2327 herum wird wieder Geschichte sein, wenn der nihilistische Amerikanismus sich selbst erledigt habe (GA96 196, 225). Ebenso lächerlich ist die Einreihung seines Geburtstags in die von Nietzsche und Hölderlin geprägte Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. (GA94 523)
Nachdem Arno Schmidt in »Sitara und der Weg
dorthin« (1963) ausgiebig untersucht hat, wie Karl May seine sexuellen Gelüste
in die Landschaftsbeschreibungen hineinsublimierte, kommt er zu dem
erleichterten Urteil, bei May handele es sich nicht um »ein bloßes >armes
Würstchen<«. Vielmehr hätten wir es mit einem förmlichen »Koloß von Würstchen!«
zu tun.
Doch in einer Zeit, in der Philosophie als
»grundloses Vorstellen von leeren Allgemeinheiten« missverstanden wird (GA96
86), ist es Heideggers Verdienst, zum vorerst letzten Mal den fundamentalen (!)
Anspruch der Philosophie jenseits des Nützlichen und Bekannten, auch jenseits
von Gut und Böse hochgehalten zu haben, die sich heute als Hilfsdisziplin der
Kognitionswissenschaften nützlich zu machen versucht, denen Heidegger
höchstpersönlich das Institut kaputtgeschlagen bzw. heimlich darüber was notiert
hätte.
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Eine Nachlese zur Feuilleton-Debatte um
Martin Heideggers »Schwarze Hefte«
Überlegungen VII-XI |
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