Andere über uns Impressum  |  Mediadaten


search engine by freefind


Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

Anzeige
Jetzt Versandkostenfrei bestellen:
Glanz&Elend - Die Zeitschrift
176 Seiten, die es in sich haben:
»Diese mühselige Arbeit an den Zügen des Menschlichen«
Der
großformatige Broschurband in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren.
Mit Texten von Hannah Ahrendt,
Wassili Grossman, Nicolàs Gomez Davila, Gert Neumann, Dieter Leisegang, Fernando Pessoa, u.a.

Home  Termine  Literatur  Blutige Ernte  Sachbuch  Quellen   Politik  Geschichte  Philosophie  Zeitkritik  Bilderbuch  Comics  Filme  Preisrätsel  Das Beste



Bücher & Themen


Jazz aus der Tube
Bücher, CDs, DVDs & Links

Schiffsmeldungen & Links
Bücher-Charts l Verlage A-Z
Medien- & Literatur l Museen im Internet

Weitere Sachgebiete
Tonträger, SF & Fantasy, Autoren
Verlage


Glanz & Elend empfiehlt:
20 Bücher mit Qualitätsgarantie


Klassiker-Archiv
Übersicht
Shakespeare Heute, Shakespeare Stücke, Goethes Werther, Goethes Faust I, Eckermann, Schiller, Schopenhauer, Kant, von Knigge, Büchner, Marx, Nietzsche, Kafka, Schnitzler, Kraus, Mühsam, Simmel, Tucholsky
, Samuel Beckett

Berserker und Verschwender
Honoré de Balzac
Balzacs Vorrede zur Menschlichen Komödie
Die Neuausgabe seiner
»schönsten Romane und Erzählungen«, über eine ungewöhnliche Erregung seines Verlegers Daniel Keel und die grandiose Balzac-Biographie von Johannes Willms.
Leben und Werk
Essays und Zeugnisse mit einem Repertorium der wichtigsten Romanfiguren.
Hugo von Hofmannsthal über Balzac
»... die größte, substantiellste schöpferische Phantasie, die seit Shakespeare da war.«

Anzeige
Edition Glanz & Elend

Martin Brandes

Herr Wu lacht
Chinesische Geschichten
und der Unsinn des Reisens
Leseprobe

Andere Seiten
Quality Report Magazin für Produktkultur
Elfriede Jelinek Elfriede Jelinek
Joe Bauers
Flaneursalon
Gregor Keuschnig
Begleitschreiben
Armin Abmeiers
Tolle Hefte
Curt Linzers
Zeitgenössische Malerei
Goedart Palms Virtuelle Texbaustelle
Reiner Stachs Franz Kafka
counterpunch
»We've got all the right enemies.«



Seitwert


20 Jahre danach

Claus Christian Malzahns vorläufige Bilanz der Einheit »Deutschland 2.0«  

Von
Michael Knoll

Auf dem Buchrücken findet sich folgendes Testimonial: „Ein typischer Malzahn: erfrischend frech und klarsichtig. Wenn ich in diesem Jahr nur ein Buch zur Lage unserer deutschen Nation lesen dürfte – dann dieses.“ Man kann von Gabor Steingart, dem diese Zeilen zugeschrieben ist, halten, was man will. Bei der Einschätzung des neuen Buches von Claus Christian Malzahn hat er völlig recht. „Deutschland 2.0“ ist ein meinungsstarkes Buch, das quer zum konservativen Hurrapatriotismus und zur linken Einheitsnörgelei liegt. Ein Buch, das dem Unausweichlichen des Einigungsprozesses nachgeht und den Enttäuschungen Raum gibt. Das Sympathische an diesem Buch: Claus Christian Malzahn muss nicht erneut den Kommunismus besiegen, um dennoch zu zeigen, dass die DDR ein bankrotter Unrechtsstaat war. Intellektuell, moralisch, politisch und finanziell war der Arbeiter- und Bauernstaat 1989 erledigt. Heute zeichnen etliche Politiker der Linken das Bild einer zwar nicht ganz so reichen, aber irgendwie kuscheligen DDR. Arm, aber gerecht. Dass dieses Bild meist unreflektiert in den Medien aufgegriffen wird, ist ein intellektueller Skandal eines Berufsstands, der sich durch Recherche, Redlichkeit und Reflexion auszeichnen sollte. Dass dieses Bild in der Gesellschaft weiten Raum eingenommen hat, ist politischen Fehlern und gesellschaftlichen Enttäuschen geschuldet. Aber wie hätte man Fehler und Enttäuschungen vermeiden sollen angesichts einer beispiellosen politischen Aufgabe wie des Einigungsprozesses? Vor allem vor dem Hintergrund, dass die tatsächliche ökonomische Situation in der DDR völlig falsch eingeschätzt wurde. Malzahn erwähnt, dass ein Factbook des CIA im Jahre 1987 vermerkte, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in der DDR hundert Dollar über dem in der Bundesrepublik liege. So viel zur Arbeit des CIAs.

Claus Christian Malzahn schafft es, die vielen widersprechenden Einschätzungen zusammenzubringen. Er schafft dies, weil seine vielen Wege durch die DDR, die BRD, durch Ost- und Westdeutschland ihn vieles haben erleben lassen. Seine journalistischen Erfahrungen mit dem Leben im Osten Deutschlands beginnen nicht nach dem Fall der Mauer. Er kannte die Protagonisten der ostdeutschen Freiheitsbewegung schon vor 1989 und berichtete in der taz über sie, bevor sie auch im Westen bekannt wurden. Dass Malzahn, dessen Neuköllner Wohnung direkt an der Mauer stand, ihren Fall dann in den USA erlebte, wo er gerade für einige Zeit bei einer Tageszeitung in Milwaukee arbeitete, ist einer der Ironien, zu der nur das Leben fähig ist.

Malzahns Buch ist ein schlankes, aber dichtes Werk. Vier Kapitel umfasst es: Freiheit; Mythen, Fehler, Irrtümer; Glück, Geld, Erfolg sowie Einsichten, Aussichten. Das erste Kapitel hätte der intellektuelle Soundtrack der Bewerbung Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten sein können. Malzahn schreibt über diesen politischen Wert, wie es eigentlich nur die können, die ihn für lange Zeit vermissen mussten. So wie etwa ein Joachim Gauck. Die Freiheit von, die Freiheit zu, die Freiheit als Verantwortung der Erwachsenen. Dieser Wert ist kein einfacher. Schon gar nicht für die Deutschen, die sich historisch gesehen ganz wohl in obrigkeitshörigen Staatsgebilden gefühlt haben und fühlen. Malzahn verliert sich nicht in philosophischen Diskursen, sondern stellt den Lebenslauf von Thorsten Schilling vor. Einer, der es im Sommer 1989 satt hatte, der die politische und intellektuelle Enge der DDR nicht länger aushielt. Im Juli 1989 reiste er aus, wohnte in Kreuzberg nur zwei Kilometer Luftlinie von seiner alten Wohnung in Friedrichshain entfernt und doch lebte er auf einmal in einer anderen Welt. Eine Welt, die ihn überforderte. Eine Welt, die er mit dem, was er gelernt hatte, nicht begreifen konnte. Ein Welt, die ihm zusetzte, die ihn anzog und abstieß. Mit Thorsten Schilling erleben wir erneut die Fremdheit der beiden deutschen Staaten, erleben wir konkret, was Freiheit heißt, wie anstrengend sie ist, wie herausfordernd sie ist. Freiheit ist nicht bequem. Und doch ist sie die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Schön, dass Malzahn uns dies uns wieder einmal und dazu noch so konkret vor Augen führt. 

Ein weiteres Plus dieses Buches: Malzahn vergleicht die Verhältnisse und Entwicklungen in Ostdeutschland der 90er Jahre mit denen seiner Nachbarn. Vor allem Polen. Dadurch wird deutlich, auf welch hohem Niveau wir Deutschen, und dies zielt dann doch auf die Ostdeutschen und vor allem auf ihre selbsternannten Interessensvertreter, jammern. Wer heute durch Polen reist, wird ein dynamisches Land entdecken, das die Wunden des Krieges und der kommunistischen Herrschaft noch nicht in Gänze überdecken kann. Aber die Leistungen jenseits der Oder sind beeindruckend. Und die Polen haben dies aus eigener Kraft und später dank westeuropäischer Unterstützung geschafft. Der untergegangenen Volksrepublik Polen stand jedenfalls kein bundesrepublikanischer Bruder zur Seite.

Eins noch: Überraschend gut kommt Helmut Kohl weg. Vielleicht mag diese Einschätzung mit dessen 80. Geburtstag und seinem offensichtlichen körperlichen Verfall zu tun haben. Malzahn verweist aber auch auf dessen realen Stärken. Und so schreibt Malzahn über Kohl: Es war „ein Glück, dass wir ihn hatten. Er war ein schlechter Redner, aber auf internationalem Parkett offenbar ein guter Gesprächspartner, der seinem jeweiligen Gegenüber Vertrauen einflößte. Das war in der Politik schon immer ein knappes Gut und ist in unruhigen Zeiten wie dem Zusammenbruch eines Weltreichs so entscheidend wie Wasser in der Wüste.“ Den Titel „Kanzler der Einheit“ trage er zu Recht, die entscheidenden Gespräche über die Vereinigung Deutschlands hatten im Frühjahr 1990 die Präsidenten George Bush und Michail Gorbatschow geführt. Thomas Schilling, Bärbel Bohley, Helmut Kohl, Rudolf Seiters, George Bush, Michail Gorbatschow, Papst Johannes Paul II.: Sie haben 1989/90 möglich gemacht. Und viele, viele mehr.

Eine Botschaft der Ereignisse von vor 20 Jahren zieht Claus Christian Malzahn. Oder sagen wir vielmehr, es ist eine Aufforderung an die Bevölkerung in Deutschland, egal ob aus West- oder Ostdeutschland, egal ob mit deutschem Pass oder ohne: „Wir müssen klären, wie wir leben wollen – und wie nicht. Immer wieder, nicht nur alle zwanzig Jahre.“

Ein schmales, aber lesenswertes Buch.
 

Claus Christian Malzahn
Deutschland 2.0
Eine vorläufige Bilanz der Einheit
dtv premium
Originalausgabe
140 Seiten
12,90
978-3-423-24798-6


 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik

Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik   Bilderbuch   Comics   Filme   Preisrätsel   Das Beste