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 Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik



Petits riens (40)
Von Wolfram Schütte

    


© R. Reifenrath

Antizipation - Ich bin mal gespannt, wie lange es dauert, bis ein Politologe oder Journalist von einem Kalten Bürgerkrieg sprechen wird: für das Desaster, das nach der erst einmal gescheiterten Machtübernahme der permanenten Präsidentschaft durch Donald Trump und seine republikanischen Satrapen augenblicklich in den USA abläuft. Denn darum handelt es sich, wenn die gewählten Republikaner im Kongress dabei bleiben, an das Trump-Märchen von dem gestohlenen Wahlsieg des verrückten Verlierers zu glauben & das durch ihr Verhalten weiterhin bezeugen.

                                         *

Sehen & Hören – Der französische Filmregisseur Alain Resnais hat einmal gesagt, im Kino könne man die Augen schließen, nicht aber die Ohren. Er wollte damit auf die Bedeutung des Tons hinweisen (Übrigens: eine traditionelle Schwachstelle des Deutschen Films).

Jetzt, beim DVD-Abspielen von Claude Sautets „Eine einfache Geschichte“ – eines wahrhaft „feministischen“ Films, wie er auch einer Chantal Akerman oder Sally Potter nicht besser hätte gelingen können – fiel mir auf, dass sich die Geräusche der Großstadt auch hören lassen, wenn sich die Personen in ihren vier Wänden aufhalten oder gar miteinander im Bett liegen. Zuerst dachte ich, dass es sich um  akustische Kollateralschäden des mit Originalton gedrehten Films handele. Da ich „Eine einfache Geschichte“ in deutscher Synchronisation gehört habe, wären sie jedoch bei der Eindeutschung des französischen Originaltons zusammen mit diesem getilgt worden. Sautet muss sie wohl auf einem separaten Tonband fixiert haben, um das Grundrauschen des metropolitanen Lebens als akustische Deckfarbe seines modernen Liebesfilms zu verwenden.

                                        *

Elektro-Magnetismus - Es ist erstaunlich, wie allbestimmend & -bewegend die Elektrizität in unserem Leben geworden ist! Als sei der Strom, der aus den Steckern kommt, eine naturgegebene Selbstverständlichkeit wie Luft & Wasser. Dabei wissen wir ja, dass Luft & Wasser – erst recht, wenn es sich jeweils um Hochwertiges handelt – lokal & temporär höchst unterschiedlich in der Natur des Planeten Erde verteilt, bzw. vorhanden sind.

Nun, das trifft natürlich auch auf die Elektrizität zu. Schließlich muss sie nicht nur künstlich hergestellt, sondern auch durch Kabel oder Leitungen an den Nutzer & Verbraucher gebracht & verteilt werden.

Bedenken wir aber nur einmal, welche dominante, zunehmend alternativlose Rolle sie in unserem hochzivilisierten Leben allein schon im häuslichen Alltag spielt: vom Licht, von der Heizung & dem Herd, der Wasch- & Geschirrspülmaschine bis zu Telefon, TV & Computer oder Aufzug & Rollläden. Ohne Elektrizität geht nichts mehr.

Im Gegensatz zu einer Zeit, in der man „zuhause“ noch alternative Versorgungsmöglichkeiten hatte – z.B. Kohleofen, Kochmaschine mit Warmwasserbecken, Kerzen -, auf die man im individuellen Notfall mit eigenen alternativen „Bordmitteln“ momentan selbstständig zurückgreifen konnte, sind diese materiellen Alternativen heute kaum noch zuhause (in Mehrfamilienhäusern) vorhanden. Zur Elektrizität auf der ganzen Linie: alternativlos.

Und jetzt soll bald auch noch das Auto – das jetzt schon eine elektronische Welt in & für sich ist, deren Funktionieren von elektrisch betriebenen Wartungsgeräten überwacht wird –  nur noch elektrisch betrieben werden! Konsequenzlogisch ist damit auch das von KI dirigierte Auto, von dem man in der Industrie durchaus realistisch träumt. Ein Schelm, wer nicht an Goethes Gedicht „Zauberlehrling“ denkt – falls es ihm überhaupt in der Schule (zum ersten & letzten Mal) begegnet ist.

                                          
*

Verlustanzeige -Truffauts britische Verfilmung von Ray Bradburys Erzählung „Fahrenheit 451“ ist eine apokalyptische Dystopie des Regisseurs, der selbst die Bücher sehr liebte. Aber auch die Frauen! Die Hauptdarstellerinnen seiner Filme, heißt es, seien jeweils seine zeitweisen Geliebten gewesen.

Dieser öffentlich-privaten Obsession hat er sogar einen kleinen Film gewidmet. In ihm spielt Charles Denner einen solitär lebenden Ingenieur als „Der Mann, der die Frauen liebte“. Demonstrativ trägt der Schauspieler den ganzen Film über fast immer das Lederjäckchen, das Francois Truffaut so sehr schätzte wie Jean-Luc Godard die Sonnenbrille, hinter der er sich versteckte.

Truffauts „Mann, der die Frauen liebte“, liebte aber auch – wie sein Alter ego –  noch mehr die Bücher. Man sieht eine umfangreiche Bibliothek in seiner Wohnung, in der jedoch die jeweils „geliebten“ Frauen keine Verweildauer über den Liebes-Akt hinaus haben durften – im Gegensatz zu den gelesenen Büchern! Deshalb war dem französischen Regisseur die Adaption des Bradbury-Romans sozusagen ein „Herzensanliegen“.

Auf  eine andere Art ist der Film heute historisch geworden. Die Bücher sind mit dem  Hinscheid des sogenannten “Bildungsbürgers“ aus der Selbstverständlichkeit verschwunden, mit der sie einmal zum gelebten Alltag jedes „Gebildeten“ gehörten. Auch der „Kanon“, also die Sammlung jener literarischen Meisterwerke von Homer bis zu Shakespeare, Cervantes, Balzac, Tolstoi, Proust e tutti quanti der christlich-abendländlichen Kultur, ist längst als prekär verschrien & obsolet geworden. Wer kennt, wer liest, wer schätzt sie noch?

Wenn Truffaut in seiner Dystopie z.B. „Don Quijote“ oder „Père Goriot“ neben vielen anderen „Werken der Weltliteratur“ in Flammen aufgehen lässt, fragt man sich als Älterer, wie lange noch ein heutiges, gar künftiges Publikum darin Empörung, Verlust & Schmerz mitempfindet, die der Regisseur damit 1966 provozieren wollte. 

                                        *       

Letzte Mohikaner – Jedes Mal, wenn gemeldet wird, was das  Robert-Koch-Institut die jüngste Zahl der mit dem Corona-Virus Infizierten „bekannt gegeben hat“, assoziiere ich, den rituellen Satz: „Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt…“.Vor allem durch den triumphalistischen Bombast von Franz Liszts „Les Préludes“, der ihm jedes Mal vorausging, hatte er sich wohl einem ins Gedächtnis geprägt. Wahrscheinlich habe ich diese Meldung des “Großdeutschen Rundfunks“ noch nicht einmal selbst als Sechsjähriger zum letzten Mal 1945 aus dem Radio gehört. Aber später – in Hörspielen, Features & Filmen über die Nazizeit - gehörte er durch seine fatalen Annoncen der geografisch unaufhaltsam näher rückenden Front als akustisches Konzentrat & Emblem des deutschen „Untergangs“  zum festen Bestand der erinnernden Beschwörung Nazi-Deutschlands. Dieses Ende des Lisztschen Musikstücks war derart nazistisch kontaminiert, dass „Les Préludes“ jahrzehntelag im bundesrepublikanischen Rundfunk nicht gespielt wurde. Wohl nicht aus Scham, sondern eher, um den Nostalgikern keinen „inneren Reichsparteitag“ durch den kriegsaffinen Ohrwurm zu ermöglichen.

                                           *

Kapitolinisches Desaster - Ein Trump-affiner Verschwörungs-theoretiker könnte eigentlich mutmaßen, der vandalistische „Sturm auf das Kapitol“ (& vor allem dessen vielfache selbstdenunziatorische optisch-akustische Selfie-Dokumentation) sei von agents provocateurs der Trump-Feinde raffiniert in Szene gesetzt worden. Denn dieser Akt der obszönen Entsakralisierung des usamerikanischen „Petersdoms“, zu dem Trump sogar in seiner ultimativen Verzweiflung aufgerufen hatte, hatte sein autokratisch-faschistoides Ziel zur Kenntlichkeit entstellt.

Man müsste wohl an altrömische Kaiser wie Caligula denken, um vergleichsweise in die Nähe des „Typus Trump“ zu gelangen. Allerdings ist Trump nicht so weit gekommen wie Caligula. Der hat, wie bekannt, sein Lieblingspferd zur anbetungswürdigen Gottheit erklärt. Von Trump & seinen Golfschlägern ist Vergleichbares nicht bekannt. Es fragt sich im Nachhinein jedoch, ob er nicht auch damit Erfolg gehabt hätte - nachdem er während seiner vier Amtsjahre mit ebenso bizarren fake-news Erfolg hatte.

Auch war der ultimative Versuch einer symbolischen Machtergreifung durch einen operettenhaften Putsch glücklicherweise so dilettantisch ausgeführt, dass er scheitern musste. Hätte Trump seinen „Pilotfisch“ Steve Bannon nicht „gefeuert“, wäre er womöglich noch an der Macht. Wahrscheinlich war es aber Trumps blinder Narzissmus, der ihn um die Fortsetzung seiner öffentlichen Karriere gebracht hat. Sein dokumentiertes Herostratentum, durch das er die Meute zur Schändung des Nationalheiligtums gehetzt hat, war wohl selbst manchen republikanischen Wählern zu viel. 

Narzisstisch waren & sind sie alle, die Autokraten & Diktatoren  von Hitler & Mussolini bis zu Putin & Erdogan; aber deren Narzissmus war ihnen nur ein Mittel zu dem Zweck, der ihr politisches Ziel war oder ist, während der Trumpsche Narzissmus ihm einzig Selbstzweck war, also kopf- & logistisch phantasieloser Selbstgenuss. In Chaplins „Great Dictator“ wäre möglicherweise eher eine zutreffende Vorahnung von Trumps Solipsismus zu erblicken als bloß eine satirische Fixierung Hitlers

Artikel online seit 24.01.21
 

»Petits riens«,
nach dem Titel eines verloren gegangenen Balletts, zu dem der junge Mozart einige pointierte Orchesterstücke schrieb, hat der Autor seit Jahren kleine Betrachtungen, verstreute Gedankensplitter, kurze Überlegungen zu Aktualitäten des
Augenblicks gesammelt. Es sind Glossen, die sowohl sein Aufmerken bezeugen wollen als auch wünschen, die
»Bonsai-Essays« könnten den Leser selbst zur gedanklichen Beschäftigung mit den Gegenständen dieser flüchtigen Momentaufnahmen anregen.
»
Kleine Nichtse« eben - Knirpse, aus denen vielleicht doch noch etwas werden kann. 

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