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Der amerikanische Fotograf
Gregory Crewdson präsentiert in seinem neuen Bildband 41
Schwarz-Weiß-Fotografien, die von Vergangenheit, Untergang und Verfall erzählen. Die Zeit kürte ihn zur „zentralen Stimme seiner Generation“ und hob ihn auf dem Höhepunkt des wirtschaftlichen Zusammenbruchs auf den Thron der Antike. Der mystische Nebel über den Bildern Gregory Crewdsons, so schrieb die Hamburger Wochenzeitung in ihrer Literaturbeilage zur letztjährigen Leipziger Buchmesse, „scheint aus den Höllenschlünden der Antike aufzusteigen“, in die damals die Wirtschaftswelt wieder zurückzufallen schien. Das Blatt rief den Amerikaner zum Fotografen der Stunde aus. Seine bereits 2006 und 2007 aufgenommenen Fotografien erzählten vom Untergang des westlich-amerikanischen Wirtschaftsmythos. Sie bildeten den Verfall und Zusammenbruch ab, der sich zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung vor aller Augen vollzog. Crewdson entpuppte sich insofern zur fotografierenden Kassandra der Gegenwart, zum Nouriel Roubini der Kunstszene. Seine mit dem Aufwand einer Hollywood-Produktion inszenierten Fotografien zeigten die Welt hinter den Vorhängen, die erst zwei Jahre später fallen sollten. Als wäre die Realität nur ein dramatisch inszeniertes Theaterstück. Betrachtet man Crewdsons neueste Fotografien, fühlt man sich zurückversetzt in die Antike, an die Ränder der Schlünde, aus denen die Höllenfeuer züngeln. Das scheinen sie mit seinen früheren Aufnahmen gemeinsam zu haben, obwohl auf diesen Bildern zunächst einmal alles anders zu sein scheint. Es fehlen ihnen Farben und Menschen, und insofern auch das Leben, welches er auf seinen bisherigen Fotografien unheimlich, weil zeitlupenhaft seziert hatte. Doch hat man mit dieser Feststellung bereits die mythische Grenze überschritten, die das Medium des Bildträgers darstellt. Denn unweigerlich taucht der Betrachter auch hier in das Abgebildete, wird eins mit der Historie, die diese Bilder – eben in ihrer scheinbaren Leere – erzählen, eine Geschichte früheren Ruhms. Aufgenommen sind die in Sanctuary versammelten Schwarz-Weiß-Bilder am Rande Roms, in den ehemaligen Filmstudios des großen italienischen Kinos, in Cinecittà. 2009 reiste Crewdson in die italienische Hauptstadt und entdeckte die nach einem Großbrand verlassenen und den Urkräften der Natur überlassenen Reste der Kulissenstadt. Cinecittà bot ihm naturgemäß eine Atmosphäre, die er sonst nur mithilfe einer riesigen Crew an Kulissen, Beleuchtern, Maskenbildnern und Garderobieren schaffen konnte – eine Geisterstimmung. Zwischen den Wänden und Pappwänden schweben noch die Ruhmesgeister längst vergangener Zeiten. Rossellini, Fellini, Visconti, Leone und Scorcese drehten hier, biblische Epen wie Ben Hur, Quo vadis und Passion of Christ entstanden auf diesem Gelände. Wenn Nietzsche die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik beschwor, lehrt uns Crewdson die menschliche Tragödie aus dem Geiste der Inszenierung. Indem er den Betrachter nicht nur hinter die Kulissen blicken lässt, sondern ihn mit den Kulissen als solchen konfrontiert, führt er vor Augen, welchen offensichtliche Illusionen der Mensch in seiner Naivität und Gutgläubigkeit erliegt. Seine entlarvenden Fotografien rütteln wach und holen unsanft aus der Traumwelt, in der es sich der moderne Homo Sapiens gemütlich eingerichtet hat. Viel zu oft, so begreift man die aufgestellten Wände und grasüberwucherten Wege betrachtend, erliegt der Mensch den Gaukeleien der Gegenwart. Ob filmische Illusionen oder uneingehaltene Wohlstandsversprechen, sie entführen in eine nicht existierende Traumwelt und verführen in dieser zur Vertrauensseligkeit. Crewdson entlarvt dies.
„Wir lieben das Naive und
die Naiven, aber als Zuschauer und höhere Wesen“, ist in Nietzsches Nachlass aus
den achtziger Jahren zu lesen. Gregory Crewdson führt dem Betrachter seiner
Werke die eigene Naivität vor Augen und macht ihn vom unbeteiligten Zuschauer
zum Teil der Inszenierung. Beim Betrachten der Bilder wird sich dieser der
eigenen Verstrickung in das zu Besehende bewusst. Kalter Schweiß läuft seinen
Rücken hinunter und Schwindel ergreift ihn. Alles beginnt sich zu drehen,
Realität und Fiktion verschwimmen miteinander. Und plötzlich findet sich der
Betrachter inmitten der Krater wieder, aus denen es bedrohlich dampft, zischt
und qualmt. Aus denen der Nebel aufsteigt und seinen trügerischen Schleier über
die Gegenwart legt. Ein Nebel, der betäubt und täuscht. Und den scheinbar nur
dieser Houdini unter den Fotografen wieder zu lüften vermag.
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Gregory Crewdson
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