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Schopenhauer
fuhr gern Cabriolet
Das Porträt eines Misanthropen als junger Mann
Von Rüdiger Dingemann
Christoph Poschenrieder hat den der Nachwelt nur als kauzigen Griesgram
bekannten Arthur Schopenhauer vom Kopf auf die Füße gestellt. Sein Roman „Die
Welt ist im Kopf“ ist vielleicht das Buch zum diesjährigen Schopenhauer-Jahr: Am
22.2. feierte man bereits den 222. Geburtstag des Philosophen, nun gedachte man
am 21. September seinem 150. Todestag.
Das beste Debüt des Jahres ... von der Buchpreis-Jury übersehen
Poschenrieders Debüt ist kein staubiger Historienroman, keine Biografie über die
komplizierte Persönlichkeit Schopenhauers, sondern ein hintersinniger
Bildungsroman als phantasievoller Unterhaltungsroman. Ein Kritiker meinte
lobend, hier hätte „Daniel Kehlmann über Schopenhauer & Lord Byron statt über
Humboldt & Gauß geschrieben“ ...
Doch diesen nett gemeinten literarischen Vergleich hat Poschenrieder gar nicht
nötig! Sein subtiler Roman ist voller Witz und hat seinen ganz eigenen Reiz und
Wert. Er reiht sich durchaus in die literarische Tradition der Goethe-Romane von
Thomas Manns „Lotte in Weimar“ bis hin zu Martin Walsers „Ein liebender Mann“
ein. Man fragt sich, wie konnte die diesjährige Buchpreis-Jury diesen Roman
übersehen?!
Der Tradition verpflichtet
In traditioneller Manier eines routinierten Erzählers und in einer fein
austarierten Leichtigkeit des Stils schickt Poschenrieder den 30-jährigen
Jungphilosoph Arthur Schopenhauer auf die Reise. Dieser hat gerade sein
Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ abgeschlossen. Doch sein Verleger
Brockhaus hat es zum Verdruss des Autors noch nicht ausgeliefert. Verärgert
macht sich Schopenhauer im Herbst 1818 dennoch auf den Weg nach Italien, obwohl
er eigentlich in Venedig dem umschwärmtesten Dichter der Zeit, Lord Byron (1788
- 1824), ein Exemplar seines Buches überreichen wollte. Eine Empfehlungskarte
vom alten Goethe in der Tasche soll ihm dabei helfen, von Byron empfangen zu
werden. Doch dazu kommt es nicht, beide verfehlen sich. Zwar begegnen sie sich
kurz während des Karnevals; doch beide sind maskiert und stellen sich nicht vor.
Ihr kurzer intellektueller Schlagabtausch ist einer der geistreichsten Dialoge
des Buches.
Fiktion trifft Historie
Für Schopenhauer bleibt die Reise eine der verpassten Gelegenheiten. Zu
turbulent sind die Ereignisse, die ihn in Venedig heimsuchen und daran hindern
seine italienische Reise bis Neapel fortzusetzen: Im Hintergrund legt nämlich
der Staatsminister Metternich sein Überwachungsnetz aus, in dem sich
Schopenhauer verfängt.
Österreich hielt das Gebiet bis zum Po besetzt und hatte aus dem Herzogtum
Mailand und der Republik Venedig das Königreich Lombardo-Venetien installiert.
Schopenhauer gerät in den Verdacht, sich an einem Umsturz beteiligen zu wollen.
Auf einer zweiten Erzählebene rumort dieser absurde Verdacht bis zu einer
rasanten Verfolgungsjagd mit Slapstick-Einlagen.
Eine Fülle von Anspielungen und Zitaten durchziehen diesen raffiniert
komponierten Roman, der wie nebenbei zu einem ironischen Panorama des Vormärz
wird. Die politische wie gesellschaftliche Atmosphäre der von Freiheitsdrang
durchsetzten Restaurationsepoche wird lebendig.
Viele Details des Alltagslebens sind genau getroffen. Allein die Beschreibung
des beschwerlichen Reisens mit der Kutsche von Dresden via Prag und Wien an die
Adria ist ein Kabinettstück über Wahrnehmung, über Ent- und Beschleunigung in
Zeiten der Langsamkeit, als man „dem Abstand beim Wachsen“ noch zusehen konnte:
„Schopenhauer fuhr gern im Cabriolet, eine Art Balkon an der Rückseite des
Wagenkastens“. Er reiste „rückwärtsgewandt, nicht auf ein Ziel hin, sondern fort
von wo man gekommen war“. Es gibt viele dieser kleinen, feinen und genauen
Beobachtungen in diesem Roman.
Die Welt im Kopf
Geschickt verwebt Poschenrieder fiktionale mit historischen Ereignissen. Vieles
ist von Schopenhauers und Lord Byrons Aufenthalt in Venedig verbürgt, anderes
ist die Erfindung des Romanciers, dass man den Eindruck gewinnt: So könnte es
gewesen sein. Im Roman ist erlaubt, was überzeugt – Literatur siegt über
historische Gewissheit. So gehen Wille und Vorstellung bei ihm eine romanhafte
Wahlverwandtschaft ein.
Dem Debütanten Poschenrieder gelingt dabei Erstaunliches: ein intelligenter wie
spannender Schopenhauer-Roman eingebettet in ein historisches Sittengemälde.
Unbekümmert fabuliert er mit dosierter Emphase stilistisch souverän, sprachlich
federnd von den Wirrnissen in Schopenhauers Zeit in Italien. Elegant und
sinnlich schildert er den Zauber der Lagunenstadt, so dass historischer Glanz
entsteht. Intelligent illustriert Poschenrieder die etwas schwermütige bis
lakonische Philosophie des spröden Skeptikers Schopenhauer, der seine
Erkenntnisse an der Realität überprüft. Ein Roman als burleskes Maskenspiel und
ein galanter Cicerone in das Werk des pessimistischen Philosophen.
Poschenrieders Sprache evoziert die Sprache der Zeit, die er beschreibt, ohne
sie nachzuäffen. Er taucht in den „Ton der Zeit“ ein und der Leser vergnüglich
in diese Welt von Geist und Kunst, politischer Unsicherheit und Narretei. Aber
auch von Abenteuerlust, zarter Verliebtheit und heftigem Verlangen erzählt er.
Ja, der angebliche „Frauenhasser“ Schopenhauer, der nie verheiratet war, hat bei
Poschenrieder in Venedig eine mehr als romantische Affäre mit der schönen
Teresa, der Tochter eines Gondolieres. Immer schwingt im Roman die Frage mit:
Wie kommt der Mensch zu seinem Glück? Schopenhauer sollte es finden, konnte es
jedoch nicht festhalten ...
Lust auf mehr
Schluss endlich: Ein Lesevergnügen, das auch Lust auf Schopenhauers Werk macht,
so wie es auch einer Nebenfigur des Romans widerfährt: Albuin Hochkofler, der es
vom Bergbauernbub zum Geheimen Kanzleirat der Geheimen Intelligenz-Abteilung in
Metternichs Polizeiabteilung geschafft hat, und sich von Amtswegen mit dem unter
den Verdacht des Umsturzes geratenen Schopenhauer befassen muss. Hochkofler gibt
sein Amt auf und wandert mit einer Ausgabe von „Die Welt als Wille und
Vorstellung“ im Gepäck wieder auf die Alm seiner Vorfahren nach Südtirol. Der
Leser dieses Romans kann es ihm gleichtun; dabei müssen ja nicht gleich die
Berge das Ziel sein, sondern die Lektüre – vielleicht ja bald auch die eines
zweiten Romans von Christoph Poschenrieder.
Der Beitrag erschien zuerst bei
buch-pr.de
|
Christoph Poschenrieder
Die Welt im Kopf
Roman
Diogenes
Hardcover Leinen
352 Seiten
€ (D) 21.90
ISBN 978-3-257-06741-5
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