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Im Anfang war das freie Wort

Ein Sittengemälde aus dem Iran: Shahriar Mandanipurs »Eine iranische Liebesgeschichte zensieren«

Von Christiane Pöhlmann

Rund drei Jahre lang fabuliert Scheherazade allnächtlich um Leib und Leben. Sie geht dabei nicht gerade zimperlich vor, mixt beherzt Burleskes mit Erotischem. Das Experiment glückt, der literarisch umgarnte König gibt das Frauenmorden auf. Rund tausendundein Jahr später wäre eine vergleichbare Situation im Iran nicht mehr denkbar. Ein unverheiratetes Paar hätte schon Probleme, drei Minuten allein miteinander zu verbringen, zumindest wenn es nicht dem Establishment angehört. Soll dann auch noch Liebe aufkeimen, ja, es gar zu vorehelichem Sex kommen, die Geschichte festgehalten und an der Zensur vorbeigebracht werden, sind die Schwierigkeiten leicht abzusehen.

Shahriar Mandanipur, 1957 in Schiras geboren, den größten Teil der 1990er im Iran verboten und seit vier Jahren in den USA ansässig, weiß genau, was ihn erwartet – und nimmt die Herausforderung beherzt an. Aus einem einfachen Grund: Er will endlich seine Love Story.

Er lässt es ganz ruhig angehen: Der junge Dara schlägt sich mehr schlecht als recht als Anstreicher durch; Folter und Gefängnis haben ihn davon abgebracht, sich politisch zu artikulieren und zu engagieren. Eines Tages sieht er Sara, in die er sich aus der Ferne verliebt. In die Bücher der öffentlichen Bibliothek codiert er Briefe an sie, zu einer direkten Begegnung kommt es lange nicht. Irgendwann antwortet sie ihm. Schließlich treffen sie sich, ringen sich ein paar traute Minuten ab, mit denen sie, zwei keusche Musterexemplare, jedoch kaum etwas anzufangen wissen. Bei ihrem internalisierten Sittenkodex könnten sie nun geradenwegs auf die Ehe zusteuern – gäbe es da nicht Herrn Sindbad, Saras reichen Freier. Und gäbe es nicht die Selbstvorgabe der Erzählerfigur, die nach einem vorehelichen Kuss verlangt.

Wie Mandanipur diesen Parcours meistert, ist erstaunlich. Der Anfang ist schon gut, hat aber noch eine gewisse Schwäche: Seine gleichnamige Erzählerfigur ist ein Zwitter aus Primus und Oberlehrer. Der eine braucht ständig den literarischen Beleg, kann nicht Monster sagen, ohne Frankenstein zu nennen. Der andere gibt sich etwas betulich: "Ich vermute, Ihnen ist unterdessen klar, dass das Durchstreichen gewisser Textpassagen mein Werk ist. Sie müssen aber wissen, dass derlei exzentrische Schrullen nichts mit Postmoderne oder Heideggerei zu tun haben. Tatsächlich ... Und inzwischen haben Sie gewiss auch die Bedeutung des »...« in der heutigen iranischen Literatur erkannt." Doch, wie gesagt, das sind Startschwierigkeiten, sobald der Erzähler in den Hintergrund tritt ...

... tupft Mandanipur gleich einem Pointillisten ein Sittengemälde der modernen iranischen Gesellschaft. Da berichtet er von den Namenspatronen Dara und Sara, die unter dem Schah in den Fibeln der Grundschulen zu finden waren; ihre bunte Kleidung wich erst der dunklen und dem Kopftuch, später verschwanden die beiden ganz – und noch später kriegte auch Schneewittchen ein Kopftuch. Alkohol, Musik, unbedeckte Arme bei Frauen – alles verboten. Es ist das Bild jener repressiven Gesellschaft, wie sie sich nach dem Schah-Sturz 1979 herausgebildet hat. Dass es nie bedrückend gezeichnet wird, liegt auch daran, dass Mandanipur vom Kalauer bis zur feinen Ironie so ziemlich jedes Register zu ziehen vermag.

Und er webt immer zartere literarische Fäden. Wir erleben den Erzähler direkt bei der Arbeit. Die eigentliche Love Story ist durch Fettdruck markiert. In ihr finden sich einzelne Wörter, aber auch ganze Passagen, die der Erzähler durchgestrichen hat. Das gibt Einblick auf die Schere im Kopf, schafft aber keine neue Deutungsebene. Die entsteht erst mit jenen assoziativen, von vornherein nicht für die Veröffentlichung gedachten Erzählzweigen, die den Biographien der einzelnen Figuren vorbehalten sind. Sie kommentieren die gesellschaftlichen Verhältnisse, so in den Passagen über Daras Familie mit der muslimischen Mutter und dem kommunistischen Vater, so in den Szenen, in denen der Zensurapparat lächerlich gemacht wird. Erzähltes und Erzählsituation verzahnen sich immer mehr, phantastische Elemente bestimmen das Geschehen, die Figuren beginnen, sich gegen ihren Autor und den Zensor Petrowitsch zur Wehr zu setzen, ihr literarisches Leben einzuklagen. Am Ende wird es richtig spannend, ob und wer das Nachsehen hat.

Das Private ist politisch – hier erfährt dieser alte Slogan eine Bebilderung fernab jeden Manifests. Von der Liebesromanze kann nicht erzählt werden, ohne auf die Entwicklung des Staates und das Zensurgebaren einzugehen, von der Zensur nicht, ohne die Verinnerlichung staatlicher Vorgaben zu illustrieren. Diese Untrennbarkeit hat ihre Brisanz. Auf den ersten Seiten scheint es, als bereite es Mandanipur Schwierigkeiten, den komplexen Stoff wirklich erzählerisch zu verarbeiten und nicht in Thesen abzuhandeln. Doch schon bald schwimmt er sich frei. Und so kann es nur heißen: Im Ende war die Geschichte – und die Geschichte war gut.
 

Shahriar Mandanipur
Eine iranische Liebesgeschichte zensieren
Aus dem Englischen von Ursula Ballin
Union, Zürich 2010
320 Seiten
19,90 €.

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