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Zauber der fluiden Erzählung

Christopher Nolans »Inception«

Von Peter V. Brinkemper

Christopher Nolan legt mit »Inception«vor der Produktion des dritten Batman-Teils (voraussichtlich 2012) einen weiteren  Independent-Auteur -Film vor. Die Wiederkehr der Kategorie des Auteur im Big-Budget-Format ist ein erfreuliches und zugleich ambivalentes  Ereignis für die Filmwelt. Sie bedeutet einen Schuss Intelligenz, vor allem in der nichtlinearen Führung des Plots und in der möglichen Vertiefung der Charaktere und Beziehungen, wie ihn das kommerzielle Kino angesichts des rasanten, aber oft leeren Fortschritts im digitalen Produktionsbereich heute dringend nötig hat.

Inception, Memento, Prestige
Nolans Neuauflage der Warner-DC-Fledermaus-Saga mit »Batman Begins« (2005) und »The Dark Knight«(2008) feiert einen dunklen Darstellungsstil, der an Ridley Scotts »Blade Runner«-Noir anknüpft. Alles Futuristische und Comichaft-Phantastische bekommt auf einer grellen, zwielichtigen Bühne abgründig-tragische Wahrscheinlichkeit. Die sorgfältig verschachtelte,  jedoch verständlich gehaltene  Erzählweise  mit Parallelgeschichten  und Kolossalpathos tritt in den Dienst von Kassenerfolg und Zeitstimmung. Mit »Inception« nimmt der britische Regisseur die Intentionen aus seinen Erstling »Following« (1998), aus »Memento«(2000) und »The Prestige« (2006) in radikalerer Weise wieder auf: Die nicht-lineare Gestaltung und Aufarbeitung der Story wird ins Extreme gesteigert. Dadurch ergibt sich die Zufallssteuerung, die Randomisierung der Figuren. In »Memento« entsteht ein dichtes Spiel der Fragmentierung, Umkehrung, Verwirrung und rekombinierenden Manipulation der Zeit, des Erlebens und der Erinnerungsfähigkeit des anscheinend verzweifelt um seine Identität kämpfenden Helden. Durch diese Sinn-Entstellung werden mögliche Zusammenhänge und Erklärungsansätze vereitelt, der Zuschauer gerät in den Bann einer Erzählperspektive, die auf die unmittelbare Gegenwart und das lückenhafte Kurzzeitgedächtnis der bedrohten und bedrohlichen Hauptfigur fixiert ist und dabei im Hintergrund ständig Verrat wittert. In »Memento« breitet sich das verwirrende Puzzle, beginnend am Ende und endend im Anfang über die Rezeption des gesamten Films aus, wobei jede Einzelszene in ihrer normalen Progression Spannung und Überraschung, auch fürs Ganze enthält. Wer im Kino desorientiert wird, kann dies auf DVD und am PC nachprüfen und den Film in seiner Szenenfolge rückwärts anschauen, ohne das Rätsel zu beseitigen. In »The Prestige«beginnt die beabsichtigte Verwirrung des Zuschauers als filmische Reflexion über den doppelten Boden der Zaubertricks auf den Bühnen um 1900, als zunächst triviale und dann immer kunstvollere Doublierung der Figuren und Charaktere , im Theater und im Leben.

Sehen Sie genau hin: »Inception«
Die Aufforderung »Sehen Sie genau hin« aus »Prestige« gilt auch für »Inception«. Die Geschichte um Dominic Cobb (Leonardo DiCaprio), dem von Konzernen, Staaten und mafiosen Organisationen verfolgten Extraktor und Meistertraumdieb, wird keineswegs übersichtlich in einem kohärenten Realraum exponiert. »Cobb« ist zugleich eine Namensanspielung auf den Dieb in »Following«. Verglichen mit »Memento« und »Prestige« weitet sich die Dynamik der Handlung in »Inception« für Protagonisten wie Zuschauer von Anfang an zu einem Katarakt aus, der aus einem verzweigten Labyrinth von Halb- und Zwischenwelten hervorbricht. Ständig werden Brücken geschlagen oder wieder eingezogen, zwischen Pragmatik und Paranoia, Logik und Phantasie, Kontrolle und Improvisation, Bodenhaftung und Abgrund. Auf diese Weise wird dem Zuschauer eine Fülle von Sensationen eingeträufelt, noch bevor er mit der Logik des Ganzen und der Ordnung von Anfang, Mitte und Ende vertraut wird.  

Kino-Archäologie
»Inception« (wörtlich: Anfang oder Beginn, als neutrale Setzung, als organisches Säen und Einpflanzung, als spontaner Ursprung, als abrupter Kick und Anstoß, als konstruktiver Bauplan, als causa prima und arché) zielt auf die cinematographische Frage, wie die manipulative Praktik der Simulation, der Schein der diskontinuierlichen Bilder mit der Logik des Anfangs und der Folge umspringt. Und zwar gerade, wenn der Anfang nicht im Kontext einer klar erkennbaren Ordnung gegeben, sondern als unbewusste Botschaft in den Geist implantiert oder wie ein Zaubertrank oder eine i-Pod-Melodie eingeträufelt wird. Nolan betreibt Kino-Archäologie.  

Kreisel und Windrad
Nicht umsonst tauchen im Film zwei wichtige Totems auf: der kleine Kreisel, mit dem Cobb und seine verstorbene Frau Mal den Status der Realität bzw. des Traums überprüft haben. Und das sentimentale Windrad, mit dem der alte Maurice Fischer kurz vor dem Tod seinen Sohn Robert an die Kindheit erinnert. Während der Kreisel von einem Subjekt kunstvoll aufgestellt und in Drehbewegung gesetzt wird, um durch die Verhältnisse wie von selbst mit vollem Risiko magisch zu schweben, bevor ihn die Schwerkraft oder eine Mauer zum Torkeln bringen, ist das Windrad ein kindliches Spielzeug, an einem Holzstab fixiert, das von Wind und Hand beliebig bewegt  werden, ohne seinen Halt zu verlieren oder seinen Ort von sich aus zu verändern. Labile und stabile Konstruktionen, Wandlungsfähigkeit und Statik, Bewegungen nach außen und nach innen stehen einander gegenüber. Auch als Metapher für die entscheidenden Veränderungen, die sich seit »The Matrix« (1999) im Konzept der Simulation ergeben haben:  Die Matrix war traumlos und antisubjektiv,  Neo mindestens eine halbe Maschine, und der autoritäre Architekt  kannte keine Gnade. In »Inception« sind Träume und Traumzustände lebendige Membrane von anwesenden und unsichtbaren, aber spürbaren Ereignissen, Träume werden durch Kollektivschaltung zu sanften oder heftigen Dramen, immer noch intersubjektiv beeinflussbaren Situationen und relativ klaren Bewusstseinszuständen, zwischen rationaler Konstruktion, gezielt eingreifender, dominanter Manipulation und unwillkürlich subjektiver Projektion. Träume sind synergetische Produktionen im Verbund von auftragsgebundenen Architekten, rationalen Agenten und emotionalen Akteuren, die mal als Objekt, mal als Subjekt in einem offenen Widerstreit oder verdeckten Kräftespiel auftreten und so eine Partitur zwischen fester und poröser Ordnung schaffen. Die Zeit wird von Stufe zu Stufe in den Träumen unterhalb der Realitätsebene  immer weiter  ausgedehnt, bis hin zur fast endlosen Verzögerung bzw. Ausweitung von Prozessen im untersten Level des sogenannten »Limbus«, dem äußersten Saum der in reine Zuständlichkeit und verdinglichte Ewigkeit  abdriftenden Grenzwahrnehmung:  Zoom gegen Unendlich. Untote Erlebnisse. Surrealistischer Friedhof. Urlaub auf der Toteninsel. Auf diese Weise ergeben sich neben phantasmatischen Raumlabyrinthen auch Zeit- und Ereigniskorridore, in denen durch Ebenenwechsel Vorgänge hintergangen und überholt, unterlaufen und annulliert werden können, die soeben noch irreversibel und unumgänglich erschienen.

Fluidum und Dramatik
Aufgrund der angeführten Prämissen kann es in »Inception« kein Konzept einer geschlossenen Realität mit einer einseitigen Subjekt-Objekt-Dominanz geben. Selbst der Film, die gestanzte Traumfabrik, wird zu einem Fluidum. Das Drama wird zum Ereignisteppich. Die Welt ist an sich kein Safe, sie lässt sich weder auf der Ebene der Realität noch auf den Traumstufen hinab zum Unbewussten als Gefängnis darstellen (wie dies bei Cobbs mentalen Projektionen von Mal und Fischer Senior auftritt), sondern sie ist eine wirbelnde Dynamik, in der minimale Ereignisse und Faktoren den schärfsten Verstand und den mächtigsten Protagonisten aushebeln können. Die Welt, das Leben, die Psyche sind allesamt Open Sources, die sich im Banne der Wirklichkeit, des Traumes und des Rausches wie von selbst öffnen und verraten. Wenn bestimmte Subjekte ein Abwehrtraining absolviert haben, so ist mit derart starkem Widerstand zu rechnen, dass die Logik von Traum, Betäubung, heftiger und sanfter Manipulation zu ihren Gunsten herumgerissen wird.

Die entscheidenden Momente, in denen Nolans Film glückt, streifen das Thema Traum und Territorium: Bodenhaftung und Bodenverlust, Verschanzung in Schwermut und Hingabe an die Schwerelosigkeit  scheinen besondere Polaritäten zu sein für einen Film, in dem sich die Welt und Paris wie eine Apfelsinenschale aufrollen, und irgendwann durch den Fall in die Tiefe alles zu schweben beginnt, wie auf Parabelflügen für angehende Astronauten.

Territorialisierung und Deterritorialisierung als Leitfaden. Nicht umsonst wirbeln Situationen und Architektur , Handlungen und Figuren, aber auch von Stilistiken und Vorbilder phantasmagorisch durcheinander. Nolan bezieht sich nicht nur auf der »WonderCon« in San Francisco auf Ridley Scotts »Blade Runner« (1982) und Stanley Kubricks »2001« (1968), in denen Sets und Dramaturgie noch fast ausschließlich durch die intensive analoge Kamerarbeit , Montage und Matte-Paintings inszeniert und verzahnt  wurden.  Nun fallen einem angesichts der Schlüssel-Szenen in »Inception« gleich dutzendweise Filmvorbilder aus den genannten und vielen jüngeren Kinowerken ein: Von »The Fall« (Tarsem Singh, 2006), »Being John Malkovich« (Spike Jonze, 1999) bis zurück zu »The Shining« (Kubrick, 1980; Hotels, Treppen, Toiletten und wie in »2001«zentrifugierende Korridore mit schwerelosen  Traumwandlern). Wenn die neue Architektin Ariadne (Ellen Page) mit Dominic Cobb (Leonardo Di Caprio) auf der Bir-Hakeim-Brücke, dem ehemaligen Pont de Passy, über die Seine in der Fußgängerzone unter der kathedralenförmigen Metroüberführung die Möglichkeiten der urbanen Simulation in virtuellen Spiegelansichten ins Kinobild rückt, ist weniger  das Test-Programm aus »The Matrix« gemeint, sondern die Reminiszenz an Bernardo Bertoluccis »Der letzte Tango in Paris«(1972), die Geschichte einer einsamen und gewaltsam  endenden Amour Fou, dem Abschied des alternden Paul (Marlon Brando) von seiner verstorbenen Ehefrau während seiner anonymen Affäre mit der jungen Jeanne  (Maria Schneider). Die »Inception«-Messerattacke der überraschend in Paris auftauchenden Projektion von Ehefrau Mal (Marion Cottillard ) macht deutlich, dass Dominic Cobb das Traumszenario nicht souverän beherrscht, sondern immer wieder aus seinen Unterbewusstsein wie einer belastenden realen Vergangenheit attackiert wird.  Die Welt als Weg und Gefängnis, wie Penrose-Treppen in Escherbildern. Die ungelöste Beziehung zwischen Cobb und Mal ist das innerpsychische Gravitationszentrum des Films. Fahrplanmäßige Explosionen, Metro, Züge, Zuggeräusche,  gründerzeitliche  Fahrstühle und moderne Aufzüge, vibrierende Gleise und bewegliche  Eisenbrücken, semikonstruktives Art Deco geben durch ihre Motivwiederkehr  den Traumsequenzen und Traumebenen des Films ein vertikales und horizontales Raster von mathematischer Präzision und musikalischer Monumentalität (Hans Zimmer). Zwischen fixierter Starrheit und anscheinend fixierter Bewegung, wie auf Schienen und wie auf Skiern - Verbindung und Ausschluss, Einsperrung und Schutz, Mauern vor dem raubtierhaften Unbewussten. Der Verweis geht weniger auf Eurydike und den mit Musik verzaubernden Orpheus in der Unterwelt , sondern auf die Bannung und Verdrängung des menschenfressenden Minotaurus, auf König Minos, den Architekten  Dädalos und seinen Sohn Ikaros. Für Dominic Cobb ist der Minotaurus die immer noch übermächtige  Todessehnsucht und Weltmüdigkeit, die er mit seiner hysterisch in den Tod gesprungenen Ehefrau assoziiert. Mit ihr hatte er sich damals von der Realität abgewendet, um mit ihr die zeitlosen Traumweltarchitekturen  zwischen Größenwahn und Vergänglichkeit am Strand des tiefsten Unterwusstseins, eine Art unheimliches Zuhause im zerbröckelnden Nirgendwo  zu schaffen und zu bewohnen. Nun ist er zu allem bereit, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die keineswegs feststehende Unschuld am Tod seiner Frau zu beweisen, um endlich seine Kinder und seine Familie (Michael Caine als Miles) wieder zu sehen. Vielleicht doch ein etwas zu seichter Kern für einen großen Film. Saito (Ken Watanabe) verspricht, seinen Einfluss als Global Player für die internationale  Entlastung Cobbs einzusetzen, wenn es beiden gelingt, seinen Konzern vor der drohenden Übernahme retten. Für Saito ist der übermächtige Rivale Maurice Fischer der Minotaurus, den es, nicht durch Kampf und Ideen-Diebstahl, sondern Ideeneinpflanzung sanft einzuschläfern gilt: durch eine Inception in das Gehirn des jungen Erben Robert Fischer (Cillian Murphy), dessen zukünftiges Denken und Fühlen um seine persönliche Eigenständigkeit kreisen soll, damit nach dem Tod des Seniors die Schwächung und Aufspaltung des Konzerns vorgenommen werden kann. Wenn am Ende alle Beteiligten,  Partner und Rivalen, auf dem Flug zur Beerdigung von Maurice Fischer und zur Rückkehr von Cobb in die USA, wieder aufwachen, als ob nichts gewesen sei, wirken  sie wie Fremde und Freunde, eine schweigende Seilschaft irgendwo am Abhang zwischen Leben und Tod. »Inception« ist ein großartiger Film geworden,  faszinierend in der temporeichen und nuancierten schauspielerischen und der visionären Inszenierung, wenn er auch stellenweise an visueller und verbaler Überfrachtung leidet und Nolans ständige existentialistische Dilemmata zu Sportkommentaren im Traummonopoly degenerieren.
 

Inception
Produktionsland: USA, Großbritannien
Produktionsjahr: 2010
Länge: 148 (Min.)
Verleih: Warner Bros.

CAST & CREW
Regie: Christopher Nolan
Drehbuch: Christopher Nolan
Kamera: Wally Pfister
Schnitt: Lee Smith
Musik: Hans Zimmer
Hauptdarsteller: Leonardo DiCaprio, Marion Cotillard, Michael Caine, Cillian Murphy, Joseph Gordon-Levitt, Ellen Page


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