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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Seitwert


Aviatische Poesie aus Pfeil und Bogen

Dietmar Daths »Sämmtliche Gedichte« zwischen Mythologie und Biologie

Von Peter V. Brinkemper


Mit seinem Roman »Sämmtliche Gedichte« (2009) setzt Dietmar Dath das Projekt der literarischen Transformation von Reflexion und Poesie, Diskurs und Narration, Phantasie und Normalität im konterkarierenden Spiel mit den Erwartungen und Konventionen, Gattungen und Medien fort. Ein Dichter, Adam Sladek, gerät in die engen Fänge der privat gesponserten Kunst und in die Arme einer neuen Liebe. Die Inszenierung dieser streckenweise turbulenten Liaison ist allerdings nicht ganz so beeindruckend wie im Vorgänger »Die Abschaffung der Arten«.

Poetisches, Thesenhaftes, Argumentatives, Kleinvisionäres und Angst-Alltägliches zwischen Dialog, Beschreibung, Handlung, Traktat und stilistisch durch die Epochen mutierte Gelegenheits-Gedichte vermischen sich zu einer vielleicht nicht völlig ernst gemeinten Ballade über die Neusten Leiden und vor allem Irrungen des Dichters im Zeitalter von Genetic Engineering, Google Earth, globalen Finanzmächten und der fast völligen Abgeklärtheit von Zweierbeziehungen mit einem Quäntchen vorprogrammierter Restromantik, die den Tonfall einer verzettelten Soap von Sprechblasen-Emotionen annehmen muss. Zentrum des Plots und der Überlegungen ist, trotz allem: die Frage nach dem rechten Wort zur rechten Zeit, dem Kairos in Dichtung, Liebe und Leben und der Tragikomödie der Verfehlung solch kostbarer Augenblicke.

Pfeile, Pfeile, Pfeile

Zunächst gibt es eine Neo-Biedermeier-Idylle zu bestaunen, zwischen dem zum Teil erfolgreichen Lyriker Adam Sladek und der von Haus aus reichen Malerin Johanna Rauch, die beide, er rauchend und sie trinkend, von Nono bis Glass und von Bowie bis zum Zappa-istisch-videospielmäßigen Indie-Rock von Xiu Xiu CDs konsumieren. Nach diversen unglücklichen Lebensvorabschnitten kommen sie einander allmählich, auch über das Medium der Poesie, näher. Die Frage ist, für Adam, nur: welche Poesie? Es geht zunächst um stilistisch behutsame »Denkinterpunktionen« mit dem Trennzeichen »|« in möglichst gewöhnlichen und doch auch seltsamen Gedichten und auch um neuerliche Halte- und Wendepunkte im realen, lange schon spießig eingefahrenen Geschehen, die zu einer endlich vitalen Gegenwarts-Sprache, zu einem beiläufig erfüllten Sprechen und Kommunizieren führen, das die Subjekte vor- und füreinander aufschlösse. Nicht von ungefähr zitieren Adam Sladeks Gedichte »Niobenverwünschung« und »Zwischen Kissen Bergen« sowie der »Dank« an »Artemis Apolloschwester« den Mythos der thebanischen Königin Niobe, die sich mit ihrem Kindersegen über die nur mit zwei hochbegabten Kindern gesegnete Titanin Leto stellte. Ein Affront gegen die ersten, noch durch und durch rachsüchtigen titanischen Götter, die dergleichen Menschenhochmut und freiheitsbewusste Rebellion sofort als Konflikt um die Hoheit zwischen faktischer Biologie und göttlicher Macht verstanden, während die Sprösslinge Apoll und Artemis dergleichen in der Poesie der phantasievollen Worte und der Kunst des friedlichen oder kriegerischen Jagens sublimer bekämpften. Leto gab ihren göttlichen, mit der Jagd begabten Kindern Apoll und Artemis den harten Auftrag, die irdische Nachkommenschaft der überheblichen Niobe mit Pfeil und Bogen brutal hinzustrecken. Und sie gehorchten. Auf diesem blutigen Ur-Grund erhebt sich das Territorium von Artemis und Apoll, die Jagd- und die Dichtkunst, der jungfräulich bewachte Tierschutz als Lebensform und die männlich dichtend-deutende Sprachpflege als duale Herrschaft, die nach dem Titanensturz auch weiter rationalisierungsfähig war. Damit wären wir wieder bei der mytho-biologischen »Abschaffung der Arten«. Dietmar Dath geht es darum, die Mythologie und den Alltag für das gewöhnliche Leben der global gesteuerten Menschen rhetorisch verwirrend verknüpfen, so dass Geschlecht, Herkunft und Richtung der abgeschossenen Pfeile unbekannt bleiben und die Vernichtung oder Verschonung der kostbaren Augenblicke in der Geschichte auf allen Ebenen ein kalkuliertes Zufallsprodukt bleiben. Leto und Niobe als zwei Seiten einer immer rascher rotierenden Münze. Es geht um die Wiederherstellung des mantischen Zustandes, wie überliefert in den Artemis-Zaubersprüchen aus Ephesus, des Grammata Ephesia, in der Formel des Licht-und-Schatten-Spiels zwischen Logos und Wild. Strahlen die Pfeile also weiterhin mondlichtgleich wie auf dem Umschlagbild der androgyn neo-nazarenisch abgesofteten und doch leuchtreklameartigen Joshua-Middleton-Superhelden-Figur aus dem Geist des jung gebliebenen Dichters? Und wenn dem so ist, wen treffen sie dann? Fliegen sie (fast) ins Unendliche, oder stürzen sie am Ende wieder auf ihren Urheber zurück, als Figuren der bedrohlichen Selbstwahrnehmung oder Selbstverkennung?

James Blöd und die Weisheit der Amelia

Adam Sladek wird als »James Blöd« von der Jägerin und Pilotin Amelia im »Autogyro« (Mini-Propeller-Hub-Auto; James Bonds Little Nellie aus »You only live twice«) entführt in das Luxusanwesen des Kultur-und-Wissenschafts-Sponsors Colin Kreuzers. Dort trifft Sladek auf Dietmar Dath als autoreflexive Romanfigur: als Kritiker, Vermittler und Agent zwischen Literatur und Finanzkraft, der Sladeks Leistung in kühnen Worten an der Grenze zwischen dem heroischen New-Wave-Science-Fiction-Autor Thomas M. Disch und dem paranoischen asiatisch-kalifornischen Autor Kenneth Che-Tew Eng, einem panrassistischen Alles-Hasser, ansiedelt. Das Szenario einer anonym mafiosen Entführung, um in produktiver Einsamkeit das Projekt eines lyrischen Gesamtwerks aus der Feder Adam Sladeks und unter der Obhut eines vom Geld womöglich korrumpierten Think Tanks zu komplettieren, erhält das Potential einer erheblichen Fallhöhe, die inhaltlich und inszenatorisch etwas verspielt wird. Intendiert sind vielleicht plastische Cross-Over-Embleme im Geiste der Cover-Artistik von DC Comics, wie sie aktuell Kalman Andrasofszky liefert. Da hilft auch kein ständiges, zum Teil gefälliges Marken- und Namedropping von Ero-/Bimaxx über Jutta Koether, Suhrkamp bis Michael Lentz, wobei Autor Robert Creel(e)y dann falsch buchstabiert wird. Heath Ledger kriegt ein schwules-Cowboy-Epitaph ab und Keanu Reeves als neuer Klaatu darf auch noch rein in den Text. Der fiktive Dath verwickelt Adam in die üblichen Miniatur-Diskussionen um Genetik und Erziehung, die Launen des Schicksals und die Frage, ob Poesie systematisch oder nur per Zufall, in Eigenregie oder als Collage-Abfall, als logozentrische Aussage oder als brabbelnder Frame-Stage auf der Basis der Mutter-Kind-Dyade (re-)produzierbar sei. Eine Spur Sarrazinismus geht auch mitten durch diesen Text: Die Gene generieren vielleicht doch mehr Poesie als bisher angenommen. Oder alles falsche Götzbilder und illusorische Göttinnen?

Anhand der Figur der Amelia lernt Sladek die riskante Aufmerksamkeit des Jagens und Fliegens als Paradigma für eine neue Poesie, die offen an der Grenze zum Flüchtigen, zum Schweigen und zum Scheitern agiert und am Ende, als das lokale Imperium des Sponsors lichterloh brennt, ihn zu Johanna und in die voll entzündete Liebe zurückführt. Artemis schont Adam in Wort und Tat. Und deshalb ist die mythologische Einarbeitung der ersten Aviatrice in den Roman um so stimmiger: Amelia Earhart, aus Kansas gebürtig, überquerte todesmutig wie Lindbergh allein im Flieger den Atlantik und wurde als »Lady Lindy« verehrt. Dann, 1937, während einer äquatorialen Erdumrundung mit einem Copiloten wurde sie plötzlich über dem Pazifik vermisst. Noch als Verschollene bereitete sie den Frauen und den Penelopes auf der ganzen Welt den Weg zur mobilen Emanzipation. »Amelia«, das ist Daths interessanteste intertextuelle Passage, in Kallimachischer mikropoetischer Form eines Aition, einer neufabulierten Ursprungs- und Aufbruchssage zu einer Artemis zwischen Antike und Moderne, Wildnis und Zivilisation, einer zu- und entfliegenden Schönen, die das Glück in seiner komplexen Zufälligkeit bereithält und als Carepaket den in der Normalität Darbenden zuwirft, wenn sie es nur aufzufangen und zu nutzen wissen. »Sehn wir uns ins Gesicht. Wir sind Hyperboreer - wir wissen gut genug, wie abseits wir leben.« Dies sagt Nietzsche in »Der Antichrist«, und er fährt fort: »>Weder zu Lande noch zu Wasser wirst du den Weg zu den Hyperboreern finden<: das hat schon Pindar von uns gewußt. Jenseits des Nordens, des Eises, des Todes - unser Leben, unser Glück . . . Wir haben das Glück entdeckt, wir wissen den Weg, wir fanden den Ausgang aus ganzen Jahrtausenden des Labyrinths. Wer fand ihn sonst? - Der moderne Mensch etwa?«
Ob Dietmar Dath den Ausgang gefunden hat und ob damit nur die Freiheit der Maschinen, der Gene und der Megabits gemeint sein kann, mag bezweifelt werden.

 








Dietmar Dath
Sämmtliche Gedichte - Roman Suhrkamp
283 Seiten
ISBN: 978-3-518-42110-9

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