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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Glanz&Elend - Die Zeitschrift
176 Seiten, die es in sich haben:
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Mit Texten von Hannah Ahrendt,
Wassili Grossman, Nicolàs Gomez Davila, Gert Neumann, Dieter Leisegang, Fernando Pessoa, u.a.

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Seitwert


Das Gesicht der Zeit

Jürgen Nielsen-Sikora über die gesammelten Essays, Reportagen und Feuilletons des poetischen Berichterstatters Joseph Roth

Es sind schwierige Zeiten für Leser wie mich. Das Gekläffe der Tagespresse ist laut; die Schlagworte der Zeloten nicht zu übersehen; das Informationsgestrüpp war nie dichter als in diesen Tagen. Eine Schlagzeile jagt die nächste, und schon weiß ich tatsächlich nicht mehr, woher ich all die Zeit nehmen soll, so viel nicht zu lesen. Das Geschrei der Aufmacher reißt mich immer wieder aus meinen Tagträumen; die feinen Zwischentöne kann ich kaum mehr hören. Die großen Wahrheiten werden weiter an den Rand gedrängt. Nahezu jede Überschrift scheint bedeutsam, weil mich die Demolisseure des vergangenen Tages mit aktuellen Meldungen halb totschlagen. Das Frischgedruckte bringt mich aus dem Gleichgewicht. Ein Jeder schreibt für den Anderen, niemand mehr für sich selbst. Und nur wenige für mich.

Bin ich als Leser nicht schon dazu übergegangen, selbst im Fettdruck zu denken? Lasse ich mir meine Gedanken nicht geradewegs vor-schreiben? Der alte Molière konnte noch behaupten, wer am meisten lüge, komme in die Zeitung. Seit geraumer Zeit gilt: Wer am meisten lügt, ist die Zeitung. Sie brüllt mir auch die sinnlosesten Meldungen zu. Ein Redakteur zitiert den nächsten, Kampagnen werden entwickelt, und am Ende übernimmt der Journalist genau dort die Herrschaft, wo sie mein Verstand verloren hat. Ein Ereignis, das ein wenig sensibilisiert — — schon ist der Fettdruck auf Jahre vorprogrammiert. Ganz am Ende erscheint dann wieder eine Ausgabe der BILD oder der WELT, die ganze Literaturepochen unter sich begraben.

Es gibt aber auch Tage voller Hoffnung. Tage, an denen gute Bücher mit der Post eintreffen. So, wie am 2. September, passend zu Joseph Roths Geburtstag. Ich frage mich bei solchen Zufällen zwar, ob der Verlag mich testen will. Ob er sehen will, dass ich das erwähne, das Datum, oben rechts im Anschreiben des Lieferscheins. Ich will es nicht – – aber was soll´s…

Wer wie ich das Feuilleton nicht mehr lesen kann ohne Anfälle von Übelkeit und schlechter Laune, der sollte Roths Essays für die Zeitung, verfasst zwischen 1916 und seinem Tod 1939, lesen. Helmuth Nürnberger hat für Wallstein in Göttingen eine Auswahl dieser blitzgescheiten und stilistisch beispiellosen Texte getroffen und sie im Anhang kurz erläutert.

Das genügt im Grunde als Werbung für das Buch — — zumal über Roth bereits alles gesagt ist: jüdischer Paria, ruheloser Starjournalist, weltbekannter und brillanter Literat, Trinker und Vertriebener, Heimatsuchender und Pazifist, reisender Moralist und Polemiker, Mythomane und enttäuschter Humanist.

Doch die hier versammelten Essays sind vielen Lesern nicht so bekannt wie seine großen Romane. Ich halte sie für besser als diese. Grandios ist der Spott über das Berliner Sechstagerennen; grandios auch der Bericht über den »Stierkampf am Sonntag« von 1925, beginnend mit der Beschreibung der Zuschauermenge: »Die vielen Köpfe neben- und übereinander wachsen aus dem Stein wie Rüben aus einem Feld. Es ist als hätten sich die Menschen nicht gesetzt, sondern als hätte man sie gesät und sie wären aufgegangen.« Und dann der Blick auf den Stier: »Ihm ist die Arena eine wüste Hölle aus weißgelbem Brand und Geschrei. Die Hörner gesenkt, die Vorderbeine geknickt, setzt er zum ersten Sprung an, der ihn retten soll. Nach einer Sekunde hat er bereits gesehn, daß aus diesem Ring kein Ausweg ist.« Die Zuschauer in ihren Sonntagsanzügen wollen Blut sehen. Roths einziger Kamerad ist ein kleiner, weißer Hund, der aufgeregt bellt und dem Stier beispringen möchte: »Aber, ach! Was können zwei arme Hunde gegen fünftausend Menschen?!«

Aus demselben Jahr stammt das wundervolle Reisebuch »Die weißen Städte«. Roth würzt seine Reportage mit zahlreichen gesellschaftskritischen und beinahe prophetischen Einschüben. So zum Beispiel, wenn es heißt: »Und uns, die wir geradezu unmittelbar vom Studium des 30jährigen Krieges weg in den Weltkrieg gezogen wurden, ist es heute, als hätte in Deutschland der 30jährige Krieg noch nicht aufgehört. Wir können nicht glauben, dass irgendwo noch weisse Städte leuchten, die Träume unserer Kindheit.« Er selbst fühlt sich »gefangen in einem sonderbaren Land, in dem die Hälfte der Nation gleichzeitig zwei so verschiedene und gegensätzliche Erscheinungen bewundern kann, wie eine Militärparade und einen Luftballon.« Er sei, stellt er später fest, »in ein fremdes Jahrhundert geraten« und verliere »eine Heimat nach der anderen.«

Der das schreibt, liefert Texte, in denen jeder Satz das Potenzial zum unvergessenen Aphorismus hat: »Große Wahrheiten werden an den Rand geschrieben.« Oder: »Wohl dem, der Trinkgelder geben kann.« Und: »Alle Buchstaben sind wie kleine schwarze und silbergraue Vögel.« Aber auch: »Der Kaiser … verwirrt von der Treue seiner Untertanen« und schließlich: »Blaue Schürzen, das Abzeichen der Arbeit.«

So könnte ich immer weiter zitieren, etwa einen meiner liebsten Sätze: »Es scheint in allen Menschen männlichen Geschlechts ein unbändiger Trieb zum Exerzieren zu sein — ich bin die einzige Ausnahme, die mir bekannt ist.« Ergänzt wird diese bissige Beobachtung durch eine Szene an einem italienischen Bahnhof, an dem Roth Truppen und ihren kriegerischen Elan ausmacht und fragt: Wozu? Da doch »so viel museumsbeflissene Fremde ankommen, friedliche und wohlhabende Naturen, für die man eher kundige Kunsthistoriker aufstellen sollte!«

Nie sind seine Artikel für die Zeitung bloß Feuilleton; hier zeigt sich Roth immer auch als Schriftsteller und Dichter. So vor allem in der Beschreibung des Nachtredakteurs Gustav K., die ich jetzt nicht zitiere, weil Sie sie selbst lesen müssen! Denn manche Bücher werden »nur deshalb rezensiert, weil ein Teil der Bevölkerung von nichts anderem zu leben hat, als von Rezensionen.«
 

Joseph Roth
»Ich zeichne das Gesicht der Zeit«
Essays - Reportagen – Feuilletons
Herausgegeben und kommentiert von Helmuth Nürnberger
Wallstein Verlag
544 Seiten
978-3-8353-0585-4
€ 39,90 (D)

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Joseph Roth - Der tapfere Dichter
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